Larry Niven: Brennans Legende

Protector (1973). Science-Fiction-Roman. Die deutsche Erstausgabe erschien 1975 unter dem Titel Der Baum des Lebens im Goldmann Verlag (München), in der Reihe Goldmann Science Fiction, Band 211 (Taschenbuch, 160 Seiten), übersetzt von Tony Westermayr. Im Mai 1999 erschien die hier vorliegende, vollständige Ausgabe im Bastei Lübbe Verlag (Bergisch-Gladbach), neu übersetzt von Axel Merz. Titelbild von David Mattingly. Taschenbuch, 384 Seiten.

 

Nahe dem galaktischen Zentrum lebt die Spezies der Pak, deren Lebenszyklus zwei Stadien durchläuft. Geboren werden die Pak als nicht intelligente „Brüter“, die ein tierhaftes Leben führen und sich dabei vor allem fortpflanzen. In einem genetisch vorbestimmten Lebensalter entwickeln die Brüter schließlich einen unwiderstehlichen Heißhunger auf die Wurzeln einer bestimmten Pflanze, dem sogenannten „Lebensbaum“, deren Genuss eine radikale Metamor­phose auslöst: Die Haut verdickt sich und wird faltig, im Gesicht bildet sich ein harter Schnabel aus und das Gehirn wächst mächtig an. Paks, die sich so verwandelt haben, sind nunmehr hochintelligente „Protekto­ren“, äußerst kriege­rische Geschöpfe, deren Sinn nur darauf gerichtet ist, das Überleben ihrer Nachkommenschaft zu sichern.

 

Der Protektor Phssthpok hat in einer Bibliothek alte Berichte entdeckt, nach denen vor 2,5 Millionen Jahren 72 Protek­toren mit einer Schar Brütern und Lebensbaumwurzeln in die äußeren Bezirke der Galaxis aufgebrochen sind, um dort die Pak neu anzusiedeln. Da Phssthpok selbst keine Nachkommenschaft hat, die er beschützen müsste, beschließt er, die alte Kolonie in der äußeren Galaxis zu suchen, um sich dort als Protektor für seine Spezies nützlich zu machen. Mit einem mit Unterlichtgeschwindigkeit fliegenden Raumschiff macht er sich auf die lange Reise – und gelangt 33.000 Jahre später, im Jahre 2125, in das Sol-System.

 

John Brennan ist ein auf eigene Faust arbeitender Schürfer aus dem Asteroidengürtel, der mit einem Ein-Mann-Raum­schiff in der Nähe des Uranus unterwegs ist. Er ortet das Raumschiff von Phssthpok, nähert sich ihm an – und wird prompt von Phssthpok gefangen genommen. Im Frachtraum von Phssthpoks Schiff übermannt Brennan ein plötzlicher Heißhunger auf dort verstaute Lebensbaumwurzeln. Nachdem er sie gegessen hat, verwandelt sich Brennan selbst in einen Protektor. Phssthpok gelangt zur ernüchternden Erkenntnis, dass die Menschen offenbar die Nachfahren der vor 2,5 Millionen Jahren ausgewanderten Brüter sind. Da die Anpflanzung des Lebensbaums in der Biosphäre der Erde fehlgeschlagen war und die ausgewanderten Protektoren bald verstarben, hatten sich die Brüter nie selbst zu Protek­toren entwickelt, sondern durchliefen, sich selbst überlassen, eine natürliche Evolution bis hin zum Menschen.

 

Phssthpok will mehr über die Menschen erfahren und versteckt sich mit dem Protektor Brennan mit einem Teil seines Raumschiffs zunächst unter der Oberfläche des Mars. Doch Brennan gelingt es, Phssthpok zu töten und sich zu befrei­en. Fortan ist Brennan bestrebt, selbst als Protektor die Menschheit zu beschützen. Er hat allen Grund zur Sorge, denn die kriegeri­schen Pak haben inzwischen mit mehreren Raumschiffflotten das galak­tische Zentrum verlassen, das durch massenhafte Supernova-Explosionen zu einem unwirtlichen Ort geworden ist. Ihr Ziel: Die alte Sol-Kolonie . . .

 

Was Sie schon immer über die Pak wissen wollten . . .

 

Brennans Legende ist vor allem für jene Leser ein interessanter Roman, die sich intensiver mit dem sogenannten „Ring­welt-Universum“ bzw. dem „Known Space“ von Larry Niven auseinandersetzen wollen. Bereits Larry Nivens Debut­roman Die Welt der Ptavv (1966) sowie einige seiner Kurzgeschichten waren in diesem Universum angesiedelt, aber es war Ni­vens Geniestreich Ringwelt (1970), nach wie vor sein bester Roman, der das „Ringwelt-Universum“ populär machte. Im gelungenen Sequel Ringwelt-Ingenieure (1980) war deutlich geworden, dass das gigantische Wunderwerk eines ringförmigen künstlichen Planeten von den Pak erbaut worden war, derselben Spezies, der auch die aus dem All eingewanderten Vorfahren der Menschen auf der Erde angehörten. So erklärten sich auch die zahlreichen humanoiden Spezies auf der Ringwelt. Ansonsten bleiben die Pak in den Ringwelt-Romanen ziemlich geheimnisumwittert.

