Ronald M. Hahn/Volker Jansen: Lexikon des Science Fiction Films

Buchcover von Ronald M. Hahn/Volker Jansen: "Lexikon des Science Fiction Films" (7. Auflage 1997)

Ronald M. Hahn/Volker Jansen: Lexikon des Science Fiction Films. 2000 Filme von 1902 bis heute. Unter Mitarbeit von Wolf Jahnke und Detlef Hedderich. Heyne Filmbibliothek 32/250. Siebte Auflage, Wilhelm Heyne Verlag 1997 (originale Erst­auflage 1983).

 

Science-Fiction-Sachbuch. Mit einem Vorwort von Rolf Giesen, zahlreichen schwarzweißen Abbildungen und einem Anhang. Taschenbuchausgabe in zwei Bänden, im Schuber, 1142 Seiten.

 

Als 1983 das Lexikon des Science Fiction Films in erster Auflage erschien, war es hochwillkommen. Damals gab es über das „Kino des Utopischen“ nur eine Handvoll Bücher in deutscher Sprache, und das Lexikon des Science Fiction Films war das erste umfassende Kompendium. Erst ein Jahr später erschien Rolf Giesens Lexikon des phantastischen Films und ab 1986 Norbert Stresaus und Heinrich Wimmers Loseblattsammlung Enzyklopädie des phantastischen Films. Kein Wunder also, dass das Lexikon für mich als damals Zwölfjährigen zu einer Art „Bibel“ zum Thema avancierte. Die Lektü­re vermittelte einen Hauch von Abenteuer: Die meisten der beschriebenen Filme waren mir unbekannt und auch nicht zugänglich, aber es war wunderbar, durch das Schmökern im Lexikon etwas von der unglaublichen Vielfalt des Genres zu erfahren. Wirklich jeder Eintrag, und mochte der Film von den Autoren noch so gnadenlos verrissen worden sein, machte neugierig. Ronald M. Hahn und Volker Jansen waren meine Märchenonkel, die mir von einem riesigen Schatz an Science-Fiction-Filmen raunten, der auf seine Entdeckung wartete. Der Spott, der fast jedem Film im Buch zuteil wurde, stieß mir allerdings schon damals sauer auf.

 

Seither haben sich die Zeiten tiefgreifend geändert – zum Glück. Der Aufstieg des Video- und erst recht des DVD-Marktes hat den schlummernden Schatz an Science-Fiction-Filmen über die Jahre fast vollständig aufgeschlossen. Der deutsche Science-Fiction-Freund durfte endlich all die obskuren Genreperlen genießen, zu denen er vorher keinen Zugang hatte. Und er begann, sich über das Internet umfassend zu informieren und sich mit Gleichgesinnten auszu­tau­schen. Die alte publizistische Garde konnte sich auf ihr bisheriges öffentliches Meinungsmonopol nicht mehr viel ein­bilden. Die vielfältigen Informationsquellen, die heute im Internet zur Verfügung stehen, haben gedruckten Filmlexika schließlich den Todesstoß verpasst, sodass es nicht verwundert, dass Hahns und Jansens Lexikon seit 1997 keine Neuauflage mehr erfahren hat.

 

Über die Jahre wurde das Lexikon dreimal aktualisiert und um Einträge zu den neueren Science-Fiction-Filmen erwei­tert. Es erschienen 1987 und 1993 jeweils erweiterte Ausgaben; die hier besprochene Ausgabe ist die letzterschienene von 1997. Der Umfang ist von ursprünglich 720 Filmen und 607 Seiten auf 2000 Filme und 1142 Seiten angewachsen. Der Aufbau des Buches wurde nicht verändert: Die Filme werden nach ihren deutschen Verleihtiteln alphabetisch ange­ord­net, und jeder Filmeintrag besteht aus einem Abschnitt mit Angaben zum Stab, gefolgt von einer knappen Inhalts­angabe und der kritischen Bewertung des Films durch die Autoren. Diese wird häufig durch Zitate aus Fachzeitschrif­ten oder Filmbüchern zum Ausdruck gebracht, häufig aber auch in eigene Worte gekleidet.

