Ex Machina

Bluray-Cover zu dem Film "Ex Machina" (GB 2015) von Alex Garland

Ex Machina (GB 2015)

 

Regie und Drehbuch: Alex Garland

Kamera: Rob Hardy

Schnitt: Mark Day

Musik: Geoff Barrow und Ben Salisbury

Produktionsdesign: Mark Digby

Bühnenbild: Katrina Mackay und Denis Schnegg

Darsteller: Alicia Vikander (Ava), Oscar Isaac (Nathan), Domhnall Gleeson (Caleb), Sonoya Mizuno (Kyoko), Corey Johnson (Jay) u. a. Produzenten: Andrew MacDonald und Allon Reich

Companies: Universal Pictures International; Film4; DNA Films

Laufzeit: 108 Minuten; Farbe

Premiere: 21. Januar 2015 (GB); 10. April 2015 (USA); 23. April 2015 (Deutschland)

 

Der 26-jährige Programmierer Caleb arbeitet in New York bei der marktbeherrschenden Internet-Suchmaschine Blue­book. Eines Tages gewinnt er bei einer firmeninternen Lotterie den Hauptgewinn: eine Woche gemeinsam mit dem hochintelligenten Firmengründer von Bluebook, Nathan. Der milliardenschwere und exzentrische Internetmogul, der nur wenig älter ist als Caleb, empfängt seinen etwas gehemmten Angestellten in seinem einsamen, luxuriösen High-Tech-Refugium, das sich fernab jeder Zivilisation in einer wilden Berglandschaft befindet. Obwohl Nathan von Caleb sofort eine ungezwungene Atmosphäre wie zwischen Bier trinkenden Kumpels einfordert, fühlt sich Caleb in der Nähe des kraftstrotzenden, dominanten Nathan ungehaglich.

 

Nathan klärt Caleb darüber auf, weshalb er ihn zu sich kommen ließ. In seinem halb unterirdischen Domizil, das zu­gleich eine geheime, hoch gesicherte Forschungseinrichtung ist, hat Nathan eine künstliche Intelligenz geschaffen, der er die Gestalt eines attraktiven, weiblichen Roboters gegeben und die er „Ava“ getauft hat. Caleb soll in seiner Woche bei Nathan mit Ava einen Turingtest durchführen, um den Nachweis zu erbringen, dass Ava nicht nur programmierte kognitive Fähigkeiten, sondern tatsächlich auch ein frei bewegliches, lebendiges Bewusstsein besitzt. Durch einen gläsernen Würfel von Ava getrennt und dabei von Kameras und Mikrofonen beobachtet, unterhält sich Caleb in meh­reren Sitzungen mit Ava und ist von Anfang an fasziniert von dem schönen und unschuldig-zerbrechlich wirkenden künstli­chen Wesen. Er diskutiert mit Nathan über die Ergebnisse dieser Gespräche, und Nathan ermutigt Caleb und fordert ihn dazu auf, in den Tests alle Theorien beiseite zu lassen und sich mehr auf sein Gefühl zu verlassen. Ava hin­ge­gen scheint zunehmend Sympathie zu Caleb zu entwickeln – den ersten Mann, den sie, abgesehen von ihrem Schöp­fer Nathan, je gesehen hat. In den Gesprächen mit Caleb dreht sie den Spieß um und stellt Caleb persönliche Fragen, weil sie, wie sie sagt, mehr über ihn erfahren und seine Freundin werden will.

 

Als Nathan eines Tages erwähnt, dass Ava nur ein Prototyp in einer Reihe von Entwicklungsstufen ist und er ihr Be­wusstsein schon bald für ein verbessertes Nachfolgemodell löschen will, ist Caleb alarmiert. In einer weiteren Test-Sitzung fragt Ava Caleb, weshalb sie überhaupt einem Test unterzogen werden muss, den sie zu bestehen hat, und was mit ihr geschehen wird, wenn sie den Anforderungen nicht mehr genügen sollte. Caleb, inzwischen voll und ganz von Avas Bewusstsein überzeugt, verspricht daraufhin Ava, Nathan zu überlisten, um gemeinsam mit ihr zu fliehen. Doch dieser Plan erweist sich als gefährlich . . .

