Carl Sagan: Contact

Contact (1985). Science-Fiction-Roman. In deutsch 1986 im Droemer Knaur Verlag (München) erschienen. Übersetzung aus dem Amerikanischen von Meike Werner. Gebundene Ausgabe, 480 Seiten.

 

Eleanor „Ellie“ Arroway ist ein blitzgescheites Mädchen, das in den Fünfziger- und Sechzigerjahren aufwächst und schon früh Interesse für Physik, Astronomie und Radiotechnik entwickelt. Als ihr Vater stirbt und ihre Mutter erneut heiratet, versetzt ihr das einen tiefen Schmerz, der sie Zeit ihres Lebens begleitet. Nach der Schule ergreift sie eine wissenschaftliche Laufbahn, setzt sich gegen den Chauvinismus ihrer männlichen Fachgenossen durch und wird zu einer glänzenden Radioastronomin. Ellie ist davon überzeugt, dass das großartigste Signal, das je ein Radioastronom aus dem All empfangen könnte, eine Botschaft von einer außerirdischen Zivilisation wäre. Ihr gelingt es, mit „Argus“ ein Forschungsprojekt ins Leben zu rufen, das systematisch den gesamten Himmel mit den Radioteleskopen des Very Large Array (VLA) in New Mexico nach einer solchen Botschaft absucht.

 

Das Suchprojekt zieht sich über Jahre hin, und Abstumpfung macht sich bei den Mitarbeitern am VLA breit. Da passiert es: Das VLA empfängt von der 26 Lichtjahre entfernten Wega eine nicht enden wollende Reihe starker Impulse, die eine lange Abfolge von Primzahlen bilden. Da eine solche Abfolge keinen natürlichen Ursprung haben kann, muss das Signal von Außerirdischen gesendet worden sein. Die Entdeckung schlägt hohe Wellen. Während weltweit die Radio­astronomen ihre Teleskope auf die Wega richten und die Presse die Neuigkeit verbreitet, treffen am VLA Regierungs- und Sicherheitsbeamte ein, um die Kontrolle über die weitere Verfahrensweise zu übernehmen. Derweil untersuchen die Astronomen das Signal näher und erkennen in ihm einen weiteren, den Primzahlen unterlegten Datenstrom. Als Ellies Team die Daten als einen Film identifiziert, staunt es nicht schlecht: Es handelt sich um eine Fernsehübertragung von Adolf Hitlers Eröffnung der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin, dem ersten irdischen TV-Signal, das stark genug gewesen war, um unbeabsichtigt ins Weltall abzustrahlen. Offenbar hatte der Sender im Wegasystem das Signal 26 Jahre später empfangen und als Grußbotschaft zurückgeschickt.

 

Wenig später stellt sich heraus, dass im weganischen Signal noch weitere Daten verborgen sind, die sich als Bau­an­lei­tung für eine komplexe Maschine entpuppen. Der Kern der Maschine besteht aus drei ineinandergeschachtelten, ro­tie­ren­den Sphären, die einen Dodekaeder einschließen, in dem fünf Sitzgelegenheiten für Menschen vorgesehen sind. Offenbar ist die Maschine eine Einladung an die Menschheit: Sie soll fünf Passagiere zu den Außerirdischen befördern. Unter der Führung der USA und der UdSSR beschließt die Weltgemeinschaft, die Maschine trotz der extrem hohen Kosten zu bauen. Während das sich über Jahre hinziehende Bauprojekt eine gewisse Entspannung zwischen den ver­fein­deten Machtblöcken der Welt anzubahnen scheint, sind die Religionsgemeinschaften der Welt von der Ent­de­ckung einer außerirdischen Intelligenz schwer erschüttert und versuchen auf unterschiedliche Weise, sie in ihre Welt­bilder einzupassen. Auch Ellie wird mit den religiösen Fragestellungen konfrontiert, die die Botschaft aufwirft, als sie von dem Prediger und Regierungsberater Palmer Joss zur Diskussion herausgefordert wird.

