District 9

DVD-Cover zum Film "District 9" (2009) von Neill Blomkamp

District 9 (Südafrika/Neuseeland 2009)

 

Regie: Neill Blomkamp

Drehbuch: Neill Blomkamp, Terri Tatchell

Darsteller: Sharlto Copley (Wikus van de Merwe), Jason Cope (Christopher Johnson), Vanessa Haywood (Tania van de Merwe), Louis Minnaar (Piet Smit), David James (Koobus Venter), Eugene Khumbanyiwa (Obesandjo), Hlengiwe Madlala (Sangoma), Mandla Gaduka (Fundiswa Mhlanga), Nathalie Boltt (Sarah Livingstone), Sylvaine Strike (Dr. Katrina McKenzie), John Sumner (Les Feldman), William Allen Young (Dirk Michaels) u. a.

Produzenten: Peter Jackson, Carolynee Cunningham

Companies: TriStar Pictures (A Sony Pictures Entertainment Company)

Laufzeit: 112 Min.; Farbe

Premiere: 13. August 2009 (Neuseeland); 14. August 2009 (USA); 28. August 2009 (Südafrika); 10. September 2009 (Deutschland)

 

Ein gigantisches außerirdisches Raumschiff erscheint über Johannesburg in Südafrika und bleibt dort unbeweglich in der Luft stehen. Mehrere Monate lang geschieht nichts, sodass sich die Regierung entschließt, ein Loch in das Schiff zu schneiden und mit Spezialeinheiten einzudringen. Im Inneren des Raumschiffs entdecken die Einsatzkräfte eine Million zusammengepferchter, unterernährter Aliens, die wie menschenähnliche Garnelen aussehen. Es scheint, dass die Aliens Arbeitssklaven sind, deren Führung verschwunden ist; das Raumschiff ist über der Erde vermutlich nur gestran­det. Die Außerirdischen werden aus humanitären Gründen aus dem Schiff evakuiert und in einem eingezäunten Bezirk unterhalb des Schiffs, „Distrikt 9“, angesiedelt.

 

20 Jahre später schwebt das Raumschiff noch immer über Johannesburg, und Distrikt 9 ist ein verkommener Slum, in dem Armut, Gewalt und Verbrechen herrschen. Die Johannesburger haben davon die Nase voll. So wird der mit der Sicherung von Distrikt 9 betraute Konzern „Multi National United“ (MNU) angewiesen, den Slum zu räumen und die „Shrimps“, wie die Außerirdischen abfällig genannt werden, in einem neuen Reservat weit entfernt von der Stadt an­zusiedeln. Der spießige MNU-Angestellte Wikus van de Merwe soll die Umsiedlung leiten, bei der brutal gegen die Slumbewohner vorgegangen wird. Als Wikus sich bei der Durchsuchung der Wellblechhütte des Außerirdischen Chris­topher mit einer biochemischen Substanz infiziert, die Christopher gemeinsam mit seinem Sohn aus Alienschrott ge­wonnen hat, geschieht Stunden später Entsetzliches: Wikus wächst anstelle seiner Hand eine Alienklaue, und er ver­wandelt sich zusehends in einen „Shrimp“.

 

Durch seine Transformation ist Wikus plötzlich überaus wertvoll für die MNU, die heimlich die Erforschung der militä­rischen Technologie der Außerirdischen verfolgt und vor dem Problem steht, dass die an Bord des Raumschiffs ent­deckten hochentwickelten Waffen nur von Lebewesen ausgelöst werden können, die über einen genetischen Finger­abdruck der „Shrimps“ verfügen. Wikus ist der erste Mensch, der eine Alienwaffe abfeuern kann. Er wird von der MNU zum Studienobjekt degradiert: In einem Labor eingesperrt, muss er sadistische Tests über sich ergehen lassen und soll schließlich sogar auf Anordnung seines eigenen Schwiegervaters Piet Smit, dem Chef der MNU, bei vollem Bewusst­sein vivisektiert werden. Wikus gelingt jedoch aufgrund seiner gewachsenen Körperkräfte die Flucht. Er taucht im Distrikt 9 unter und sieht sich der Feindschaft aller ausgesetzt. Seine einzige Hoffnung ist Christopher – kann er die rasch fortschreitende Transformation zum Alien rückgängig machen?