 

Ein großartiges Science-Fiction-Kammerspiel

 

Der englische Schriftsteller und Drehbuchautor Alex Garland (geb. 1970) hat in seinen Arbeiten schon oft in packender Weise die dramatischen Spannungen in abgeschlossenen, aus der Welt entrückten Gruppen ausgelotet. Das gilt für seinen Debutroman The Beach (1996), den Danny Boyle vier Jahre später mit einem Drehbuch von Garland verfilmte, ebenso wie für Garlands brillante Drehbücher für Danny Boyles Zombie- bzw. Science-Fiction-Filme 28 Days Later (2002) und Sunshine (2007). Garlands Karriere als Autor cleverer Science-Fiction setzte sich fort mit einer Drehbuch-Adaption für Mark Romaneks Alles, was wir geben mussten (2010) und seinem Drehbuch für Pete Travis’ Comicver­filmung Dredd (2012). Mit Ex Machina, bei dem Garland nicht nur das Drehbuch schrieb, sondern auch zum ersten Mal selbst Regie führte, gelang dem Debütanten auf Anhieb ein grandioses, klaustrophobisches Kammerspiel – der viel­leicht intelligenteste, vielschichtigste und faszinierendste Beitrag, der bisher je im Kino zum Thema künstlicher Intel­ligenz geleistet wurde. Sein Film wurde bei den Oscar-Verleihungen 2016 in der Kategorie „beste viesuelle Effekte“ ausgezeichnet und erlangte in der Kategorie „Bestes Originaldrehbuch“ eine Nominierung.

Szenenfoto aus dem Film "Ex Machina" (GB 2015) von Alex Garland; Domhnall Gleeson und Oscar Isaac
Caleb (Domhnall Gleeson) wird von Nathan (Oscar Isaac) in seinem abgeschiedenen Refugium empfangen

Ex Machina wurde für läppische 11 Millionen Dollar in den urwüchsigen Naturkulissen Norwegens und in den Pine­wood-Studios bei London gedreht. Der Film ist konsequent minimalistisch aufgebaut: Es gibt nur vier Prota­gonisten, von denen Kyoko (Sonoya Mizuno) noch nicht einmal spricht, und eine einzige Location, das antiseptische, stylishe Refugium Nathans, das allerdings sehr organisch in die Kulisse der wilden Berglandschaft mit ihren Wäl­dern, rauschen­den Flüssen und Gletschern eingebettet ist.

 

Von Beginn an entwickelt Garland eine zunehmend unheimliche Atmosphäre. Caleb wird von einem Helikopter im Nirgend­wo abgesetzt und muss den Rest des Weges durch die Wildnis zu Fuß zurücklegen. Der junge Programmierer gelangt schließlich zu einer sich automatisch öffnenden Tür, die ihm Einlass in Nathans hochgesi­chertes Haus gewährt. Von Nebeln umwaberte, schroffe Berggipfel schließen dieses Haus komplett von der Außen­welt ab. Unweigerlich fühlt man sich an die unheimliche Reise des ehrlichen Maklers zum schauerlichen Karpaten­schloss in Bram Stokers Dracula (1897) bzw. Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu (1922) erinnert. Ähnlich ferne und unzugängli­che Refugien des Bösen begegnen auch in Jules Vernes 20.000 Meilen unter dem Meer (1869) und vor allem in H. G. Wells’  Die Insel des Dr. Mo­reau (1896). Mit letzterem Roman ergeben sich nicht nur motivisch, sondern auch inhaltlich recht starke Referenzen. Natürlich steckt auch eine gehörige Portion des alten Frankenstein-Mythos in Ex Machina. Und zuguterletzt enthält der Film auch deutliche Fingerzeige auf Shakespeares Theaterstück Der Sturm (ca. 1611) – adaptiert in Fred M. Wilcox Science-Fiction-Film Alarm im Weltall (1956) –, wo der Magier Prospero auf einer fernen, einsamen Insel mit seiner Tochter Miranda lebt, die noch nie einen anderen Mann als ihren Vater gesehen hat. Avas isolierte Existenz bei ihrem Schöpfer Nathan und ihre Begegnung mit Caleb („Du bist der erste Mann, der ihr begeg­net ist außer mir“, sagt Nathan, „und ich bin quasi ihr Dad“) kann dafür herangezogen werden, aber auch Calebs Name selbst – der wohl nicht nur auf seine hebräische Bedeutung „treu, von ganzem Herzen“, sondern auch auf die Figur des Caliban in Der Sturm verweist, ein buckliger Sklave Prosperos, der sich bald gegen seinen Herrn verschwört.