 

Da erlebt das Projekt einen herben Rückschlag: Ein terroristischer Bombenanschlag auf die fast vollendete Maschine zerstört sie und tötet David Drumlin, ein Mitglied des Teams, das für die Reise auserkoren wurde. Der exzentrische Milliardär S. R. Hadden hat jedoch insgeheim auf Hokkaido in Japan den Bau einer weiteren Maschine finanziert, die er bereitwillig in den Dienst der Weltgemeinschaft stellt. Drumlins Tod führt zudem dazu, dass Ellie von der interna­tio­na­len Projektleitung als Passagierin nachnominiert wird und selbst die Reise zu den Außerirdischen antreten darf. Ende 1999 ist es endlich soweit. Die fünf Menschen – allesamt hochgebildete Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt – erleben eine fantastische Odyssee durch ein Wurmloch in der Raumzeit, die sie bis ins Zentrum der Galaxis führt. Dort werden die Menschen in einem gigantischen Weltraumbahnhof von einer galaktischen Gemeinschaft von Millionen hochentwickelter Spezies begrüßt, die seit Äonen damit beschäftigt sind, den Kosmos umzugestalten. Welchen Platz aber gebührt der rückständigen Menschheit in dieser Gemeinschaft?

 

Kosmischer Schwanengesang

 

Der Astrophysiker Carl Sagan (1934–1996) war zu seinen Lebzeiten ein überaus produktiver und populärer Naturwissen­schaft­ler. Er beschäftigte sich intensiv mit der Erforschung des Sonnensystems, war an zahlreichen Raumsonden­pro­jek­ten der NASA, vor allem den Viking- und Voyager-Missionen, beteiligt, und übertrug Erkenntnisse über die Klimaver­hält­nis­se auf der Venus und dem Mars auf die Erde. Mit seiner Prognose eines „nuklearen Winters“ wurde er nicht nur zum leidenschaftlichen Ankläger der Bedrohung durch einen Atomkrieg, sondern auch zu einem der ersten, die vor den Gefahren eines irdischen Klimawandels warnten. Er engagierte sich für die aktive Suche nach außerirdischen In­tel­ligenzen mit Radioteleskopen und stellte wissenschaftlich fundierte Überlegungen über mögliche Formen außerir­di­schen Lebens an. Carl Sagan schrieb zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher und erhielt 1978 den Pulitzerpreis. Weltberühmt wurde er durch seine 13-teilige populärwissenschaftliche TV-Serie Unser Kosmos (1980), die rund um den Globus Millionen TV-Zuschauer erreichte. Für eine ganze Generation von angehenden Naturwissenschaftlern wurde Carl Sagan zur Inspiration und zum Vorbild; unter Science-Fiction-Fans und astronomisch begeisterten Laien avan­cier­te er zu einem regelrechten Popstar.

Carl Sagan
Carl Sagan 1980

Sagan war Idealist, und er scheute sich nicht zu predigen. Er versprach seinem Publikum in einem uferlosen Universum Geborgenheit – einem Universum, das sich nicht länger um die Menschheit als vermeintlichen Mittelpunkt drehte, in dem un­sere Spezies aber trotz allem ihren sinnvollen Platz hatte. Sagan begegnete der Mächtigkeit und Schön­heit des Weltalls mit tiefer Ehrfurcht, ein Empfinden, das in seinen Schriften stets zum Ausdruck drängte. Seine Begeisterung war authentisch, seine spür­bare Hingabe zur Astrophysik und zu seinen oft romantisch anmutenden Ideen über das Universum wirkte anste­ckend.

