Raymond F. Jones: Renaissance

Science-Fiction-Roman. Erstveröffentlicht in vier Teilen im Astounding Science Fiction, Juli bis Oktober 1944. Die erste Buchausgabe erschien 1951 als Hard­cover im Verlag Gnome Press, New York. Die erste Taschenbuch-Ausgabe er­folgte im November 1963 unter dem Titel Man of Two Worlds durch Pyramid Books, New York. Die erste deutschsprachige (und stark gekürzte) Ausgabe unter dem Titel Der Mann zweier Welten erschien 1967 als Taschen­buch im Moewig-Verlag, München („Terra“ Sonderband Nr. 130; Übersetzung von Birgit Reß-Bohusch). Hier vorliegend ist die erste Buchausgabe von Gnome Press. Hardcover, 255 Seiten. Umschlagillustration von David Kyle.

 

Kronweld ist eine High-Tech-Stadt auf einer kargen, vulkanischen Welt, deren menschliche Bewohner sich ganz dem Seeking, der wissenschaft­lichen Forschung, verschrieben haben. Die Regierungsgeschäfte haben die Seeker schon vor Jahrhunderten dem Karildex, einem gigantischen Supercomputer, über­tragen. Da es keinerlei materiellen Mangel in Kronweld gibt und Verbrechen nahezu unbekannt sind, funktioniert die Regierung des Computers reibungs­los.

 

Doch obwohl sich Kronwelds Gesellschaft dem Streben nach Wissen gewid­met hat, gelten in ihr mehrere Tabus, die mit Berufung auf einen allmächtigen Gott gerechtfertigt werden. So darf the Edge, ein schwarzes Nichts, das die Hälfte des Himmels einnimmt und bis zur Grenze Kronwelds herabreicht, unter Andro­hung schwerer Strafen nicht erforscht werden. Und auch die Untersuchung der Frage, wie das Leben entsteht, ist strikt verboten. Kinderkriegen ist in Kronweld unbekannt, da alle Einwohner aufgrund der Strahlung der zwei Sonnen des Plane­ten unfruchtbar sind. Für neue Bürger sorgt der Temple of Birth: Alljährlich werden sie im Erwachsenenalter aus dem Tempel entlassen, der als mächtigstes Bauwerk das Zentrum Kronwelds dominiert und von niemandem außer den Ladies betreten werden darf – jungen Frauen, die freiwillig ihr Leben dem Dienst im Tempel widmen.

 

Für den jungen Seeker Ketan sind all diese Tabus nichts als übler Aberglau­be, der den Intellekt beleidigt. Insgeheim beginnt er damit, die verbotenen Myste­rien zu erforschen, und ist davon überzeugt, dass sich Kronweld nur weiter ent­wickeln kann, wenn der Temple of Birth, der Sitz von Kronwelds Religion, zerstört wird. Als Ketans Freundin Elta als Novizin in den Tempel eintritt, verkleidet sich Ketan als Frau, um ihr unerkannt nachzufolgen und sie aus dem Tempel wieder zurückzuholen. In der innersten Kammer des Tempels erfährt Ketan schließlich, woher die Kronweldier wirklich kommen: Er wird Zeuge, wie ein Säugling aus einer anderen Welt durch ein Dimensionsportal in den Tempel geschickt wird. Die Ladies kümmern sich anschließend um die Aufzucht, bis nach Jahren der neue, dann erwachsene Bürger, nachdem ihm alle Erinnerung an das Leben im Tempel gelöscht wurde, in die Außenwelt entlassen wird.

 

Ketan gewinnt das Vertrauen von Matra, der greisen Vorsteherin des Tem­pels, die ihn durchschaut hat und ihn dazu aufruft, gegen die sogenannten Statists zu kämpfen, die von der anderen Seite des Dimensionsportals gekommen sind, um sich heimlich die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Kronweldier anzueignen. Ketan gelangt durch das Portal in die andere Welt, die, wie er von Matra erfahren hat, den Namen „Erde“ trägt. Dort ist nach einem gewaltigen High-Tech-Krieg die alte Zivilisation untergegangen; seither werden die Wissenschaften, die den ver­heerenden Ver­nichtungskrieg ermöglicht haben, von der überlebenden, barbari­schen Menschheit auf der Erde mit religiösem Eifer gehasst und abgelehnt . . .

