Robert A. Heinlein: Der Mond ist eine herbe Geliebte

The Moon Is A Harsh Mistress (1966). Science-Fiction-Roman. In deutscher Sprache erstmals 1969 im Wilhelm Heyne Verlag München erschienen unter dem Titel Revolte auf Luna; vorliegende Ausgabe erschien 1994 im Bastei-Lübbe-Verlag. Übersetzung von Wulf H. Bergner; bearbeitet und ergänzt von Marcel Bieger. 361 Seiten.

 

Im Jahre 2075 ist der Mond eine Strafkolonie, zu der die Erde ihre verurteilten Gesetzesbrecher deportiert. Hoffnung auf Rückkehr gibt es für die Deportierten nicht, da der menschliche Körper sich rasch an die sechsfach schwächere Gravitation des Mondes anpasst und ein Dasein auf der Erde nicht mehr verkraften könnte. Die Mondgemeinschaft, die drei Millionen Menschen umfasst, lebt in einer Handvoll Städten, die unter der Mondoberfläche in mehreren Ebe­nen angelegt sind. Der Haupterwerb ist Weizen, der in großen Mondhöhlen angebaut und zur Erde exportiert wird. Oberhaupt des Mondes ist ein von der Erde eingesetzter, von den Mondbewohnern aber verhasster Gouverneur.

 

Der auf dem Mond geborene Manuel Garcia O’Kelly ist Computerfachmann und für die Wartung des Hauptcomputers zuständig, der sämtliche Funktionen der Kolonie kontrolliert. Eines Tages stellt Manuel verblüfft fest, dass der Compu­ter ein Bewusstsein entwickelt hat. „Mike“, wie Manuel den Computer getauft hat, fühlt sich einsam und freundet sich mit seinem Administrator an. Manuel indes behält das Geheimnis von Mikes Bewusstsein für sich. Als Manuel eine re­vo­lutionäre Zelle kennenlernt, die den Mond von der Bevormundung durch die Erde befreien will, schließt er sich ihr an und wittert die Chance, mithilfe von Mike den Umsturz tatsächlich bewerkstelligen zu können . . .

 

Eine durchwachsene Sozialutopie

 

Der Mond ist eine herbe Geliebte ist ein viel gepriesener Science-Fiction-Roman. Er wurde mit dem Hugo Award aus­gezeichnet und landete im Ranking des Locus Poll Award mehrfach unter den Top Ten der besten Science-Fiction-Romane aller Zeiten. Erklärbar ist diese Hochschätzung wohl nur mit der zum Teil maßlosen „Heiligenverehrung“, die die Heinlein-Fangemeinde ihrem Idol entgegenbringt. Denn nüchtern betrachtet ist Der Mond ist eine herbe Geliebte nicht mehr als guter Durchschnitt: Eine durchaus interessante und flott abgehandelte Erzählung, die zwar nicht lang­weilt, aber auch nirgends wirklich zu fesseln und zu begeistern vermag. Als Science-Fiction fehlt dem Roman die ima­gi­native Kraft, seine futuristisch-lunare Welt mit Leben zu füllen und den Leser wirklich „auf den Mond zu entführen“. Dafür ist das Werk sprachlich zu trocken und inhaltlich zu sehr mit sterilen ideologischen Diskursen beschäftigt.

 

Robert A. Heinlein (1907–1988) war ein bekennender Anhänger des amerikanischen Libertarismus, der die Eigenver­ant­wor­tung des Einzelnen betont und jeglicher staatlicher Organisation und Reglementierung skeptisch gegenübersteht. Hierin liegt das größte Problem von Heinleins Werken. Menschen, die von Ideologien überzeugt sind, neigen dazu, für ihre Überzeugungen zu glühen, und Heinlein ist da leider keine Ausnahme. Viele seiner Science-Fiction-Romane sind literarisch verbrämte Propaganda; die Handlung ist zweitrangig und dient lediglich als Vehikel für die Formulierung von Heinleins sozialutopischen Ideen.