 

Sagans Idealismus trägt auch seinen einzigen Roman Contact. Die Idee zum Buch er­wuchs aus Sagans eigener Suche nach Radiosignalen außerirdischer Intelligenzen. Be­reits Mitte der Siebzigerjahre hatte Sagan mit der Idee gespielt, seine Vorstellungen über die Konsequenzen eines Erstkontakts mit Außerirdischen in einem Film umzu­set­zen.  Ursprünglich hatte er mit Francis Ford Coppola über eine Produktion fürs Fernsehen gesprochen. Später ermu­tig­te ihn eine enge Freundin, die spätere Filmproduzentin Lynda Obst (Flashdance, Schlaflos in SeattleAusnahme­zu­stand), ein Treatment für einen Spielfilm zu schreiben. Der von Sagan, seiner Frau Anne Druyan und Lynda Obst aus­ge­ar­bei­tete Entwurf wurde von der Produktionsfirma, bei der Obst beschäftigt war, gekauft. In den folgenden Jahren la­borierten verschiedene Autoren am Drehbuch herum, doch schien der Film letzten Endes nicht zustande zu kommen. So entschloss sich Sagan, den Entwurf zu einem Roman auszubauen, was ihn zudem in die angenehme Lage versetzte, die völlige inhaltliche Kontrolle zu behalten. Für fast zwei Millionen Dollar verkaufte Sagan die Veröffentlichungs­rech­te seines Romans an den Verlag Simon & Shuster, wo Contact 1985 erschien. Mit über 1,7 Millionen verkauften Exem­pla­ren wurde Contact ein glänzender Bestseller.

Die Filmidee zu Contact gelangte 1989 in den Besitz von Warner Bros. und erhielt 1993 doch noch grünes Licht, und da Lynda Obst inzwischen selbst für Warner Bros. arbeitete und den Film als ausführende Produzentin auf den Weg bringen sollte, sorgte sie dafür, dass Carl Sagan und Anne Druyan wieder mit in das Projekt eingebunden wurden. Erst im Sommer 1997 kam Contact in die Kinos; Regie führte Robert Zemeckis, die Hauptrolle der Ellie Arroway spielte Jodie Foster. Sagan selbst erlebte die Filmpremiere leider nicht mehr – er verstarb im Dezember 1996 infolge einer Krebs­erkrankung des Knochenmarks.

 

„Experimentelle Theologie“: die Wissenschaft auf der Suche nach Gott

 

Contact ist ein mitreißender Hard-Science-Fiction-Roman – auch wenn das Titelblatt, etwas peinlich verschämt, den Begriff „Science-Fiction“ vermeidet. Carl Sagan fabuliert eine wissenschaftliche Fiktion reinsten Wassers, wenn er die Idee eines Bauplans für eine außerirdische Maschine, die zuvor schon im pulpigen Science-Fiction-Film Metaluna 4 antwortet nicht (1955) begegnete, dazu nutzt, um seine Helden – Naturwissenschaftler  in die Tiefen des Alls zu schicken. Die galaktische Reise mit der Maschine, deren Gestalt aus Sphären und Dodekaedern wie eine Feier reinster Mathematik anmutet, bewerkstelligt Sagan mithilfe der vom Kosmologen Kip Thorne entwickelten Idee von „Wurm­lö­chern“ in der gekrümmten Raumzeit des Universums – ein Konzept, das nach Sagans Roman große Popularität in der Science-Fiction gewann und unter anderem in der TV-Serie Star Trek: Deep Space 9 (1992–1999) verwendet wurde.

 

Allerdings ist die außerirdische Maschine, so spannend sie für den Leser ist, nur ein Hilfsmittel, nicht das Wesentliche. Sagan erhebt vielmehr die Wissenschaft selbst zum Gegenstand des sense of wonder. Die Schönheit der Mathematik, der Physik und des Universums sind ihm ein zigfach staunenswerteres Wunder als jede oberflächliche Science-Fiction-Fantasterei – oder jede althergebrachte religiöse „Glaubenswahrheit“. So erklärt die Heldin Ellie Arroway gegenüber dem christlichen Prediger Palmer Joss:

 

