The Quatermass Xperiment (GB 1955)
Regie: Val Guest
Drehbuch: Richard H. Landau und Val Guest, nach der sechsteiligen TV-Serie The Quatermass Experiment (BBC, 1953) von Nigel Kneale (Autor) und Rudolph Cartier (Produzent). Kamera: Walter J. Harvey. Schnitt: James Needs. Musik: James Bernard; John Hollingsworth (Dirigent)
Darsteller: Brian Donlevy (Prof. Bernard Quatermass), Richard Wordsworth (Victor Carroon), Jack Warner (Lomax), Margia Dean (Judith Carroon), David King-Wood (Dr. Gordon Briscoe), Harold Lang (Christie), Maurice Kaufman (Marsh), Lionel Jeffries (Blake), Jane Asher (kleines Mädchen) u. a.
Produzenten: Anthony Hinds (Produzent); Robert L. Lippert (Ko-Produzent)
Company: Hammer Film Productions
US-Titel: The Creeping Unknown
Laufzeit: 82 Minuten (USA: 78 Minuten); Schwarzweiß
Premiere: 26. August 1955 (GB); 11. Mai 1956 (Deutschland)
In einer ländlichen Gegend in England stürzt eine bemannte Rakete ab, die Professor Quatermass, Leiter des britischen Raumfahrtprojekts, ins All schießen ließ. Quatermass eilt mit seinen Mitarbeitern zur Absturzstelle. Nur der Astronaut Victor Carroon kann lebend aus dem Raumschiff geborgen werden; von seinen Kollegen Green und Reichenheim finden sich nur leere Druckanzüge. „Helft mir!“ sind die einzigen undeutlichen Worte, die Carroon wispert, bevor er in einen apathischen Schockzustand verfällt.
Bei einer genauen Untersuchung des Raumschiffs finden sich Spuren einer verspritzten gallertartigen Masse, die entfernte Ähnlichkeit mit menschlichem Gewebe hat und wahrscheinlich die Überreste von Green und Reichenheim sind. Durch einen Film, der während der Flugzeit im Inneren des Schiffs aufgenommen wurde, erfährt Quatermass, dass die drei Astronauten im All von einem energetischen Flimmern erfasst wurden und anschließend zusammenbrachen. Der noch immer apathische Carroon wird derweil in Quatermass’ Labor von Dr. Briscoe untersucht. Er stellt einen abnormen Pulsrhythmus und seltsame Haut- und Knochenveränderungen an ihm fest. Carroons besorgte Frau Judith indessen glaubt, dass ihr Mann für Quatermass nur ein Versuchskaninchen darstellt, und setzt durch, dass er in ein Krankenhaus in London verlegt wird.
Der zur Erde Zurückgekehrte ist jedoch kaum noch er selbst: Eine körperlose außerirdische Lebensform hat von ihm Besitz ergriffen und auf unerklärliche Weise die anderen beiden Raumfahrer aufgelöst und aufgezehrt. Im Krankenhaus absorbiert Carroon einen Kaktus von einer Fensterbank, woraufhin sich sein Arm in eine pflanzliche, stachelige Masse verwandelt. Er flieht aus dem Krankenhaus, tötet mehrere Männer und bricht in eine Apotheke ein, um sich mit Chemikalien zu versorgen, die das Alien als Nahrung benötigt.
Professor Quatermass erkennt, dass Carroons Körper von einer außerirdischen Lebensform zu einer völlig fremdartigen Kreatur transformiert wird, und fürchtet, dass diese sich schon bald über abgesonderte Sporen in der ganzen Stadt vermehren könnte. Die Polizei wird alarmiert. Das Monster, zu dem Carroon geworden ist, zieht weiter eine mörderische Spur hinter sich; unter anderem dringt es in einem Zoo ein und tötet mehrere Tiere. Schließlich wird das zu einer krakenähnlichen, pulsierenden Masse mutierte Alien zufällig von einem Fernsehteam auf einem Baugerüst in der Westminster Abbey entdeckt. Quatermass gelingt es, das Fremdwesen mit einem Stromschlag zu vernichten. Der Professor will jedoch auch nach dieser entsetzlichen Episode nicht vo dem Ziel ablassen, den Aufbruch ins All voranzutreiben, und startet bald darauf eine neue Rakete.
