The Time Machine

DVD-Cover zu dem Film "The TIme Machine" (USA 2002) von Simon Wells

The Time Machine (USA 2002)

 

Regie: Simon Wells; Gore Verbinski (ungenannt)

Drehbuch: John Logan, nach dem Roman Die Zeitmaschine (1895) von H. G. Wells und dem Drehbuch von David Duncan zu dem Spielfilm Die Zeitma­schine (1960) von George Pal

Kamera: Donald McAlpine. Schnitt: Wayne Wahrman. Musik: Klaus Badelt. Darsteller: Guy Pearce (Alexander Hartdegen), Samantha Mumba (Mara), Ome­ro Mumba (Kalen), Mark Addy (David Philby), Phyllida Law (Mrs. Watchit), Sienna Guillory (Emma), Jeremy Irons (Über-Morlock), Orlando Jones (Vox) u. a.

Produzenten: Walter F. Parkes, David Valdes

Companies: Warner Bros.; DreamWorks; Parkes/MacDonald Productions; Arnold Leibovit Entertainment

Laufzeit: 96 Minuten; Farbe (Technicolor)

Premiere: 4. März 2002 (USA); 21. März 2002 (Deutschland)

 

New York, 1899: Der junge und leicht verschrobene Wissenschaftler und Erfinder Alexander Hartdegen ist Dozent an der Columbia University und geht voll und ganz in seiner Arbeit auf. Die einzige Leidenschaft, die er darüber hinaus empfindet, gilt seiner Freundin Emma. Als er sich eines Abends mit ihr im Park trifft, macht er ihr einen Heiratsantrag, den sie freudig annimmt. Doch schon im nächsten Augenblick wird das Paar von einem Straßenräuber mit einem Revolver bedroht und ausgeraubt, und als Emma sich sträubt, ihren gerade erhaltenen Verlobungsring herzugeben, kommt es zu einem Handgemenge, es fällt ein Schuss – und Emma bricht tot zusammen.

 

Alexander ist zutiefst erschüttert und will Emmas Tod nicht akzeptieren. Er beschließt, eine Zeitmaschine zu erfinden, mit der er in die Zeit zurückreisen kann, um den Verlauf der Ereignisse an jenem Abend zu ändern. Vier Jahre später – Alexander hat sich inzwischen zu einem mürrischen Eigenbrötler gewandelt, der kaum aus seiner privaten Werkstatt herauskommt – hat der besessene Erfinder sein Ziel erreicht: Er besteigt seine Zeitmaschine und reist in das Jahr 1899 zurück. Er trifft Emma und fährt mit ihr sofort in die Stadt – doch dort muss er Emma ein weiteres Mal sterben sehen, als sie von einer umstürzenden Kutsche, deren Pferde durchgegangen sind, erschlagen wird.

 

Alexander begreift, dass er die Vergangenheit nicht wesentlich verändern und Emmas Leben nicht retten kann. In ihm nagt die Frage, warum das so ist, und so beschließt er, mit seiner Zeitmaschine in die Zukunft zu reisen, um dort eine Antwort zu finden. Auf seinem Flug durch die Zeit sieht er um sich herum die Ereignisse im Zeitraffer sich abspulen. Ein Zwischenstopp im Jahr 2030 bietet dem Zeitreisenden einen Blick auf ein futuristisches New York von Übermorgen und eine große Videoleinwand, auf der Werbung für einen spektakulären Luxus-Wohnpark gemacht wird, der in das Innere des Mondes gesprengt werden soll. Bei einem weiteren Zwischenstopp sieben Jahre später hat sich New York in ein brennenes Gomorrah verwandelt: Bei den Sprengungen im Mondinneren hat sich eine Katastrophe ereignet, der Mond ist zerbrochen, und auf die Erde niederregnende Mondtrümmer haben schlimmste Verwüstungen angerichtet und das Ende der Zivilisation eingeleitet. Alexander kann mit der Zeitmaschine gerade noch rechtzeitig die Flucht an­treten, er wird durch eine Explosion jedoch ohnmächtig und rast viele Jahrhunderttausende bewusstlos weiter in die Zukunft. Die Trümmer New Yorks zerfallen rasch, und über Alexanders Zeitmaschine gehen Eiszeiten und geologische Transformationen hinweg.

