Raymond F. Jones: Insel zwischen den Sternen

Cover des Heftromans "Insel zwischen den Sternen" von Raymond F. Jones, Utopia Großband 37 (Mai 1956)

Raymond F. Jones: Insel zwischen den Sternen (Mai 1956). Science-Fiction-Roman, von Walter Ernsting komplett neu gefasst nach dem Film This Island Earth (1955) von Joseph M. Newman (Drehbuch von Edward G. O’Callaghan und Franklin Coen) und dem Roman This Island Earth (1952) von Raymond F. Jones. Utopia Großband Nr. 37 (Erich Pabel Verlag Rastatt). Broschiert, 98 Seiten.

 

Cal Meacham, ein führender Atomforscher der USA, erhält eines Tages eine seltsame Lieferung von Kondensatoren, die fast unbegrenzt starke elektrische Ströme aushalten können. Absender ist ein ihm unbekannter „Electronic Service – Einheit 16“. Neugierig geworden, bestellt Meacham aus dem mitgelieferten Katalog riesige Mengen weiterer Bau­tei­le, die ihm mit einer Montageanleitung zugeschickt werden. In mühevoller Puzzlearbeit setzt Meacham in seinem La­bor die Bauteile zu einem sogenannten „Astelesor“ zusammen, der sich als komplexes Video-Kommunikationsgerät entpuppt. Als Meacham den Astelesor aktiviert, erscheint auf dem Bildschirm ein weißhaariger Mann mit auffallend hohem Schädel und übergroßer Stirn. Der Mann nennt sich Exeter und lädt Meacham dazu ein, einem geheimen Eli­te­zir­kel von Forschern beizutreten, der angeblich an der technischen Herbeiführung des Weltfriedens arbeitet.

 

Meacham will mehr erfahren und nimmt Exters Einladung an. Mit einem ferngesteuerten Flugzeug wird er zu einem Landsitz geflogen, auf dem die „Frie­denswissenschaftler“ residieren. Meachams neue Kollegin Ruth Adams klärt ihn jedoch schon bald heimlich darüber auf, dass Exeter und dessen Mitarbeiter alle „Friedenswissenschaftler“ unter Zwang bei sich halten. Wer nicht folgsam seine Arbeit leistet, wird einer Gehirnwäsche unterzogen. Was Exeter wirk­lich im Schil­de führt, bleibt Meacham und Adams allerdings verborgen. Schließlich versuchen sie, heimlich mit einem Flugzeug zu entkommen. Exeter und sein Helfer Makas entpuppen sich indessen als Außerirdische, die zuerst den Landsitz in die Luft sprengen, dann mit ihrem UFO dem Flugzeug nachsetzen und es mit einem Trak­torstrahl an Bord zwingen. Das UFO macht sich auf den Weg zu seinem Heimat­planeten, Metaluna, der in einen langen Krieg gegen die Nachbarwelt Zahgon verwickelt ist. Metaluna droht durch das Bombardement der Zahgoner mit Meteoriten unter­zu­gehen, wenn nicht der Energieschild des Planeten neue Kraft erhält. Bei dieser Aufgabe sollen Meacham und Adams helfen . . .

 

Dies ist tatsächlich der Roman zum Film

 

Insel zwischen den Sternen erweckt auf den ersten Blick den Anschein, die deutsche Übersetzung des Romans This Island Earth (1952) von Raymond F. Jones zu sein, der unter demselben Titel von Universal-International verfilmt wurde. Der in Technicolor gedrehte Film, der in den USA am 1. Mai 1955 und in Westdeutschland zu Weihnachten 1956 unter dem Titel Metaluna 4 antwortet nicht in den Kinos anlief, ist neben dem MGM-Film Alarm im Weltall (1956) die spekta­kulärste Space Opera im Kino der Fünfzigerjahre gewesen und genießt unter nostalgischen Genrefans ein hohes An­sehen als Mei­lenstein – als das „Star Wars der Fünfziger“.

 

Der Bezug des Films zur literarischen Vorlage war indes gering; die Dreh­buchautoren waren sehr frei mit ihr verfahren, sodass die Handlung des Films vor allem in seiner zweiten Hälfte radikal von Raymond F. Jones’ Roman abweicht. Das interessante am vorliegenden Heftroman ist nun, dass sein Verfasser nicht etwa den Originalroman übersetzt, sondern stattdessen die Spielfilmhandlung nach­erzählt hat. Anders als der Originalroman ist Insel zwischen den Sternen tat­säch­lich „der Roman zum Film“, wie er in den USA nie erschienen ist. Umgekehrt gibt es bis heute keine Übersetzung von Jones’ Roman ins Deutsche, was angesichts der Popularität des Films verwundert.