 

Neill Blomkamps intelligentes Science-Fiction-Debut

 

District 9 war neben der cleveren britischen Low-Budget-Überraschung Moon von Duncan Jones sicherlich der bemer­kenswerteste Science-Fiction-Film des Jahres 2009. Die Genrefans waren begeistert, und viele Kritiker feierten das Erstlingswerk des aus Südafrika stammenden und in Kanada lebenden Neill Blomkamp (geb. 1979) als Meisterwerk. Der Film wurde schließlich für vier Oscars nominiert (in den Kategorien „bester Film“, „bestes adaptiertes Drehbuch“, „bes­ter Schnitt“ und „beste visuelle Effekte“). Im Großen und Ganzen ist das Lob berechtigt. Blomkamp schuf mit District 9 eine grimmige Science-Fiction-Oper mit grellen politischen und sozialkritischen Zwischentönen, die darüber hinaus mit einem herausragenden Sharlto Copley (geb. 1973) in der Hauptrolle glänzt. Der Film ist ein Freudenfest für jeden, der im Kino nach intelligenter Science-Fiction hungert. Gleichwohl hat der begeisterte Rummel um District 9 auch dafür gesorgt, dass mich beim Anschauen des Films eine leise Ernüchterung beschlich. Der vielleicht zu Unrecht von mir erwartete hohe intellektuelle Anspruch wurde am Ende dann doch nicht ganz erfüllt, einige logische Ungereimt­heiten störten den ansonsten packenden Erzählfluss, und das Ende fiel für einen Film, der als politisch unbequem ge­rühmt wird, enttäuschend konventionell aus.

Szenenfoto aus dem Film "District 9" (2009) von Neill Blomkamp
Zynisches Denkmal am District 9 – Vom Einvernehmen zwischen Alien und Mensch kann keine Rede sein

Neill Blomkamp hat zu Beginn seiner Karriere mehrere Jahre in der Erstellung von CGI-Effekten und 3-D-Filmen gear­beitet. Sein erster eigener, sechsminütiger Kurzfilm Alive in Joburg (2005) enthält mit der pseudodokumentarischen Darstellung eines Alienslums in Johannesburg bereits die Plotidee, die Blomkamp vier Jahre später in District 9 zu einem abendfüllenden Spielfilm ausbauen würde. Die Werbeclips, die Blomkamp für den dritten Teil des Videospiels Halo produzierte, erregten die Aufmerksamkeit von Regisseur und Produzent Peter Jackson (Der Herr der Ringe, King Kong), sodass Blomkamp von Jackson für den Regiestuhl eines geplanten Halo-Spielfilms empfohlen wurde. Universal und 20th Century Fox ließen das Halo-Projekt jedoch nach längerem Hin und Her fallen. Jackson wollte dem Nach­wuchstalent dennoch eine Chance geben. Er stattete Blomkamp mit einem Budget von 30 Millionen Dollar und den Ressourcen der Spezialeffekte-Schmiede Weta aus und ließ ihn den Film drehen, den er drehen wollte.

 

Nach der Fertigstellung des Films wurde eine geschickte Vermarktung angestoßen. Peter Jacksons zugkräftiger Name als Produzent und eine verrätselte Werbung im Internet, die kaum etwas über den Inhalt des Films verriet und sich an das Werbekonzept von Cloverfield (2008) anlehnte, schürten im Vorfeld ein brennendes Interesse, sodass der Film aus dem Stand zu einem großen kommerziellen Erfolg wurde – er spielte mehr als 200 Millionen Dollar ein. Das ist trotz der cleveren Teaser und Trailer bemerkenswert, wenn man in Betracht zieht, dass der Film eine südafrikanisch-neusee­ländische Koproduktion darstellt, die weder mit einem bekannten Regisseur noch mit Stars werben konnte und mit Johannesburg auch einen ungewöhnlichen Schauplatz hat.