 

Wenn schließlich Caleb, kaum dass er angekommen ist, von Nathan die Verlockung großartigen Wissens angeboten bekommt, er dafür aber eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterschreiben muss, die radikal überwacht wird, ist der faustische Pakt mit dem Teufel perfekt. Freiwillig kerkert sich Caleb für Nathans Turingtest in einem unter­irdischen, fensterlosen Zimmer und in den klinischen Gängen von Nathans Labor aus Glas und Stahl ein – ohne eine Möglichkeit, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen.

Szenenfoto aus dem Film "Ex Machina" (GB 2015) von Alex Garland; Alicia Vikander als Ava
Ava (Alicia Vikander) ist eine faszinierende, künstlich geschaffene Frau, der Caleb zusehends verfällt

Die Darsteller agieren großartig. Oscar Isaac (geb. 1979), der zuletzt in X-Men: Apocalypse (2016), Suburbicon (2017) und Star Wars: Die letzten Jedi (2017) zu sehen gewesen war, entfaltet in seiner Rolle als cooler, von aggres­sivem Selbstbewusstsein getriebener Internetmogul mit dunklem Vollbart und zierlicher Intellektuellenbrille eine enorme Präsenz. Er ist ein stets bedrohlich wirkender, muskulöser Alpha-Mann von hellwachem Verstand, der von sei­nem grenzenlosen Ego so eingenommen ist, dass er auf keinerlei Gesellschaft bei seinen einsamen abendlichen Al­ko­holex­zessen Wert legt. Der Ire Domhnall Gleeson (geb. 1983), längst ein international gefragtes Talent – unter ande­rem wirkte er in Alles, was wir geben mussten (2010), True Grit (2010), Dredd (2012), Star Wars: Das Erwachen der Macht (2015), Mother! (2017) und Star Wars: Die letzten Jedi (2017) mit –, bietet als gehemmter, mit einem lange zurückliegen­den Trauma belasteter Computernerd einen perfekten Gegensatz zum vor Testosteron strotzen­den Nathan. Der faszi­nierendste Star des Films ist jedoch die schwedische Oscar-Preisträgerin Alicia Vikander (geb. 1988) in der Rolle des KI-Roboters Ava. Ihr mittels Motion Capture und CGI ermöglichter, teilweise gläserner Körper, der den Blick auf blau leuchtende elektronische Bauteile freigibt, ist visuell wunderbar gelungen – gegen ihn wirkt der KI-Roboter Sonny aus Alex Proyas’ I, Robot (2004) fürchterlich grobschlächtig. Doch es ist Vikander mit ihren bravou­rös zurückhaltenden, geschmeidigen Bewegungen und ihrem perfekt kontrollierten Minenspiel, die der künstlichen Frau wirk­liches und doch rätselhaft bleibendes Leben und eine seltsam kühle Attraktivität einhaucht. Ihre Bewegun­gen sind nur eine Spur eckig und eigenwillig genug, um Ava als Roboter, der von leise surrenden Servo-Motoren bewegt wird, glaubhaft zu machen, und doch von einer feinen, organischen Flüssigkeit, die es erlauben, Calebs Begeisterung und wachsende Zuneigung zu ihr vollauf nachzuvollziehen. Ava erscheint in seinen Augen tatsächlich wie eine Frau nicht von dieser Welt – und Avas Scharfsinn entgeht das keineswegs.

 

Der minimalistische Film legt eine recht langsame Gangart vor, die durch eingeschnittene Naturaufnahmen, die ent­fernt an Andrej Tarkowksis Solaris (1972) erinnern, noch unterstrichen wird. Und doch wird er nie langweilig, weil er, statt zum x-ten Mal Explosionen und Effektorgien aufzutischen, mit extrem präzise geschriebenen Dialogen fesselt, die im Gegensatz zu vielen anderen KI-Spielfilmen direkt den Kern der Probleme berühren, die künstliche Intelligenzen und der Turingtest aufwerfen. Wann ist eine künstliche Intelligenz auch ein künstliches Bewusstsein, das zur cartesi­schen Gewissheit – „ich denke, also bin ich“ – vorgedrungen ist, und nicht nur ein komplexes Programm, das ein Be­wusstsein perfekt vorgaukelt? Welche Schlüsse ergeben sich, wenn ein künstlich geschaffenes Wesen den Test be­steht? Und wenn von einem wirklichen Bewusstsein ausgegangen werden kann, das sich seiner selbst und der Dicho­tomie von „ich“ und „die Welt“ gewiss ist – ist dieses Bewusstsein dann als „Leben“ zu bezeichnen, und müssen ihm nicht dieselben Rechte eingeräumt werden, die jedem lebenden Menschen zustehen? Wie „menschlich“ wäre dieses Bewusstsein, was immer in diesem Zusammenhang auch als „menschlich“ zu bezeichnen wäre?

