They Live (USA 1988)
Regie: John Carpenter
Drehbuch: John Carpenter (alias Frank Armitage), nach der Kurzgeschichte Eight O’Clock in the Morning (1963) von Ray Nelson
Kamera: Gary B. Kibbe
Schnitt: Gibb Jaffe und Frank E. Jimenez
Musik: John Carpenter und Alan Howarth
Darsteller: Roddy Piper (John Nada), Keith David (Frank), Meg Foster (Holly Thompson), John Lawrence (bärtiger Mann), Peter Jason (Gilbert) u. a.
Produzent: Larry Franco
Companies: Alive Films; Larry Franco Productions; Universal Pictures (Verleih)
Laufzeit: 94 Minuten; Farbe
Premiere: 4. November 1988 (USA); 4. Mai 1989 (Deutschland)
Auf der Suche nach einem Job verschlägt es den obdachlosen Wanderarbeiter John Nada nach Los Angeles. Er heuert auf einer Baustelle an und wird von seinem neuen Kollegen Frank zu einem Obdachlosencamp am Rande der Stadt mitgenommen, wo John von der Armenküche verköstigt wird und einen Platz zum Schlafen findet. Eine freiapostolische Kirche am Rande des Camps, auf deren Wand ein Graffiti verkündet: „Sie leben – wir schlafen“, zieht Johns Neugier auf sich. Als er sich heimlich hineinschleicht, belauscht er das Treffen einer Gruppe von Aktivisten, die darüber diskutiert, wie sie der Menschheit „die Augen öffnen“ könne. In einem Nebenraum, den die Aktivisten als Labor nutzen, stößt John auf mehrere Pakete, von denen er eines heimlich hinter einer Wandverkleidung versteckt.
Am Abend erscheint plötzlich ein Räumungstrupp der Polizei, vertreibt die Obdachlosen aus ihren Hütten und Zelten, walzt mit Bulldozern das Camp nieder und stürmt auch die Kirche. In dem ausbrechenden Chaos kann John das versteckte Paket retten und in die Innenstadt entkommen. Zu seiner Enttäuschung enthält das Paket nur dunkel getönte Brillen, die die Aktivisten hergestellt haben. Als John jedoch eine von ihnen aufsetzt, ist er schockiert: Durch die Brille offenbart sich ihm die Welt schwarzweiß statt bunt, und Werbeplakate und Zeitschriften erscheinen plötzlich als weiße Flächen, auf denen in klaren schwarzen Lettern einfache Botschaften prangen: „Gehorche“, „Arbeite“, „Konsumiere“, „Schlaf weiter“, „Heirate und vermehre dich“; auf Dollarnoten steht geschrieben: „Dies ist dein Gott“. Die Wohlhabenden der Stadt aber entpuppen sich als Aliens mit grotesken Totenkopfgesichtern.
John ist wie vor den Kopf geschlagen und reagiert verwirrt. Als die Aliens daraufhin erkennen, dass John „sehen“ kann, eröffnen sie mit der Polizei die Jagd auf ihn. John gelingt es jedoch, sich der Waffe eines Polizisten zu bemächtigen, einige der Aliens zu erschießen und unterzutauchen. Er nimmt Kontakt mit dem Untergrund auf und erfährt, dass die Aliens die Menschheit mit telepathischen Strahlen, die sie über das Fernsehen aussenden, einer Gehirnwäsche unterzogen haben, um sie für ihre ausbeuterischen Geschäftsinteressen gefügig zu halten. John beschließt, sich dem Untergrund anzuschließen, der sich inzwischen zum bewaffneten Kampf gerüstet hat, doch die Aliens haben ihre Gegner bereits im Visier . . .
„Gehorche“ – die Eliten manipulieren uns . . .
John Carpenter (geb. 1948) zählt zweifellos zu den talentiertesten Filmschaffenden des Horror- und Science-Fiction-Kinos. Mit Finsterer Stern (1974), Halloween (1978), The Fog – Nebel des Grauens (1980), Die Klapperschlange (1981), Das Ding aus einer anderen Welt (1982) und Christine (1983) inszenierte er eine ganze Reihe gelungener, einflussreicher Genreklassiker. Im Verlauf der Achtzigerjahre begann Carpenters Stern allerdings zu verblassen, und seine Filme fanden beim Massenpublikum nicht mehr den Anklang, der mächtige Blockbuster-Budgets gerechtfertigt hätte. Hatte Die Klapperschlange nach Abzug der Produktionskosten von 6 Millionen Dollar noch einen üppigen Gewinn erzielt, war die zweieinhalbmal so teure Spezialeffekte-Orgie Das Ding mit den Einnahmen deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Folge war, dass Carpenter wieder mit geringeren Budgets auskommen musste.
