Rainer Eisfeld/Wolfgang Jeschke: Marsfieber

Buchcover von Rainer Eisfeld/Wolfgang Jeschke, "Marsfieber" (München 2003)

Rainer Eisfeld/Wolfgang Jeschke: Marsfieber. Aufbruch zum Roten Planeten – Phantasie und Wirklichkeit. Droemer Verlag München 2003. Mit zahlreichen farbigen und schwarzweißen Abbildungen, einer Bibliografie und einem Namensregister.

 

Science-Fiction-Sachbuch. Großformatige gebundene Ausgabe, 272 Seiten.

 

Als 1997 die Raumsonde Pathfinder auf dem Mars landete und der kleine Erkundungsrover Sojourner, den sie Hucke­pack mitgeführt hatte, ferngesteuert durch den Marsstaub rollte, löste das ein ungeahntes weltweites „Marsfieber“ aus. Die im Internet veröffentlichten Fotografien von der Planetenoberfläche stießen auf millionenfaches Interesse und befeuerten den Ansporn zu weiteren Missionen mindestens ebenso stark wie die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Pathfinder und Sojourner erbracht hatten. Nach über zwanzig Jahren, seit der Landung der beiden Viking-Sonden 1976, war der Mars wieder in den Fokus der Planetenforschung gerückt. Wichtiger noch: Die deutlichen Hinweise darauf, dass es einst fließendes Wasser auf dem Mars gegeben haben muss, haben dafür gesorgt, dass viele weitere Raumsonden zu unserer Nachbarwelt geschickt wurden und seither der Planet so intensiv untersucht wird wie nie zuvor.

 

Fünf Jahre nach Pathfinder und in demselben Jahr, in dem gleich drei neue Sonden zum Mars starteten – die euro­pä­ische Sonde Mars Express/Beagle 2 sowie die beiden amerikanischen Sonden Spirit und Opportunity –, veröffent­lich­ten Rainer Eisfeld und Wolfgang Jeschke ihr Buch Marsfieber. Rainer Eisfeld (geb. 1941) ist Politologe, wirkte über drei Jahrzehnte als Professor für Politik an der Universität Osnabrück und veröffentlichte mit dem vielbeachteten Buch Mondsüchtig – Wernher von Braun und die Geburt der Raumfahrt aus dem Geist der Barbarei (1996) eine kritische Studie, die den lupenreinen Mythos des deutschen Raketenpioniers entzauberte. Wolfgang Jeschke (1936–2015) hat lange Jahre als Lektor und Herausgeber von Science-Fiction-Literatur beim Heyne-Verlag gewirkt und selbst mehrere Science-Fiction-Romane und -Erzählungen verfasst. Beide kennen sich bereits seit Jugendtagen, und beide eint seit damals ihr Interesse an Astronomie, Raumfahrt und Science-Fiction. In Marsfieber haben sich die Autoren die Aufgabe gestellt, neben die wissenschaftlichen Sensationen um den Mars auch die vielen Science-Fiction-Fantasien, die sich um den Mars rankten, in das Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit zu rücken. In lockerer, unterhaltsamer Weise vermitteln Eisfeld und Jeschke sowohl die Geschichte der Marsforschung von ihren Anfängen bis zur Gegenwart (von 2003) als auch die Geschichte des Mars in den Träumen von Astronomen, Science-Fiction-Autoren und Filmemachern – und sie zeigen auf, wie sich beide Felder gegenseitig befruchteten.

 

Marsfieber ist insofern mit dem Buch Das Jahrhundert der Marsianer (1984) von Helga Abret und Lucia Boia vergleich­bar und ein Stück weit dessen Fortschreibung. Dennoch sind beide Bücher auch sehr unterschiedlich. Abret und Boia beschäftigten sich ausschließlich mit der Science-Fiction-Literatur über den Mars und legten hierbei ein Schwerge­wicht auf die Zeit vor 1945. Dafür gehen sie stark ins Detail und diskutieren eine beachtliche Fülle verschiedener Er­zäh­lungen und Romane. Eisfeld und Jeschke hingegen beziehen auch Science-Fiction-Filme, etwa Jakow Protasanows Stummfilm Aelita (1924), mit ein, und die Zeit nach 1945 erhält bei ihnen erheblich mehr Gewicht. Allerdings lenkt ihre Darstellung des Mars in der Science-Fiction den Blick nur auf die prägnanten Hauptwerke in Literatur und Film, deren Inhalte und Aussagen oft nur skizzenhaft angerissen werden. Marsfieber ist ein Streifzug, kurzweilig und bunt – keine erschöpfende Studie.

