Fred Hoyle/Geoffrey Hoyle: Raketen auf Ursa Major

Rockets in Ursa Major (1969). Science-Fiction-Roman. Deutsche Erstveröffentli­chung 1970 im Marion von Schröder Verlag Hamburg/Düsseldorf; vorliegende Ausgabe 1972 im Wilhelm Heyne Verlag München (Heyne Band 3312). Deutsche Übersetzung von Thomas Schlück, Coverillustration von C. A. M. Thole. 128 Seiten.

 

Als nach 30 Jahren das erste von der Erde entsandte Sternenschiff aus dem Sternbild des Großen Bären zurückkehrt und ferngesteuert auf dem Raumflughafen Mildenhall in England landet, ist das Erstaunen groß: Die Mannschaft, die eigentlich in ihren Tiefkühlzellen liegen sollte, ist verschwunden, und auf der Metallplatte eines der Kontrollpulte wird die vom Captain des Schiffes eingekratzte Warnung entdeckt, dass die Erde in großer Gefahr schwebe. Die Militärs gehen von einem feindlichen Akt einer außerirdischen Macht aus und holen sich den Cambridger Wissenschaftler Dr. Richard Warboys zu Hilfe, der ein leistungsstarkes Radargerät mit einer Reichweite bis weit hinter die Neptun-Umlauf­bahn entwickelt hat. Versuchsweise wird das Instrument auf dem Raumschiff von Colonel Rhodes, dem Leiter der Raumpatrouille, installiert. Prompt ortet das Schiff während des ersten Testflugs eine herannahende Flotte außerirdi­scher Raumschiffe. Es kommt zum Gefecht, in dem Rhodes’ Schiff in Stücke geschossen wird, doch werden Warboys und Rhodes, die in ihren Raumanzügen hilflos im All umhertrudeln, von einer zweiten außerirdischen Flotte aufgele­sen, die freundlich gesinnt ist.

 

Die humanoiden Außerirdischen, deren Anführer sich Beteigeuze nennt, erklären Warboys und Rhodes, dass sie seit Jahrtausenden einen aussichtslosen Krieg gegen die Yela und deren Verbündete führen müssen, die ihre Planeten ver­nichtet haben und sie zur ständigen Flucht durchs Universum zwingen. Das Erscheinen des irdischen Sternenschiffs im Großen Bären hat nun die Erde ins Visier der Yela gerückt, die zu Recht annehmen, dass die irdische Bevölkerung mit Beteigeuzes Volk verwandt ist. Beteigeuze will die Erde im anstehenden Kampf gegen die Yela unterstützen, sieht jedoch wenig Chancen und rät der Menschheit zur Flucht. Dr. Warboys denkt jedoch nicht ans Aufgeben und hat bald eine zündende Idee, wie die Yela aus dem Sonnensystem wieder vertrieben werden können . . .

 

Britannia Rules the Space!

 

Fred Hoyle (1915–2001) gehört zu den bedeutendsten Astronomen und Naturphilosophen des 20. Jahrhunderts. Der Engländer war lange Jahre Professor für Astronomie und Experimentelle Philosophie in Cambridge, hatte Anteil an der Leitung der Observatorien von Palomar und Mount Wilson und veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche und po­pulärwissenschaftliche Schriften. Berühmtheit hat er als „Vater des Urknalls“ erlangt – auf ihn geht der prägnante Be­griff big bang für die Urknalltheorie zurück, die er allerdings nicht selbst entwickelt hat und die er auch ablehnte. Um­stritten sind bis heute seine theoretischen Erwägungen zur Entstehung und Entwicklung des Lebens – er widersprach der vorherrschenden Vorstellung, dass das Leben zufällig in einer Ursuppe entstanden sei, und spekulierte über die Verbreitung des Lebens durch kosmische Sporen, die via Kometen das Universum befruchtet hätten.