„Sehen Sie, wir alle sehnen uns nach Wundern. Das ist eine tief menschliche Eigenschaft. Wissenschaft und Religion hängen bei­de eng damit zusammen. Was ich sagen will, ist, daß man keine eigenen Wundergeschichten zu erfinden braucht. Man braucht nicht zu übertreiben. Es gibt genügend Wunder und Geheimnisse in der Welt um uns. Die Natur ist viel besser im Erfinden von Geschichten als wir.“ (S. 195)

 

In der Heldin Ellie Arroway spiegelt – und idealisiert – Sagan sein eigenes Selbstverständnis als Wissenschaftler. Pal­mer Joss, der im Roman deutlich älter und zwiespältiger charakterisiert wird als im Film und sich auch nicht zu Arro­ways Geliebten entwickelt, inkarniert dagegen die Stimme der Religion, die Arroways wissenschaftliche Weltsicht herausfordert. In ihren Streitgesprächen fechten Arroway und Palmer um die Wahrhaftigkeit ihrer beider Weltsichten. Die Frage nach dem trennenden Graben zwischen Wissenschaft und Religion ist der eigentliche Kern des Romans – um ihn ringen die Figuren, auf seine Überbrückung drängt die Handlung hin. Contact wird von einer unnachgiebigen Sinnsuche getrieben, bei der nach Sagans Weltauffassung die althergebrachten Religionen nur im Wege stehen, die sich aber nichtsdestotrotz selbst als zutiefst religiös herausstellt.

 

Contact ist somit keine abenteuerliche Science-Fiction im klassischen Sinn. Der Roman bietet keine UFOs, bizarre Aliens oder temporeiche Action. Der erzähltechnische Aufbau ist eigenwillig, manch einer würde sagen rudimentär: Der Roman trägt schwer an seiner Last von Dialogen, die sich oft um theoretische Fragen drehen und hinter denen die Persönlichkeiten der Figuren bisweilen zu verschwinden drohen. Die Schauplätze wechseln, nachdem Ellie Arroway die Botschaft aus dem All entdeckt hat, in ermüdender Aufeinanderfolge von einer internationalen Konferenz zur nächsten. Im Mittelteil ergehen sich die Figuren auch etwas zu ausufernd in Spekulationen über den tieferen Sinn der Radiobotschaft von der Wega, sodass der Roman streckenweise zu erlahmen droht. Sagans Helden sind keine zupa­cken­den Tatmenschen, sondern abgeklärte Wissenschaftler, die selbstlos und unvoreingenommen nach Erkenntnis streben. Es finden sich viele Exkurse in alle möglichen Wissensgebiete, z. B. die chinesische Kaisergeschichte, die oft nur lose mit der Erzählung verbunden sind und dann den Eindruck erwecken, dass sie vor allem Sagans Bildungsstolz hervorkehren sollen.

 

Dennoch ist Sagans Stil für einen Neuling im fiktionalen Erzählen erstaunlich reif. Es gelingt ihm recht gut, die theoreti­schen Diskurse mit der fiktionalen Handlung, die letztlich nur als Vehikel dient, zu verbinden. Auch begegnen hier und da stimmungsvolle Miniaturen wie beispielsweise Ellies Sinnieren über die Hasen, die hordenweise die Landstraßen von New Mexico säumen (S. 66f.). Aufgrund seiner persönlichen Erfahrung fällt es Sagan nicht schwer, den oft von Arroganz gekennzeichneten Wissenschaftsbetrieb an den Universitäten treffend zu charakterisieren – wie beispiels­wei­se in der Figurenzeichnung des intelligenten, aber eitlen Professors David Drumlin (S. 39ff.). Auch die Darstellung der Hauptfigur Ellie Arroway ist lebendig, plastisch und interessant. Sie ist eine Wissenschaftlerin wie aus dem Bil­der­buch und erscheint oft besserwisserisch und neunmalklug, aber sie bleibt dem Leser im Großen und Ganzen sympha­tisch.

