Larry Niven/Edward M. Lerner: Verrat der Welten

Betrayer of Worlds (2010). Science-Fiction-Roman. 2012 in deutsch im Bastei Lüb­be Verlag Köln erschienen (Bastei Lübbe Taschenbuch 20654). Übersetzung von Ulf Ritgen. 512 Seiten.

 

Louis Wu ist ein in der Galaxis viel gereister Abenteurer von der Erde, der be­reits 130 Jahre alt ist, dank der Verjün­gungsdroge Boosterspice allerdings noch immer so jung wirkt wie ein Zwanzigjähriger. 70 Jahre vor der Entdeckung der Ringwelt, im Jahre 2780, findet sich Louis Wu gehirngewaschen und unter fal­schem Namen Nathan Graynor auf dem von Menschen besiedelten Planeten Wunderland wieder. Von Partisanenkriegern zwangsrekrutiert, muss er in einem Bürgerkrieg gegen Wunderlands Aristokratie mitkämpfen. Eines Tages wird Louis Wu unerwarteterweise von Nessus kontaktiert, einem Angehörigen der hochent­wickelten außerirdischen Spezies der „Puppenspieler“. Nessus bie­tet Louis an, ihn von Wunderland fortzubringen, wenn im Gegenzug Louis einwilligt, Unterstüt­zung in einer wichtigen Mission zu leisten. Louis lässt sich auf das Abenteuer ein, und gemeinsam brechen beide mit Nessus’ Raumschiff auf.

 

Ziel der Reise ist die „Weltenflotte“, eine ringförmige Formation von fünf Puppenspieler-Planeten, die die Puppenspie­ler mittels gewaltiger Planetenantrie­be aus der galaktischen Ebene hinausschieben, um aus der Milchstraße auszu­wan­dern. Das Problem: Die Weltenflotte fühlt sich von der auf einem Eismond leben­den Spezies der Gw’oth bedroht, die jüngst die Fähigkeit der interstellaren Raum­fahrt erlernt und Kolonien in der Nähe der Weltenflotte gegründet hat. Louis Wu soll dabei helfen, einen möglicherweise bevorstehenden Angriff der Gw’oth auf die Weltenflotte abzuwen­den.

 

Noch bevor Nessus’ Schiff die Weltenflotte erreicht hat, trifft allerdings eine Hyperwellen-Nachricht ein, die Nessus’ Pläne ändert: Achilles, ein verfemter, extrem machtgieriger Politiker, der einst in der Puppenspieler-Regierung eine hohe Stellung inne gehabt hatte, ist ausgezogen, um eine digitale Bibliothek von einem Raumschiff der aggressiven Pak zu stehlen. Sein Ziel ist, das technologische Wissen der Pak militärisch gegen die Gw’oth zu verwenden, nach der Vernichtung der Gw’oth im Triumph zur Weltenflotte zurückzukehren und sich dann vom Puppenspieler-Volk zum neuen Machthaber küren zu lassen. Nessus ändert sei­nen Kurs und begibt sich auf die Suche nach Achilles. Er entdeckt den Artgenos­sen in einem Raumanzug schwebend inmitten der Trümmer seines Raumschiffs, das von den Pak zerstört wurde, und bringt ihn zurück zur Weltenflotte, wo Achil­les verurteilt und ins Gefängnis gesteckt wird. Doch Achilles hat in den Schaltzen­tralen der Macht noch zahlreiche geheime Gefolgsleute, sodass ihm bald die Flucht gelingt. Kaum wieder frei, versucht er, die in der Nähe der Weltenflotte fahrende Gw’oth-Armada von Kriegsschiffen anzugreifen und auszulöschen. Dass die Gw’oth gar nicht die Absicht haben, die Weltenflotte zu bedrohen, sondern auf dem Weg zu einer ihrer Kolonien sind, stört Achilles dabei nicht. Können Nessus und Louis Wu den gerissenen Kriegstreiber und Agitator noch aufhalten?

 

Die Puppenspieler im Fadenkreuz

 

Verrat der Welten ist ein weiterer Roman aus dem „Ringwelt-Universum“ des kali­fornischen Bestsellerautors Larry Ni­ven (geb. 1938), das inzwischen auf zahlreiche Bände und Kurzgeschichten angewachsen ist. Nach Die Flotte der Pup­penspieler (2007), Weltenwandler (2008) und Der Krieg der Puppenspieler (2009) ist der Ro­man das vierte Werk, das sich innerhalb des Ringwelt-Universums mit der Ge­schichte der Puppenspieler und ihrer Weltenflotte auseinander­setzt, gefolgt von Das Schicksal der Ringwelt (2012), und wie die anderen vier Bände ist es in Ko-Autorenschaft mit Edward M. Lerner entstanden.

 

Es ist schon erstaunlich, aber wann immer ich als ein leidenschaftlicher Fan der Ringwelt-Romane Neuigkeiten von Louis Wu und dem Puppenspieler Nessus zu lesen bekomme, wann immer Louis erneut wieder tanj! fluchen darf oder Nessus sich erstaunt mit seinen zwei Köpfen selbst in die Augen blickt, bin ich wie elektrisiert, und es stellt sich eine gespannte Erwartungshaltung ein: Diese beiden sympathischen Sternenfahrer sind mir über die Jahre doch ziemlich eng ans Herz gewachsen. Gottlob enttäuscht Verrat der Welten die Vorfreude nicht: Der Roman ist ein ähnlich leicht­füßiges Weltraum-Action-Abenteuer wie Ringwelt (1970) selbst, jenes unangefochtene Meisterwerk Larry Nivens, das einst den Grundstein für den Ringwelt-Mythos legte: kurzweilig, schwungvoll und garniert mit jeder Menge lakoni­schem Humor. Mit der lichten, positiven Stimmung des Romans schwimmen Niven und Lerner unbeirrt gegen den Strom des aktuellen, düsteren Science-Fiction-Trends. Zynischer Cyberpunk würde wohl auch nicht zum Ring­welt-Universum passen, obwohl es auch hier um dramatische militärische Span­nungen geht, die beinahe zur Ausrottung ganzer Zivilisationen führen.

