Stanislaw Lem: Eden

Buchcover von Stanislaw Lem "Eden" (1959), Ausgabe vom Wiener Verlag (Himberg bei Wien), ca. 1981

Polnischer Originaltitel: Eden. Science-Fiction-Roman. 1959 im Verlag Iskry (War­schau) erschienen. Die erste westdeutsche Ausgabe erschien laut ISFDb 1960 im Verlag Gebrüder Zimmermann in einer Übersetzung von Paul Kemptner. In der DDR erschien der Roman erstmals 1971 im Verlag Volk und Welt (Berlin) in einer Überset­zung von Ceasar Rymarowicz. Jene Übersetzung erschien 1972 in Lizenz auch in West­deutschland in der Nymphenburger Verlagshandlung (München). Hier vorlie­gend ist eine von Nymphenburger für die Deutsche Buch-Gemeinschaft und andere Buch­gemeinschaften lizensierte Ausgabe der Übersetzung von Ceasar Rymarowicz. Druck und Bindung: Wiener Verlag (Himberg bei Wien), ohne Jahr (ca. 1981). Ge­bun­dene Ausgabe mit Schutzumschlag, 287 Seiten.

 

Eine mit sechs Männern besetzte Weltraumrakete bruchlandet auf dem erdähnlichen, unerforschten Planeten Eden. Die Rakete bohrt sich mit der Spitze voran tief in den Boden, zahlreiche Systeme erleiden Schaden. Doch die Mann­schaft kann von ihrer verschütteten Ausstiegsluke aus einen Tunnel graben und die Oberfläche des Planeten erreichen. Rings um die Rakete erstreckt sich eine Wüste; der Himmel ist blau, und die Atmosphäre erweist sich als atembar. Die sechs Männer machen sich an die Arbeit, ihr Schiff instand zu setzen und ihre Roboter wieder zu reparieren, die später dabei helfen sollen, die Rakete auszugraben und wieder aufzurichten.

 

Da die Astronauten kaum noch Wasservorräte haben, erkunden sie ihre weitere Umgebung. Sie unternehmen mehrere Expeditionen mit einem Geländewagen, später auch mit dem mitgeführten sogenannten „Beschützer“, einem mit Atomwaffen bestückten schweren Panzerfahrzeug. Die Astronauten gelangen in Gegenden, in denen fremdarti­ge Büsche und Bäume wachsen. Schon bald darauf entdecken sie, dass der Planet von einer intelligenten Spezies be­wohnt ist, die eine kaum verständliche Zivilisation und Technologie geschaffen hat. Die Astronauten stoßen auf eine gigantische Fabrik, die scheinbar sich selbst überlassen arbeitet und in der die Erzeugnisse gleich wieder in den Pro­duktionsprozess zurückgeführt werden, und sie begegnen riesigen, senkrecht wirbelnden, dahinra­senden Propeller­rädern, in deren Nabenkanzeln die Bewohner des Planeten sich über Land fortbewegen. In weiterer Ferne sehen sie eine Stadt, der sie sich jedoch nicht weiter nähern.

 

Bei einer Expedition stoßen die Astronauten in einem von wallenden Nebeln erfüllten Tal auf unerklärliche Bauten und zahlreiche Gruben, in denen tote, missgestaltete Edenbewohner liegen. Als die Astronauten in eine aus­gedehnte Sied­lung hinab­steigen, deren Mauern komplett in den Boden eingesenkt sind, wirkt diese verlassen. Später stürmen die Bewohner, die sich versteckt gehalten hatten, plötzlich als chaotische Menge heran, um die Astronauten zu be­drän­gen. Genauso rasch und unerklärlich, wie sie aufgetaucht waren, ziehen sich die Bewohner der Siedlung aber auch wieder zurück. Es gelingt den Astronauten, ein davongelaufenes, verstörtes, aber bald zutraulich werdendes Indivi­duum der einheimischen Spezies im Geländewagen zur Rakete mitzunehmen. Der Edener entpuppt sich jedoch bald als geistig minder­bemittelt, die Kommu­nikation mit ihm bleibt fruchtlos. Die Fremdwesen erweisen sich als erstaun­liche Kreaturen: Sie sind über zwei Meter groß und bergen in den Falten ihrer Brustmuskel einen zweiten, kleineren Torso, der sich hervor­stre­cken oder zurück­ziehen kann. Dieser kleinere Torso ist mit Augen, Nase, einem Mund und kleinen Händchen verse­hen. Da die Einheimischen von Eden somit scheinbar aus zwei Wesen zusammengesetzt sind, taufen die Raumfahrer sie „Doppelts“.

 

Den Menschen gelingt es nicht, die komplexen Zusammenhänge der wenigen Beobachtungen, die sie über die Zivili­sation der Doppelts gemacht haben, zu verstehen, ahnen aber, dass auf dem Planeten ein mörderisches, hierarchi­sches Herrschaftssys­tem besteht. Als schließlich ein geistig gesunder und gebildeter Doppelt bei der havarierten Ra­kete auftaucht und es den Astro­nauten mit viel Auf­wand und Computerunterstützung gelingt, mit ihm zu kommuni­zieren, wird ihre Ahnung bestä­tigt, und sie sehen sich vor die Frage gestellt, ob sie sich in die politischen Verhältnisse auf Eden einmischen sollen . . .