 

Sind Physiker die besseren Propheten?

 

Sagan war fest davon überzeugt, dass die Wissenschaft nicht umhin kommt, die althergebrachten, göttlich motivier­ten Weltbilder der Weltreligionen Schritt für Schritt zu ersetzen. Die Geschichte der Wissenschaft war ihm ein müh­sa­mer, auf lange Sicht aber stets erfolgreicher Kampf gegen die religiös verbrämte Unwissenheit gewesen. Verlässliche, nachprüfbare Wahrheit findet sich nur in der Mathematik und den mathematisch zu beschreibenden Naturgesetzen; ohne einen handfesten wissenschaftlichen Beweis für seine Existenz war Sagan das blinde Vertrauen in einen Schöp­fer unmöglich. Und doch drängte Sagans Hingerissensein von der überwältigenden Schönheit des Kosmos, sein ehr­fürchtiges Erschauern vor der Eleganz und Harmonie der Naturgesetze nach einer Lösung, einer Antwort, einem Halt. Sagan verspürte in seinem Staunen ein religiöses Gefühl, eine Frage nach Gott – eine Regung, deren Grund Rudolf Otto 1917 das mysterium tremendum oder auch „das Numinose“ nannte (vgl. S. 172f.). Diesen Zwiespalt aufzulösen, die Frage nach dem sinnstiftenden Funken in der naturwissenschaftlich erfahrbaren Schöpfung zu beantworten, lässt Sagan in Contact nicht los. Es geht ihm um nichts Geringeres als die utopische Synthese von Wissenschaft und Reli­gion. Über das Numinose sagt Arroway:

 

„Ich glaube, daß die institutionalisierten Religionen dem Menschen eine bestimmte Wahrnehmungsart des Numinosen vor­schrei­ben wollen, statt ihm direkten Zugang zur Erfahrung des Numinosen zu verschaffen – wie etwa durch ein 15-Zentimeter-Teles­kop. Wenn die Erfahrung des Numinosen im Mittelpunkt der Religion steht, wer ist dann religiöser – die Menschen, die den institutionalisierten Religionen folgen, oder die Menschen, die sich selbst die Naturwissenschaften beibringen?“ (S. 173)

 

Nicht nur an dieser Stelle provoziert Sagan mit der Ungeheuerlichkeit, dem Gläubigen die numinose Erfahrung abzu­sprechen und sie allein für den Naturwissenschaftler zu reklamieren. Mit diesem Anspruch korrespondiert die maßlose Idealisierung der Hauptfigur Ellie Arroway und – mit Ausnahme von David Drumlin – allen anderen Wissenschaftlern im Roman. Ellie erscheint nahezu als Lichtgestalt, von unbestechlichem Verstand und strotzend vor Enthusiasmus. In ihren beruflichen Kämpfen handelt sie stets entschlossen und erfolgreich, und auch im Privatleben hält sie alle Zügel fest in Händen – Ellies Liebesleben wird als höchst abwechslungsreich und erfüllend beschrieben. Ellie und ihre Kol­le­gen glänzen mit ihrer Universalgelehrtheit, sind unerschöpfliche Quellen der Vernunft, mit dem eigenen naturwis­sen­schaft­lichen Weltbild vollkommen im Reinen und darüber hinaus menschlich ohne Fehl und Tadel. Auf diesem festen, turmhohen Podest stehend, ist es ihnen ein Leichtes, auf die „konventionellen Religionen“ herabzublicken und ihnen ihre „Ungereimtheiten“ und „Verlogenheiten“ (S. 156) vorzuwerfen. In Sagans Weltsicht wird der Naturwissenschaftler zur edelsten Zierde der Menschheit – die Erkenntnis von Mathematik und Physik lässt ihn das kosmische Gefüge schauen und erhebt ihn über alle Unwissenden.