 

Das Lexikon konzentriert sich mit wenigen Ausnahmen auf abendfüllende Spielfilme, die im deutschsprachigen Raum im Kino, TV oder auf Video veröffentlicht wurden. In der vorliegenden Ausgabe haben die Autoren daneben auch einige entlegenere Filme wie Kronos (1957) oder Robot Monster (1953) aufgenommen, die bei uns nur in Original­spra­che über Video- bzw. DVD-Importe verfügbar sind (die Auswahlkriterien sind dabei unklar – so ist z. B. William Lee Wilders Phantom from Space enthalten, sein vergleichbarer Film Killers from Space jedoch nicht). Zahlreiche Filmbilder in guter Druckqualität lockern den lexikalischen Hauptteil auf. Der Anhang bietet eine Liste, die die Filme nach Motiv­kreisen der Science-Fiction sortiert (Raumfahrt, künstliche Menschen, Zeitreise usw.), eine Auflistung der Filme nach den Namen ihrer Regisseure, einen Index der Originaltitel und schließlich eine erfreulich umfangreiche Bibliografie.

Buchcover der Erstauflage 1983 von Ronald M. Hahn/Volker Jansen: "Lexikon des Science Fiction Films"
Cover der Erstauflage 1983

Die Autoren bemühten sich leider nur halbherzig, das Lexikon aktuell zu halten, und so wirkte das Buch bereits 1997 ein bisschen angestaubt. Die älteren Teile des Werks wurden kaum kritisch überarbeitet, stattdessen finden sich fast alle Film­einträge der Erstauflage unverändert in den jüngeren Auflagen wieder. Zwei Beispiele für die wenigen Ausnahmen sind die komplett überarbeiteten Einträge zu Fritz Langs Metropolis (1927) und zu King Kong und die weiße Frau (1933). Letzterer hat allerdings von der Überarbeitung nicht profitiert und fällt nun selt­samerweise kürzer und weniger informativ aus als in der Erstauflage (in beiden Auflagen wird im übrigen fälschlich behauptet, dass der Film erst 1952 in Deutsch­land in die Kinos kam; tatsächlich lief er – stark gekürzt – bei uns bereits im No­vem­ber 1933 an). Auch das Vorwort und die Einführung blieben in den Neuaufla­gen des Lexikons gleich, sodass dort die Spielberg-Blockbuster E.T. – Der Außer­irdische (1982) und Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977) noch immer als Filme aus „jüngster Zeit“ bezeichnet werden. Sogar die Bibliografie wurde nur sehr oberflächlich aktualisiert: Unter den 257 verzeichneten Titeln finden sich ganze neun (!) aus den Neunzigerjahren (selbst Rolf Giesens 1990 erschienenes Buch Sagenhafte Welten fehlt).

 

Besonders die veraltete Gewichtung der einzelnen Beiträge belegt, dass das Lexikon nach wie vor ein Kind der frühen Achtzigerjahre ist. So erhalten längst vergessene Filme, die die Autoren anno 1983 noch für relevant hielten, über­mäßig viel Raum, während später erschienene Genreklassiker reichlich stiefmütterlich behandelt werden. Als will­kür­lich herausgegriffene Beispiele vergleiche man den zwei Seiten (!) langen Beitrag über Peter Fleischmanns Die Ham­bur­ger Krankheit (1978) mit dem nur knapp eine Seite langen Beitrag über Terry Gilliams The Twelve Monkeys (1995) oder der gnädigen halben Seite über Tim Burtons Batman (1989).

 

Besonders schlimm sind die Bewertungen der Filme im Lexikon. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, werden sämt­liche Filme von Hahn und Jansen mit dem Naserümpfen des angewiderten Bildungsbürgers als dümmlicher Quark gegeißelt. Seite für Seite überziehen Hahn und Jansen die Filme in knappen Sätzen mit beißendem Hohn und Spott, der lustig sein will, nach dem x-ten Verriss jedoch nur noch anödet. Die Autoren scheinen keinen blassen Schimmer davon haben, was einen guten Science-Fiction-Film wirklich ausmacht. Wem beispielsweise zu Steven Spielbergs Jurassic Park (1993) nicht mehr einfällt, als den Film „ein aufgeblasenes Nichts“ zu nennen und über die „abscheuliche Sauriervermarktungswelle“ zu jammern, zeigt sich blind für den tricktechnischen Quantensprung, den dieser Film bedeutete – und provoziert nebenher die Frage, ob er mit dem Rezensieren verkopfter Kunstfilme nicht vielleicht glücklicher würde.