 

Freilich, faszinierende neue Ideen, etwa fantastische neue Technologien oder kosmische Artefakte ähnlich der Ring­welt, wird der erfahrene Larry-Niven-Leser hier nicht geboten bekommen. Insofern präsentiert sich der Roman als über­raschungsarm, hingegen Lesern, die nicht mit dem Ringwelt-Universum vertraut sind, viele Hintergründe der Geschichte unklar bleiben werden. Das Ringwelt-Universum scheint längst im trivialen Serienprinzip einer Heftroman­reihe ange­kommen zu sein, wo es in ähnlicher Weise nur noch um die unterhaltsame Varia­tion der bekannten Zutaten und die fortschreitende Ausgestaltung einer epischen Geschichte geht. Ob man sich daran stoßen möchte oder nicht, muss der Leser für sich entscheiden. Wer sich die abenteuerlich-bunte, charmante und actiongela­dene Welt des Ring­welt-Universums verliebt hat, wird allerdings auch mit Verrat der Welten seine Freude haben, denn das altbewährte Rezept funktioniert immer noch sehr gut – auch ohne bestechende neue Ideen.

 

Stepperscheiben, Stasisfelder, durchsichtige General-Products-Raumschiff­zellen, die – schwupps! – in den Hyperraum schlüpfen und unvermittelt wieder auftauchen, Planetenantriebe, die Weltenflotte, die kriegerischen Pak, die ängst­lichen und manipulativen Puppenspieler, der menschenfreundliche Nessus und der drogenabhängige, draufgängeri­sche Louis Wu – die bewährten Zutaten sind alle da. Aus ihnen zaubern Niven und Lerner ein neues, leicht bekömm­liches Abenteuer.

 

Der allzu profane Plot dreht sich dabei ganz um eine politische Krise und einen verschwörerischen Machtkampf in der Weltenflotte, bei dem sich Achilles, um dem Namen seiner Spezies alle Ehre zu geben, ein weiteres Mal als galak­ti­scher Puppenspieler betätigt und einen Konflikt unter den Gw’oth einfädelt, um Hinterster der Weltenflotte zu wer­den. Das wird flott und wendungsreich erzählt, hakelt aber auch hin und wieder mit Unglaubwürdigkeiten. So er­scheint es doch recht salopp fabuliert, dass die Gw’oth den Hyperraum-Antrieb mal so eben „nacherfunden“ haben sollen, nur weil sie für kurze Zeit in einem Glastank an Bord einer General-Products-Zelle geholt worden waren, wo sie den Antrieb dieser Zelle heimlich studieren konnten. Immerhin ist dies ein zentraler Kniff der Story, denn erst die von den Gw’oth neu erworbene Fähigkeit der Raumfahrt eröffnet Achilles die Möglichkeit, seine intrigante Kriegstreiberei ins Werk zu setzen. Auch lassen sich die in einem eisigen Ozean lebenden, wie Seesterne aussehenden Gw’oth nur schwerlich als Erbauer und Piloten von Raumschiffen vorstellen.

 

Schwach wirkt schließlich der Showdown des Romans. Nicht nur, dass Louis Wu da nur noch eine unwichtige Neben­rolle bekleidet und das Handeln fast ganz auf Ol’t’ro übergeht, dem superintelligenten Zusammenschluss von 16 Ein­zel-Gw’oth zu einer denkenden Einheit und Anführer der Gw’oth-Kolonie Kl’to. Vor allem gelingen Ol’t’ro die militäri­schen Siege über die verfeindete Heimatwelt der Gw’oth, Jm’ho, und über Achilles viel zu glatt, und auch Ol’t’ros an­schließen­der Staatsstreich in der Weltenflotte, bei dem Achilles zu Ol’t’ros Marionette im Hintersten-Amt degradiert wird, scheint nur ein Kinderspiel zu sein. Dem Leser bleibt außerdem unklar, weshalb Ol’t’ro überhaupt die Macht in der Weltenflotte übernehmen will. Dass am Ende auf Louis Wu ein Kopfgeld ausgesetzt wird, Nes­sus ihm deshalb erneut alle Erinnerungen an das erlebte Abenteuer löscht und ihn mit einem kleinen Einmann-Raumschiff irgendwo im Weltall fernab der Welten­flotte aussetzt, ist nicht minder unbefriedigend, aber natürlich dem erzähltech­nischen Um­stand geschuldet, dass dieser Roman möglichst frei von Widersprü­chen in die bestehende Chronologie des Ringwelt-Universums eingepasst werden musste – und in Ringwelt kennt Louis Wu anfangs weder Nessus noch die Welten­flotte.

 

Nichts Neues also in der Welt der Menschen, Puppenspieler, Pak und Gw’oth; stattdessen konventionelle, leicht alt­backen und trivial wirkende Aben­teuerkost. Ringwelt-Fans werden dennoch mit dem unterhaltsamen Schmöker ihre Freude haben.

 

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 6. Dezember 2017