 

Der bemitleidenswerte Gegenpol des Naturwissenschaftlers, ja, der regelrecht vor der Wahrheit die Augen Verschlie­ßen­de, ist demgegenüber der Gläubige. Sagan macht es sich mit ihm leicht, indem er sein begrenztes anthropo­zen­tri­sches Weltbild belächelt, seine Überzeugungen ins Zwielicht rückt und ihm unverhohlen Scharlatanerie unterstellt. Der Prediger Billy Jo Rankin figuriert als Prototyp des fundamentalistischen, engstirnigen Eiferers und Menschenfeinds. Palmer Joss, der Arroway halbwegs auf intellektueller Augenhöhe begegnet, wird freundlicher gezeichnet, aber auch seine Figur versieht Sagan mit einem deutlichen Fragezeichen, indem er ihn vom Rummelplatz (!) herkommen lässt und ihm lediglich eine naiv und wahllos angeeignete, bruchstückhafte Bildung zugesteht (S. 148f.). In seinen Streit­ge­sprä­chen mit Arroway, die nicht selten zu polemischen Generalangriffen auf die Religionen geraten, unterliegt er praktisch immer – Sagan investiert keine nennenswerte Energie darauf, Palmer den Standpunkt der Religion schlag­kräf­tiger vertreten zu lassen.

 

Nur ganz am Ende ist es Palmer erlaubt, Arroways Sicht der Dinge zu relativieren – wenn auch nur schwach. Arroway kehrt von ihrer galaktischen Reise zurück, hält jedoch keinen einzigen handfesten Beweis in Händen, dass diese Reise tatsächlich stattgefunden hat. Während die Reise für die Insassen des Dodekaeders in der Maschine mehrere Stunden gewährt hatte, konnten die außerhalb der Maschine Stehenden nicht einmal für einen Sekundenbruchteil beobachten, dass der Dodekaeder fort gewesen war. Halb zweifelt Arroway selbst, ob sie sich vielleicht nicht alles nur eingebildet haben könnte, und ist ratlos. Sie ist darauf angewiesen, dass andere ihr glauben. Palmer erklärt ihr voller Zuversicht, dass Arroway keine Mühe haben wird, auch andere Menschen von ihrer Geschichte zu überzeugen:

 

„Ich sage, Sie brauchen keinen Beweis mehr. Es gibt schon genug Beweise. Cygnus A und all das ist doch nur für die Wissen­schaft­ler. Sie glauben, es wird schwer sein, gewöhnliche Leute davon zu überzeugen, daß sie die Wahrheit sagen. Ich meine, es wird kinderleicht sein. Sie glauben, daß ihre Geschichte zu sonderbar sei, zu exotisch. Aber ich habe schon einmal so eine Ge­schichte gehört. Ich kenne sie auswendig. Und ich wette, Sie kennen sie auch.“

 

Palmer rezitiert die biblische Geschichte von Jakobs Traum von der Himmelsleiter, die zu Gott führt (1. Mose 28:12–17) – ein subjektives, unbeweisbares Erlebnis, das zur allgemeinen Glaubenswahrheit wurde. Schließlich erklärt er:

 

„Ihre Geschichte wurde vorhergesagt. Sie ist schon einmal geschehen. Irgendwo tief in Ihnen müssen Sie das gewußt haben. Keines Ihrer Details steht im Buch Genesis. Natürlich nicht. Der Bericht der Genesis war für die Zeit Jakobs richtig. Genauso, wie Ihr Zeugnis für diese Zeit richtig ist, für unsere Zeit.“ (S. 468f.)