 

Ein ungewöhnliches Parallelwelten-Abenteuer

 

Renaissance war der erste Roman von Raymond F. Jones (1915–1994), einem talen­tierten Science-Fic­tion-Autor aus Utah, der heutzutage vor allem wegen seines dritten Romans This Island Earth (1952), der literarischen Vorlage für den gleichnamigen Science-Fiction-Film, erinnert wird. Viele Con­naisseurs indes schätzen die inhaltliche und literarische Finesse von Renaissance höher ein als von This Island Earth. Die Science-Fiction-Enzyklopädisten John Clute und Peter Nicholls hal­ten Renaissance für das beste Werk von Raymond F. Jones. Sie charakterisieren es treffend als „ein langes, verwickeltes Parallelwelten-Abenteuer mit einer aufregenden Erzählung – Krieg in der Zukunft, Super-Wissenschaft und ein An­klang von nuklearem Holocaust – und mit einer Reihe von lebhaften Variationen beliebter Scien­ce-Fiction-Themen, die mit einer ähnlichen Knifflichkeit wie bei [ . . . ] A. E. van Vogt geschildert werden“ (The Encyclopedia of Science Fiction).

 

In der Tat ist Renaissance ein mitreißendes Debut. Der spannend und lebendig erzählte Roman schildert eine höchst interessante, auf ungewöhnlichen Prämissen aufbauende futuristische Science-Fiction-Welt, hält durchgängig ein hohes Erzähltempo und liefert dabei überraschende Wendungen en masse. Er entfaltet ein erstaunliches Feuerwerk von Ideen, die er gekonnt miteinander verschränkt und von denen jede einzelne allein schon für einen Roman gereicht hätte. Die Erzählung ist komplex und absolut nicht vorherzusagen – noch auf den letzten 20 Seiten lässt sich nicht absehen, wie die Geschichte ausgehen wird. Si­cherlich sind viele der verwendeten Ideen Science-Fiction-Standards: die in sich abgeschottete, futuristische Giant City-Gesellschaft von Kronweld etwa, oder der regierende Super-Com­puter Karildex, sowie Dimensionsportale, atomare Super-Strahlengeschütze, täuschend menschlich wirkende Cyborgs oder die Post-Doomsday-Erde, die sich in barbarisch-steinzeitliche Lebensverhältnisse zurück­gebombt hat. Aber Jones hat auch hochinteressante eigene Einfälle. Der origi­nellste davon ist sicherlich der Temple of Birth und die auf diesen Tempel orien­tierte sterile Gesellschaft, die keine Kinder kennt, nichts über ihre eigene Herkunft weiß und stattdessen an einen allmächtigen Gott glaubt, der beständig neue, aus­gewachsene Bürger aus dem Tempel heraustreten lässt. Der Leser ist anfangs ge­spannt darauf zu erfahren, was es mit diesem Tempel auf sich hat.

 

Gleichzeitig fragt er sich, wie die Stadt Kronweld eigentlich in ihre seltsame, von einem schwarzen Nichts und einer vulkanischen Öde eingefassten Welt gelangt ist. In einer wundervollen Szene (S. 40–48) sieht der Leser den unerschro­ckenen Seeker Ketan, der heimlich das Geheimnis von der biologischen Fortpflanzung erforscht hat, vor dem mächti­gen Seek Council stehen, um seine Forschungsergebnisse öffentlich zu präsentieren und den herrschenden Aberglau­ben Kronwelds zu er­schüttern. Ketan steht wie Galileo vor dem Papst und ist gleichermaßen chancen­los: Er wird als Gotteslästerer beschimpft, seine Forschung wird für widernatürlich erklärt und Ketan inhaftiert. Der kuriose Gegensatz zwischen der wissenschaft­lichen Emsigkeit der Kronweldier und ihrer gleichzeitigen Tabuisierung ganzer Wissensbe­reiche könnte größer nicht sein – und es bleibt spannend mitzuerleben, ob es Ketan doch noch gelingt, in Kronweld die „Renaissance“, die Befreiung des Geistes von seinen religiösen Fesseln, herbeizuführen.