 

Erst im Jahr 802701 stoppt Alexander – und findet sich in einer urwüchsigen Naturlandschaft wieder. Er wird von den Eloi aufgenommen, einem steinzeitlich lebenden Jäger-und-Sammler-Volk, das in hängenden Holzhütten an den Klip­pen einer mächtigen Schlucht wohnt, und freundet sich mit der jungen, hübschen Mara und ihrem kleinen Bruder Kalen an. Allerdings hat die Evolution nach dem Bombardement der Mondtrümmer eine grauenvolle Abart des Men­schen hervorgebracht: die Morlocks, Nachfahren jener Menschen, die beim Untergang der Zivilisation in unterirdische Höhlen geflüchtet waren und sich dort zu einer eigenen Spezies entwickelt haben. Die Morlocks sind menschenfres­sende, monströse Bestien, die sich bevorzugt von Eloi ernähren. Als die Eloi wieder einmal von Morlocks überfallen werden und dabei unter anderem Mara unter die Erde verschleppt wird, beschließt Alexander, sie zu retten und den Kampf gegen die Morlocks, den die Eloi stets gescheut haben, aufzunehmen . . .

 

Charmantes Remake mit kleinen Schwächen

 

H. G. Wells’ Roman Die Zeitmaschine (1895) gilt mit seinem faszinierenden wissenschaftlichen Gedankenexperiment, das er in schlichter Eleganz und präziser Knappheit erzählt und mit einer bösen, hintergründigen Sozialsatire an der ausbeuterischen viktorianischen Industriegesellschaft versieht, zu Recht als eines der großartigsten Science-Fiction-Werke aller Zeiten. Seine erste Verfilmung für die große Leinwand, George Pals Die Zeitmaschine (1960), wurde für das Science-Fiction-Kino aus anderen Gründen ebenfalls zu einem bis heute viel geschätzten Klassiker – ein warmherziger, nostalischer Trip ins Jahr 1899 und durch die Zeiten, der eine fesselnde Vision der näheren wie fernsten Zukunft der Menschheit und feine (wenn auch nicht perfekte), handgemachte Spezialeffekte in leuchtenden Farben bot. Kritik ern­tete Pals Film dagegen vor allem, weil er die satirische Begründung der Eloi und Morlock tilgte: Bei Wells sind sie zwei voneinander abhängige Spezies, die sich evolutiv aus der einst herrschenden leisure class und der Masse der geknech­teten, in unterirdische Fabriken verbannten Industriearbeiter entwickelt hatten. George Pal (1908–1980) und sein Dreh­buchautor David Duncan (1913–1999) ersetzten das klassenkämpferische Thema dagegen mit der damals hochaktuellen Angst vor einem Atomkrieg, der in ihrem Film die Aufspaltung der Menschheit in Eloi und Morlocks verursachte.

Szenenfoto aus dem Film "The TIme Machine" (USA 2002) von Simon Wells; Guy Pearce und Mark Addy
David Philby (Mark Addy, l.) besucht den Wissenschaftler und Erfinder Alexander Hartdegen (Guy Pearc) in dessen heimischer Werkstatt

Eine weitere Verfilmung würde somit in große Fußstapfen treten und eine hohe Erwartungshaltung schüren – die die 85 Millionen Dollar teure, als moderner CGI-Blockbuster konzipierte Produktion The Time Machine (2002) bei den Kriti­kern am Ende leider nicht einlösen konnte. Beim Publikum erntete der Film durchwachsene Reaktionen – begeisterte bis hin zu beißend-spöttische –, und an der Kinokasse floppte das Werk: Weltweit spielte es laut Bomb Report nur magere 123,7 Millionen Dollar ein. Rotten Tomatoes verzeichnet im Spiegel der journalistischen Kritik nur 29 % positive Besprechungen. Dabei ist der prächtig ausgestattete, tadellos gespielte und durchaus auf seine Art charmante Film, ein Hollywood-Abenteuer alter Schule, nach meinem Dafürhalten ausgesprochen unterhaltsam und weitaus besser, als seine schwa­che Reputation glauben machen will.