Auftakt der Saga um Professor Bernard Quatermass
Schock ist ein ausgekocht inszenierter britischer Science-Fiction-Thriller, der von einer intelligenten Grundidee und drastischem Horror getrieben wird und mit hervorragenden Schauspielern brilliert. Der von der legendären Produktionsfirma Hammer mit winzigem Budget gedrehte Film basiert auf der exzellenten TV-Serie The Quatermass Experiment (1953) von Nigel Kneale und Rudolph Cartier und ist ein glänzender Höhepunkt des Science-Fiction-Kinos der Fünfzigerjahre. Schock war in England und auch in Amerika, wo der Film unter dem Titel The Creeping Unknown lief, ein großer kommerzieller Erfolg, und abgesehen von Stimmen, die dem Streifen ekelerregende Effektheischerei oder logische Mängel vorwarfen, fand er auch bei den Kritikern viel Lob. In der späteren Filmkritik, die den Film im Zusammenhang des Genres würdigte, gewann Schock dann die Reputation, die ihm auch heute noch gebührt. Schock entfaltet als erster Film in der Geschichte des Science-Fiction-Kinos die beängstigende Vorstellung von außerirdischen Parasiten, die sich im menschlichen Körper einnisten und diesen übernehmen. Mit den Worten des Filmkritikers Glenn Erickson:
„Der Film machte das Science-Fiction-Kino mit der Idee einer Invasion vertraut, die biologischer Natur ist: Der Mensch im All setzt unseren Planeten fremden Organismen aus, die wir nicht unter Kontrolle haben. Die Eroberung des Kosmos könnte uns unbekannte Dinge dazu einladen, unsere Heimatwelt zu kolonisieren.“ (Artikel Before Doctor Who, There Was . . . Quatermass! auf Ericksons Webseite DVD Savant)
Der internationale Kassenerfolg von Schock sorgte bei Hammer für eine entscheidende Weichenstellung. Der Streifen war zwar nicht Hammers erster Science-Fiction-Film gewesen – zuvor hatte Hammer schon Four Sided Triangle (1953) und Spaceways (1953) produziert –, aber er war Hammers erster Horrorthriller. Fortan verlegte sich Hammer aufs Horrorgenre und produzierte Dracula-, Frankenstein- und Mumienfilme, die große Publikumserfolge wurden und sich stilbildend auf das gesamte Genre auswirkten. Hammer verfilmte auch die beiden folgenden, ebenfalls von Nigel Kneale geschriebenen TV-Serien über Quatermass – Quatermass II (1955) und Quatermass and the Pit (1958/59) – für die große Leinwand. Feinde aus dem Nichts (1957) ist wie der Erstling inhaltlich ausgesprochen originell und dramatisch sehr gelungen. Das grüne Blut der Dämonen (1967) , die Verfilmung der dritten TV-Serie, fällt dagegen inhaltlich und dramaturgisch etwas ab. Alle drei Filme gelten als Meilensteine des Genres – es gibt lediglich unterschiedliche Meinungen darüber, welcher von ihnen letztlich der beste sei.
Nigel Kneale griff Jahre später ein viertes Mal die von ihm geschaffene Figur des Wissenschaftlers Bernard Quatermass auf und produzierte die TV-Serie Quatermass (1979), aus der für das Kino der Film The Quatermass Conclusion zusammengeschnitten wurde, doch hinterließ dieses Werk beim Publikum und in der Filmkritik geringeren Eindruck. 1996 schrieb Nigel Kneale das Radio-Hörspiel The Quatermass Memoirs. Schließlich produzierte die BBC zum fünfzigjährigen Jubiläum eine neue TV-Fassung von The Quatermass Experiment (2005) – wie die Originalserie live inszeniert und ausgestrahlt – und veröffentlichte die Filmmitschnitte der drei originalen Quatermass-Serien erstmals auf DVD, die damit nach Jahrzehnten endlich wieder zugänglich waren.