 

Ketan entkommt der drohenden Strafe des Seek Council und verschafft sich als Frau getarnt (!) Zutritt im Temple of Birth, nachdem er schockierenderweise erfahren hat, dass seine Freundin Elta als Lady in den Tempel eingetreten ist. Eine naheliegende Erwartung des Lesers wird gefoppt, wenn sich herausstellt, dass die Ladies im Tempel nicht etwa als Gebärbatterien, sondern nur als Ammen und Erzieherinnen dienen und die neuen Säuglinge durch ein Dimensions­portal in den Tempel gelangen. Dass die Parallelwelt, aus der die Säuglinge geschickt werden, die Erde ist und Kron­weld eine irdische Kolonie darstellt, die nichts mehr von ihrer Herkunft weiß, wird dann bald klar. Aber Raymond F. Jones webt das ver­wickelte Netz seiner Fäden kühn weiter: Ketan gelangt durch das Portal auf die Erde – eine Erde in ferner Zukunft – und erfährt dort, dass die Zivilisation tausend Jahre zuvor durch einen hundertjährigen, mit Super­waffen geführten Weltkrieg völlig zerstört wurde und daraufhin die ruinierten Überlebenden dieses Krieges einen brennenden Hass gegen die verheerenden Wissenschaften entwickelt hat­ten. Nur wenige Wissenschaftler entkamen damals den weltweiten Verfolgungen; sie scharten sich um den genialen Wissenschaftler Richard Simons, der sich zum Ziel setzte, die Wissenschaften und all ihre Ergebnisse für eine bessere, zivilisato­risch gereiftere Menschheit in der Zu­kunft zu bewahren.

 

Inmitten einer von tosenden Sandstürmen verschleierten Wüste schufen Simons und die übrigen Wissenschaftler ein High-Tech-Archiv des gesamten Weltwissens, getarnt als schlank emporragende Felsnadel (the Pinnacle). Gleich­zeitig gelang es Simons, die übrige Menschheit von der weltweiten Einrichtung sogenannter Selectors zu überzeugen. Jene riesigen Apparate sollten vordergrün­dig alle Neugeborenen der Umgebung einer automatischen genetischen Unter­suchung unterziehen, um jene, die kriminelle oder machthungrige Anlagen besa­ßen, zum Wohle einer friedfertigen Erde zu vernichten. Heimlich erfüllten die Selectors aber noch einen zweiten Zweck: Sie sortierten all jene Säuglinge aus, die die Gene zu wissenschaftlichem Forscherdrang in sich trugen, und schickten sie durch Dimensionsportale nach Kronweld, das für tausend Jahre als Exil des wis­senschaftlichen Geistes der Erde dienen sollte, bis die Erde reif wäre für die Rückkehr der Wissenschaftler.

 

Wirkt die Vorstellung, dass die Wissenschaften nach einem verheerenden Krieg weltweit geächtet werden könnten, recht abenteuerlich – wenn auch nicht ausgeschlossen –, so ist die heikle Idee des Selectors, die Raymond F. Jones hier entwickelt, kaum zu goutieren und markiert damit auch den schwerwiegendsten kozeptionellen Mangel des Romans. Der Selector setzt voraus, dass sowohl die intellektuelle Befähigung als auch das Aggressionspotenzial eines Menschen voll­ständig in den Genen eingeschrieben ist, und zieht die fragwürdige Konsequenz einer eugenischen Zuchtauswahl, nach der die begabtesten Säuglinge auserwählt und nach Kronweld geschickt werden, während für die Erde nur die Minderbemit­telten und Stumpfsinnigen übrigbleiben. Richard Simons und seine Tochter Do­rien, die „Erste Frau“, begegnen Ketan im Pinnacle als Hologramme und werden dort wie umglänzte, mythische Lichtgestalten ge­schildert und an einer Stelle sogar explizit mit Göttern verglichen (S. 162f.). Als Kulturheroen verfolgen diese Wissen­schaftler für die Zivilisation selbstlos nur die edelsten Ziele. Dass sie aber mit dem steten Abzug des Intellekts nach Kronweld höchstselbst die verbleibende Mensch­heit auf der Erde zur Barbarei verurteilt und ihr jegliche Entwicklungs­möglichkeit genommen haben, kommt keiner Figur im Roman je in den Sinn.