 

Palmer macht hier nicht allein deutlich, dass Wahrheit letzten Endes auf Glauben gründet – sondern auch, dass Wahr­heiten nicht absolut und überzeitlich, sondern historisch verortet sind. Daraus folgt aber auch, dass der künftige Status jeder neu gewonnenen Wahrheit so ungewiss ist wie die Zukunft selbst. Nur noch an einer einzigen anderen Stelle im Roman wird die zentrale erkenntnisphilosophische Frage nach dem Sinngehalt des Begriffs „Wahrheit“, die sich für die Naturwissenschaft so unausweichlich stellt wie für die Religion, angerührt. In einem Streitgespräch mit Palmer sagt Arroway:

 

„Ich glaube nicht, daß es so etwas wie eine endgültige Wahrheit gibt. Aber wenn man die verschiedenen Meinungen zu Wort kommen läßt, wenn jeder Skeptiker seine Experimente durchführen kann, um eine Behauptung zu überprüfen, dann hat die Wahrheit eine Chance. Das ist die Erfahrung der ganzen Geschichte der Wissenschaft. Es ist kein perfekter Ansatz, aber der einzige, der zu funktionieren scheint.“ (S. 181)

 

Obgleich Arroway ihr Argument als Waffe gegen das Vertrauen in religiöse Offenbarungen ins Feld führt, schwächt sie hier, ohne es zu merken, den Anspruch der Naturwissenschaften, „Wahrheiten“ zu entdecken, erheblich ab. Auch wis­senschaftliche Wahrheiten bleiben bestenfalls Annäherungen, die „Wahrheit an sich“ ein unerreichbares ideales Ziel. Exakt darum aber geht es der Religion: Sie spricht vom Transzendentalen, von dem, was alle Erfahrung überschreitet, und setzt sich mit Bildern über die Unerreichbarkeit des Ideals der letzthinnigen Wahrheit hinweg. Leider stellt Sagan diesen wesentlichen Unterschied zwischen der faktischen Wahrheit der Naturwissenschaften und der sinnbildlich erstellten Wahrheit der Religion nie angemessen in Rechnung, ja, er scheint regelrecht blind für diesen Wesens­un­ter­schied zu sein. Während naturwissenschaftliche Wahrheiten eine nie abreißende Kette neuer Fragen hervortreibt, ist die religiöse Wahrheit der Versuch, darüber hinauszugreifen und das Ganze umfassend zu verstehen. Das Ganze wird in diesem Verständnis immer auch in irgendeiner Form auf den Sinn des Menschens bezogen sein, das Verstehen voll­zieht sich in Kategorien des menschlichen Denkens, und damit ist es natürlich anthropomorph. Wie sonst?

 

Es ist fast überflüssig festzustellen, dass Sagan die Synthese von Wissenschaft und Religion am Ende allenfalls fiktional gelingt. Ellie Arroway befolgt nach ihrer galaktischen Reise einen Ratschlag der Außerirdischen und sucht in den My­riaden Ziffern hinter dem Komma der transzendentalen Zahl Pi nach einer Spur. Sie findet tatsächlich die „Signatur des Künstlers“, wie das letzte Kapitel überschrieben ist: eine lange, wohlgeformte Reihe aus Nullen und Einsen, die als zweidimensionale Matrix einen perfekten Kreis ergibt. Da Pi der Mathematik und damit dem Bau des Universums ele­mentar eingeschrieben ist, wäre das Bild eines Kreises innerhalb von Pi ein unmittelbarer Gottesbeweis. Nachdem sich der Roman als stolzes Hohelied auf den naturwissenschaftlichen Intellekt dargestellt hat, mutet die in Pi entdeckte Offenbarung wie eine Kapitulation an. Denn es ist unverkennbar, dass Carl Sagan sich hier einen Gott nach seinen eigenen Begriffen und damit letzten Endes nach eigenem Bilde erschafft, ein Verfahren, das er zuvor den Religionen auf Schritt und Tritt angekreidet hat: „Gott ist ein Mathematiker“ (S. 465). Auch Sagans Gott ist zutiefst anthropo­morph, er ist ein Gott nach den Vorstellungen und dem Wohlgefallen eines Naturwissenschaftlers. Mit dem Kreis in Pi fällt auch Arroways Vorwurf gegen die Religionen, dass ihnen ein mühelos erkennbarer Beweis ihrer Götter fehle (S. 183f.). Denn der von ihr selbst entdeckte Gott offenbart sich so raffiniert versteckt, dass auch er sich als unerforschlich ausweist.

