Der Tag, an dem die Erde stillstand

DVD-Cover von "Der Tag, an dem die Erde stillstand" (The Day the Earth Stood Still, USA 2008) von Scott Derrickson

The Day the Earth Stood Still (USA 2008)

 

Regie: Scott Derrickson

Drehbuch: David Scarpa

Darsteller: Keanu Reeves (Klaatu), Jennifer Connelly (Helen Benson), Kathy Bates (Regina Jackson), Jaden Smith (Jacob Benson), John Cleese (Prof. Barnhardt), Jon Hamm (Michael Granier), Kyle Chandler (John Driscoll), Robert Knepper (Colonel), James Hong (Mr. Wu), John Rothman (Dr. Myron), Sunita Prasad (Rouhani), Juan Wiedinger (William Kwan) u.a.

Produzenten: Paul Harris Boardman, Gregory Goodman, Erwin Stoff, Marvin Towns Jr.

Companies: Twentieth Century Fox; 3 Arts Entertainment, Dune Entertainment III, Earth Canada Productions, Hammerhead Productions

Laufzeit: 104 Min.; Farbe

Premiere: 11. Dezember 2008 (Deutschland); 12. Dezember 2008 (USA)

 

Die Xenobiologin Helen Benson wird plötzlich aus ihrem normalen Leben gerissen, als Regierungsbeamte erscheinen und sie zusammen mit anderen Wissenschaftlern zu einem geheimen Einsatzort bringen. Den Wissenschaftlern wird offenbart, dass man ein extrem schnelles Flugobjekt im All ausgemacht habe, das direkt auf Manhattan zuhält. Wie sich später herausstellt, handelt es sich um keinen Asteroiden, sondern um eine seltsam leuchtende, gigantische Kugel, die wie ein waberndes Wolkenmeer aussieht – offenbar ein außerirdisches Raumschiff. Die Sphäre landet im Central Park. Der bizarr aussehende Außerirdische, der der Sphäre entsteigt, wird vom eilig herbeigerufenen Militär niedergeschossen, woraufhin ein zehn Stockwerke hoher Roboter aus der Sphäre auftaucht und mit seinem Energie­strahl alle menschlichen Waffen lahmlegt.

 

Der Außerirdische wird an einen geheimen Ort gebracht und operiert. Er „häutet“ sich von seinem Aliengewebe, und es entschlüpft ein Geschöpf, das wie ein Mensch aussieht. Das Geschöpf nennt sich Klaatu und erklärt, eine wichtige Botschaft an die Menschheit zu haben, die er vor der UN unterbreiten will. Klaatu wird der Wunsch abgeschlagen – die beauftragte Regierungsbeamtin Regina Jackson will lieber, dass die USA die Zügel in der ganzen Angelegenheit nicht aus der Hand geben. Sie versucht, den Fremden unter Verschluss zu halten. Klaatu aber entkommt mühelos und erhält Hilfe von Benson, die davon überzeugt ist, dass der Außerirdische in guter Absicht gekommen ist. Ein Irrtum, wie sie bald entsetzt feststellen muss . . .

 

Eine „unbequeme Wahrheit“ – und eine vertane Chance

 

Scott Derricksons 80 Millionen Dollar teures Remake des klassischen Science-Fiction-Films Der Tag, an dem die Erde stillstand (1951) ist leider enttäuschend, und das sage ich nicht, weil ich das Original von Robert Wise für einen der besten Science-Fiction-Filme aller Zeiten halte (er ist einer der besten Science-Fiction-Filme aller Zeiten) oder weil das Remake auch sonst nur mäßige bis vernichtende Kritiken erhielt. Die Probleme des Streifens sind vielfältig. Zum einen hat er eine sehr düstere, endzeitliche Atmosphäre und durch die Bank völlig unterkühlte Charaktere. Rechte Sympha­tie will da nicht aufkommen, weder für die spröde Heldin Helen Benson (Jennifer Connelly), noch für den Eisblock Klaatu, der von Keanu Reeves mit versteinerter Miene gespielt wird. Düstere, antiseptische Sets von klaustrophobi­scher Atmosphäre wechseln mit dunklen, zumeist nachts oder im Regen spielenden Außenaufnahmen. Offenbar wollte man bemüht stylish sein; Drehbuchautor David Scarpa ist im DVD-Audiokommentar sogar vermessen genug zu be­haupten, mit diesem Film sei der Science-Fiction-Film für das 21. Jahrhundert neu erfunden worden. Die Wahrheit ist, dass der Film keineswegs irgendetwas neu erfindet, sondern sich nahtlos in den uniformen Trend unserer Zeit einfügt: Science-Fiction muss dunkel und trist daherkommen, Verzweiflung ist das vorgeschriebene Thema, und die ach so „pseudo-dokumentarische“ Wackelkamera gilt als besonders geistreiches künstlerisches Stilmittel. Sie fehlt natürlich auch hier nicht.