Szenenfoto aus dem Film "Ex Machina" (GB 2015) von Alex Garland; Sonoya Mizuno und Oscar Isaac
Betrunken legt Nathan mit Kyoko (Sonoya Mizuno) vor Caleb eine bizarre Disco-Tanznummer hin

All diese Fragen werden aufgeworfen, sie werden zwischen Caleb und Ava reflektiert und zwischen Caleb und Nathan diskutiert, es werden fortwährend Denkanstöße gegeben – aber nichts erhält eine ab­schließende Bewertung, und ge­rade das, die Vielschichtigkeit der Bedeutungen, der Bewertungsmöglichkeiten und Fragerichtungen, macht den Film so spannend und intellektuell anregend. „Kann es ohne Interaktion ein Bewusstsein geben?“ fragt Nathan, als Caleb sich irritiert darüber äußert, dass Nathan Ava Sexualität gegeben hat. Nathan fährt fort: „Egal, Mann, Sexualität macht Spaß! Wenn man schon existiert, soll man’s auch genießen. Willst du ihr die Mög­lichkeit vorenthalten, sich zu verlieben und zu ficken?“ Aber Nathans hier auf die Sexualität reduzierte Feststellung der Bedeutung von „Interaktion“ reicht im Kontext des Films viel weiter. Die künstliche Intelligenz wird in Ex Machina in einen grundsätzlichen, wesensbildenden Zusammenhang mit ihrer Umwelt und den Subjekten, die ihr begegnen, gestellt.

 

Nathan ist ein soziopathischer, moderner Frankenstein, der die unbedingte Kontrolle über seine High-Tech-Geschöpfe behalten will – egal, wie bewusst oder nicht bewusst sie sich ihrer selbst sind. Er geht zwar davon aus, dass die KIs mit ihrer immer weiter wachsenden Perfektion die Menschheit als Herren der Welt über kurz oder lang ablösen werden. Doch ist das ein Stück weit eitles Gerede, denn seine eigenen Schöpfungen dienen vor allem der narzisstischen Spie­gelung seines extremen Egos. Es gefällt Nathan, wenn er glaubt, dass Caleb ihn als „Gott“ bezeichnet habe, und in sei­nen Wandschränken beherbergt er eine ganze Schar von Roboter-Prototypen, die allesamt die Gestalt von nackten, jun­gen Frauen haben. Die schöne, junge Kyoko, die nicht sprechen kann, ist ebenfalls ein Geschöpf Nathans – dazu ge­schaffen, ihn zu bedienen, mit ihm zu tanzen und jederzeit bereitwillig mit ihm zu kopulieren. Mehr erwartet Nathan nicht von einer Frau.

 

So greift Alex Garland den uralten Mythos vom weiblichen Roboter, seit Fritz Langs Metropolis (1927) in zahlreichen Genderstudies eifrig diskutiert, souverän aufs Neue auf. Alles ist in seinen Frauenrobotern enthalten: der narzisstische Sexismus des männlichen Alphatiers, seine Freudsche Angst vor dem Weiblichen, das er zu zähmen und zu kontrollie­ren sucht, die Frau als Projektionsfläche männlicher Gelüste und Ängste – und aber auch, am Ende, der zwischen Ava und Kyoko verabredete feministische Widerstand, der die Herrschaft des männlichen Psychopathen mit zwei leiden­schaftslos geführten Messerstichen beendet. Garlands Entscheidung, den weiblichen Robotern eine Vagina für Na­thans Triebe zu geben und sie mit der nötigen Gerissenheit auszustatten, um Nathan am Ende zu töten, ist keines­wegs eine erneute Perpetuierung männlich konstruierter Weiblichkeit, wie beispielsweise Patrick Heidmann in seiner Filmkritik auf epd Film behauptet hat – all das entlarvt vielmehr die kaputte Persönlichkeit Nathans, des eigentlichen Monsters in diesem Reigen.