 

Der Kreis in Pi mag am Ende nur ein Clou gewesen sein, zu dem sich Sagan in einem faszinierenden Gedankenspiel hinreißen ließ – in Robert Zemeckis Verfilmung wurde er klugerweise weggelassen. Dennoch ist es enttäuschend, wie wenig Sagan die eigenen Anthropomorphismen reflektiert, während er die Anthropomorphismen der Religionen an­greift. Der ehrfürchtige heilige Schauer, den Sagan in der Begegnung mit den unendlich gütigen und weisen Außerir­di­schen zum Ausdruck bringt, ist eine menschliche Regung, der Erstkontakt gerät zum Kontakt des Menschen mit sich selbst – beziehungsweise mit dem, was er von sich erhofft, dereinst zu sein. Sagan fabuliert einen hochfahrenden idealistischen Traum: die Reifung der Menschheit im Angesicht der „Anderen“, die Erkenntnis der eigenen Winzigkeit, aber auch des eigenen Potenzials, das die Chance eröffnet, dereinst in eine harmonische galaktische Gemeinschaft vernunftbegabter Spezies aufgenommen zu werden. In dieser Perspektive, die sich von einer religiösen Heilserwar­tung in nichts unterscheidet, werden die „Anderen“ quasi zu Stellvertretern einer auf den Menschen bezogenen Gott­heit. Das wird schon äußerlich dadurch sinnfällig, dass die Außerirdischen ihre wahre Gestalt verbergen und den irdi­schen Besuchern, reichlich enttäuschend, in Gestalt von geliebten Menschen entgegentreten. Deren Bilder schöpfen sie aus den Gehirnen ihrer Besucher – der Außerirdische, dem Arroway begegnet, sieht aus wie ihr schmerzlich ver­misster verstorbener Vater. Die „Anderen“ werden den Menschen zu idealen, behütenden Eltern, die ihre Kinder lei­tend an die Hand nehmen. Und sie klären Arroway darüber auf, was sie für das Beste im Menschen, praktisch für seine göttliche Essenz halten: „Musik, Herzensgüte und Träume“ (S. 399).

 

Immerhin wird Ellie Arroway, die Lichtgestalt, dann doch noch in Frage gestellt. Leise, ganz unauffällig, geschieht dies schon den gesamten Roman hindurch, deutlich unterstrichen wird Ellies Problem aber erst ganz am Ende. So ver­schließt Ellie stets ihr Herz: Trotz zahlloser Liebhaber, von denen einige sie aufrichtig lieben, verliebt sie sich selbst nie mit derselben Hingabe und zieht es stattdessen vor, die gebrochenen Herzen der Männer, die sie fortschickt, mit ab­geschmackten lyrischen Zitaten von William Butler Yeats zu trösten (S. 169). Für ihre einfache, aber herzensgute Mutter findet sie nie Zeit. Erst am Ende, als ihre Mutter gestorben ist, erkennt sie, dass alle Naturwissenschaft die Erfüllung durch die Liebe nicht ersetzen kann. Zumindest in ihr scheint ein Sinn gefunden zu sein – ein anthropomorpher Sinn, wohlgemerkt.

 

Contact ist ein intellektueller Genuss. Es ist anregend und spannend, Sagans Argumente bei der Suche nach einem wissenschaftlich rationalisierten Gott und nach dem Ort des Menschen im Kosmos zu wägen, wie auch immer die eigenen Antworten auf die hier aufgeworfenen philosophischen Fragen ausfallen mögen. Ein bemerkenswerter, träu­merischer, beinahe brillanter Roman aus der Feder eines betörend naiven Idealisten – und Hard-Science-Fiction von allerfeinster Qualität.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 12. April 2016

Sagan-Foto © Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München (Fotograf Bill Ray)