 

Das gilt auch für Der Mond ist eine herbe Geliebte. Viel Raum nimmt die Darstellung der libertär geprägten Mondge­sell­schaft ein, eine „ideale“, fast anarchische Gesellschaft à la Heinlein. Sie besteht aus Großfamilien, die zumeist als polygame Clans organisiert sind. Darüber hinaus gibt es keine staatliche Organisation und auch keine Steuern, denn für alles, was man vielleicht übergreifend benötigt (z. B. Straßen, Telefonnetze etc.), bezahlen die beteiligten Parteien direkt selbst. Es gibt auch keine kodifizierten Gesetze; stattdessen herrscht das Recht des Stärkeren. Wer sich dieser Ordnung nicht anpassen will oder bei irgendwem aneckt, wird kurzerhand durch die Luftschleuse geworfen und im Vakuum der Mondoberfläche „entsorgt“. Ethische Skrupel kennt diese Gesellschaft offensichtlich kaum. Die behaup­te­te Moralität der Mondbewohner, die darin besteht, dass der Mensch völlig unabhängig „aus sich selbst“ heraus jeweils entscheidet, was richtig oder falsch ist, ist eine bedauerliche Heinleinsche Illusion – sie kann den markigen Sozialdar­wi­nis­mus, den Heinlein hier ein weiteres Mal zum Ausdruck bringt, kaum kaschieren.

 

Dieser rauen, im Heinleinschen Sinn „aufrechten“ Frontier-Gesellschaft steht der verhasste, reglementierende Staat in Form des irdischen Gouverneurs und des irdischen Weltstaates gegenüber. Schon im ersten Satz des Romans wird mit dem Namen der wichtigsten Zeitung auf dem Mond der Charakter des irdischen Regiments auf dem Mond zum Aus­druck gebracht: Sie heißt Lunaja Prawda. Die Begriffe „Staat“ und „Sozialismus“ liegen für Heinlein offenbar nicht weit auseinander. Gegen die Gängelung durch die irdische Verwaltung begehrt nun eine Gruppe von Revolutionären auf. Mithilfe des Supercomputers Mike, der sämtliche Systeme der Mondkolonie kontrolliert, gelingt denn auch – kaum verwunderlich – der Umsturz. Dass Umstürze durch eine gut organisierte kleine Gruppe gelingen können, hat die Ge­schichte bereits hinlänglich bewiesen (als Vorbild hat Heinlein offenbar vor allem die russische Oktoberrevolution gedient). Dennoch hätte Heinlein die Dramatik des Geschehens durchaus steigern können; seine Revolution läuft viel zu glatt und problemlos ab. Dass die irdische Führung die Manipulationen von Mike nicht bemerkt, ist zudem ziemlich unglaubwürdig, ebenso, dass das Mondvolk einen Revolutionsführer akzeptiert, der immer nur auf einem Bildschirm zu sehen ist und zu allem Überfluss auch noch den Mond in seinem Namen „Adam Selene“ trägt.

 

Nachdem die Mondbewohner einen waghalsigen militärischen Schlagabtausch mit der Erde durchgestanden haben, erlangen sie schließlich die offizielle Anerkennung von der Erde als unabhängiger Staat. Die Waffe, die die Mond­be­woh­ner gegen die Erde einsetzen, ist die beste Idee in diesem Roman: ein Induktionskatapult, mit dem Mondgestein, das mit Stahl ummantelt ist, abgeschossen und auf die Erde geschleudert werden kann. Aufgrund der geringeren Schwerkraft des Mondes in unmittelbarer Nachbarschaft des stärkeren Schwerefeldes der Erde ist diese Methode frappierend plausibel. Die übrigen Zukunftsvisionen des Romans werden dagegen kaum ausgeformt. Man erfährt fast nichts über die unterirdischen Mondstädte, ihre Wohnebenen, ihre Korridore oder ihre Weizenfarmen. Die Szenerie wird nirgends plastisch vorstellbar geschildert – dabei sind es doch gerade die lunaren Städte, die der Leser in einem Mondroman „erleben“ will. Auch die Mondoberfläche, gegen Ende des Romans ab und zu Schauplatz, findet mit keinem einzigen beschreibenden oder ausschmückenden Wort Beachtung. Die übrigen Gadgets wirken indes rührend angestaubt (was man Heinlein allerdings nicht anlasten kann – Science-Fiction-Autoren sind keine Propheten, und ihr Job ist nicht die korrekte Vorhersage der Zukunft). So muss zum Beispiel Mike Befehle an einen anderen Computer auf Papier ausdrucken, da er nicht in der Lage ist, sie direkt zu übertragen, und Manuel muss diese dann manuell eingeben. Auch das kabelgebundene Telefonnetz lässt aus heutiger Sicht schmunzeln.