 

Aufklärung über die Pak liefert Larry Nivens Roman Protector (1973), der in deutscher Sprache unter den Titeln Der Baum des Lebens (1975) und Brennans Legende (1999) erschienen ist. Hier erfährt der Leser eine Menge über die Pak, ihre Heimatwelt und wie es dazu kam, dass sie vor Millionen von Jahren Brüter auf der Erde ansiedelten, aus denen sich dann die Menschheit entwickelte. Das Konzept ist natürlich hanebüchener Unsinn angesichts der engen geneti­schen Ver­wandt­schaft des Menschen mit der übrigen irdischen Biosphäre – wir sind mit Sicherheit nicht aus dem All auf unserem Pla­neten eingewandert. Aber sei’s drum: Faszinierend ist die Idee, den aus der Bibel bekannten Paradies­mythos mit dem „Baum der Erkenntnis“ in eine „Gott-war-ein-Astronaut“-Erzählung zu übersetzen, allemal. Das Drama­tis Personae des Romans ist auch aus anderen Storys und Romanen aus dem „Ringwelt-Universum“ bekannt. So hat der inzwischen pensionierte, an den Rollstuhl gefesselte ARM-Agent Lucas Garner ebenso einen Auftritt wie Nick Sohl, „Erster Spre­cher“ der Belter-Regierung, außerdem Elroy Truesdale, ein später Nachfahre von John Brennan, sowie die „Goldhaut“, d. h. Belter-Polizistin Alice Jordan. Kurzum: Für „Ringwelt“-Nerds ist der Roman ein lesenswertes Schmankerl.

 

Auf der anderen Seite muss eingeräumt werden, dass der Roman unter einigen gravierenden Schwächen leidet. Das Erzähltempo ist flott, leider zu flott, sodass über viele Dinge und Ereignisse so knapp und kurz angebunden hinweg­galoppiert wird, dass sie für den Leser kaum anschaulich werden. Dafür ein Beispiel: Phssthpoks und später auch Bren­nans Raumschiff sollen Bussard-Ramjet-Schiffe sein, die den interstellaren Wasserstoff mittels Magnetfelder einsam­meln, in einem Fusions­reaktor verdichten und als Antriebsmasse wieder ausstoßen. Die Schiffe werden als verkettete Module geschildert, die mit kilometerlangen Kabeln (!), also nicht starr, miteinander verbunden sind. Wie aber soll man sich dann die Stabilität die­ser Kette vorstellen, wenn der Fusionsreaktor am hinteren Ende dieser kilometerlangen Kette hängt? Das ist zumin­dest mir nicht klar geworden.

 

Die Handlung des Romans ist recht komplex, mit vielen wechselnden Schauplätzen und einer Zäsur in der Mitte, die etwa 200 Jahre umfasst; in der zweiten Romanhälfte hat der Leser es also plötzlich mit völlig anderen Figuren zu tun. In beiden Romanhälften geht es im Wesentlichen um Versteckspiele des Protektors Phssthpok bzw. später des Pro­tektors Brennan. Ersterer will zunächst nicht von den Menschen, letzterer dann nicht von den aus dem interstellaren Raum herannahenden Pak entdeckt werden. Niven fliegt in teilweise halsbrecherischem Tempo durch seinen Plot, und den Leser beschleicht der Gedanke, dass Niven wahrscheinlich besser daran getan hätte, die Handlung ge­hörig abzu­specken und dann aber mit mehr Tiefe, Plastizität und letztlich auch mehr Spannung zu erzählen.

 

Die Spannung hält sich nämlich leider auch in Grenzen. Insbesondere im letzten Viertel des Romans: Niven schildert dort ein interstellares Gefecht zwischen dem Raumschiff Brennans und herannahenden Pak-Schiffen, die allerdings viele Lichtmonate, zum Teil sogar Lichtjahre entfernt sind. So zieht sich das Gefecht selbst auch über Monate und Jahre (!) hin – und wirkt daher nicht nur taktisch unnachvollziehbar, sondern schon vom Grundkonzept her völlig ab­surd. Dass Niven die Schwierigkeiten eines interstellaren Gefechts mit seinen gewaltigen Distanzen er­kannt hat, ist löblich – nur hätte eben die Schlussfolgerung eine andere sein müssen: Die sich bekriegenden Schiffe sollten sich ein­ander stärker annähern, um sich effizient unter Beschuss zu nehmen.

 

Alles in allem ist Brennans Legende ein kurzweiliges Abenteuer aus dem „Ringwelt-Universum“, das simpel, schnörkel­los und leider oftmals wenig anschaulich erzählt wird. Mit modernen, spannungsgeladenen Space Operas eines Alas­tair Reynolds oder Stephen Baxter kann der in die Jahre gekommene Roman in keiner Hinsicht mithalten. Lediglich für Fans von Nivens „Ringwelt-Universum“ ist die Lektüre von Brennans Legende interessant.

 

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 2. November 2016