 

Mit 30 Millionen Dollar kostete Blomkamps Debut sechsmal soviel wie Moon, doch ist diese Summe immer noch ein Klacks im Vergleich mit Blockbustern wie Krieg der Welten (2005), Transformers (2007) oder The Dark Knight (2008), die Budgets von weit mehr als 100 oder gar 200 Millionen Dollar verpulvern durften. Nachdem man District 9 gesehen hat, drängt sich die Frage auf: Wofür sind deren Mega-Budgets eigentlich draufgegangen? Angesichts der vergleichs­weise günstigen Herstellung ist man erstaunt, wie üppig und geschliffen die Produktionswerte von District 9 wirken. Blomkamps Film bietet hervorragende CGI-Tricks und stimmige Setdesigns, und nirgendwo stellt sich für den Zu­schauer das Gefühl ein, dass die Produktion hier oder da Kompromisse machen musste. Die Außerirdischen entstanden vollständig am Computer – der Alien Christopher wurde von Jason Cope im Motion-Capture-Anzug gespielt und später digital übermalt –, und sie fügen sich perfekt in ihre Umgebung ein und wirken wie glaubwürdige reale Körper. Etwas enttäuschend indes ist ihr Design. Wieder einmal sind die Außerirdischen in ihrer Grundgestalt humanoid – vier­gliedrige, aufrecht gehende, bilateral aufgebaute Wesen – und in ihrem Äußeren einer irdischen Tiergattung ähnlich, in diesem Falle Garnelen (sie werden von den Menschen abwertend „Shrimps“, im englischen Original „prawns“ ge­nannt). Auch in ihrem Verhalten und in ihrer Emotionalität haben sie sehr menschliche Züge, doch ist dies vielleicht unvermeidlich, wenn der Zuschauer an ihrem Schicksal auf der Erde anteil nehmen soll.

Szenenfoto aus dem Film "District 9" (2009) von Neill Blomkamp, mit Sharlto Copley
Der MNU-Angestellte Wikus van de Merwe (Sharlto Copley) leitet die Räumung der Aliens aus dem District-9-Ghetto

Die vermüllten, staubigen Schauplätze im Alienslum „Distrikt 9“, dessen Name bewusst an den hafennahen Stadtbezirk „Distrikt 6“ in Kapstadt anklingt, der ab 1968 im Rahmen der rassistischen Apartheid-Politik von nichtweißen Bewoh­nern zwangsgeräumt wurde, tragen erheblich zur deprimierenden Eindringlichkeit und zum authentischen Anstrich des Films bei. Blomkamp drehte in wirklichen südafrikanischen Armenvierteln, vor allem in Soveto, und musste dort fast nichts umdekorieren. Um den Film so vital und lebensecht wie möglich wirken zu lassen, ließ Blomkamp seine Schauspieler darüber hinaus möglichst viel improvisieren.

 

Eine weitere Steigerung der Glaubwürdigkeit versucht Blomkamp zu erreichen, indem er sich der Mittel des Cinéma Vérité bedient und den Film in weiten Teilen wie modernes TV-Dokutainment und Nachrichten-Broadcasting insze­niert. Man fragt sich, ob Blomkamps Film nebenher auch Medienkritik sein will. Seine Mixtur aus TV-Interviews, Video­tagebüchern, verwackelten und wild zoomenden Camfiles oder schwarzweißen Mitschnitten von Überwachungs­kameras ist einerseits eine stimmige Abbildung der Art und Weise, wie wir heutzutage weltweit Ereignisse über das Fernsehen oder das Internet wahrnehmen. Sie ist aber in einem Spielfilm auf die Dauer auch ziemlich ermüdend und prätentiös. Ich gebe zu, dass ich erleichtert war, als Blomkamp diesen Stil nicht stur durchhielt und bald zu den kon­ventionellen Mitteln filmischen Erzählens zurückfand.

 

Die Rassisten zerplatzen wie Popcorn . . .

 

District 9 ist zum einen ganz offensichtlich von Graham Bakers Space Cop L.A. 1991 (1988) inspiriert worden, wo ein großes, untertassenförmiges Raum­schiff voller versklavter Aliens über der Mohavewüste in Kalifornien eintrifft und die Aliens anschließend nur unter Schwierigkeiten und unter großen Anfeindungen der Menschen in die Gesellschaft in­tegriert werden. Die Parallele zu Space Cop geht sogar so weit, dass auch dort am Anfang des Films die Ankunft des Raumschiffs im Nachrichten-Broadcasting-Stil gefilmt wurde, mit verwackelten, körnigen Aufnahmen, Newscaster-Kommentaren und Interviews mit skeptischen Leuten von der Straße. Abgesehen von diesem Anfang geht Space Cop dann allerdings völlig andere Wege als District 9.