Carpenter setzte in Sie leben auf alte Tugenden. Wie sein Regiedebut Finsterer Stern, das er noch gemeinsam mit Dan OʼBannon als Filmstudent zusammengebastelt hatte, zeichnet sich Sie leben vor allem durch Witz und Originalität aus. Die hemdsärmelige, nur 4 Millionen Dollar günstige Produktion punktet mit einer bissigen satirischen Idee und einfallsreichen visuellen Einfällen. Der raue Film trägt seine „Armut“ mit Stolz und Würde, und da er im Armenmilieu spielt und seine Helden besitzlose Arbeiter sind, stehen ihm die geringen Produktionswerte auch gut zu Gesicht.
Das Drehbuch zu Sie leben basiert auf der Kurzgeschichte Eight O’Clock in the Morning (1963) von Ray Nelson und wurde von John Carpenter unter Pseudonym selbst geschrieben. Der Film erzählt eine unterhaltsame, mit solider Action alter Schule und galligem, schwarzem Humor garnierte Alien-Unterwanderungsstory, die dem altehrwürdigen Body-Snatcher-Thema eine spannende neue Auslegung abgewinnt. Die Aliens symbolisieren nicht länger Kommunisten mit dem finsteren Plan, die Kontrolle über die Gesellschaft zu übernehmen – hier stehen sie im Gegenteil für die Kapitalisten, denen die totale Kontrolle über die Gesellschaft längst geglückt ist. Der Zeitgeist hatte sich seit den seligen Fünfzigern entschieden gewandelt. Das einst unverbrüchliche Vertrauen in den Glaubenssatz, dass Amerika jedem Bürger, der nur fleißig genug arbeitet, eine faire Perspektive bietet, war in den Achtzigern längst einem tiefen Misstrauen gegen das System und die politischen und wirtschaftlichen Eliten gewichen. Carpenters Satire greift dieses Misstrauen auf und attackiert den von Ronald Reagan entfesselten Wirtschaftsliberalismus, der die Schere zwischen arm und reich immer weiter öffnete und die anschwellende Masse der Verlierer des Systems – Hungerlöhner, Arbeits- und Obdachlose – ungerührt sich selbst überließ.
Der Film beginnt als atmosphärische Sozialballade. Mit tristen Bildern malt Carpenter den ärmlichen Hinterhof Amerikas aus. Sein einsamer und geradliniger Held, der obdachlose Malocher John Nada, gespielt vom kanadischen Wrestlingstar “Rowdy” Roddy Piper (1954–2015), wandert über triste Bahngleise, verfallene Gewerbegebiete und heruntergekommene Viertel in ein Los Angeles ein, das sich alles andere als glamourös präsentiert. Carpenter untermalt diese Szenen mit einem kargen Blues-Soundtrack, der nur aus einer monotonen Abfolge dreier Gitarrenriffs besteht und die Melancholie und lethargische Starre der armen Bevölkerungsschicht, in der Nada sich bewegt, unterstreicht. Die Arbeitslosen im Obdachlosencamp verbringen ihre Zeit vor dem einzigen, im Freien aufgestellten Fernsehgerät und lassen sich von den bunten Werbeclips, Shows und Seifenopern berieseln, die ihnen ein reiches, oberflächliches und sorglos glückliches Amerika vorgaukeln. Galliger Höhepunkt der Sozialfarce ist die Szene, in der Nada, nachdem er und sein Kollege Frank sich über ihre Misere ausgetauscht haben, auf die Skyline der fernen Wolkenkratzer blickt und trotzig erklärt: „Ich glaube an Amerika – ich halte mich an die Regeln“.
Nach und nach träufelt Carpenter in diese trostlose Kulisse ein Gefühl des Unbehagens. Extreme Nahaufnahmen der Fernsehbilder von makellosen Models zerfallen in ihre Bildzeilen, in elektronische Signale, und der begleitende Ton wird zu einem sinnlosem Mischmasch aus Musik und Kauderwelsch. Immer wieder werden die Sendungen vom Bild eines bärtigen, korpulenten Mannes unterbrochen, der wie ein Prediger auf die Zuschauer einredet: Er spricht von „Strahlen“ und „Signalen“, die alle Menschen „unter Trance“ gestellt und „gleichgültig“ gemacht hätten, von einer „repressiven Gesellschaft“, in der Rassengleichheit und Menschenrechte nur Lügen seien – und niemand weiß, wer der Mann ist und worauf er hinaus will. Später entdeckt Nada, dass der Mann zur Widerstandsgruppe in der Kirche gehört und dort einen Piratensender betreibt, mit dem er die „schlafende“ Menschheit wachrütteln will.