 

Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten schrieb Hoyle auch eine Reihe von Science-Fiction-Romanen, zumeist in Co-Autorenschaft mit seinem Sohn Geoffrey (geb. 1941). Die meisten dieser Romane blieben eher unauffällig – Hoyle mauserte sich nicht zu einem zweiten Arthur C. Clarke. Seine vielleicht faszinierendste Science-Fiction-Idee malte Hoyle in seinem Erstlingswerk Die schwarze Wolke (1957) aus, wo ein lebendiger und mit Intelligenz ausgestatteter interstellarer Gasnebel das Sonnensystem besucht und unbeabsichtigt die Menschheit bedroht, indem er die Sonne verdunkelt. In der Science-Fiction und insbesondere im Star Trek-Universum längst zum Standard geworden, war diese Idee anno 1957 noch reichlich bizarr und ungewöhnlich. Allerdings war Hoyle nicht der erste, der sich intelligente Ne­bel ausdachte – beispielsweise erschienen bereits in Olaf Stapledons Roman Die letzten und die ersten Menschen (1930) Marsianer in Form von wabernden Wölkchen, die sich zu einer großen wolkenförmigen Superintelligenz zusam­menschließen können; in Nigel Kneales bahnbrechender TV-Serie The Quatermass Experiment (1953) wurden Raumfah­rer von einer außerirdischen Lebensform übernommen, die als unsichtbare Energiewesen im interplanetaren Raum umherziehen. Und es mag noch frühere Beispiele geben.

 

Eine ähnlich interessante Science-Fiction-Idee hat Raketen auf Ursa Major nicht zu bieten. Der Roman präsentiert sich als eine anspruchslose, rasch heruntergelesene Space Opera klassischer, ja, sehr klassischer Ausprägung. Würde man nicht besser über sein Entstehungsjahr Bescheid wissen, könnte man diesen Roman fast für eine Astounding-Story aus den Vierzigerjahren halten. Dafür sorgen neben dem pulpigen Titel beispielsweise die einstufigen Raketen, die bereits 1969 rettungslos veraltet waren, oder die Interesselosigkeit gegenüber der Frage, mit welchem Antriebssystem das Sternenschiff denn seine Reise zum Ursa Major in 30 Erdenjahren bewerkstelligt.

 

Freilich sind die Helden hier keine Amerikaner, sondern Briten; der Nabel der Welt ist nicht Washington, sondern der englische Weltraumbahnhof Mildenhall. Ein weiterer Schauplatz ist die Universität von Cambridge. Hoyles Patriotismus ist rührend: Englands zukünftige Führungsrolle rationalisiert er damit, dass das Land nach fruchtlosen Bündnissen mit Amerika und Kontinental-Europa schließlich den technischen Fortschritt als Schlüssel zur Macht erkannte. Die Aufsto­ckung der Forschungsetats sicherte England einen internationalen Wissens- und Machtvorsprung (vgl. S. 81). Akademi­ker fühlten sich offenbar bereits 1969 notorisch unterfinanziert – was Mr. Hoyle wohl zu der heutigen, um ein Vielfa­ches desolateren Lage der Universitäten sagen würde?

 

Raketen auf Ursa Major basiert auf einem Theaterstück gleichen Namens von Fred Hoyle, das 1962 im Mermaid Theatre in London aufgeführt wurde. Erzählerisch ist der Roman geradlinig, seine Sprache ist schlicht. Während die amerikani­sche Pulp-SF eines Edgar Rice Burroughs oder A. E. Van Vogts besondere Verve entfaltet und vor glitzernden Fantasie­gebilden und Action nur so sprüht, bleibt hier alles ein wenig hölzern und trocken. Die aufregendsten Szenen, die ihren amerikanischen Vorbildern noch am nächsten kommen, sind die Zerstörung von Rhodes’ Raumschiff und die Zündung einer „solaren Lithiumbombe“ auf der Sonnenoberfläche, die die Sonne zu Proteburanzen und einer erhöhten tödlichen Strahlung anregt und so die Raumschiffe der Yela aus dem Sonnensystem fegt. Ansonsten wird das Erleben des Cambridger Professors Warboys geschildert, der zwischen Mildenhall und Cambridge hin- und herpendelt, an den Begegnungen mit Beteigeuze und den Vettern aus dem All teilhat und schließlich die rettende Idee mit der „solaren Lithiumbombe“ entwickelt. Die wissenschaftliche Erläuterung dieser Lithiumbombe mag auf physikalisch korrekten Erwägungen beruhen, bleibt jedoch oberflächlich und wirkt letzten Endes unglaubwürdig (der Abwurf von 400 Ton­nen Lithium auf der Sonne reicht hier schon aus, um das Gestirn zu enormen Strahlungsausbrüchen anzuregen). Eine andere recht interessante Idee ist die Schilderung, wie die Yela die Planeten ihrer Gegner zu verbrennen pflegen: Sie leiten in ihre sauerstoffhaltigen Atmosphären große Mengen Wasserstoff ein (wie sie dies machen, wird freilich nicht erzählt).