 

The Time Machine wurde angeschoben vom in Miami Beach geborenen Regisseur, Drehbuchautor und Produzenten Arnold Leibovit (geb. 1950), der wie George Pal von ungarischen Eltern abstammt und schon früh ein reges Interesse an George Pal und seine Filme entwickelt hatte; mit The Fantasy Film Worlds of George Pal (1985) hatte Leibovit den bis heute einzigen Dokumentarfilm über den geschätzten Filmemacher gedreht. Leibovit war es gelungen, durch den George Pal Estate, die juristische Vertretung der Nachfahren des Schriftstellers, die Filmrechte an Wells’ Roman sowie an George Pals Verfilmung zu erwerben. DreamWorks und Warner Bros. ließen sich gemeinsam von Leibovits Idee einer Neuverfilmung des Stoffs überzeugen, wobei ein besonderer Coup damit gelang, dass man für die Regie einen Mann mit einem klingenden Namen verpflichtete, der ohnehin für DreamWorks arbeitete und für die Werbung für den Film ein gewisses legitimierendes Gewicht versprach: Simon Wells (geb. 1961), ein Urenkel von H. G. Wells.

 

Simon Wells hatte audiovisuelles Design studiert und Karriere bei Amblimation gemacht, einem Animationsstudio, das Steven Spielberg gehörte; als Amblimation später in DreamWorks aufging, blieb Wells auch dort als Animationsfilmer erfolgreich tätig – vielfach als Chef der Animation und Storyboarder, aber auch als Regisseur. Seine erste Ko-Regie­arbeit war Feivel, der Mauswanderer (1991), später folgte, in Ko-Regie, Der Prinz von Ägypten (1998); seine erste Solo-Regie führte er in Balto – Ein Hund mit dem Herzen eines Helden (1995). The Time Machine ist bislang Simon Wells’ einziger Live-Action-Film geblieben; danach kehrte er zum Animationsfilm zurück und arbeitete als Storyboarder für Filme wie Sindbad – Der Herr der sieben Meere (2003), Madagascar (2005), Shrek der Dritte (2007), Kung Fu Panda (2008) oder Kung Fu Panda 2 (2011). Regie führte er nach The Time Machine nur noch einmal, und zwar in dem Anima­tionsfilm Milo und Mars (2011). Die Regie eines Live-Action-Blockbusters hatte Wells alle Kräfte abverlangt; gegen Ende der Dreharbeiten musste er wegen völliger Überarbeitung bis zu seiner Rückkehr zur Post-Production eine Auszeit nehmen, sodass für die letzten 18 Drehtage Gore Verbinski (geb. 1964), der spätere Regisseur der ersten drei Fluch der Karibik-Filme (2003–07), eingesprungen war. Im Abspann des Films wird Verbinski allerdings nur beiläufig mit einem herzlichen Dankeswort erwähnt.

 

Das Skript für The Time Machine verfasste der kalifornische Theaterschriftsteller und Drehbuchautor John Logan (geb. 1961), der in seiner Karriere an den Drehbüchern zu Gladiator (2000), Last Samurai (2007), James Bond 007: Skyfall (2012), James Bond: Spectre (2015) und Alien: Covenant (2017) beteiligt war und in Alleinarbeit die Drehbücher zu Star Trek: Nemesis (2002), Aviator (2004) und Hugo Cabret (2011) schrieb. Im Abspann von The Time Machine wird – im Ge­gensatz zum Vorspann, wo Wells’ Buch als Grundlage genannt wird – ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Logans Skript von David Duncans Drehbuch für George Pals Verfilmung adaptiert wurde. Und so findet sich also auch in The Time Machine nichts von H. G. Wells’ Sozialsatire und dem pessimistisch-düsteren Ausblick auf das Ende der Erde unter einer verdimmenden Sonne in allerfernster Zukunft, wohl aber eine Menge vom schönen, nostalgischen Charme des George-Pal-Films, liebevoll reproduzierte Special-Effects-Sequenzen und ein furioser Action-Showdown.

