Raymond F. Jones: The Year When Stardust Fell

Science-Fiction-Roman. 1958 erschienen bei John C. Winston Company, Philadelphia in der Reihe Winston Science Fiction als Hardcover mit Schutzumschlag, 203 Seiten; Coverillustration von James Heugh.

 

Die bisher einzige deutsche Ausgabe erfolgte 1960 als stark gekürzter Heftroman unter dem Titel Sternenstaub (Untertitel: Alle Maschinen bleiben stehen) in der Reihe Utopia Großband, Nr. 124 (94 Seiten). Seit 2009 sind verschiedene Printing-On-Demand-Ausgaben des amerikanischen Originals erschienen, seit 2010 gibt es auch E-Book-Ausgaben. Vor­liegende, links abgebildete Reprint-Ausgabe wurde 2009 von Pulpville Press in Kalifornien unter Verwendung des originalen Covers der Winston-Ausgabe (Illustration von James Heugh) veröffentlicht. Taschenbuch, 208 Seiten.

 

Ein unbekannter Komet nähert sich und schiebt sich auf seiner Bahn zwischen Erde und Sonne, sodass der Planet einen Winter lang im Schweif des Kometen eingetaucht bleibt. Täglich, von seinem Auf- bis Untergang, leuchtet der Komet in unnatürlichem, kupfergoldenem Licht am Himmel. Auch in Mayfield, einer beschaulichen Collegestadt im Mittelwesten der USA, wird der Komet zunächst als Kuriosum am Himmel bestaunt, löst jedoch zunehmend auch ein mulmiges Unbehagen aus. Die älteste Frau der Stadt, die hundertjährige Granny Wicks, verkündet in den Straßen gar eine düstere Prophezeihung: Der Komet sei ein tödliches Omen; schon bald werde die Zivilisation untergehen und in Mayfield nicht einer von zehn Einwohnern den nächsten Frühling erleben.

 

Kurz darauf gehen die Motoren fast aller Autos in der Stadt kaputt. Über das Radio hört der 16-jährige Ken Maddox, Sohn des am College von Mayfield lehrenden Chemieprofessors und selbst begeisterter Hobby-Wissenschaftler, dass nicht nur in Mayfield, sondern weltweit sämtliche motorgetriebenen Fahrzeuge und Maschinen ausgefallen sind. In der Folge bricht die Versorgung mit Gütern und Energie komplett zusammen. Ken, sein Va­ter und die anderen Wissen­schaftler am College machen sich an die Erforschung des Problems und entdecken, dass der Kometenschweif Schuld am Fiasko ist: Die von ihm in die Erdatmosphäre eingebrachten feinen Staubteilchen, bestehend aus einem bisher unbekannten transuranischen Element, sind in die Oberflächen der beweglichen Maschinenteile eingedrungen und haben ihre Oberflächenspannung herabgesenkt; infolgedessen haben sich die aneinander reibenden Teile fest mitein­ander verschweißt.

 

Während die Wissenschaftler am College fieberhaft nach einer Möglichkeit forschen, den Kometenstaub zu neutrali­sieren, erfährt Ken über sein Hobbyfunkgerät, dass die Zivilisation vollends zusammengebrochen ist, überall Hungers­nöte wüten und mehrere Großstädte durch Aufstände und Plünderungen zerstört wurden. Die Bürger von Mayfield jedoch sind bestrebt, unter der Führung ihres Bürgermeisters Hilliard und ihres Sheriffs Johnson die kommunale Ord­nung und Versorgung aufrechtzuerhalten. Es gilt der Ausnahmezustand. Alle Nahrungsmittel werden konfisziert und gleichmäßig verteilt, und die Bürger werden zu überlebenswichtigen Aufgaben wie beispielsweise dem Bäumefällen und Holzhacken eingeteilt. Trotz großer Entbehrungen gelingt der Zusammenhalt. Eines Tages jedoch tauchen an den Stadtgrenzen Horden bewaffneter Ausgehungerter auf, die als plündernde Nomaden das Land durchstreifen. Mayfield muss einen blutigen Krieg gegen die Eindringlinge bestehen . . .

 

Gemeinsinn geht vor Eigensinn

 

Zwischen 1952 und 1961 veröffentlichte die John C. Winston Company unter dem Reihentitel Winston Science Fiction mehrere speziell für Kinder und Jugendliche geschriebene Romane (juvenile novels). Zu den Autoren der insgesamt 35 Bände zählten Größen wie Poul Anderson, Arthur C. Clarke, Ben Bova oder Lester del Rey. Die Bücher erschienen als gebundene Ausgaben mit fantasievollen Illustrationen auf den Schutzumschlägen, waren damals ein großer Erfolg und sind heute gesuchte, zu stolzen Preisen gehandelte Sammlerstücke.