 

Dem trägt die prächtige Aufmachung des Buchs Rechnung. Es ist in festem Einband gebunden, auf schwerem Hoch­glanz­papier gedruckt und überaus üppig bebildert. In höchster Qualität und großformatig finden sich Seite für Seite Abbildungen von Covers von Science-Fiction-Erstausgaben oder Pulp-Magazinen, zeitgenössische Science-Fiction-Illustrationen, Szenenbilder aus Science-Fiction-Filmen, wunderschöne Fotografien, die die verschiedenen Mars­son­den aus dem All und auf der Marsoberfläche aufgenommen haben, und zuguterletzt die üblichen romantischen Illus­tra­tionen, die die zeitgenössischen Visionen von Marskolonien abbilden. Schon allein die reiche Bebilderung macht das Buch zu einem Hochgenuss und verlockt immer wieder, es durchzublättern – und es zu lesen. Der Text steht in der Qualität nicht zurück: Er ist versiert, informativ, sachlich und unterhaltsam geschrieben. Publizistisch ist das Buch vor­bildlich. Der einzige kleinere Kritikpunkt ist, dass die Textseiten etwas zu verschwenderisch mit dem Platz umgehen; die vielen leeren Flächen im Buch erwecken unnötigerweise den Eindruck, als hätten die Autoren nicht mehr zu sagen gehabt, was sicherlich falsch ist. Der vorhandene leere Platz hätte sicher auch noch genutzt werden können.

 

Inhaltlich und analytisch bleibt, wie gesagt, Vieles an der Oberfläche, aber als bündige Gesamtdarstellung ist das Buch sehr empfehlenswert, zumal die umfangreiche und thematisch gegliederte Bibliografie jede Menge Fingerzeige liefert, wo der Interessierte weiterführende Literatur findet. Insgesamt wirkt die Darstellung der wissenschaftlichen Mars­for­schung „runder“ und vollständiger als die des Mars in der Geschichte der Science-Fiction. So werden die astrono­mi­schen Marsbeobachtungen von Tycho Brahe (1546–1601), Johannes Kepler (1571–1630) oder Giovanni Schiaparelli (1835–1910), die fantasievollen Marstheorien des legendären Percival Lowell (1855–1916), der konkret ausgetüftelte Plan für einen Flug zum Mars von Wernher von Braun (1912–1977) und vor allem die Geschichte der unbemannten Raumfahrt zum Mars sehr spannend erzählt.

 

Demgegenüber ist es ein bisschen schade, dass die Science-Fiction nicht immer erschöpfend ausgelotet wird. So fin­den etwa die Beispiele fabulierter Marswesen, die vom Menschen vollkommen verschieden sind, praktisch keine Er­wähnung und lassen so den Eindruck aufkommen, die Science-Fiction sei in Hinblick auf die menschenähnliche Gestalt der Marsianer reichlich einseitig und fantasielos. Sie ist es meistenteils, doch Autoren wie J. H. Rosny Aîné (1856–1940), Olaf Stapledon (1886–1950) oder Stanley G. Weinbaum (1902–1935) erschufen schon in den Zwanziger- und Dreißiger­jah­ren auch ganz andere Marsianer, die das Klischee von den „kleinen grünen Männchen“ oder „Gehirnwesen“ mit monströsen Köpfen oder Schädeldecken hinter sich ließen: bizarre Dreibeiner, straußenartige Wesen oder gar intel­li­gen­te Wolken. Daneben wirken die marsianischen Rothäute Edgar Rice Burroughs’ (1875–1950) oder die goldäugigen, ätherischen Marsmenschen Ray Bradburys (1920–2012), beide Male schlichte Nachbildungen des Klischees vom na­tur­ver­bundenen Indianer, regelrecht langweilig. Die einzige Ausnahme ist die Erwähnung einer originellen Idee aus dem Roman Weißer Mars (1999) von Brian W. Aldiss (geb. 1925) und Roger Penrose (geb. 1931), in dem sich der gewaltige Olympus Mons als ein mächtiges, als Vulkan getarntes Tier entpuppt, das sich vor den Augen der Marsforscher in Bewegung setzt (S. 252). Auch die Science-Fiction-Filme über den Mars sind nur in Auswahl etwas näher besprochen – z. B. Rakete Mond startet (1950), Die Eroberung des Weltalls (1955), Robinson Crusoe auf dem Mars (1964), Das grüne Blut der Dämonen (1967), die TV-Produktion Die Mars-Chroniken (1980) oder Mission to Mars (2000). Red Planet (2000) wird nur ganz kurz gestreift, und viele andere Marsfilme wie z. B. It! The Terror from Beyond Space (1958), Mission Mars (1968), Total Recall (1990) oder Náufragos – Gestrandet (2001) bleiben unerwähnt.