Die Serie
Mit der TV-Serie The Quatermass Experiment schufen Autor Nigel Kneale (1922–2006) und Produzent Rudolph Cartier (1904–1994) einen Geniestreich. Die BBC-Produktion von sechs Episoden à 30 Minuten war eine der ersten ernstzunehmenden, für ein erwachsenes Publikum geschriebenen Science-Fiction-Serien und bot mit ihrer spannenden Mixtur aus Science-Fiction, Mystery und Horror erstklassige, clevere Genre-Unterhaltung. Im amerikanischen Fernsehen liefen zu jener Zeit bereits eine ganze Reihe harmloser Science-Fiction-Serien für Kinder, darüber hinaus die erwachseneren Anthologiereihen Tales of Tomorrow (1951–53) und Out There (1951/52); in England hatte die BBC zuvor lediglich die Kinderserie Stranger from Space (1951/52) ausgestrahlt. Kneale und Cartier waren schon eine Weile Angestellte bei der BBC, als sie damit beauftragt wurden, eine TV-Thrillerserie für den Samstagabend auf die Beine zu stellen. Beide ergriffen die Gelegenheit, ihr Interesse für fantastische Erzählstoffe in das Projekt einfließen zu lassen. Die Raumfahrt war außerdem zu jener Zeit ein brandaktuelles, aber noch dunkles, geheimnisvolles Thema. In einem 1994 geführten Interview für das Magazin Hammer Horror erklärte Nigel Kneale:
„Als ich mir damals die Geschichte ausdachte, wusste niemand, ob es möglich wäre, eine Rakete hoch hinaufzuschießen und zurückzubringen. Später, als bemannte Raumflüge tatsächlich begannen, gab es enorm viel Aufhebens über Entseuchung. Die Menschen wussten nicht, was du dir im All vielleicht einfangen könntest – und so dachte ich, dass ich eine Geschichte über einen Raumflug schreiben wollte, der mit einer sehr gemeinen Seuche zurückkehrte.“ (zitiert nach Andrew Pixley, Quatermass – Viewing Notes, Booklet zur DVD-Veröffentlichung der TV-Serie)
Anfang der Fünfzigerjahre war es üblich, dass TV-Serien auf Studiobühnen wie Theaterstücke gespielt und dabei live ausgestrahlt wurden, da dies die billigste Produktionsmethode darstellte. Filmaufnahmen wurden lediglich für kurze Außenszenen oder Spezialeffekte eingeflochten, deren Herstellung mit knappsten Mitteln auskommen musste. Auch The Quatermass Experiment, für gerade einmal 3500 Pfund produziert, wurde fast vollständig live inszeniert und gesendet. Wenn die Show für die Nachwelt festgehalten werden sollte, musste die Ausstrahlung von einem TV-Bildschirm mit einer Kamera abgefilmt werden. Dies geschah bei The Quatermass Experiment leider nur für die ersten beiden der sechs Folgen, da die BBC in den Aufnahmen bald keinen Nutzen mehr sah und auch hier Kosten einsparen wollte. Doch reicht der überlieferte Torso der Serie immerhin noch aus, um einen guten Eindruck von ihr zu gewinnen. Zwar bedingten die Umstände, dass es nur wenige Bühnenbilder gab und die Kameraführung sehr einfach blieb. Sehr viel musste improvisiert werden, zum Teil bis hin zu den Dialogen. Kneale und Cartier waren dennoch darum bemüht, trotz aller Widrigkeiten die Serie möglichst wie einen Film und nicht einfach wie ein bebildertes Radio-Hörspiel aussehen zu lassen. Auch heute noch beeindrucken die beiden Serienfolgen mit beachtlicher dramatischer Qualität – und einer hervorragend ausgewählten Titelmusik (Gustav Holsts 1914 komponiertes Stück Mars, the Bringer of War in einer von Albert Coates dirigierten Aufnahme aus den Zwanzigerjahren).
The Quatermass Experiment lockte in England bis zu fünf Millionen Zuschauer vor die Bildschirme und fand beim Publikum und bei den Kritikern viel Lob. In einer anschließenden BBC-Publikumsbefragung mittels Fragebögen wurde die Ausstrahlung von der Mehrheit der Zuschauer als „ungewöhnlichste, aufregendste und geistreichste Serie“ überhaupt gefeiert. Der Erfolg ermöglichte es Kneale und Cartier, noch zwei weitere Quatermass-TV-Serien folgen zu lassen: Quatermass II (1955) und Quatermass and the Pit (1958/59).