 

Unentschlossen präsentiert sich der Roman in seiner Tonart. In der ersten Hälfte ist er überaus humorvoll, sodass man sich beinahe in einer Science-Fiction-Persiflage wähnt. So fasst man am Anfang die Lunaja Prawda noch als Gag auf, und die Dialoge zwischen Manuel und Mike sind anfangs voller Humor und wirken wie eine drollige Parodie auf die denkenden, fühlenden und vor allem immer streng logisch argumentierenden Computer der Science-Fiction-Literatur. Dazu passen Heinleins knochentrockener Stil und seine immer raubeinigen, lakonischen Figuren. Doch je mehr im zweiten Drittel des Romans der Umsturz von den Revolutionären geplant und diskutiert wird, desto mehr drängen sich Heinleins ideologischen Diskurse in den Vordergrund, und der anfängliche Humor versandet zusehends. Das letzte Drittel ist dann von Action geprägt: Der Umsturz, der Konflikt und schließlich der Krieg mit der Erde. Der Roman endet damit, dass Manuel, Jahrzehnte nach dem Umsturz und inzwischen fast hundert Jahre alt, melancholisch zurückblickt und sich dazu entschließt, den Mond zu verlassen. Manuel will sich in einer neuen Kolonie im Asteroidengürtel nie­der­lassen. Der Mond ist inzwischen selbst zu sehr zu einem reglementierenden Staat geworden: Freiheit im Heinleinschen Sinne gibt es nur an der Frontier.

 

Der Mond ist eine herbe Geliebte ist ein flott zu lesender, recht kurzweiliger Roman, der jedoch kaum die Imagination anspricht und keinen besonderen Eindruck hinterlässt. Für meine Begriffe ein überschätztes Werk: Zu wenig ein Science-Fiction-Roman, zu sehr die Schilderung einer Revolution, die sich musterhaft wie in einem Reagenzglas voll­zieht.

 

Die Mondrevolution bald im Kino?

 

Im März 2015 vermeldete der Hollywood Reporter, dass die 20th Century Fox die Filmrechte an Der Mond ist eine herbe Geliebte gekauft hat und unter dem Titel Uprising verfilmen will, nachdem bereits zwei frühere Anläufe einer Verfilmung durch DreamWorks und Phoenix Pictures im Sande verlaufen waren. Für die Regie ist Bryan Singer (X-Men, Superman Returns, Operation Walküre) vorgesehen, das Drehbuch soll Marc Guggenheim schreiben, der bereits an den Drehbüchern zu Green Lantern (2011), Percy Jackson – Im Bann des Zyklopen (2013) und der TV-Serie Arrow (seit 2012) beteiligt war, und als Produzenten sollen Bryan Singer, Lloyd Braun und Thor Halvorssen verantwortlich zeich­nen. Es wird interessant sein zu sehen, wie der Film den Roman adaptieren wird. Gut möglich, dass Heinleins libertäre Grund­gedanken, sein unverhohlener Sozialdarwinismus und seine Skepsis jeglicher staatlicher Macht gegenüber ge­tilgt und das Ganze schlichtweg als ein heldenhaftes Revolutionsdrama gefasst werden wird. Das hinwiederum würde voraussetzen, das politische System der Erde noch weitaus grimmiger und totalitärer darzustellen, um den bewaff­ne­ten Aufstand auch gerechtfertigt aussehen zu lassen. Spekulation natürlich – es bleibt abzuwarten.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 24. April 2016