 

Lediglich mittel­bar klingt diese negative Konsequenz der Selectors hier und da an, etwa wenn Ketan einsieht, dass die Kronweldier schwach und verweichlicht sind – wofür ihre Sterilität auch als Symbol gedeutet werden kann – und es ihnen an der zupacken­den Vitalität der Barbaren auf der Erde mangelt. Zudem sind Ketan und seine Verbündeten fest davon überzeugt, dass der Menschheit auf der Erde nur in der Wiedervereinigung mit dem Intellekt – den Kronwel­diern – eine bessere Zukunft beschieden ist. Damit aber wird offensichtlich, dass Richard Simons’ Plan einer zeitweili­gen Abscheidung des Intellekts vom Rest der Menschheit ein Fehler gewe­sen ist. Und doch beeinträchtigt dies die glühende Heiligenverehrung, die Ketan Simons entgegenbringt, in keiner Weise.

 

Nach einer Reihe weiterer Verwicklungen und unerwarteter Wendungen kommt es gegen Ende des Romans zum spektakulär geschilderten, energiegelade­nen Showdown: Es entbrennt eine große Schlacht um Kronweld und um Danfer, der Hauptstadt der feindlichen Statists von der Erde, in der gigantische, mit atomaren Strahlengeschützen bewaffnete Panzerfahrzeuge eingesetzt werden. Beide Städte werden dabei rücksichtslos in Schutt und Asche gelegt, und es ist eine eigentümliche, im Roman allerdings kaum akzentuierte Ironie, dass die einst wegen ihres zerstöreri­schen Potenzials geächtete Wissenschaft in dem Moment, da sie erneut mit der Erde in Kontakt tritt, ein weiteres Mal für die Entfesselung eines atomaren, alles vernichtenden Krieges sorgt.

 

Genau hierin drückt sich das zentrale Problem aus, mit dem sich Raymond F. Jones auch in vielen seiner anderen Werke, etwa in The Alien oder in This Island Earth, herumschlug. Zum einen ist Jones felsenfest von der positiven Kraft der Technologie und der Wissenschaft auf die Zivilisation überzeugt, mehr noch: Sie sind ihm überhaupt der höchste zivilisatorische Ausdruck des Menschen. Diese Überzeugung gipfelt in einem bemerkenswerten Glaubensbekenntnis, das Jones dem Kronweldischen Revolutionsführer Igon in den Mund legt, auf das Ketan schwören soll und das sich in dieser grenzenlos technikgläubigen Form heute wohl nirgends mehr in einem Science-Fiction-Roman finden lässt:

 

There is one thing above all that you must teach the people. Teach them to build and use and revere machines. The machine is the mark that sets man apart from the animals. It is the expression of this intelligence, but intelligence without expression is only a vapor. ( … ) Teach the people to build and dream of greater and greater machines until they can reach the stars. The machine is man’s poetry and his music and all his art. Never forget that fact. (S. 247)

 