Szenenfoto aus dem Film "The TIme Machine" (USA 2002) von Simon Wells; Guy Pearce in der Zeitmaschine
Hartdegen (Guy Pearce) tritt andächtig in der Zeitmaschine seine Reise in die Vergangenheit an. Die Zeitmaschine ist eine extravagante, sehr gelungene Reinkarnation der Maschine aus der klassischen Verfilmung von George Pal (1960).

Viele Dinge aus Pals Film kehren hier in eleganter, neuer Form wieder, was einen Fan der klassischen Verfilmung wie mich verzückte: das mit Eichentäfelungen und Massen von Uhren ausgestattete Haus des Zeitreisenden im gediege­nen Stil des späten 19. Jahrhunderts, der wohlmeinende Freund des Zeitreisenden Mr. Philby, die mütterliche Haushäl­terin Mrs. Watchit, die Werkstatt des Zeitreisenden im Gewächshaus, der Blick auf die in Zeitraffer immer rascher wechselnde Mode im Schaufenster des Bekleidungsgeschäfts gegenüber oder die (im Roman fehlenden) Zwischen­stopps in der näheren Zukunft, die den Zeitreisenden ein apokalyptisches Ereignis erfahren lassen (das hier allerdings nicht mehr ein Atomkrieg, sondern die unbeabsichtigte Sprengung des Mondes ist). Sogar die „sprechenden Ringe“ aus Pals Film erleben eine mittelbare Wiederkehr, und zwar in Form der holografischen Computergestalt Vox, die dem Zeitreisenden in der öffentlichen Bibliothek New Yorks des Jahres 2030 und 800 Jahrtausende später in den Ruinen der Bibliothek begegnet.

 

John Logan änderte auch einige Dinge ab, die dem Stoff interessante Frischzellen zuführt. Die Verlegung der Handlung nach New York ist vielleicht überflüssig, aber keineswegs störend. Eine gute Idee war die Einführung der neuen Figur Emma und Hartdegens glühende Liebe zu ihr; Emmas Tod treibt Hartdegen erst zum Bau der Zeitmaschine an. Bei H. G. Wells war die Zeitmaschine nur ein Ausdruck wissenschaftlichen Forscherdrangs; bei George Pal hoffte der Zeitreisen­de bereits, seiner als kriegslüstern verabscheuten Gegenwart in eine bessere, leuchtendere Zukunft zu entkommen, was sich als Trugschluss erwies. Hier nun will der Zeitreisende ganz bewusst die Vergangenheit ändern, um einen ge­liebten Menschen vor dem Tode zu bewahren – ein starkes, emotional unmittelbar nachvollziehbares Motiv. Und als ihm Emmas Rettung nicht gelingt, treibt ihn die Frage um, warum das so ist. Die uralte Frage, ob das Schicksal unabän­der­lich ist, klingt hier an, aber später klärt der Über-Morlock den Zeitreisenden über seinen Irrtum auf, und zwar mit ei­nem klassischen Zeitreiseparadox (dass der Film noch weitere problematische Zeitreiseparadoxa enthält, lassen wir hier einmal beiseite): Hartdegen kann Emma in der Vergangenheit nicht retten, weil ihr Tod erst den Bau der Zeitma­schine verursacht hat – wäre sie nicht gestorben, hätte es die Zeitmaschine nie gegeben. Daraufhin sieht Hartdegen um so klarer, dass er vielleicht nicht die Vergangenheit, wohl aber die Zukunft verändern kann, die er in einem kurzen Ausflug über 635 Millionen Jahre in die Zukunft erblickt: eine brennende Inkarnatation der Hölle auf Erden, beherrscht von den Morlocks. Er kehrt ins Jahr 802701 zurück, rettet Mara und vernichtet die Morlocks (zumindest jene in unmit­telbarer Um­gebung), indem er seine Zeitmaschine zu einer Bombe umfunktioniert und sie in ihrem unterirdischen Höhlensystem explodieren lässt.