Anthony Hinds, Produzent bei Hammer, hatte ebenfalls The Quatermass Experiment im Fernsehen verfolgt und war sofort vom Potenzial der Serie überzeugt. Zwei Tage nachdem die letzte Folge über die Bildschirme geflimmert war, ließ er die BBC anschreiben und das Interesse von Hammer an den Filmrechten bekunden. Die BBC sträubte sich zunächst, die Rechte zu verkaufen; es stand zu erwarten, dass die britische Filmprüfstelle (British Board of Film Classification) den Film mit einem X zertifizieren und damit nur für Zuschauer über 16 Jahre zulassen würde, und mit X-Zertifikationen wollte die BBC nichts zu tun haben. Hammer hingegen wollten ganz bewusst einen X-zertifizierten Film machen und das X in der Werbung plakativ betonen – unter anderem, indem sie das letzte Wort des Filmtitels in Xperiment abänderten. Schließlich gaben die BBC nach und verkauften die Rechte für 500 Pfund. Nigel Kneale erhielt davon keinen Penny, da seine rechtlichen Ansprüche an der Story mit seinem Wochenlohn bei der BBC bereits abgegolten waren. Erst nach langem Streit zahlte 1967 die BBC nachträglich 3000 Pfund an Kneale.
Der Film
Hammer hatte 1951 eine Kooperationsvereinbarung mit dem amerikanischen Produzenten Robert L. Lippert (1909–1976) geschlossen, um die Vermarktung ihrer Filme in den USA zu regeln. Lippert hatte sich schon zuvor im Science-Fiction-Genre engagiert und Filme wie Rakete Mond startet (1950), Lost Continent (1951) oder Project Moon Base (1953) aus der Taufe gehoben. Er steuerte einen kleineren Anteil zum Bugdet von The Quatermass Xperiment hinzu und sorgte dafür, dass der amerikanische Schauspieler Brian Donlevy (1901–1972) die Hauptrolle des Professor Quatermass erhielt. Damals herrschte unter Produzenten die Meinung vor, dass nur ein bekanntes amerikanisches Gesicht in einer der Hauptrollen die erfolgreiche Vermarktung eines ausländischen Films in den USA garantieren konnte. Lippert brachte auch die Amerikanerin Margia Dean (geb. 1922) in der Rolle von Carroons Ehefrau Judith im Film unter. Sie war die Freundin von Spyros Skouras, eines mit Lippert befreundeten Studiobosses von 20th Century Fox, und sollte auf Skouras’ Betreiben eine Chance erhalten, sich als Filmschauspielerin zu etablieren. Auch für das Drehbuch vermittelte Lippert einen Amerikaner, Richard H. Landau (1914–1993), der zuvor schon an Spaceways als Co-Autor mitgewirkt hatte. Landau nahm zwar mehrere Änderungen an Kneales Originalstory vor, im Wesentlichen hielt er sich aber eng an der Serienvorlage und raffte sie auf Spielfilmlänge. Val Guest überarbeitete anschließend Landaus Fassung und gab dabei vor allem Donlevys Dialogzeilen noch mehr Kaltschnäuzigkeit und Schärfe.
Für die Regie verpflichtete Hammer Val Guest (2011–2006), der zuvor vor allem Komödien gedreht und abgesehen von seinem Schwank Dr. Drake’s Duck (1950) über eine Gans, die radioaktive Eier legt, noch nie etwas mit Science-Fiction zu tun gehabt hatte. Guest hatte Kneales TV-Serie nicht gesehen und war vom Drehbuch zunächst nicht begeistert. Er wollte den Job schon ablehnen, ließ sich dann aber von seiner Ehefrau umstimmen, die der Meinung war, dass Guest einmal etwas Neues ausprobieren sollte. Spätestens nach dem durchschlagenden Erfolg des Films war dann auch Guest überzeugt. Er inszenierte später auch den nächsten Quatermass-Film Feinde aus dem Nichts und noch weitere fantastische Filme wie Yeti, der Schneemensch (1957) oder Der Tag, an dem die Erde Feuer fing (1961).