 

Zwei logische Schwächen sind besonders schwerwiegend: Warum verfügt die Erde über eine interplanetare Flotte von Kampfraumschiffen, wenn sie noch nie zuvor Kontakt zu Außerirdischen gehabt hat? Und ist es glaubwürdig, dass die Neandertaler, mit denen sich die Vorfahren von Beteigeuzes humanoidem Volk einst vermischt haben sollen, sich unabhängig entwickelt hatten, eine Zufälligkeit „gegen eine Wahrscheinlichkeit von einer Million zu eins“ (S. 76)? Die humanoiden Brüder im All, die in der Urzeit die Erde besuchen und zu Vorfahren der irdischen Menschheit werden, sind ein Reflex von Erich von Dänikens „Gott-war-ein-Astronaut“-Theorie, die Däniken seit 1968 in mehreren Büchern verbreitete und die sofort eine hohe Popularität gewann. Dieselbe Theorie legte auch Glen A. Larson in seiner späteren TV-Serie Kampfstern Galactica (1978) zugrunde, sodass sich unerwartete enge Parallelen zwischen ihr und Hoyles Ro­man entdecken lassen. Das geht soweit, dass auch bei Hoyle die kosmische Menschheit auf der ständigen Flucht vor einer erbarmungslosen intergalaktischen Rasse ist, die die Ausrottung der Menschheit zum Ziel hat – ganz wie in Kampfstern Galactica. Die Parallele zwischen den Yela und den Cylonen dürfte aber vermutlich ein Zufall sein, denn das Motiv der Flucht in Kampfstern Galactica hat Larson nicht von Hoyle, sondern aus der biblischen Moseserzählung und aus mormonischen Vorstellungen abgeleitet.

 

Bedauerlich ist die Kürzung des Romans von ursprünglich 176 auf 128 Seiten durch den Heyne-Verlag – eine damals gängige Praxis. Die deutsche Erstveröffentlichung im Marion Schröder Verlag 1970 scheint dagegen vollständig zu sein – ich habe sie nicht gelesen. Inwieweit der Roman das Genre der Space Opera „mit trockenem britischen Humor“ per­sifliert, wie der Klappentext behauptet, hat sich mir nicht erschlossen. Der Roman spielt gewiss mit den gängigen Genremotiven, lässt hier und da vielleicht auch ein verschmitztes Augenzwinkern spüren, aber eine Persiflage im Stile von Douglas Adams’ Per Anhalter durch die Galaxis (1978) ist er nicht.

 

Raketen auf Ursa Major ist ein durchaus kurzweiliges Weltraumabenteuer, das allerdings auf naiven, unglaubwürdigen Prämissen aufbaut, bisweilen etwas hölzern voranstakst und inzwischen mächtig Staub angesetzt hat. Er ist nur für historisch interessierte Genrefans zu empfehlen. Bleibt noch anzumerken, dass das Autorengespann 1974 mit Into Dee­pest Space einen Nachfolgeroman zu Raketen veröffentlichten, der 1979 auch in deutsch unter dem Titel Der schwarze Stern im Ullstein-Verlag erschienen ist.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 15. November 2018