Auf der anderen Seite sieht Jones die zerstörerischen Potenziale der Technologien und Wissenschaften, macht aller­dings allein die aggressiven, dummen und selbst­süchtigen Politiker für die Entfesselung dieser Potenziale verantwort­lich. Dement­sprechend formuliert das Hologramm von Richard Simons das „älteste Problem der Gesellschaft“ und trägt die Lösung dieses Problems Ketan als wichtigste Auf­gabe auf: „How can man be governed?“ (S. 131). Dass Ketan am Ende des Romans das Problem mit dem Bau eines neuen Karildex lösen will, der die Welt gerecht und friedfertig regie­ren soll, die Technologie somit auch für alle gesellschaftlichen Probleme die erlösende Zauberformel liefern könnte, kann kaum der inneren Überzeugung von Raymond F. Jones entsprochen haben. Die Science-Fiction-ge­mäße Antwort einer unfehlbaren Computerherrschaft ist allenfalls nai­ves Wunschdenken, das in den Vierzigern viel­leicht noch verlo­ckend erschienen sein mochte, insbesondere in Campbells technikbegeistertem Astounding. Spätes­tens seit den skeptischen Sechzigern wurden derartige Spekulationen allerdings regelmäßig als monströse Schreckensszenarien abgelehnt.

 

Sprachlich ist Raymond F. Jones hier in Bestform. Er erzählt elegant, an­schaulich und mit Verve, wobei er öfters die Wirkung noch damit steigert, dass er sich kraftvoller archaischer Bilder bedient. Als ein Beispiel hierfür sei die stim­mungsvolle Schilderung der ersten Begegnung Ketans mit der Tempelvorsteherin Matra zitiert, die in dieser Szene wie eine geheimnisumwitterte Hexengestalt er­scheint (S. 11f.):

 

She was alone, hobbling along the walk that led from the distant street to the steps of the hall of the Karildex. As she shuffled forward, Ketan stood entranced by the wave of near hypnotic atten­tion the withered figure demanded.

     She was like the dried leaves that scurried across the lawn in front of the building. Her hair was awry and swaying like living tentacles in the night. And the black shawl, that was characteristic of the old when their bodies became too ill-formed for the revealing harness of ordinary wear, was like a shroud about her.

     She croaked a single word at him and pointed a gnarled finger. „Wait!“

     It was no request. It was a command.

 

Neben aller sprachlicher Lebendigkeit und Ausdruckskraft sind freilich auch die typischen Pulp-Rezepturen des Golden Age der Science-Fiction erkennbar. Dazu zählen die atemlose Actionlastigkeit, die schwache psychologische Ausge­staltung der Figuren, ihre oft übermenschlich anmutende, feurige Heldenhaftigkeit und die häufigen überraschenden bis absurden Wendungen des Geschehens, sodass plötz­lich nichts mehr so ist, wie es zuvor schien. Vor allem aber sind hier die Pulp-typi­schen Maskeraden zu nennen, derer sich alle Figuren mit Vorliebe bedienen und mit denen sie sich gegenseitig täuschen. Ketans Verkleidung als Frau – notwendig, um Ketans Eindringen in den Temple of Birth zu er­möglichen, und immerhin über gut ein Viertel des Romans hinweg aufrechterhalten – ist allerdings zuviel des Guten: Die Travestie, außer von Matra von niemandem durchschaut, wirkt un­glaubwürdig und rutscht auf die Dauer unwei­gerlich in unfreiwillige Komik ab. Die naheliegende, bessere Lösung, stattdessen auf einen weiblichen Held zu setzen, war freilich in den Vierzigerjahren in einem Science-Fiction-Roman noch undenkbar.

 

Weitere Zutaten, die damals en vogue waren und heute die charmante Vierzigerjahre-Patina des Romans ausmachen, sind etwa die donnernden Ungetü­me der mit Strahlgeschützen bewaffneten Superpanzer, die ebensogut auch einem Superman-Cartoon der Fleischer-Studios hätten entnommen sein können; der in exotischer Ferne liegende, geheim­nisumwitterte Pinnacle, der nur von verwegenen Abenteurern erreicht werden kann; das schimmernde Hologramm von Dorien, der mythischen „Ersten Frau“, die eine orientalisierte, mit gefährlicher Macht aufgela­dene Unsterbliche à la Henry Rider Haggards She (1887) abgibt; und schließlich der übermächtige Super­verstand, der das gesamte Geschehen im Hintergrund geplant und gelenkt hat – hier verkörpert im sinistren Herrscher der Statists, dem Director, der sich am Ende absurderweise als der sagenhafte Kronweldische Revolutionsführer Igon entpuppt.