 

Puristische Fans von H. G. Wells sahen mit dem Remake eine weitere Chance vertan, den Roman möglichst buchsta­bengetreu zu verfilmen, und reagierten dementsprechend enttäuscht und ablehnend. Dabei verkennen sie meiner Meinung nach jedoch, dass Wells’ Sozialsatire, 1895 hochaktuell, in ihrer ursprünglichen Gestalt längst rettungslos überholt ist. Es gibt nicht mehr die in der Schwerindustrie schwitzende Masse schlecht bezahlter Arbeiter, die unter unwürdi­gsten Bedingungen schuften müssen, und bis heute ist niemand in unterirdische Produktionsanlagen ge­pfercht wor­den, in denen er auch zu leben hat, ohne je wieder ans Tageslicht zu dürfen. Der Reichtum und die Löh­ne sind zwar nach wie vor schreiend ungerecht verteilt, und die Knechtschaft großer Bevölkerungsanteile im kapitalisti­schen System bietet selbstverständlich nach wie vor reichliche Ansatzpunkte für sozialsatirische Kritik. Doch kann die Kritik noch mit der darwinistischen Konzeption von Wells’ Roman funktionieren, ohne diese massiv umzugestalten und sich somit von der von vielen Kritikern so schmerzlich vermissten Werktreue zu lösen? Ich denke nicht, denn die von H. G. Wells postulier­te Entwicklung zweier genetisch (!) strikt getrennter Klassen, auf der er sein satirisches Zukunftsbild der sich auseinanderentwickelnden Spezies von Eloi und Morlock aufgebaut hatte, ist nicht eingetreten. Anders aus­ge­drückt: Es ist für Wells’ Roman gerade aufgrund seiner sich längst als falsch erwiesenen Geschichtsteleo­logie ausge­schlossen (und das war es auch schon 1960, als die erste Verfilmung in die Kinos kam), ihn eins zu eins – das heißt von einem im späten 19. Jahrhundert angesiedelten Szenario ausgehend – in einen Spielfilm von heute übertra­gen, ohne zu einem für die breite Masse der Kinogänger belanglosen Museumsstück in der Geschichte der Science-Fiction – oder der Sozialsati­ren – zu werden.

Szenenfoto aus dem Film "The TIme Machine" (USA 2002) von Simon Wells; Eloi-Behausungen
Die Eloi des Jahres 802701 leben in korbartigen, hängenden Behausungen an den Klippen einer vom Meer durchströmten Schlucht

Die Modernisierung des altehrwürdigen Erzählstoffs an die Lebenswelt von heute war somit sowohl für die Verfilmung von 1960 als auch für das Remake eine zwingende Notwendigkeit. George Pals Film fand mit dem Atomkrieg, der nun­mehr die Entwicklung der beiden Spezies von Eloi und Morlock auslöste, eine noch recht elegante Lösung, die an die damals allgegenwärtige Angst vor der atomaren Vernichtung anklang. In Simon Wells’ Film nun führt die Hybris des technologischen Menschen des 21. Jahrhunderts zur Apokalypse und zu den Eloi und Morlocks: Das verantwor­tungs­lose Herumpfuschen am Mond lässt ihn auseinanderbrechen, und die Mondtrümmer zerstören die Erdoberfläche und damit auch jegliche Zivilisation. Die Folgen eines solchen Ereignisses sind im Film noch viel zu harmlos dargestellt. Tatsächlich würde sich die Erde durch das Bombardement durch tausende Mondtrümmer extrem erhitzen, die Meere würden verdampfen, weltweite Brände würden alles vernichten, die Atmosphäre würde vergiftet und die Erde wäre wahrscheinlich für viele Jahrtausende unbewohnbar (wer eine literarische Verarbeitung genau dieses Szenarios lesen will, greife zu Neal Stephensons nerdigem, 2015 erschienenen Science-Fiction-Thriller Amalthea). Das kann man dem Film noch nachsehen. Allerdings kommt das neue Motiv der Hybris ziemlich schwach und unverbindlich daher und wirkt wie eine Verlegenheitslösung. „Du hattest Recht gehabt, Philby“, sagt Hartdegen, als er, über 800.000 Jahre in der Zukunft, die Trümmer des Mondes am Abendhimmel leuchten sieht, „wir sind zu weit gegangen“ – und der Zu­schauer fragt sich, ob das wirklich so ist, denn der Mensch hat schon immer mittels Technologie seine Lebenswelt um­geformt und seinen Bedürfnissen angepasst, worin ich per se erst einmal nichts Verwerfliches erkennen kann. Viel­leicht hätte eine Motivation, die mit der eigentlichen Kehrseite der modernen Technologie – der Umweltverschmut­zung hier auf der Erde – operiert, eher Zugkraft entwickelt, aber das bleibt eine offene Frage. Womöglich lässt sich auch überhaupt keine modernisierte Motivation für die Eloi und Morlocks mehr ausmalen, die die alte Wells’sche Moti­vation ersetzte und in die heutige Zeit passte – in diesem Falle ließe sich die Antiquiertheit des Stoffes nicht abstrei­fen, und in der Tat haben auch einige Kritiker genau das behauptet. Letzten Endes bin ich kein Drehbuchautor, um das zu entscheiden, aber es ist eine interessante Spekulation, was sich hier als Motiv – oder bestenfalls sogar als sozial­kritisches Motiv – setzen ließe.