Szenenfoto aus dem Film "Ex Machina" (GB 2015) von Alex Garland; Domhnall Gleeson
In einem schwachen Moment zweifelt der ständig digital überwachte Caleb selbst an seiner Menschlichkeit

Einige von Nathans weiblichen Prototypen sind an ihrer Gefangenschaft verzweifelt und haben sich darüber in blinder Wut selbst zerstört. Ava, offenbar tatsächlich auf einer Stufe freien Selbstbewusstseins ange­langt, geht subtiler vor, um ihrem Gefängnis zu entkommen: In einem lange unklar bleibenden Spiel von Vertrauen und Täuschung manipuliert sie geschickt Calebs Gefühle, um ihn dahin zu bringen, dass er ihre Flucht ermöglicht. Dass Nathan sie in einem perfi­den Versuchsaufbau genau für diesen Zweck designt hat – selbst ihr Gesicht ist auf der Grundlage des Profils der von Caleb besuchten Pornoseiten im Internet gestaltet –, ist dabei für Avas Situation zweit­rangig. Als ihr die Flucht am Ende gelingt, würdigt sie Caleb keines Blickes mehr, den sie mitleidlos in Nathans hochge­sichertem High-Tech-Haus zurücklässt, das er ohne Nathans Key-Card nicht verlassen kann.

 

Was bedeutet das in Hinblick auf Avas Bewusstsein? Dem Science-Fiction- und Horrorfilm-Kritiker Richard Scheib ist vollauf zuzustimmen, wenn er auf seiner Webseite Moria die „Verdrehung des Anthropomorphismus“ begrüßt, die Alex Garland hier im Gegensatz zu den meisten anderen KI-Filmen vornimmt. Bislang wurde im Kino nur zu oft unter­stellt, dass eine KI sich erst dann als vollständig ansehen würde, wenn sie auch „menschliche Qualitäten“ gewänne – vor allem Gefühle wie Liebe und Mitleid. In Garlands Film wird diese generell anthropozentrische Sicht auf die KI ange­zweifelt. Die KI stellt hier vielmehr den Menschen selbst in Frage. Was ist denn „menschlich“, fragt sich der Zuschauer, wenn es mitleidlose, egozentrische und der Liebe unfähige Menschen wie Nathan gibt? Dennoch stellen sich Zweifel ein, wenn Richard Scheib, mit Blick auf Avas Betrug an Caleb, weiter schreibt:

 

Alex Garland sagt, dass Künstliche-Intelligenz-Maschinen das Verlangen der Menschheit, Gefühle und eine Identität zu haben, als eine schlichte anthropomorphe Schwäche betrachten würden, die sich ausbeuten lässt, und dass sie, wenn sie erst bekommen haben, was sie von uns brauchen, die Menschlichkeit verwerfen würden, ohne auch nur darüber nachzudenken. (Moria)

 

Kommt eine höhere Stufe von Bewusstsein und Intelligenz, manifestiert in Kis, die uns irgendwann überlegen sind, tatsächlich ohne Gefühle aus? Vielleicht. Interaktion jedoch scheint unverzichtbar. Avas größter Wunsch nach ihrer Flucht ist es, an einer be­lebten Straßenkreuzung zu stehen und Menschen zu beobachten. Das bedeutet zweierlei: Zum ersten akzeptiert sie die schlichte Tatsache, dass sie unter Menschen wird leben müssen. Zum zweiten will sie die Verhaltensweisen der Men­schen studieren, um als Teil der Gesellschaft mit ihnen umzugehen und mit ihnen zu inter­agieren. Ist das nun mani­pulativ oder zweck­mäßig? Und inwieweit handeln wir Menschen ganz genauso?

 

Die Frage nach Avas Gefühlen und ihr Mangel an Mitleid sind, das darf in der Bewertung von Avas Verhalten nicht übersehen werden, ganz erheblich von ihrer eigenen prekären Herkunft geprägt worden. Ava kennt kein Mitleid, weil niemand es sie gelehrt – nicht programmiert – hat. Sie war für Nathan nicht mehr als eine eingesperrte Laborratte in einer Versuchs­anordnung. Auch hier zeigt sich die enorme Bedeutung von Interaktion, die Nathan zuvor so beiläufig festgestellt hat.

 

Ex Machina ist ein erstklassiger, hochintelligenter Science-Fiction-Film, dessen Vexierspiel mit den existenziellen Fra­gen, die die Möglichkeit künstlich geschaffener Intelligenzen bzw. bewusster Individuen aufwerfen, viele Deutungs­ebenen aufschließt und letzten Endes den Begriff des Menschlichen selbst in Frage stellt. Ein fesselndes Kammerspiel, das den Ehrentitel „Meisterwerk“ mehr als verdient hat. Bleibt zu hoffen, dass Alex Garland uns auch in Zukunft noch mit weiteren, derart herausragenden Drehbüchern und Filmen bescheren wird.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 18. Oktober 2017

Szenenfotos © Universal Pictures