 

The Year When Stardust Fell war nach Son of the Stars (1952) und Planet of Light (1953) der dritte und letzte Band, den Raymond F. Jones (1915–1994) in der Reihe veröffentlichte. Auch Stardust richtet sich unverkennbar an die Jugend, aber statt einer Abenteuerhandlung steht hier die moralische Erziehung im Mittelpunkt, die über eine exemplarische  Er­zählung vermittelt werden soll. Leider trägt Raymond F. Jones die Moral dabei derart dick auf, dass seine Figuren da­runter fast jegliche Glaubwürdigkeit verlieren.

 

Hauptfigur des Romans ist der 16-jährige Ken Maddox, der von Jones gleich in doppelter Hinsicht als ein fast über­menschliches Vorbild hingestellt wird. Zum einen ist Ken ein begeisterter Hobby-Wissenschaftler. Er ist der Vorsit­zen­de des Wissenschaftsklubs an seiner Schule und ein beneidenswert gut ausgestatteter Hobbyastronom: Ein perfektes 12-Zoll-Teleskop hat er sich selbst gebaut, und außerdem verfügt er sogar über ein eigenes Observatorium im heimi­schen Garten! Auch mit Radiotechnik kennt er sich aus, mit Autotechnik sowieso. Kens fester Wunsch ist es, später ein­mal selbst wie sein Vater ein Wissenschaftler zu werden. Er liebt es, mit seinem Vater oder mit seinen Mit­schülern im Klub wissenschaftliche Fragestellungen zu diskutieren und dann tatkräftig experi­mentell zu lösen. Das führt Ray­mond F. Jones in mehreren Szenen im Roman auch sehr schön aus, um auf diese Weise seinen jungen Lesern die Prin­zipien wissenschaftlichen Arbeitens, aber auch die Begeisterung dafür näher­zubringen.

 

Zum anderen strotzt Ken vor Gemeinsinn und ist den gesamten Roman hindurch mit begeistertem Feuereifer bereit, sich den erwachsenen Autoritäten unterzuordnen und all seine Kräfte in den Dienst der Gemeinschaft von Mayfield zu stellen. Er stellt als einziger in der Stadt den Amateurfunkkontakt zur Außenwelt und insbesondere zu den renommier­ten Universitäten von Berkeley und Pasadena her, um so den wissenschaftlichen Austausch seines Vaters mit anderen Kapazitäten zu ermöglichen. Er unterstützt seinen Vater tatkräftig bei der Lösung der Frage, warum alle Maschinen ausgefallen sind – bei der Feststellung der Ursache, bei der Suche nach einer Möglichkeit, die Metalle zu dekontami­nie­ren, und schließlich bei der Suche nach einer Methode, die Atmosphäre vom Kometenstaub wieder zu reinigen. Es ist vollkommen absurd, dass fast immer Ken selbst den zündenden Gedanken entwickelt, der zur Lösung all dieser Probleme führt, und damit nicht nur seinen Vater und dessen Mit­streiter am College, sondern auch sämtliche wissen­schaftlichen Koryphäen, die weltweit an denselben Problemen forschen, aussticht.

 

Hauptfigur in dem Roman ist jedoch auch, gewissermaßen, die Gemeinschaft von Mayfield. Jones schildert Mayfield als eine von vorbildlichem Bürgersinn erfüllte, idyllische Stadt inmitten eines verklärten ländlichen Panoramas – das süß­liche Gemälde des perfekten, provinziellen Fünfzigerjahre-Amerikas. An der Spitze dieser Gemeinschaft steht das mit nüchterner Vernunft gesegnete Dreigestirn von Bürgermeister, Sheriff und kirchlichem Priester. Ringsherum versinkt die Zivilisation in Anarchie und Chaos, brechen Hungersnöte und Aufstände aus, durchziehen Rotten von plündernden Hungerleidern die gebrandschatzten Städte und Ländereien, aber in Mayfield bleibt die Welt im Großen und Ganzen in Ordnung. Die Menschen handeln vernünftig, sie wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind, um den harten, tief verschneiten Winter ohne Maschinen, fast ganz ohne Strom und ohne überregionale Versorgung durchzustehen, und fügen sich ohne viel Aufhebens dem strengen Regiment des Ausnahmezustands, das der Bürgermeister und der She­riff durchsetzen.

 

Interessanterweise lässt Raymond F. Jones hier eine kommunale Zwangswirtschaft entstehen, in der alle Waren zen­tral gehortet und streng rationiert ausgegeben werden – eine eigentlich sehr unamerikanische, unfreie Form des Wirt­schaftens. Wenn diese unter den geschilderten Umständen durchaus vernünftig erscheint, so fragt sich doch, weshalb Jones nur den Bürgern seiner Musterstadt Mayfield zutraut, in dieser oder ähnlicher Art und Weise zusammenzuhalten – und nicht etwa der Nachbargemeinde Frederick, die erwähnt wird, oder noch anderen. Auch ist fraglich – wie übri­gens auch in zahlreichen Post-Doomsday-Filmen –, ob der Niedergang der Zivilisation und der Ausbruch des anarchi­schen Chaos wirklich so rasch und so verheerend eintreten würde, wenn die Menschheit Knall auf Fall auf eine vor­indus­trielle technische Stufe zurückfallen würde. Das Szenario scheint mir hier in seinen Konsequenzen zu schrill ausgemalt.

