Von Kellar: Invasion aus dem Weltraum

Science-Fiction-Roman. Die englische Originalausgabe Tri-Planet erschien unter dem Pseudonym „Von Kellar“ als Paperback bei Curtis Warren Publishers, Lon­don 1953. Deutsche Übersetzung von Walter Ernsting (stark gekürzt). Utopia Groß­band Nr. 1 (Erich Pabel Verlag Rastatt, März 1954). Broschiert, 98 Seiten. Cover­malerei von Gordon Davies.

 

Im Jahre 2115 wird die Erde von einem mächtigen Strahl radioaktiver Energie getroffen. In den bestrahlten Gebieten bricht eine tödliche Krankheit aus, die die Haut grün verfärbt. Millionen Menschen sterben, weltweite Panik und Auf­stände sind die Folge. Der Weltpräsident van Koff sieht die Erde gezielt aus dem All angegriffen und ernennt Captain Roc French, den Chef der Weltpolizei, zum ersten Kriegsminister seit über 50 Jahren. French veranlasst sofort den Bau von Kriegsraumschiffen, denn wie er richtig voraussieht, nähert sich bald nach der Attacke mit dem Energiestrahl eine gewaltige außerirdische Raumflotte der Erde.

 

Die Abwehrschlachten im All verlaufen katastrophal, und die angreifende Flotte erreicht die Erde. Die außerirdischen Schiffe vernichten mit ihren Strah­lengeschützen gnadenlos ganze Großstädte. Inmitten der schweren Kampfhand­lun­gen lässt French sechs Schlachtkreuzer bauen, mit denen er binnen neun Wochen zum Planetensystem des 18 Licht­jahe entfernten Beta Capella fliegen will, wo die Quelle des radioaktiven Energiestrahls vermutet wird. French will die Hei­matwelt der Angreifer mit Solarbomben auslöschen, doch die Regierung und die Bevölkerung sieht in Frenchs Plan nur einen feigen Versuch, sich vor den Gefech­ten im irdischen Luftraum zu drücken. Trotz der Proteste bricht French auf. Ein technischer Defekt sorgt allerdings dafür, dass die Schiffe schon kurz nach dem Abflug für Reparaturarbeiten auf dem Merkur zwischenlanden müssen – eine heikle Situation, da die Merkurianer, eine eigenständige Spezies, seit Langem mit der Menschheit verfeindet sind . . .

 

Trivialliterarischer Amoklauf

 

Ein schreiend dummer, extrem schlecht heruntergeschriebener Heftroman. Seine zumeist aus markigen Dialogen be­stehende Sprache ist jämmerlich dürftig, seine gehetzte Handlung ist lächerlich absurd und seine stahlharten, ent­schlossenen Figuren sind leblose, grell überzeichnete Klischees. Die Erzählung schrillt von der ersten Seite an in irrwit­zig hysterischem Tone: Da droht innerhalb weniger Stunden (!) der Vernichtungsangriff der Außerirdischen, und so wird noch inner­halb dieser knappen Frist mir nichts, dir nichts der Bau einer Verteidigungsflotte beschlossen, befohlen und auch ausgeführt! Gleichzeitig werden Zigtausende von Menschen zum Mars evakuiert und alle industriellen Kräfte weltweit für den Ver­teidigungskrieg eingespannt. Zähneknirschen, angespannte Kinnmuskeln, ent­schlossene Blicke, titanisch-heroische Militärs, die kühne Entschlüsse gegen ver­weichlichte Politiker durchsetzen, und wenn es sein muss, auch eigenmächtig – alle plärrenden Register schundiger Kriegsromanheftchen werden gezogen, dass es nur so schmerzt. Fragwürdig auch die schrille Radikalität, die hier als unvermeidlich hingestellt wird: Noch ohne irgendetwas über den Feind zu wissen oder überhaupt Kontakt mit ihm aufgenommen zu haben, beschließt die Weltregierung be­reits, die Heimatwelt des Angreifers ohne Vorwarnung mit Atombomben komplett auszuradieren. Sehr verschwom­men und widersprüchlich wird der Hintergrund dieser faschistisch anmutenden Welt von morgen an­gedeutet: Es herrscht mit fünf Milliarden Menschen Überbevölkerung und Nah­rungsmittelknappheit – rückblickend eine drollige Prognose –, gleichwohl gibt es „keine Kapitalisten, Kommunisten oder ,kalten Kriege‘ mehr, sondern nur noch – Men­schen“ (S. 21) – sozusagen die „Volksgemeinschaft“ von morgen. Der Krieg soll einerseits seit Gründung des Weltstaats vor 100 Jahren abgeschafft worden sein, weshalb es auch schon seit Langem kein Kriegsministerium mehr gibt, den-noch ist von einem Krieg im Jahre 2070 in den Wolken der Venus die Rede, den kurioserweise „die Deutschen“ gewon­nen haben sollen (S. 16; die deutschen Lorbeeren, die hier in gewisser Weise wohl für die Schmach des verlorenen Zweiten Weltkriegs entschä­digen sollen, sind gewiss vom Übersetzer Walter Ernsting hinzugedichtet worden). An an­derer Stelle wird ein „Plutonischer Krieg“ erwähnt, in dem Roc French selbst gekämpft haben soll (S. 20), der also noch jüngeren Datums sein muss.