 

Verfasser von Insel zwischen den Sternen ist der Science-Fiction-Schrift­steller Walter Ernsting (1920–2005). Begonnen hatte Ernsting seine literarische Karriere beim Pabel-Verlag, wo er ab 1954 als Übersetzer und Redakteur für die Ro­man­heft­reihe Utopia Großband arbeitete. Als Nummer 19 der Reihe veröffentlichte er 1955 unter dem Pseudonym Clark Darlton seinen ersten eigenen Roman Ufo am Nachthimmel. Berühmt aber wurde Ernsting vor allem mit der Ro­man­heft­reihe Perry Rhodan, die er, ebenfalls unter dem Namen Clark Darlton, 1961 zusammen mit Karl-Herbert Scheer (1928–1991) ins Leben rief. In seinem Vorwort zum hier besprochenen Heftroman weist Ernsting selbst darauf hin, dass er in erster Linie den Film nacherzählt:

 

Der Roman This Island Earth von Jones weicht in seiner Handlung von der des Filmes ab. Der vorliegende Roman Insel zwischen den Sternen bildet eine hoffentlich geglückte Mischung zwi­schen Buch und Film, wobei Wert darauf gelegt wurde, zwar die Handlung des Buches zu vernach­lässigen, jedoch die Filmhandlung genauestens wiederzugeben. (S. 5)

 

Ernsting bejubelt überschwänglich den Spielfilm und drückt die Hoffnung aus, dass er auch in den deutschen Kinos gezeigt werden möge. Der Heftroman ist laut der ISFDb im Mai 1956 erschienen, also mehr als ein halbes Jahr vor dem deutschen Kinostart von Metaluna 4 antwortet nicht. In der Abtei­lung „Meteoriten“ am Ende des Heftes wird auf S. 92 das Datum 19. März 1956 erwähnt, das somit das frühest mögliche Veröffent­li­chungs­da­tum markiert. Walter Ernsting wird den Film also im Frühjahr 1956 anderswo gesehen haben müssen, vielleicht in Frankreich oder Großbritannien, wo der Film bereits seit Monaten lief, oder aber – vielleicht wahrscheinlicher – in einem Kino für die in Bayern und Nord-Baden-Württemberg stationierten US-Soldaten.

 

Insel zwischen den Sternen ist, typisch für einen Heftroman, flott, action­reich und spannungsgeladen erzählt und ent­puppt sich dabei – auch für Leser, die den Film bereits kennen – als überraschend unterhaltsam. Die Sprache ist ein­fach, die Erzählhaltung, wie im Film, naiv, und alle Ereignisse, Dialoge und Emotionen werden, auch das typisch für einen Heftroman, melodramatisch überzeichnet.

 

Ernsting erzählt die Spielfilmhandlung sehr gewissenhaft nach. Die weni­gen Szenen, Motive und Splitter, in denen Walter Ernsting dem Roman von Jones und nicht dem Film folgt, sind verschwindend gering. So hat beispielsweise Ern­sting die Szene, in der Cal Meacham abends in seiner Wohnung mit Kollegen pokert und über die seltsamen Bau­teile spricht, die der ominöse „Electronic Ser­vice“ versandt hat, verwendet, doch streift er sie nur knapp, während sie bei Jones deutlich länger ist (S. 14f.). Bei Ernsting liegt ähnlich wie im Originalroman das Refugium der „Friedens­wis­sen­schaft­ler“ im Westen der USA statt wie im Film in Georgia (S. 26) – allerdings ist es auch hier eine behagliche Villa und nicht, wie im Roman, ein großes Industriegelände. Die „Friedenswissenschaftler“ betonen wie in Jones’ Roman viel radikaler als im Film ihr Ziel, den wissenschaftlichen Fort­schritt kontrollieren zu wollen, um den Zugriff von „unfähigen und verantwor­tungslosen Menschen“ – von Politikern – zu verhindern (S. 22). Meacham wird wie im Roman mit dem Bau von Astelesoren/Interocitoren in einer streng geheimen Fabrik statt mit atomarer Grundlagenforschung beauf­tragt. Und auch der Ver­gleich der Erde mit den primitiven Eingeborenen-Inseln im Pazifik, die während des Zweiten Weltkriegs zwischen die Fronten gerieten und von den Großmächten für die eigenen Zwecke eingespannt wurden – in Jones’ Roman ein Fingerzeig auf die Bedeutung des Romantitels –, wird von Ernsting aufgegriffen (S. 64). Aber auch wo Ernsting all diese Elemente verwendet, hält er sich nicht eng an die Vorlage, sondern fabuliert sie frei mit eigenen Worten nach.