 

So bleibt also mit der Zerstörung des Mondes nur ein leerer Aufhänger für ein konventionell gestricktes Action-Aben­teuer in ferner Zukunft übrig, das sich dann in der zweiten Hälfte des Films entspinnt und eine Reihe knackiger Kampf- und Actionszenen auffährt. Der Film weiß hier leider nur noch eine mittelmäßige, überraschungsarme Story zu erzäh­len und tischt zudem einige logische Ärgernisse auf, die leicht zu vermeiden gewesen wären. Dass die Eloi bei­spiels­weise noch nach über 800 Jahrtausenden umfassende Kenntnisse über die englische Sprache haben, die sie nur von einigen Bruchstücken steinerner Inschriften erlernt haben, sodass manche Eloi fließend das Englische beherrschen, ist natürlich haarsträubender Quatsch. H. G. Wells’ Roman ist hier realistischer: Dem Zeitreisenden gelingt die sprachli­che Verständigung nie, weder mit den Eloi noch mit den Morlocks, und beide Spezies bleiben ihm fast vollkommen fremd. Dass in George Pals Film die Eloi wie selbstverständlich Englisch sprechen können und damit das Sprachpro­blem ein­fach übergangen wurde, macht die an den Haaren herbeigezogene Rationalisierung des Sprachvermögens im Remake auch nicht besser. Ebenso verhält es sich mit dem Bibliothekscomputer Vox: Dass dieser nach 800.000 Jahren noch immer funktioniert, ist vollkommen unglaubwürdig.

 