 

Ein zähes First-Contact-Abenteuer

 

Eden ist nach Die Astronauten (1951) und Gast im Weltraum (1955) Stanisław Lems dritter Science-Fiction-Roman. Lem lässt hier erstmals den kitschigen Sozialistischen Realismus der ersten beiden Werke hinter sich und tritt damit über in seine fortan nüchterne, um ernsthafte Probleme bemühte Art und Weise, Science-Fiction zu schreiben. Das Thema des Romans hatte bereits in den beiden Erstlingswerken angeklungen und wurde von Lem auch in späteren Romanen und Erzählungen immer wieder behandelt: Es geht um die mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmende extreme Anders­artigkeit möglicher außerirdischer Intelligenzen und die daraus resultierende Schwierigkeit, die „Anderen“ über­haupt zu verstehen oder einen sinnvollen Kontakt mit ihnen herzustellen. Die Mög­lichkeiten in Hinblick auf diese Fragestel­lung hatte Stanisław Lem stets sehr skeptisch gesehen; das bekannteste und gewiss auch radikalste Beispiel seines Werks für diese Sichtweise ist sein zu Recht vielgerühmter Roman Solaris (1961).

 

In Eden ist die außerirdische Spezies der „Doppelts“ im Vergleich zu den „Anderen“ in Lems späteren Werken noch ziemlich anthropomorph: zweibeinige, hünenhafte Wesen, die Ackerbau betreiben, Fahrzeuge, Fabriken, Städte und Häfen bauen und sich wie Herdentiere bevorzugt in Gruppen und Grüppchen zusammentun. Sie sind eine anschau­liche und orginelle Kreation, die Lem in überzeu­gender Art und Weise als abstoßend und ekelerregend für die Men­schen schil­dert. Der vielleicht interessanteste As­pekt ihrer Zivilisation sind ihre eigentümlichen Produktionsmethoden, denn die Doppelts haben mittels der virtuos gemeisterten Genmanipulation das Leben selbst dafür eingespannt und sozusagen „lebendige“ Fabriken geschaffen.

 

Dennoch lässt sich der allegorische Charakter der Zivilisation der Doppelts nicht verhehlen, der auf Pro­bleme und Ge­fahren menschlicher Gesellschaften bezogen ist. So herrscht auf Eden ein totalitäres Regime, wie die Astronauten am Ende des Romans erfahren, das völlig im Verborgenen herrscht und zur Unangreifbarkeit seiner Herrschaft die eigene Existenz leugnen lässt. Um die eigene Spezies biologisch „umzubilden“ und damit zu „verbessern“, hat das Regime auf dem gesamten Planeten Programme zur Genmanipulation durchführen lassen, die jedoch katastrophale Auswirkungen hatten und Heere von missgebildeten Mutanten hervorbrachten. Diese Mutanten lässt das Regime nun mitleidlos ein­pferchen und ausrotten. Die Astronauten ziehen – ziemlich hergeholt – einen Ver­gleich des Regimes mit dem Unhold Prokrustes aus der griechischen Mythologie und skizzieren hier gar die Möglich­keit einer Systematik – der sogenann­ten „Prokrustik“ (vgl. S. 270; ein frühes Beispiel von Lems häufigem Spiel mit er­fundenen Wissenschaften wie beispiels­weise seiner späteren „Solaristik“). Allgemein drängen sich im Thema der Zivi­lisa­tion von Eden Bezüge zu irdischen totalitären Regimes auf. Künftige Gefahren der Genmanipulation werden bereits vorweggenommen, aber auch die in den Fünfzigerjahren omnipräsente Angst vor den genetischen Folgen atomarer Verstrah­lung schwingt hier deutlich mit.

 

Der gewiss interessanteste Aspekt am Ende des Romans ist die Frage, ob die irdischen Besucher das Recht und auch die adäquaten Möglichkeiten haben, in das totalitäre Regime von Eden steuernd einzugreifen. Lem lässt seine Astro­nauten zu dem Schluss kommen, dass ihre moralische Entrüstung letztlich nicht weiterhilft, da ihnen zu viele Informa­tionen fehlen, um in dem Konflikt auf Eden eine klare Position beziehen zu können. Zudem sehen sie voraus, dass sie, sofern sie kämpfend eingreifen würden, sich selbst moralisch kompromittieren würden, da sie mit der Zeit dazu ge­zwungen wären, immer häufiger und immer wahlloser töten zu müssen. Daher geben sie die Idee auf und ver­las­sen den Planeten wieder, als ihre Rakete instand gesetzt ist. Das hier von Lem geschilderte Dilemma wirkt auch heute noch aktuell und lässt sich auf viele irdische Krisenherde übertragen, in denen fremde Großmächte von außen einge­griffen haben und sich dabei in unübersichtliche, blutige Feldzüge und Bürgerkriege verstrickten.