 

Nach und nach lässt Jones die Lebensbedingungen in Mayfield immer schwieriger werden, zieht sozusagen die Dau­menschrauben immer stärker an, um dann zu schildern, ob und wie es den Mayfieldern gelingt, eine zivilisierte und rational aufgeklärte Gemeinschaft zu bleiben. Denn genau darum geht es Jones in seinem Exempel, wie er selbst in seinem Vorwort in fast predigendem Ton sagt:

 

The Story of man is the story – endlessly repeated – of a struggle: Between light and darkness, between knowledge and igno­rance, between good and evil, between men who would build and men who would destroy. It is no more complicated than this. [ . . . ] This is the story of a small college town caught up in such disaster. How quickly do its people dispense with their men of science and turn to superstition and mob rule for hope of survival? (S. i und iii)

 

Hunger und eine schlimme Grippewelle raffen auch viele Mayfielder hinweg, und es gibt auch lautstarke Opposition gegen das Regiment des Bürgermeisters, verkörpert vor allem im Gemüsehändler Frank Meggs, gegen dessen illegale Wucherpreise Ken unerschrocken einschreitet, womit er sich einen ernsten Feind schafft. Als eine Horde ausgehun­gerter, aber gut bewaffneter und militärisch bestens organisierter „Nomaden“ in Mayfield einzumarschieren versucht, brennt Ken darauf, an den Kampfhandlungen teilzunehmen. Kens Vater adelt seinen Sohn, sehr amerikanisch, zum Mann, indem er ihm das Gewehr in die Hand drückt, damit dieser tut, „was getan werden muss“. Ken stürzt sich in den Häuserkampf, übernimmt unglaubwürdigerweise sofort das militärische Kommando über eine Gruppe erwachsener Kämpfer, und erschießt mehrere Nomaden, ohne dass ihn dies tiefer berührte. Der Angriff wird abgewehrt, doch viele weitere Mayfielder sind umgekommen, fast alle Lebensmittelvorräte wurden ein Raub der Flammen und ein Drittel der Stadt ist zerstört.

 

Schließlich richtet sich der Zorn gegen die Wissenschaftler, die bei den Lebensmittelzuteilungen unsinnigerweise bevorzugt worden waren. Unter der Führung der alten Granny Wicks, die Jones genüsslich zu einer rasenden Hexen­gestalt auf einem flammenumtosten Thron vor dem College stilisiert, randaliert eine Rotte aufgebrachter Mayfielder gegen das College, brandschatzt es und liefert sich eine tödliche Schlacht gegen die Truppen des Sherriffs. Die ver­zweifelte Lage hat die ausgezehrten, hungernden und demoralisierten Mayfielder fast in die Barbarei gestoßen – aber eben nur fast. Zu Beginn des Frühlings gelingt es den Wissenschaftlern endlich, das Problem des Kometenstaubs zu lösen und dieses Wissen per Funk auch im Rest der Welt zu verbreiten. Die Zivilisation erhält eine neue Chance.

 

In mindestens einem Detail scheint Jones ein logischer Fehler seiner Erzählung zu entgehen. So fragt sich, warum unter dem Vorzeichen des „Metallkrebses“, um es mal so zu nennen, bei dem aneinander reibende Metallflächen mit­einander fest verschmelzen, überhaupt noch die Schusswaffen funktionieren können, die in der Schlacht gegen die Nomaden reichhaltig eingesetzt werden. Und die Lösung, mit der am Ende die Atmosphäre vom Kometenstaub gereinigt wird – mittels riesiger, auf den Himmel gerichteter Ultraschallwerfer – wirkt arg naiv.

 

Der in einfacher Sprache gefasste, nüchtern erzählende Roman ist durchaus kurzweilig, mit Genuss zu lesen und hält die Spannung durchgängig hoch: Der Leser brennt bis zuletzt darauf zu erfahren, wie es mit Mayfield, der Welt und dem Problem des Kometenstaubs weitergeht. Die Figuren indes sind endweder reine Klischeegestalten oder vollkom­men unglaubwürdig gezeichnet – insbesondere Ken, das jugendliche Superhirn, das die Welt fast im Alleingang rettet. Kens Moral, sein Genie und seine Tatkraft, aber auch die rechtschaffene Haltung der meisten anderen Mayfielder wer­den allzu mustergültig dargestellt. Mit glaubwürdigeren Charakteren und subtileren Erzählmit­teln hätte der für die Wissenschaft und die Aufklärung fechtende Bildungsroman sein erzieherisches Ziel sicher wirkungsvoller erreichen können. Ein unauffälli­ges, eher schwächeres Werk von Raymond F. Jones.

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 8. Juli 2016