 

Dafür gehen Eisfeld und Jeschke auch auf die fantasievollen Spekulationen und Scharlatanerien über den Mars ein, die nicht in Erzählungen, Romanen oder Filmen ihren Niederschlag fanden, sondern sich in der medialen Öffentlichkeit und pseudowissenschaftlichen Büchern Gehör verschafften. Die Anfänge der UFO-Hysterie Ende der Vierzigerjahre wird ebenso erzählt wie die Fantastereien über das berühmte, von Viking 1 fotografierte „Marsgesicht“, das nüchterne Wis­senschaftler von Anfang an als tote, zufällig geformte Felsformation deuteten – und damit Recht behielten.

 

Soll der Mensch zum Mars aufbrechen?

 

Die spannendste Spekulation, die Eisfeld und Jeschke im letzten Kapitel ihres Buches diskutieren, ist die Vision von menschlichen Kolonien auf dem Mars und der Anpassung der Ökologie des gesamten Planeten an den menschlichen Organismus. Es ist interessant, dass beide Autoren hier gegenteilige Meinungen vertreten, die sie nebeneinander stel­len. Fantasien von Kolonien und Terraforming elektrisieren nicht allein Science-Fiction-Autoren, sondern üben auch auf eine breitere Öffentlichkeit einen besonderen Reiz aus. Wie Wolfgang Jeschke, der sich in seinem Schlusswort für den kolonialen Aufbruch ins All ausspricht, zu Recht feststellt, scheint sich hier ein unwiderstehliches utopisches Verspre­chen zu artikulieren, wohl noch fern, aber nicht völlig unerreichbar. Jeschke:

 

Die Menschheit braucht erfahrungsgemäß hochgesteckte Ziele, Leitbilder und Utopien. Nur dann bringt sie die Energie und Tat­kraft auf, über sich hinauszuwachsen. Wer hätte nicht schon zum Mond hinaufgeblickt und Stolz empfunden bei dem Gedanken, daß Men­schen auf seiner Oberfläche gestanden haben? ( . . . ) »Die Erde« – so der russische Luftfahrtpionier Konstantin Schol­kow­ski – »ist die Wiege der Menschheit. Aber wer möchte sein Leben lang nur in der Wiege verbringen?« (S. 257f.)

 

Rainer Eisfeld bezieht die gegenteilige Position. Seiner Meinung nach beweist das Beispiel unserer Erde hinlänglich, dass der Mensch nur zur Zerstörung seiner Umgebung befähigt sei; die Umgestaltung einer anderen Welt nach unse­ren Bedürfnissen könne somit nur ein Desaster werden. Die ökologische Mahnung ist ehrenwert, Eisfelds Fatalismus hingegen, so gerechtfertigt er angesichts der hartnäckig ignorierten Missstände erscheinen mag, ist wenig inspirie­rend. So unterstellt Eisfeld, dass die Idee von der Kolonisierung des Mars eine bequeme „Ausweichstrategie“ sei, und fragt polemisch: „Könnte man nicht vielleicht einen weiteren Planeten in eine Müllhalde verwandeln, nachdem man den eigenen heruntergewirtschaftet hat?“ (S. 261). Mit Verlaub: Wer die marsianische Kolonisierung befürwortet, muss nicht zwangsläufig ein ökologischer Banause sein, dem das Schicksal der Erde egal ist. Die Lösung irdischer Probleme und der Aufbruch ins All müssen einander keineswegs ausschließen, wie Eisfeld meint – im Gegenteil: Angesichts der langen zeitlichen Perspektive, in der Marskolonien irgendwann einmal technisch machbar sein könnten, ist die Be­wah­rung der irdischen Ökologie geradezu eine Voraussetzung, um später die hochfahrenden kolonialen Ideen zu verwirk­li­chen.