 

Weitaus gewichtiger ist ein biografischer Einfluss: die Apardheid in Südafrika, die Neill Blomkamp als Kind noch selbst miterlebt hat. Sein Film ist eine leidenschaftliche Anklage gegen Rassismus und Lagerinternierungen, eine Alle­gorie auf den rassistischen Skandal Südafrikas, die sich jedoch problem­los auch auf andere Rassenkonflikte übertragen lässt. Der Alienslum steht überdeutlich für die schwarzen Homelands und ist doch nur ein Exempel. Die Außerirdischen wer-den mit denselben angstschürenden Vorurteilen aus der Ge­meinschaft ausgeklammert wie ehedem die Schwar­zen. Von der besitzenden, weißen Klasse, die um ihre Ruhe und Ordnung besorgt ist, werden sie kaum höher ge­schätzt als lästiges Ungeziefer. Aber auch die Schwarzen in Blom­kamps Film diskriminieren die Aliens – woraus sich die Lehre zie­hen lässt, dass Rassismus prinzipiell in jeder gesell­schaftlichen Gruppe möglich ist. Grenzwertig ist die Dar­stellung der Nigerianer unter ihrem Gang-Anführer Obesandjo, die beinahe zu nichtmenschlichen Bestien herabgestuft werden. Dass sie ein Abbild realer Gangs in Südafrikas Armen­vierteln sind, ist unbestritten, doch wirken ihre sadisti­sche Ge­walttätigkeit und ihr blutiger, okkulter Aberglaube, be­feuert von einer steinzeitlichen Hexe, fast wie Zerrbilder alter kolonialer Vorurteile gegen den „schwarzen Mann“, die der Film nicht hinterfragt.

 

Wie bei allen Allegorien drängt sich auch in District 9 die Frage auf, weshalb die Maskerade für die Auseinanderset­zung mit dem ernsten politischen Thema nötig ist. Ehrlicherweise müsste Blomkamp zugeben, dass es darauf keine seriöse Antwort gibt. Das bedeutet aber nicht, dass District 9 ein unberechtigter oder gar irrelevanter Zugang zum Thema wäre. Blomkamp gelingt eine originelle cineastische Aussageform – sowohl für den soziopolitischen Skandal wie für das klassische Thema des first contact. Fragt man sich, was denn geschähe, wenn tatsächlich ein Raumschiff voller unterernährter Sklaven auf der Erde strandete, scheinen die in District 9 gezogenen düsteren Schlussfolgerun­gen gar nicht so abwegig. Die Hoffnungen, die noch Steven Spielberg in Unheimliche Begegnung der dritten Art (1977) an den Erstkontakt knüpfte, würden sich womöglich doch nur als schöner, naiver Traum entpuppen. Die Menschen, insbesondere die Politiker, wären wahrscheinlich in erster Linie an der Kontrolle der Besucher und am Machtgewinn durch Alientechnologie interessiert, kaum aber am gegenseitigen Austausch auf respektvoller Augenhöhe.

 