Die Eloi sind nicht länger passive, in der Sonne liegende Müßiggänger, die sich von den Morlocks versorgen lassen und ein sorgenfreies, aber auch stumpfes Leben führen. Hier sind sie ein vitales Steinzeitvolk mit einer eigenen Kultur, das zupackt, Werkzeuge und Boote herstellt, sich mit Fischfang selbst versorgt und technisch ziemlich anspruchsvolle Be­hausungen baut. Mit der Tilgung ihrer Apathie und passiven Abhängigkeit von den Morlocks sind die Eloi allerdings auch ihres Mysteriums beraubt, das sie in den älteren Versionen des Erzählstoffs umgab, sie wirken vertraut wie ein x-beliebiger Indianerstamm, und dass sich dieses lebenstüchtige Volk gegen die Beutezüge der Morlocks niemals wehrt, wird nun überhaupt nicht mehr plausibel. Auch die Morlocks wurden weiterentwickelt: Es gibt Späher-Morlocks, Jäger-Morlocks und schließlich hochintelligente „Über-Morlocks“, die ein entlang des Rückenmarks vergrößertes Ge­hirn entwickelt haben und telepathische Fähigkeiten besitzen. Die Einführung des Über-Morlocks halte ich für einen weiteren ärgerlichen Kunstgriff: Er dient nur dazu, Alexander Hartdegen einen mächtigen Gegenspieler zu geben, der ihm in einem hochtrabenden Monolog – die übliche Rede des Schurken vor dem Showdown – die ganze Situation er­klären und ausdeuten kann. Dafür, dass die Morlocks seit Jahrtausenden in feurigen Höhlen hausen und dort schuften wie die Wagnerschen Nachtalben in Nibelheim, ansonsten aber keinerlei Kultur zu haben scheinen, weiß der Über-Morlock erstaunlich viel über die Geschichte der vergangenen 800.000 Jahre. Mehr noch, er weiß sogar über Zeitreisen und ihre Limitierungen Bescheid. Auf die Frage nach seinem moralischen Gewissen antwortet er nur kalt lächelnd: „Jeder zahlt einen Preis“, womit er sich als unmenschliche Bestie ausweist und daher nach den Regeln des Blockbus­terkinos sein Todesurteil gesprochen hat.

Szenenfoto aus dem Film "The TIme Machine" (USA 2002) von Simon Wells; Jeremy Irons als Über-Morlock
Jeremy Irons hat als telepathischer und beinahe allwissender "Über-Morlock" nur eine kurze – und überflüssige – Rolle

Es ist schade, dass der Konflikt zwischen Eloi und Morlocks am Ende auf einen simplen ethnischen Konflikt herunter­gebrochen ist: Die gegen uns, wobei die als dämonisch und entmenschlicht gekennzeichnet sind und daher guten Ge­wissens ausgerottet werden dürfen. Das erinnert an eine ganz ähnliche Haltung in Edward Bernds’ B-Film Planet des Grauens (1956), der mit einigem Recht als erste, allerdings etwas verdrehte Adaption von H. G. Wells’ Roman angese­hen werden kann. Auch dort werden die steinzeitlichen Horden, die für die Morlocks stehen, erbarmungslos ausgerot­tet – der Film wirkt allerdings in dieser Hinsicht noch erheblich zynischer als The Time Machine.

 

Der Film ist recht traditionell inszeniert, und auch die hervorragende orchestrale Musik des deutschen Komponisten Klaus Badelt (geb. 1967) ist ganz alte Hollywood-Schule. Mit seiner erstklassigen Ausstattung und seinen exzellenten Spezialeffekten gibt sich The Time Machine keine Blöße. Der Film bietet wunderschöne Einstellungen: ein nostalgi­sches Panorama über das verschneite New York des Jahres 1899, das sich bis an den Horizont erstreckt und wie ein verzaubertes Wintermärchen aus einer Charles-Dickens-Verfilmung anmutet; die an den Klippen hängenden, in der Abendsonne glänzenden Behausungen der Eloi; die finsteren, vom Feuerschein ihrer Hochöfen erhellten Höhlen der Morlocks. Mitreißend ist die Tricksequenz, in der der Zeitreisende in seiner Zeitmaschine ins 803. Jahrtausend vorstößt und der Zuschauer in wenigen Momenten Wüsten, wachsende und wieder vergehende Steppen und Wälder, Eiszei­ten und geologische Umformungen des Geländes über ihn hinweggehen sieht. Auch das Design der Zeitmaschine selbst, auf das jeder Aficionado besonders gespannt gewesen sein dürfte, ist vollauf gelungen und muss den Vergleich mit der so zärtlich geliebten Zeitmaschine aus George Pals Film wahrlich nicht scheuen. Die vorherrschenden Materi­alien sind wie zuvor Kristall, Messing, Kupfer und Holz, auch ist der Stil nach wie vor hübsch viktorianisch und es fehlt auch nicht der plüschige Sessel wie im George-Pal-Film, nur ist die Zeitmaschine nunmehr eine deutlich stabilere, mit blauen Energiestrahlen gleißende Apparatur von sphärischer Gestalt, die während der Zeitreise eine leuchtende „Zeit­blase“ um sich herum erzeugt. Die gelungenen Köpfe der Morlocks, die wie furchterregende Orks aussehen, wurden vom Spezialeffekte- und Makeup-Spezialisten Stan Winston (1946–2008) und seinem Team als komplizierte animatro­nische Modelle gebaut, die dann mit den Morlock-Kostümen der Stuntmen kombiniert wurden – nur in einer Handvoll Einstellungen sind die Morlocks komplett digital erstellt worden.