Hammer drehte The Quatermass Xperiment von Oktober bis Dezember 1954. Das Budget betrug nur 42.000 Pfund, was selbst für eine Hammer-Produktion ziemlich gering war. Den mageren Sets und zweifelhaften Spezialeffekten ist das niedrige Budget durchaus anzusehen, was jedoch, wie schon zuvor in der TV-Serie, von den hervorragenden Schauspielern und der wirkungsvollen Erzählung mehr als wett gemacht wird. Insbesondere macht die Ansicht vom krakenähnlichen Monster auf dem Baugerüst in der Westminster Abbey einen enttäuschenden Eindruck. Der legendäre Effektespezialist Les Bowie (1913–1979) schuf das Monster aus Kutteln und Gummi und animierte es im Studio auf dem Modell eines Baugerüsts vor einem gemalten Kathedralen-Hintergrund mithilfe von Drähten. Hammer-Chef Michael Carreras ließ das Ergebnis allerdings zunächst kalt, woraufhin dem Monster noch ein sehr effektvolles, einzelnes Auge – als letztes Merkmal, das noch auf den unglücklichen Carroon hindeutet – hinzugefügt wurde. Les Bowie erklärte Anfang der Siebzigerjahre in einem Interview:
„Wir machten Quatermass mit einem derart geringen Budget, dass es nicht wirklich ein Budget war. Ich machte es tatsächlich für einen Arbeitslohn, nicht als ein anständiger Effektspezialist, dem ein gewisses Budget für einen Film zugeteilt wird. Ich glaube, ich erhielt nur 30 Pfund pro Woche.“ (John Brosnan, The Primal Screen, S. 75).
Mit noch weniger, praktisch einem Taschengeld, hatte Nigel Kneale zuvor sein Monster in der TV-Serie realisieren müssen. Das Team hatte in der Westminster Abbey einen bebilderten Touristenführer gekauft, eines der Fotos daraus vergrößert, auf eine dünne Sperrholzplatte geklebt und Löcher hineingeschnitten. Durch diese Löcher hatte Kneale seine Finger hindurchgesteckt, die mit Gummihandschuhen und aufgeklebten Teilchen dekoriert waren, und sie dann – live – wie Tentakel hin und her bewegt (vgl. Andrew Pixley, Viewing Notes, S. 13). Leider lässt sich das Ergebnis nicht mehr bewundern, da die Ausstrahlung der letzten TV-Folge damals nicht mitgeschnitten wurde, doch deuten zeitgenössische Kritiken darauf hin, dass die meisten Zuschauer enttäuscht waren und ein spektakuläreres Monster erwartet hatten.
Les Bowies Monster im Kinofilm mag ebenso improvisiert und enttäuschend sein (ich persönlich war beim ersten Sehen des Films letztlich doch recht zufrieden mit ihm), aber Bowies brillante matte paintings – die bruchgelandete Rakete und die Ansichten der Westminster Abbey – sind über jeden Zweifel erhaben und perfekt in den Film eingefügt. Auch die maskenbildnerischen Arbeiten von Philip Leakey für Carroons Transformation – seine kaum merklichen Hautveränderungen, sein Kaktus-Arm – sind exzellent.
Der Meilenstein
Nigel Kneales Grundidee von einem Menschen, der von einem Alien übernommen wird und zu einem scheußlichen Monster mutiert, mag relativ simpel und mit Blick auf die Pulp-SF der Dreißiger- und Vierzigerjahre auch nicht besonders originell sein. Doch im Science-Fiction-Film war sie damals brandneu und von faszinierender Kraft. Spätere Filme haben das Motiv zahlreich wiederholt – so beispielsweise Rakete 510 (1959) von Robert Day, Der Planet Saturn lässt schön grüßen (1977) von William Sachs, Alien (1979) von Ridley Scott, Das Ding aus einer anderen Welt (1982) von John Carpenter oder District 9 (2009) von Neill Blomkamp. Anklänge des Motivs finden sich zudem in der großen Gruppe von Science-Fiction-Filmen, die die biologische Übernahme und Transformation des Menschen in eine neue Kreatur zum Thema haben, ohne dass die Bedrohung notwendigerweise aus dem All stammen muss – zum Beispiel Kurt Neumanns Die Fliege (1958) oder Ssssnake Kobra (1973) von Bernard Kowalski.