Szenenfoto aus dem Film "Der Tag, an dem die Erde stillstand" (The Day the Earth Stood Still, USA 2008)
Klaatu hat nicht nur eine Öko-Botschaft im Gepäck – sein wolkenwaberndes Raumschiff sieht auch so aus

Immerhin entspricht der düstere Look des Films der düsteren Botschaft. Und die ist nun wahrlich viel düsterer als im Original. Womit wir beim wirklich gravierenden Problem des Films wären, den Änderungen am Plot. John Scalzi hatte schon 2005 prophetische Worte über ein mögliches Remake von Der Tag, an dem die Erde stillstand geschrieben:

 

„Es ist unmöglich, dass dieser Film heutzutage ein Remake erfahren könnte, jedenfalls nicht ohne ihn so grundlegend neu zu schreiben, dass er dem Original ausgesprochen fremd werden würde“ (The Rough Guide to Sci-Fi Movies, S. 79).

 

Scott Derrickson und David Scarpa haben Scalzis Ratschlag für ein Remake, so scheint es, mit Feuereifer beherzigt. Das Resultat indessen ist ein Desaster. Die atomare Bedrohung ist aus dem öffentlichen Diskurs längst verschwunden. Also musste für Klaatu eine neue Botschaft her. Und die betrifft nun – Überraschung! – die Umweltzerstörung. Der Mensch sündigt nicht länger durch Kriege, er sündigt jetzt durch die Umweltzerstörung. Im Original wollte Klaatu seine eigene Spezies vor der kriegerischen Aggression des Menschen schützen und die Menschheit gleichzeitig zur Friedfertigkeit erziehen, damit sie dereinst, ethisch gereift, in die kosmische Gemeinschaft eintreten kann. Hier dagegen will Klaatu die Erde selbst retten, deren Natur Klaatu ein höheres Daseinsrecht einräumt als ihrem evolutionären Irrtum, dem Menschen. Als Klaatu nicht angehört wird, setzt er anders als im Original kaltblütig die Vernichtung der Menschheit ins Werk: Der Roboter Gort zerfällt auf seinen Befehl hin in Myriaden winzigster Metallkäfer, die sich in Schwärmen über das Land ausbreiten und die Menschen wie auch ihre Artefakte (Gebäude, Fahrzeuge etc.) zerfressen.

 

Spätestens an diesem Punkt fällt die Handlung völlig auseinander. Man fragt sich: Muss dieser brutale Massenmord im Film sein? Weswegen ist er da? Um hübsche CGI-Tricksereien im Film zu haben, weil man glaubt, ohne sie nicht aus­kommen zu können? Scarpa ist im Audiokommentar ganz stolz auf seine Idee, aus Klaatu, dem Christengott des Ori­ginals, jetzt Klaatu, den zürnend strafenden Patriarchengott des Alten Testaments gemacht zu haben. Nur: Braucht die Welt überhaupt einen unbarmherzigen Patriarchen? Beförderte eine derart negativ aufgeladene Figur wie dieser Klaa­tu wirklich die Besserung der Menschheit? Es stellt sich heraus, dass ausgerechnet die bärbeißige Regierungsbeamtin Regina Jackson, die Klaatu von Anfang an als Sicherheitsproblem gesehen hat, Recht behält: Klaatu ist eine mörderi­sche Gefahr für die Menschheit, und als solche wird Klaatu auch vom Zuschauer wahrgenommen. Die radikale Ausrot­tung entzieht jeder Diskussion die Grundlage: Klaatu muss weg, entweder er oder wir. So wird der originale Plot zu einer konventionellen Invasionsstory verstümmelt. Die dick aufgetragene und eigentlich nur nervende Ökobotschaft kann diesen Befund nur notdürftig zukleistern.