 

Eisfeld führt auch seine Skepsis gegen den amerikanischen „Frontier-Mythos“ ins Feld, mit dem immer wieder ameri­ka­nische Befürworter der Marskolonisation wie Robert Zubrin argumentiert haben: Nur an der Fron­tier, der wilden „Gren­ze“ Amerikas, wo tatkräftige, durchsetzungsfähige Menschen der Natur trotzen, entspringen individuelle, freiheitliche und kreative Kräfte, die die Gesellschaft als Ganzes erfrischen. Menschen, die so argumen­tie­ren, nennt Eisfeld schlicht­weg „stumpf“ und „verdummt“ (S. 249). Mir scheint Eisfeld hier mit der amerikanischen Men­ta­lität zu hart ins Gericht zu gehen. Der Frontier-Mythos ist nun einmal tief im amerikanischen Selbstverständnis ein­gewurzelt, und der in Amerika weit verbreitete Glaube, dass die Demokratie nur aus der Konfrontation mit der Wildnis entsprungen sein kann, nimmt in einer Nation, die in der Wildnis von Querdenkern, Verfolgten und Individualisten ge­gründet wurde, kaum Wunder. Ist es überdies so abwegig, die Kolonisierung des Sonnensystems mit historisch zurück­lie­genden Pionierleistungen zu vergleichen, auch wenn diese Vergleiche – wie alle Vergleiche – hinken? Auch promi­nen­te Fürsprecher der interpla­ne­ta­ren Kolonisation, die nicht die Rhetorik der Frontier bemüht haben, wie beispielsweise Carl Sagan, sprachen vom Menschen als „Wanderer“, vom Aufbruch, vom Verlassen der Wiege, vom Pioniergeist. Ge­wiss evoziert die Rhetorik der Frontier ungewollt auch deren historische Kehrseiten: die Raffgier, die Ungerechtig­kei­ten, die Umweltzerstörun­gen, die Ausrottung einheimischer Völker. Dennoch ist es eher wahrscheinlich, dass sich die Dinge nicht in dieser Form wiederholen – wie gesagt, hinken alle Vergleiche, der Mars ist nicht der Wilde Westen, und es ist nicht einmal sicher, ob es auf ihm Mikroben gibt, die wir ausrotten könnten.

 

Zuguterletzt hat Eisfeld auch keine überzeugende Antwort auf das Problem, dass die Erde ständig durch große Meteo­riten- oder Kometeneinschläge bedroht ist. Er hält den Mars wegen seiner Nähe zum Planetoidengürtel für gefähr­de­ter als die Erde und konstatiert achselzuckend: „Wohl oder übel wird der Mensch sich mit der Erkenntnis abfinden müssen, in einem gefährlichen Kosmos zu leben.“ Nun, mit dieser Erkenntnis hat der Mensch schon seit Anbeginn der Geschichte gelebt, wovon zahlreiche apokalyptische Mythen wie etwa die biblische Sintfluterzählung beredtes Zeug­nis ablegen. Dass der Mensch aber trotzdem immer auch danach strebte, seine Überlebenschancen zu mehren – und durch eine zweite von Menschen bewohnte Welt wären sie entschieden gemehrt –, ignoriert Eisfeld.

 

Ob die enormen Mittel für bemannte Flüge zum Mars und später für Kolonien aufgewendet werden sollen, ist eine Fragestellung, die noch vielfältiger Diskussionen bedarf. Wesentlicher als Eisfelds Einwände scheinen mir die Fragen nach dem effektiven Nutzen solcher Unternehmen zu sein. Ganz ohne eine gehörige Portion Idealismus, ohne einen Appell an ideelle menschliche Werte wie Neugier und Pioniergeist wird sich ein bemannter Flug zum Mars gewiss nicht rechtfertigen lassen. Eisfeld und Jeschke bieten in Marsfieber einige Denkanstöße zum Thema, die dazu einladen, sich selbst eine Meinung zu bilden.

 

Marsfieber ist ein kurzweiliges und unterhaltsames Buch über den Mythos Mars, der so oft seine Gestalt wechselte und heute wieder lebendiger ist denn je. Es wird spannend sein zu verfolgen, wie in den kommenden Jahrzehnten künftige wissenschaftliche Erkenntnisse über den roten Planeten den Mythos weiter befeuern werden. Dass dies ge­schehen wird, scheint gewiss.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 21. April 2016