Nigel Kneale verbindet sein Science-Fiction-Thema mit einer unheimlichen Atmosphäre und einer Prise gotischer Schauerromantik. Nicht umsonst findet der Showdown des Films unter Glockenschlägen in einer Kathedrale statt; auch beim Zusammentreffen Carroons mit einem kleinen Mädchen in den Londoner Docks sind aus der Ferne Kirchenglocken zu hören. Die Regie in Schock ist tadellos: Val Guests pseudo-dokumentarischer, kontrastreicher Stil, verbunden mit einem knackigen Tempo und fiebrigen, sich oft überschneidenden Dialogen, verschafft der Erzählung eine größtmögliche Diessseitigkeit und Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig weiß Guest in vielen Szenen Unbehagen und Spannung zu erzeugen. Eine bemerkenswertes Beispiel hierfür ist die Szene im Zoo: In einer brillanten Umkehrung der gewöhnlich zu erwartenden Situation zwischen Raubtier und Mensch lauert das (noch) menschliche Wesen versteckt im Halbdunkel des Gebüschs – nur seine starrenden Augen sind erkennbar –, während es seine tierische Beute fixiert, die von unbestimmter Unruhe erfasst wird.
Die X-zertifizierte Gewaltdarstellung freilich wirkt auf den heutigen Zuschauer handzahm: Zumeist schaut die Kamera im entscheidenden Moment weg, selbst Carroons stacheliger Kaktus-Arm wird nur in ganz knappen Augenblicken sichtbar. Spätere Hammer-Filme waren da weitaus drastischer. Letztlich ist Schock doch mehr ein Science-Fiction- als ein Horrorfilm. In der Wahrnehmung des damaligen Publikums jedoch war der Film durchaus horribel; die kirchliche Filmkritik in Deutschland ereiferte sich gar über den „Schindluder“, den der Film mit dem Bild des Menschen treibe (vgl. Ronald M. Hahn/Volker Jansen, Lexikon des Science Fiction Films, 7. Aufl., S. 785). Damals wie heute funktioniert der Film vor allem in der Imagination – lässt man sich darauf ein, sich die Dinge vorzustellen, die der Film nur andeutet, kann er noch immer kalte Schauer erzeugen.
Der mit Abstand überragendste Darsteller des Films ist Richard Wordsworth (1915–1993), der das verzweifelte Leiden und die innere Zerrissenheit des tragischen Monsters Victor Carroon mit beeindruckender Intensität verkörpert. Wordsworths Mimik und angespanntes Verhalten wechselt ständig zwischen dem in ihm schwindenden Menschen und dem völlig emotionslosen Alien, zu dem er wird. Val Guest hatte Wordsworth, der zuvor nur Theater gespielt hatte, auch wegen seiner hageren, ja, beinahe ausgemergelt wirkenden Gestalt ausgewählt, die dem Ausdruck der Rolle zweifellos zugute kommt. Zu Recht hat die Filmkritik immer wieder auf die Ähnlichkeit von Wordsworths Darstellung mit Boris Karloffs Frankensteinmonster hingewiesen; die Begegnung Carroons mit dem kleinen Mädchen (gespielt von Jane Asher) am einsamen Themseufer in den Londoner Docks ist eine überdeutliche Verbeugung vor James Whales Horrorfilmklassiker. Carroons innere Erstarrung, die mit nervöser Aufgekratztheit und kaum erträglicher Pein wechselt, lässt ihn in meinen Augen sogar noch eindringlicher als Frankensteins Monster erscheinen.