 

Die Umkehrung des Directors zu Igon ist leider ein besonders ärgerlicher Salto mortale, der dem Roman kurz vor Schluss beinahe noch das Genick bricht. Denn in Igons Erklärungen stellt sich verblüffenderweise heraus, dass buch­stäb­lich alles, was Ketan bis dahin getan hat, von Igon mit subtilen Mitteln eingefädelt und gesteuert gewesen ist. Auch wenn Igon Gegenteiliges behauptet, war der Held des Romans somit die ganze Zeit hindurch nur eine Marionet­te, die nicht eine einzige Initiative ergriff, die nicht von Igon manipuliert worden war. Die Entschei­dungen und Motiva­tionen von Igon selbst hingegen sind vollkommen aberwitzig, der große Masterplan ein heilloser Irrsinn. Auch bleibt ungeklärt, wie Igon über­haupt zum Director, dem Anführer von Kronwelds Feinden, geworden ist. Als Krö­nung des Ganzen schweißt Raymond F. Jones die Hauptfiguren auch noch als dynastische Schicksalsgemeinschaft à la Darth Vader/Luke Skywalker zusammen und untermauert damit Ketans Führungsanspruch: Der sterbende Igon erklärt Ketan nämlich, dass er selbst sein Großvater und Matra seine Großmutter ist.

 

So ist Renaissance durchaus mit einer Reihe von Absurditäten und Defizi­ten belastet, und mancher Leser wird die Handlung sicherlich als heillosen, unlo­gischen Mischmasch sehen. Das pulpige Abenteuer wird allerdings so schwung­voll, sprachlich geschliffen, ideenreich und spannend von Raymond F. Jones fabuliert, dass ich bis zur letzten Seite gefesselt war und mich bestens unterhalten fühlte. Ein faszinierender und ungewöhnlicher Roman aus dem Golden Age der Science-Fiction.

 

Ein Wort zur deutschen Ausgabe

Ich bin kein engstirniger Purist, der generell Übersetzungen fremdsprachiger Wer­ke ab­lehnte und mit Verachtung auf jene herabblickte, die Übersetzungen lesen – ich lese sie auch. Aber dass die hiesigen Verlage zum Teil bis in die Neunziger­jahre hinein fremd­sprachige Science-Fiction-Romane fast regelmäßig in gekürz­ten, oft auch inhaltlich veränderten Übersetzungen veröffentlicht haben, ist leider auch eine traurige Wahrheit. Die deutsche Fassung von Renaissance, unter dem Titel Der Mann zweier Welten in der Übertragung von Birgit Reß-Bohusch im Moewig-Verlag (München) 1967 als „Terra“ Sonderband Nr. 130 erschienen, ist für diese Praxis ein besonders schlimmes Beispiel.

 

Der Originaltext wurde auf 160 Taschenbuchseiten eingedampft, wobei zwar nicht die Handlung, dafür aber die Ausschmückungen und Sprachbilder, die das Lesever­gnügen doch erheblich mit ausmachen, radikal gekürzt wurden. Sehr oft wurden die inneren Ge­danken der Figuren, die Beschreibungen von fu­turistischen Maschinen und Geräten oder auch komplette Szenen – wie zum Beispiel die Flucht Ketans durch die Lavahölle von Fire Land in einem Atom-Auto (S. 123) – weggelassen. Übrig blieben so nur die dürren Knochen des Plots, ein sprachlich ungelenkes, kaum noch gou­tierbares Wrack von einem Text. Es ist immer wieder eine Schande zu sehen, wie achtlos damals die deutschen Verla­ge mit den fremdsprachigen Texten umgesprungen sind. Wer also Renaissance in seiner ganzen sprachlichen Schön­heit erleben möchte, dem sei dringend geraten, den amerikanischen Originaltext zu lesen.

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 23. Juni 2016