 

Hier und da schmückt Ernsting auch Details aus oder erlaubt sich Abwei­chungen. So heißt der Interocitor bei ihm „Astelesor“ (S. 13) bzw. „Astrotelevisor“ (S. 63). Die außerirdische Hauptfigur nennt er, dem Film folgend, Exeter (statt Josganovara wie bei Jones), aber Exeters Helfer heißt hier weder Warner (Roman) noch Brack (Film), sondern Makas (S. 30). Um den Eindruck von Exeters Sympha­tie und Güte von allen Zweifeln zu befreien, entschärft Ernsting die Ambi­va­lenz, die die Figur noch im Film kennzeichnet: So ist hier die Ermordung des Wissen­schaftlers Ole Svenberg das Werk von Makas (S. 56), und später erklärt Exeter, dass er noch vor der Vernichtung der Villa der „Friedens­wissen­schaftler“, die von Metalunas Herrscher befohlen wurde, die darin wohnenden Menschen heimlich evakuiert und gerettet habe (S. 64). Ernsting dichtet hier auch Einzelheiten über Meta­luna und den Krieg gegen Zahgon hinzu, die in Roman und Film keine Entsprechungen haben: Beide Planeten krei­sen um den Stern „Sixal“ (S. 60), der 40 Lichtjahre von der Sonne entfernt ist (S. 83), und Auslöser des Krieges war das fortschreitende Erkalten Sixals, weshalb die Zahgoner den Plan gefasst hatten, die Nachbarwelt Metaluna atomar zu entzünden und zu einer neuen Sonne zu machen (S. 63) – wie immer dies auch konkret vorstellbar sein sollte.

 

Besonders interessant ist Ernstings Zeichnung des Herrschers von Meta­luna, der hier nicht „Monitor“, sondern nur „Herr“ genannt wird. Als Cal Meacham dem Herrscher das erste und einzige Mal begegnet, heißt es:

 

In der gleichen Sekunde, in der Cal in diese Augen blickte, wußte er, warum Metaluna verloren war. Dieser Mann da vor ihm hatte die eiserne Härte eines Stahlblocks, einen Willen, der unbeein­flußbar sein mußte. Menschliches Gefühl war ihm unbekannt. Und wenn dieser Mann einmal beschlossen hatte, seine Welt bis zum letzten zu verteidigen, dann konnten ihn weder Himmel noch Hölle, weder Tod noch Teufel von diesem Entschluß abbringen. (S. 72)

 

Nicht etwa den angreifenden Zahgonern, sondern der Unbeugsamkeit des Herr­schers von Metaluna, die von „eiserner Härte eines Stahlblocks“ sei, wird der verlorene Krieg und der Untergang des Planeten zugeschrieben. Unverkennbar beschwört Ernsting hier das Schreckgespenst von Adolf Hitler herauf, der eben­falls mit unbeugsamer Härte das Deut­sche Reich am Ende eines verlorenen Krie­ges in die totale Zerstörung gelenkt hat. Damit interpretiert Ernsting die Fi­gur des metalunischen Diktators auf sehr deutsche Art und Weise – während sich im Film eine derartige Deutung Mo­ni­tors per se nicht aufdrängt und es dort vor allem um die allegorisch verkleidete Angst vor dem Atomkrieg geht. Die Parallele mit Hitler wird ein paar Seiten später mit dem Bild des zerstörten „Reichs“ noch unter­strichen. Als Meacham durch die Trümmer des zerbombten Herrscherpalastes flieht, bietet sich ihm folgender Anblick:

 

Der „Herr“ von Metaluna lag mit einer blutenden Kopfwunde lang ausgestreckt zwischen den Trümmern seines Reichs. Er war tot. (S. 76)

 

Elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war das Trauma der Krieges in Deutschland psychologisch nach wie vor eng verknüpft mit Adolf Hitler, dem alles zerstörenden Diktator. Gleichzeitig mag sich hier der schmerzhafte deutsche Schuldkomplex der Nach­kriegszeit ausdrücken.

 

Insel zwischen den Sternen ist anspruchslose Pulp-SF, aber genau wie der Film immer noch erstaunlich unterhaltsam und kurzweilig – und aufgrund seiner komplexen Beziehungen zum Film und zum Originalroman besonders interes­sant. Womöglich ist der Heftroman weltweit die einzige belletristische Fassung des Kinofilms This Island Earth. Hierzu bedürfte es allerdings noch weiterer Nachforschungen. Im September 1955 erschien in Mailand ein Heftroman unter dem Titel Il Cittadino dello Spazio mit dem Kinofilmplakat als Covermotiv; jenes Heft könnte eventuell ebenfalls eine Nacherzählung des Films oder ein Amalgam aus Film und Ori­gi­nal­roman darstellen. Bleibt nur zu hoffen, dass bald auch der Originalroman von Raymond F. Jones, der unzweifelhaft zu den Klassikern des Genres zählt, in einer vollständigen deutschen Übersetzung erscheinen wird. Er hätte es verdient.

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 31. Januar 2016