Der Moment, als Nada die Sonnenbrille aufsetzt und ihm die Augen geöffnet werden, ist gewiss die eindrucksvollste Szene des Films, und Carpenter kostet sie zur Freude des Publikums genussvoll aus. Immer wieder setzt Nada die Brille ungläubig ab und wieder auf und kann nicht fassen, dass die Welt in Wirklichkeit schwarzweiß und die Werbetafeln an den Hochhausfassaden und die Zeitschriften an den Kiosken im Unterbewusstsein wirkende Befehle sind, die die Menschen zu gehorsamen und gleichmütigen Sklaven des kapitalistischen Systems degradieren. Viele der wohlhabenden, kapitalistischen Unterdrücker aber entpuppen sich durch die Brille als Aliens mit Totenschädelgesichtern. Sie verfolgen auf der Erde ähnliche Profitinteressen wie die menschlichen Kapitalisten und haben daher mit ihnen einen teuflischen Pakt geschlossen. Die schwarzhumorige Medien- und Sozialkritik mag plakativ sein, aber ihre durchschlagende Wirkung lässt sich nicht leugnen – auf bizarre Art und Weise spießt Sie leben durchaus einen Kern Wahrheit über unsere kapitalistische Gesellschaft auf. Calum March hat das in seiner Filmkritik vom 1. Dezember 2013 auf der Webseite Slant Magazine treffend zum Ausdruck gebracht:
Das letztliche Ziel von Sie leben als ein satirisches Werk ist nicht, uns darauf aufmerksam zu machen, dass unsere Welt von ruchlosen Aliens aus dem All übernommen worden ist, sondern vielmehr, dass solch eine fantastische Idee von Hypnose und Kontrolle nur deshalb glaubwürdig wird, weil die kommerzielle Kultur so beschaffen ist, um genau so zu funktionieren. Der Punkt, in anderen Worten, ist nicht, dass wir uns über Aliens sorgen sollten, sondern dass wir uns nicht über Aliens zu sorgen brauchen. Werbung und Fernsehen und die ganze Welt von Kontrolle durch die Konzerne ist bereits so beschissen, dass sich die Science-Fiction kein Schicksal für uns ausmalen kann, das irgendwie grotesker oder schlichtweg irgendwie schlimmer sein könnte.
Nach der Aufdeckung des Großen Schwindels schlägt der Film leider in ein randalierendes Spektakel um, das sich in den gewohnten Bahnen des muskelschwellenden Achtzigerjahre-Actionkinos bewegt, und es wird deutlich, dass auch dieses Genre auf die Schippe genommen werden sollte – nur dass man über den Zweck rätselt und sich fragt, inwiefern dies zur ersten Hälfte des Filmes passen mag. Nada, der noch immer an Amerika glaubt, sich nun aber nicht mehr an die Regeln halten will, mutiert zu einer Parodie Arnold Schwarzeneggers: Er greift zu einer Waffe und ballert einige Aliens nieder, nicht ohne sich vorher in Positur zu stellen und markige Oneliner herauszurotzen: „Ich bin hier, um Kaugummi zu kauen und einigen Leuten in den Arsch zu treten – und ich habe kein Kaugummi mehr!“
Gegen seinen Kumpel Frank (Keith David) liefert sich der Held in einem Hinterhof einen legendären, rasch in Slapstick umschlagenden Faustkampf, der sich über mehr als sechs Minuten (!) hinzieht und sich nur darum dreht, dass Frank sich störrisch weigert, Nadas Sonnenbrille aufzusetzen. Ähnlich ungehobelt wird die weibliche Hauptrolle gehandhabt. So wie Kyle Reese in Terminator (1984) gezwungen ist, Sarah Connor mit Gewalt zu entführen, um sie von seiner Geschichte zu überzeugen, entführt Nada die eisig dreinblickende Holly Thompson (gespielt von B-Film-Legende Meg Foster), doch im Gegensatz zu ihren Vorbildern landen beide nicht zusammen im Bett. Stattdessen stößt Holly ihren Entführer durch die zerplatzende Glasfront ihrer Villa, und Nada stürzt einen metertiefen, steilen Abhang herab. Nada überlebt, spürt den organisierten Widerstand auf und dringt nach einer blutigen Schießerei zwischen den Widerstandskämpfern und der Polizei gemeinsam mit Frank in das Hauptquartier der Aliens ein, um nach weiteren wilden Schießereien mit der Zerstörung der Antenne, die die Welt hypnotisiert hat, dem Spuk ein unglaubwürdiges Ende zu bereiten.
Möglicherweise passt die launige, grobschlächtige Action samt dick aufgetragenem Heldentum und zweifelhaftem Happy End besser zu Carpenters satirischer Absicht, als wenn er dem Film durchgängig einen düsteren Anstrich gegeben hätte. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass Carpenter mit seiner bestechenden Idee in der zweiten Filmhälfte nichts Rechtes mehr anzufangen wusste. Mit diesem Problem steht er freilich nicht allein da: Es gibt unzählige Science-Fiction-Filme, die eine originelle sozialkritische Dystopie formulieren, diese dann aber in einem klischeehaften Ende auflösen. Das Ende von Sie leben ist somit ein wenig enttäuschend. Allerdings überwiegen bei Weitem die positiven Momente, die den Film zu einem der gewitztesten und bissigsten Science-Fiction-Streifen der Achtzigerjahre machen.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 23. August 2018
Szenenfotos © Universal Pictures