Szenenfoto aus dem Film "Der Tag, an dem die Erde stillstand" (The Day the Earth Stood Still, USA 2008) mit Keanu Reeves
Eine bettelnde Stiefmutter, ein jammerndes Kind und ein Friedhof stimmen den Massenmörder aus dem All schließlich um – so simpel lassen sich Alieninvasionen abwenden

Der Menschheit wird am Ende von Klaatu zwar dann doch noch eine Chance eingeräumt. Die Liebe zwischen Benson und ihrem Adoptivsohn (gemimt vom ewig nervtötenden Will-Smith-Sohn Jaden) erweicht plötzlich und kaum nach­vollziehbar Klaatus außerirdisches Herz (und das, nachdem bereits Millionen umgekommen sind), und er zischt in sei­ner Sphäre wieder ins All ab. Doch was wird nach Klaatus Vernichtungsfeldzug und seinem Abgang wohl die Reaktion der Menschheit sein? Werden nun größere Anstrengungen unternommen werden, um die Umwelt zu retten? Oder wird die Welt nicht vielmehr alles daran setzen, in der Zukunft mit effizienteren Waffen gegen die außerirdischen Eindringlinge gewappnet zu sein?

 

Auch in den Details ist es schade bis ärgerlich, wie der Film seine Chancen verschenkt. Die „Sphären“ zum Beispiel – zugegeben, anno 2008 hätte eine fliegende Untertasse möglicherweise wenig überzeugend gewirkt (obwohl ich mir da gar nicht sicher bin), aber diese wabernden, indifferenten, bewölkten Globen sind nie und nimmer ein befriedigen­der Ersatz. Die ganze Zeit schreien sie dem Zuschauer ins Gesicht: „Seht her, ich bin eigentlich ein Abbild der Erde und damit eine kolossal wichtige Ökobotschaft, eine unbequeme Wahrheit! Und außerdem habe ich mir mein Gleißen aus Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art geborgt!“ Die vielen Sphären, die in der Mitte des Films auf Klaatus Befehl hin die Erde verlassen und als Archen für die bedrohten Tiere und Pflanzen dienen, sind im Zusammenhang der Erzählung erst recht grober Unfug, denn Klaatu zögert ja keineswegs, die Menschheit auszurotten, womit das Überle­ben der irdischen Biologie hinlänglich gesichert wäre – es bedarf somit keiner Archen. Erneut ging es hier wieder nur um das sinnentleerte optische Anhübschen des Films mit vermeintlich coolen CGI-Tricksereien.

 

Oder Gort: Das Potential des Roboters wird überhaupt nicht genutzt, er gehorcht (anders als im Original) völlig Klaatu, und am Ende löst er sich sogar auf! Warum hat er sich dann eigentlich zuvor gebildet? Solche Fragen stellen sich für­witzige Zuschauer – ist’s zuviel verlangt, dass sie sich auch ein Drehbuchautor stellt? Dann die Friedhofsszene. Auch Scarpa war von ihr beeindruckt genug, um sie in seinem Skript umzusetzen. Im Original eine Schlüsselszene, erbringt sie im Remake nichts. Zwar ist flüchtig, sieht man genau hin, die Grabsteininschrift von Jacobs Vater zu erkennen, die offenbart, dass Jacobs Vater im Irak gefallen ist. Die prekäre Frage nach dem Sinn seines Todes wird hier jedoch nur ganz am Rande (und wahrscheinlich ungewollt) aufgeworfen, nicht aber weiterverfolgt. Schließlich der titelgebende Stillstand der Welt. Der geschieht bei Scarpa in völlig anderem Zusammenhang, nämlich in dem Augenblick, als Klaatu die Ausrottung der Menschheit stoppt. Damit aber entbehrt das Ereignis jeglicher Signifikanz, ist nur ein unbedeuten­der Nebeneffekt. Aber natürlich durfte es im Remake nicht fehlen, also lieferte man es am Ende des Films noch schnell nach.

 

Als Fazit bleibt zu sagen, dass der Film durchaus hier und da seine Schauwerte hat und bisweilen auch unter die Haut zu gehen mag. Mehr als eine zynische Apokalypse, die mit einer politisch ach so korrekten und penetrant unter die Nase geriebenen Ökobotschaft gerechtfertigt wird, bietet er aber nicht. Das würde für sich genommen als halbwegs unterhaltsame Nonsens-Show noch angehen. Aber als ausdrückliches Remake des 1951er Klassikers, der eine völlig andere Aussage hat, muss man diesen Film als mit Pauken und Trompeten gescheitert bezeichnen.

 

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 14. März 2017

Szenenfotos © Twentieth Century Fox