 

Wie bereits erwähnt, zieht sich als Hauptthema durch den Roman, dass die außerirdische Zivilisation für die mensch­lichen Besucher völlig unverständlich bleibt und sich auch mit klugen Hypothesen kaum erschließt. Genau hierin liegt leider auch das Hauptproblem des Romans. Seine Lektüre ist sperrig und quälend langatmig und wird erst im letzten Viertel, als die Astronauten durch den direkten Kontakt mit einem Doppelt mehr über die Hintergründe der Zivilisation von Eden erfahren, flüssiger. Lem schildert umständlich und mit vielen Worten fremdartige Pflanzen, Fabriken, Bau­werke, Maschinen und Lebewesen – aber alles auf einer im Wort­sinne „äußerli­chen“, naiven Art und Weise, das heißt auf einer strikt visuellen Ebene, auf der oft kaum mehr als farbige, un­erklärliche Formen zusammenkommen. Nichts wird erklärt, kaum etwas erschließt sich in Form und Funktion, und so wird leider auch nichts anschaulich. Wo auf der offiziellen Stanisław-Lem-Webseite die „außergewöhnliche Imagination“ des Ro­mans gerühmt wird, und wo Heinrich Vormweg sich von der „Plastizität“ gefesselt sieht, „mit der in Bildern und Vorgängen das absolut Fremde als etwas Faßliches, unmittelbar Betreffendes entworfen ist“ (Werner Berthel, [Hrsg.], Über Stanisław Lem, S. 174), kann ich allen­falls Lems Bemühen anerkennen, eine wahrhaft außerirdische Welt und Zivilisation gestalten zu wollen, halte ihn aber darin für weitgehend gescheitert. Die im Boden eingesenkte Stadt etwa, die die Astro­nauten durchstreifen, wirkt wie ein leer­gefegtes Gängeviertel ohne irgendwelche Artefakte – ein gesichtsloser Irrgar­ten, der in meinen Augen als Siedlung einer intelligenten Spezies vollkommen unglaubwürdig daherkommt. In eklatan­tem Gegensatz dazu steht die Umwelt des Planeten Eden selbst, der mit seiner Wüste, seinem blauen Himmel, seiner Sauerstoff­atmosphäre und seinen Pflanzen genau gekommen eine Kopie der Erde ist.

 

Seitenweise wird der Leser immer wieder durch Szenarien geführt, in denen nichts irgendeinen Sinn zu machen scheint – und wird damit ständig auf harte Geduldsproben gestellt. Wenn dann die Astronauten nach ihren Expedi­tionen zu ihrer Rakete zurückkehren und über die Erlebnisse zu spekulieren beginnen, wird zwar hier und da in gro­ben Linien das eine oder andere Detail oder Erlebnis nachträglich mit Sinn gefüllt, doch bis dahin hat der Leser schon beinahe das Interesse daran verloren.

 

Sicherlich ist hier ein Dilemma auszumachen: Lem will die Fremdartigkeit und Unverständlichkeit der außerirdischen Umwelt, in der seine Protagonisten sich bewegen, erfahrbar machen. Doch weniger erzählerisches Wirrwarr, dafür eine größere Anschaulichkeit wäre für den Leser durchaus hilfreich gewesen. Dass Lem durchaus befähigt ist, extrem Fremdartiges anschaulich zu schildern, ohne es damit schon zu rationalisieren, hat er in Solaris mit Bravour bewiesen. In Eden aber bilden sich trotz ausführlicher Schilderungen zumeist keine Vorstellungen; es entstehen im Kopf kaum je konkrete Bilder von den Artefakten und dem Geschehen.

 

Der Zugang zu dem Roman wird noch zusätzlich damit erschwert, dass alle sechs irdischen Protagonisten keine Na­men haben, sondern durchgängig unpersönlich mit ihren Berufsbezeichnungen angesprochen werden: Es gibt einen Doktor, einen Chemiker, einen Koordinator, einen Kybernetiker, einen Physiker und einen Ingenieur (lediglich Letzterer wird hier und da „Henryk“ genannt). Der Verzicht auf Namen für austauschbare Figuren, die ohnehin kaum charakter­liche Tiefenschärfe gewinnen, ist eine dumme Spielerei; Lem hat sie später auch selbst an dem Roman kritisiert (vgl. Stanisław Lem/Stanisław Bereś: Lem über Lem. Gespräche, 1986, S. 58).

 

So ist dieser zähe Roman alles in allem eine herbe Enttäuschung. Stanisław Lem ist in Eden noch meilenweit von seiner außergewöhnlichen, intellektuell anregenden Science-Fiction späterer Jahre entfernt, und der Roman ist weit weni­ger ansprechend und unterhaltsam geschrieben als die beiden vorherigen Werke Die Astronauten und Gast im Welt­raum. Einige von Lems bevorzugten Themen sind in Eden bereits da, werden aber noch sehr ungelenk gehandhabt.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 6. Oktober 2016