 

Bis zum Erbrechen werden auch Norbert Stresaus berüchtigte Ergüsse aus der seligen Science Fiction Times zitiert, die nur selten angemessene Kritiken darstellten. So befindet Stresau beispielsweise über James Camerons Terminator (1984), dass der Film „sich schnell als Selbstzweck-Übung in formaler-inhaltlicher-ideologischer Brachialgewalt [entpuppt], als mitreißend rasante, hemmungslos brutale Abknall-Autocrash-Actionmaschine ohne Sinn und Verstand“ (S. 888). Ohne Sinn und Verstand sind hier nur Stresaus haarsträubende Wortketten. Über den Klassikerstatus des Films und seinen Einfluss, den er aufs Genre ausgeübt hat, findet sich dagegen kein Wort. Für ein Lexikon des Science-Fiction-Films ist das mehr als peinlich.

 

Das unverzeihliche Defizit des Science-Fiction-Films scheinen Hahn und Jansen darin zu sehen, dass er sich meistens juvenil statt ernsthaft gesellschaftskritisch gebärdet. Filme sollen offenbar nach Meinung der Autoren keine Ware sein, die die Massen unterhält, sondern Kunstwerke, die die Massen politisch bildet. Es ist der uralte Snobismus, der dem Science-Fiction-Film auch vonseiten vieler Science-Fiction-Autoren seit jeher entgegenschlägt – und nur Beleg dafür ist, dass diejenigen, die ihn pflegen, nichts von der Faszination dieser Filme begriffen haben. Der Gipfel der Dreistigkeit aber wird erreicht, wenn Hahn und Jansen ihre Leser frech belügen, nur um ihrer vulgären Lust am Verriss zu frönen. Als Beispiel sei der Klassiker She (1935) von Irving Pichel und Lansing C. Holden genannt, den Hahn und Jansen unter dem Titel Das Land des Grauens einordnen. Der Film wird in fast allen mir bekannten Filmbüchern durchaus geschätzt – er ist kein Meisterwerk, aber durchaus sehenswert –, doch Hahn und Jansen wissen es besser:

 

[Der Film] ist, was den Vergleich mit der Romanvorlage betrifft, ausgesprochen miserabel. [ . . . ] Die schauspielerische Leistung ist absolut dilettantisch, Randolph Scott, der spätere Western-Kultstar, inbegriffen. Helen Gahagan, die die Ayesha verkörperte, half mit, den Film zum finanziellen Desaster werden zu lassen. Ihr Part blieb ihre einzige Filmrolle. Doch wie andere Knallchargen ging sie später in die Politik und brachte es immerhin zur Kongreß-Abgeordneten. Die deutschsprachige Fassung des Films ist nur in Österreich gezeigt worden. Vielleicht bleiben wir verschont. (S. 538)

 

Spätestens hier fühlt sich der Leser nach Strich und Faden verarscht. Die zuvor gelieferte Inhaltsangabe zum Film ist vollkommen falsch, womit die Autoren beweisen, dass sie den Film überhaupt nicht gesehen haben. Das hielt sie freilich nicht davon ab, die schauspielerischen Leistungen im Film abzukanzeln. Höchstwahrscheinlich haben sie ihren Verriss einfach irgendwo abgeschrieben (eine Quelle nennen sie nicht). „Publizismus, wie ihn keiner mag“.

 

Hahns und Jansens Lexikon des Science Fiction Films hat im deutschsprachigen Raum noch immer einen gewissen Stellenwert als Referenzwerk. Ich selbst bin mit dem Buch auch ein Stück weit nostalgisch verbunden und schlage auch heute noch immer wieder Filme in ihm nach. Für einen raschen Überblick ist das Lexikon nach wie vor geeignet. Doch das überhebliche und oft auch kindische Hohngelächter über die Filme ist durchweg unbrauchbar. Phil Hardys Science Fiction Filmenzyklopädie, wenngleich auch nicht ohne inhaltliche Schwächen und dürftig übersetzt, ist hier weitaus differenzierter, während entsprechende englischsprachige Werke ohnehin in einer höheren Liga spielen. Wirklich empfehlenswert ist Hahns und Jansens Lexikon nicht mehr. Dank der zahlreichen DVD-Veröffentlichungen und dem Internet haben die greinenden Märchenonkel schon lange ausgedient – gottlob.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 6. Juni 2016