Brian Donlevys Verkörperung von Professor Quatermass ist demgegenüber auf wenig Gegenliebe gestoßen, sowohl in der Filmkritik als auch bei Nigel Kneale selbst. Kneales’ Quatermass der TV-Serie, gespielt von Reginald Tate (1896–1955), war ein sanfter, humanistisch gesinnter Wissenschaftler, der seiner Forschung mit Begeisterung nachgeht, gleichzeitig aber darum besorgt ist, dass sie von der Regierung für den Bau von Waffen missbraucht werden könnte. Richard Landau und Val Guest haben die Figur stark abgewandelt: Im Film ist Quatermass ein stahlharter, ja, über alle Maßen selbstherrlicher Entscheider, eine hysterische Überzeichnung des Film-Noir-Alphatiers, samt Hut und Trenchcoat; ein Unsympath, der seine Untergebenen brüsk herumstößt und bereit ist, für den wissenschaftlichen Erfolg wirklich jedes Opfer zu riskieren. In messerscharfem Stakkato bellt er seine Glaubenssätze: „Ich treffe meine eigenen Entscheidungen!“ – „In der Wissenschaft gibt es keinen Raum für persönliche Gefühle!“ Und an Carroons besorgte Ehefrau Judith gerichtet: „Sie sollten stolz auf Ihren Mann sein, der bereit war, sein Leben für die Besserung der ganzen Welt zu riskieren!“ Wer ist hier wirklich das Monster? Carroon oder Quatermass?
Kritiker, die Brian Donlevy nur deshalb eine übertriebene Vorstellung vorwerfen oder als fehlbesetzt ansehen, weil er einen unsympathischen Charakter spielt, urteilen nicht ganz fair. Tatsächlich gelingt es Donlevy, Landaus und Guests radikale Interpretation von Quatermass glaubwürdig zum Leben zu erwecken, und seine eisenfressende Darstellung ist brillant. Letztlich drückt sich in seiner Rolle ein tiefes Unbehagen vor dem bedrohlichen Fortschritt der Wissenschaft aus, die ihre eigenen Entscheidungen trifft, ohne sich groß um die Auswirkungen auf die machtlose Allgemeinheit zu scheren. Als Quatermass von seiner Vision von der „Besserung der ganzen Welt“ spricht, entgegnet Judith aufgebracht: „Welche Welt? Die Welt von Quatermass!“
Wie bereits erwähnt, hatte Richard Landau gegenüber der TV-Serie einige inhaltliche Änderungen im Drehbuch vorgenommen. Beispielsweise gehört Judith Carroon anders als in der TV-Serie nicht dem wissenschaftlichen Team von Quatermass an und hat auch keine heimliche Affäre mit Dr. Briscoe. Im Showdown wird das Monster mit einem Elektroschock vernichtet, während in der TV-Serie Quatermass auf das Monster einredet und an den letzten Rest Menschlichkeit in ihm appelliert, sich zum Wohle der Menschheit selbst zu töten. Die schwerwiegendste Änderung betrifft die Eigenart des Aliens, andere Wesen zu „absorbieren“. In der TV-Serie wird deutlich herausgestellt, dass das Alien in Carroon nicht allein die Körper, sondern auch die Erinnerungen und Verstandeskräfte der beiden anderen Astronauten Dr. Ludwig Reichenheim und Charles Green absorbiert hat. In der Schlussszene der zweiten Episode spricht Carroon plötzlich in Deutsch mit Quatermass und behauptet, Dr. Ludwig Reichenheim zu sein. Von dieser faszinierenden Idee ist im Spielfilm leider nicht viel übrig geblieben – sie wird lediglich angedeutet, als Quatermass nach dem Einbruch Carroons in einer Apotheke anmerkt, dass eigentlich nur Charles Green über ausreichende chemische Kenntnisse verfügt hatte, um die richtigen Chemikalien auszuwählen. Auch die Ermordung der Tiere im Zoo bleibt etwas rätselhaft, vielleicht, weil sie einfach zu kostengünstig umgesetzt wurde: So liegen zwar am Morgen nach Carroons Raubzug einige getötete Tiere verstreut im Zoo herum, jedoch sehen sie nicht verschrumpelt – absorbiert – aus wie die Menschen, die Carroon bereits getötet hat. Somit wird nicht klar, was genau Carroon mit den Tieren nun angestellt hat.
Die Mängel fallen gegen die Stärken des Films jedoch kaum ins Gewicht. Hammers erster Horrorthriller wirkt auf eingefleischte Fans der klassischen Hammer-Horrorfilme vielleicht etwas enttäuschend. Dafür ist er für Fans klassischer Science-Fiction-Filme ein Hochgenuss – nach wie vor.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 3. September 2018
Szenenfotos © Hammer Film Productions