 

Wenn dann die schlanken, zigarrenförmigen Raumschiffe der Außerirdi­schen in uferlosen Schwärmen über die Groß­städte der Erde hinwegfliegen und sie mit Energiestrahlen dem Erdboden gleich machen, die Menschen sich mit unter­tassenförmigen Fliegern im Luftkampf verteidigen und vor allem New York mit dem Hauptquartier des Kriegsministe­riums hart umkämpft wird, fühlt man sich in eine Fünfzigerjahre-Version von H. G. Wells’ Krieg der Welten (1897) ver­setzt. Selbst die Piloten der angreifenden Schiffe – gezüchtete, lebendige Roboter, die aussehen wie große, weißlich leuchtende Spinnen – haben mit ihren langen, flexi­blen Tentakelbeinen und ihrer Vorliebe für Blut, das sie den menschlichen Opfern aussaugen, eine entfernte Ähnlichkeit mit Wells’ Aliens. Die Spinnen sind prak­tisch unzerstörbar. Originell, aber auch doof ist schließlich das Mittel, das gegen sie gefunden wird: schnell erhärtender, aus Spritzen ab­gefeuerter Flüssigzement.

 

Später auf dem Merkur wird der Melange noch ein Schuss Flash Gordon beigemischt, wenn der Herrscher der Merku­rianer, Ka Tak, in seinem Thronsaal das hübsche Mädchen Vanid Leroux gefangen hält, und Roc French es aus seinen Klauen befreien muss. Die Merkurianer – humanoide Gestalten mit nur einem Auge und Schnäbeln (S. 79f.) – sind ein kurioses Volk, denn wie die Evolution sie auf dem siedend heißen Merkur hervorbringen konnte, bleibt der überstrapa­zier­ten Fantasie des Lesers überlassen.

 

Invasion aus dem Weltraum ist die erste Ausgabe der erfolgreichen Roman­heftreihe Utopia Großband, die es von 1954 bis 1963 auf insgesamt 204 Nummern brachte. Wenn es auch zutrifft, dass in der Großband-Reihe wie in der Stamm­reihe Utopia „der Hauptanteil der Veröffentlichungen zum Bodensatz der Science-Fic­tion zählt“, wie Hans Joachim Alpers, Werner Fuchs, Ronald M. Hahn und Wolf­gang Jeschke in ihrem Lexikon der Science Fiction Literatur feststellen (S. 1070), und „katastrophale Übersetzungen zudem noch drittklassiger ausländischer SF-Schreiber“ die Regel waren, so haben doch eine Menge der flott erzählten Aben­teuerhandlungen bis heute einen anspruchslos-naiven Unterhal­tungswert zu bie­ten. Das gilt für dieses erste Heft leider nicht.

 

Übersetzt und bearbeitet wurde es von Walter „Clark Darlton“ Ernsting (1920–2005), der 1961 zusammen mit Karl-Her­bert Scheer (1928–1991) die Perry Rhodan-Heftromanreihe erfand und sich hier als Übersetzer und Redakteur der neu gegründeten Utopia Groß­band-Reihe seine ersten trivialliterarischen Meriten verdiente. Ernsting hat den Roman nicht nur stark gekürzt, sondern sehr wahrscheinlich auch in größerem Umfang umgeschrieben. Der Originalroman Tri-Planet erschien 1953 bei Curtis Warren, einem Londoner Verlag für billige Genre-Paperbacks, der in der kurzen Spanne seiner Existenz von 1948 bis 1954 um die 500 Romane, davon knapp 100 Science-Fiction-Romane, veröffentlichte. Tri-Planet ist mit 159 Seiten gut 40 % umfangreicher als der Utopia Großband; sein Autor ist bis heute unbekannt, denn „Von Kel­lar“ war nur eines von mehreren verlagseigenen Pseudonymen, unter de­nen Curtis Warren scheinbar regellos verschie­dene Autoren schreiben ließ. Unter dem Namen „Von Kellar“ erschien bei Curtis Warren nur noch ein weiterer Ro­man, Ionic Barrier (1953), für den laut der Encyclopedia of Science Fiction der Engländer Denis Hughes (1917–2008) als Autor identifiziert werden konnte. Es bleibt allerdings ungewiss, ob Hughes auch Tri-Planet verfasst hat. In Ernstings Invasion aus dem Weltraum gibt es keinen noch so geringen Hinweis darauf, was der Originaltitel Tri-Planet meinen könnte (naheliegend wäre vielleicht die Bedeu­tung „Erde“ als der dritte Planet des Sonnensystems), was ein weiterer Hinweis darauf sein könnte, dass Ernsting stark in den Originaltext eingegriffen hat. Ich verspüre allerdings keine große Lust, mir nach der spröden Lektüre der deutschen Ausgabe nun auch das – antiquarisch nur sehr kostspielig zu erstehende – englische Original zu beschaffen, sodass ein direkter Vergleich beider Texte auf einen späteren Rezensenten zu warten hat. Er wird viel Herzblut für die selbst­kasteiende Aufgabe mitbringen müssen.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 28. November 2018