Szenenfoto aus dem Film "The TIme Machine" (USA 2002) von Simon Wells; die Morlock-Höhlen
Die Morlocks schuften in ihren Höhlen nach wie vor in der Metallverhüttung, allerdings wohl nur noch für den Eigenbedarf

Die Schauspieler sind ohne Fehl und Tadel. Guy Pearce (geb. 1967) verkörpert den stets etwas geistesabwesenden, ganz für seine Forschung begeisterten schlacksigen Wissenschaftler perfekt; gleichzeitig nimmt man ihm seine tiefe Liebe zu Emma und seine Verzweiflung nach ihrem Tod vollauf ab, und sogar sein Wandel zum todesmutigen, nun­mehr kernig-männlichen Helden in der zweiten Filmhälfte meistert Pearce hervorragend und glaubwürdig. R’n’B-Pop­sternchen Samantha Mumba (geb. 1983) als Mara wurde in der Kritik viel gescholten und gemeinerweise nur auf ihr hübsches Aussehen reduziert, aber ich sehe nicht, in welcher Hinsicht sie ihre letztlich geringe Rolle nicht ausfüllt. Dass sie die undankbare Aufgabe hat, den Zuschauer darüber aufzuklären, weshalb sie fließend Englisch sprechen kann, ist nicht ihre Schuld, sondern dem Drehbuch anzulasten. Eine positive Überraschung ist Mark Addy (geb. 1964) in der Rolle von Hartdegens Freund Philby, die er ähnlich mitfühlend und mäßigend spielt wie seinerzeit Alan Young (1919–2016), der hier einen winzigen Cameo-Auftritt als Blumenverkäufer hat. Einzig Jeremy Irons (geb. 1948) als Über-Morlock, ganz unter weißer Schminke versteckt, enttäuscht, weil seine kurze Rolle wie ein Gastauftritt wirkt und er hier seine schauspielerischen Fähigkeiten kaum zur Geltung bringen kann – zumal der Look des Über-Morlock einen reichlich trashigen Touch hat.

 

The Time Machine ist nicht die von vielen erhoffte „Aktualisierung“ der Wells’schen Sozialkritik und reicht in diesem Punkt der alten George-Pal-Verfilmung die Hand. Aber der Film ist alles andere als ein Desaster oder „gescheitert“, wie viele Kritiker behauptet haben. Er ist eine neue, wunderschöne Bebilderung der alten, faszinie­renden Idee der Zeit­reise an sich, und es gelingt ihm, dieser Idee mit seinen großartigen Spezialeffekten eine Menge sense of wonder ein­zuhauchen und nebenher mit zahlreichen aufpolierten Remineszenzen an die alte Verfilmung zu begeistern. In seiner Regieführung ist das Remake eher altmodisch und lehnt sich damit bewusst an seinen Vorgänger an. Ansonsten prä­sentiert sich der Film als ein lebendiges Action-Abenteuer auf modernem Blockbuster-Niveau, das keinen größeren Tiefgang bietet, jedoch ausgesprochen gut unterhält und einen warm­herzigen Charme entwickelt, der zumindest in der ersten Filmhälfte dem Charme der alten Verfilmung in nichts nach­steht. Wenn auch Krieg der Welten (2005) von Steven Spielberg das stimmigere Remake einer H. G. Wells-Verfilmung ist, so kann doch auch The Time Machine einige dicke Pluspunkte für sich verbuchen. Für mich ein toller, liebenswerter Film!

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 7. Dezember 2017

Szenenfotos © Warner Bros.