Larry Niven: Ein Mord auf dem Mond

Buchcover von "Ein Mord auf dem Mond" (The Patchwork Girl, 1980) von Larry Niven; Bastei-Lübbe-Verlag 1983

The Patchwork Girl (1980). Science-Fiction-Roman. In Deutsch 1983 im Bastei-Lübbe-Verlag (Bergisch-Gladbach) in der Reihe Science Fiction-Abenteuer (Band 23028) erschienen. Deutsche Übersetzung von Jürgen Martschin. Coverillustration von Celal Kandemiroglu. Taschenbuch, 144 Seiten.

 

Gil Hamilton, Detektiv der Polizei der „Vereinigten Distrikt-Miliz“ – der Polizei der Vereinten Nationen – wird im Jahre 2126 nach Hovestraydt City auf den Mond geschickt. Als Delegierter der VDM soll er an einer Konferenz teilnehmen, die im Einvernehmen mit der Erde und dem Asteroidengürtel das Strafrecht des Mondes neu regeln soll. Gleichzeitig hofft er, ein paar schöne Stunden mit seiner Freundin Taffy verbringen zu können, die vor geraumer Zeit auf den Mond geflogen ist, um dort als Chirurgin zu arbeiten. In Hovestraydt City trifft Hamilton unverhofft auf seine große Liebe Naomi Mitchison, die ihm einst vor vielen Jahren das Herz gebrochen hatte.

 

Kurz darauf wird auf Chris Penzler, einem der Delegierten vom Asteroidengürtel, ein Mordanschlag verübt: Ein Laser­strahl trifft ihn durch das Fenster seiner Unterkunft auf der Brust, doch Penzler überlebt den Anschlag und kann von den erlittenen Verbrennungen wieder geheilt werden. Penzler sagt aus, dass er draußen auf der Mondoberfläche sche­menhaft den Attentäter erkennen konnte. Die von Hamilton und der lokalen Polizei angestrengten Nachforschungen ergeben, dass sich zur fraglichen Zeit nur eine Person außerhalb der Stadt aufgehalten hatte: Naomi Mitchison. Naomi bestreitet zwar, auf Penzer geschossen zu haben, gibt aber zu, sich in dem fraglichen Gebiet vor Penzers Fenster auf­gehalten zu haben. Ein zügiger Indizienprozess verurteilt Naomi rasch zum Tode. Naomi wird für sechs Monate in einer Gefrierkammer in Stasis versetzt und soll nach Ablauf dieser Frist – sofern keine neuen, entlastenden Beweise auftau­chen – für eine der Organbanken seziert und verwertet werden, die bereits seit über hundert Jahren als Abnehmer rechtskräftig zum Tode verurteilter Straftäter fungieren. Gil Hamilton jedoch hat Zweifel an Naomis Schuld – und er­mittelt weiter . . .

 

Ein belangloser Krimi auf dem Mond

 

Dass Larry Niven (geb. 1938) neben der Science-Fiction auch ein Faible für Detektiv­geschichten hat, bewies er schon früh in seiner Karriere in Erzählungen wie beispielsweise Tausend Wege des Alls (1968). Mit dem interplanetaren Po­lizeidetektiv Gil Hamilton schuf Niven 1969 eine Figur, die er in fünf verschiedenen Erzählungen und Kurzromanen ver­wendete, die im Universum des sogenannten Known Space bzw. dem „Ringwelt-Universum“ angesiedelt sind. Ein Mord auf dem Mond (1980) ist die längste dieser Geschichten und die einzige, die nicht in SF-Magazinen oder Antho­logien, sondern als eigenständiger Roman erschien. Alle fünf Erzählungen hat Bastei-Lübbe inzwischen auch im Sam­melband Flatlander (1999) veröffentlicht.

 

In Ein Mord auf dem Mond fabuliert Larry Niven eine durchschnittliche, nur mäßig fesselnde Detektivgeschichte, deren Prämissen aber immerhin eng mit dem Science-Fiction-Setting auf dem Mond verknüpft sind, sodass die Genrebe­zeichnung „Science-Fiction“ durchaus noch durchgeht. So scheint der Mordanschlag per Laserstrahl auf den Belter-Delegierten Chris Penzler von der Mondoberfläche ausgeführt worden zu sein, und die Spurensuche dort lässt Gil Ha­milton bald an der Schuld von Naomi Mitchison zweifeln. Ein springender Punkt der Handlung stellt Hamiltons Phan­tom-Arm dar: Seit er einen seiner gewachsenen Arme eingebüßt hat, verfügt er wundersamerweise über eine Art telekinetischen virtuellen Arm, der durch feste Gegenstände hindurch fassen und weit entfernte Dinge befühlen und bewegen kann. Absurd: Sogar in einer holografischen 3-D-Projektion von Hovestraidt Citys Umgebung ist Hamilton in der Lage, mit seinem Phantom-Arm die realen Felsen, Krater und Staubseen zu befühlen und nach Spuren zu suchen, die sich vor der Stadt finden mögen – ein völlig abgedrehtes und nicht sehr überzeugendes Sci-Fi-Konzept.

 

In die Story integriert Niven einige interessante Details über die Gesellschaft der „Lunies“, der Mondbewohner. So ha­ben sie eine sehr strikte Sexualmoral und – aus nicht ganz erfindlichen Gründen – eine seltsame Eile damit, Straftäter rasch zu verurteilen. Auch die politischen Gegensätze zwischen der Erde, dem Mond und der Gesellschaft der „Belter“ im Asteroidengürtel, die auch in anderen Larry-Niven-Erzählungen zum Tragen kommen, spielen in dem Kurzroman eine Rolle. Zwei Lieblingsthemen in Nivens frühem Known Space sind auch hier besonders prominent: Der enorme Hunger der irdischen Organbanken nach Nachschub, der dazu geführt hat, dass Menschen schon wegen Lappalien zum Tode verurteilt und dann wegen ihrer Organe ausgeweidet werden, sowie die Geburtenkontrolle, die wegen der Überbevölkerung notwendig wurde und jedem Erdling nur ein einziges Geburtsrecht zugesteht.

 

Alles in allem ist jedoch Ein Mord auf dem Mond eine ziemlich fade und enttäuschend schwache Erzählung. Sie ist eine als Sci-Fi herausgeputzte, klischeehafte Detektivgeschichte im Noir-Stil – so ist sie in erster Person aus der Sicht von Gil Hamilton erzählt –, deren Figuren einschließlich der Hauptfigur Hamilton leider völlig blass und schablonenhaft bleiben. Und die Auflösung des Rätsels ist ausgesprochen schwach, die Erzählung hat keinen Höhepunkt vorzuweisen. Insofern kann Ein Mord auf dem Mond allenfalls Niven- oder Known Space-Komplettisten empfohlen werden. Immer­hin liest sich die Story sehr flott herunter.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 29. März 2019