Besonders ungewöhnlich ist der „Held“, den District 9 als Hauptfigur präsentiert. Wikus van de Merwe, dargestellt von Sharlto Copley, bricht mit den üblichen Kino-Konventionen: Er ist weder ein symphatischer noch ein tragischer Mensch, der von Beginn an das Publikum auf seiner Seite hätte, sondern ein uncooler, gehemmter und bornierter Schmierlappen, den sich kaum jemand zum Freund wünschen würde. Er bekleidet im MNU-Konzern einen Büroposten, und nur weil er mit der Tochter des Konzernchefs verheiratet ist, wird ihm die Leitung der Räumungsaktion von Dis­trikt 9 übertragen. Während der Räumung genießt Wikus die Macht, die er über die „Shrimps“ ausüben darf. Er ist we­nig gerührt über die Gewalt, die die Sicherheitskräfte den Außerirdischen antun, und freut sich wie ein sadistisches kleines Kind, wenn die Eier der Aliens im Strahl der Flammenwerfer mit lautem Knall explodieren. Als Wikus sich ver­sehentlich mit der aus Alientechnologie gewonnenen biochemischen Flüssigkeit infiziert und seine kafkaeske Trans­formation zu einem Alien beginnt – hier überdeutlich Val Guests Quatermass-Klassiker Schock (1955) und David Cro­nenbergs Die Fliege (1986) zitierend – , beginnt der Zuschauer am Schicksal des verzweifelt und hysterisch reagieren­den Wikus Anteil zu nehmen. Doch selbst in dieser Situation bleibt Wikus ein selbstsüchtiger Arsch, dem nur an seiner Rückverwandlung zu einem Menschen gelegen ist. Sein Pakt mit Christopher dient allein diesem Ziel, und erst gegen Ende des Films beginnt Wikus leise zu ahnen, dass auch die Aliens ihre eigene Kultur, ihre eigene Würde und ihr eige­nes Lebensrecht haben, und er leistet für sie ein Opfer. Moralische Skrupel spielen ansonsten keine Rolle, praktisch alle Figuren sind von rücksichtslosem Machtstreben, gewalttätigem Zynismus und stumpfer Selbstsucht getrieben. District 9 stellt der Menschheit ein vernichtendes Zeugnis aus.

Szenenfoto aus dem Film "District 9" (2009) von Neill Blomkamp, mit Sharlto Copley
Tour de force für den Rassisten – Wikus mutiert zum Alien, nachdem er sich mit Alien-DNA infiziert hat

Sharlto Copleys Darstellung der zähen emotionalen Wandlung von Wikus ist schlichtweg großartig. Es ist kaum zu glauben, dass Copley, zuvor nur als Produzent tätig, in District 9 seine erste große Rolle als Schauspieler absolviert – von einem kurzen Auftritt in Blomkamps Alive in Joburg abgesehen. Obwohl Wikus ein Unsympath ist, vermag er, das Publikum einzufangen und für sich zu interessieren. Er hält die Show selbst dann zusammen, als sie nach und nach in konventionellen Actionkrawall abrutscht.

 

Hierin liegt denn auch das größte Manko von District 9. Blomkamp hat eine beeindruckende grundlegende Idee und ein gutes, ungewöhnliches Repertoire an Figuren, und die erste Hälfte des Films funktioniert sehr gut. Blomkamp scheint jedoch etwas ratlos, wie er seinen packenden Plot weiterentwickeln soll, sodass er sich mit immer mehr Un­wahrscheinlichkeiten behilft. Das ist übrigens ein Problem vieler Science-Fiction-Filme, die intelligent und innovativ sein wollen; Danny Boyles Sunshine (2007) ist davon ebenso betroffen wie Duncan Jones’ Moon (2009). In dem Mo­ment, wo Wikus sich in ein Alien zu verwandeln beginnt und ihm die kaum glaubwürdige Flucht in den Distrikt 9 ge­lingt, bewegt sich der Plot in den gängigen Bahnen eines brutalen Actionthrillers über einen Verfemten auf der Flucht, und Wikus mutiert zum schlagkräftigen Kampfschwein, das sich schwer bewaffnet den Weg in die Höhle des Löwen, in diesem Fall ins Labor der MNU, freiballert. Das ist rasant, launig und visuell mitreißend, aber auch vorhersehbar. Das politische Thema gerät aus den Augen und macht für grelle Energiestrahlengefechte und deftige Splattereffekte Platz.

 

Blomkamp hat sichtlich Spaß daran, die rassistischen Häscher von Wikus und Christopher wie blutige Schleimbeutel regelrecht explodieren zu lassen – immerhin wohlwissend, dass dies nichts verändert, die Bosse ungeschoren davon­kommen, das Gemetzel nur fiktive Genugtuung in einem fiktiven Blutbad ist. Später bedient sich Blomkamp bei Mi­chael Bays Transformers (2007), James Camerons Avatar (2009) oder Ian Flaveaus Iron Man (2008), indem er seinen Helden in einen außerirdischen Kampfroboter setzt, mit dem er sich im Distrikt 9 gegen die MNU-Milizen zur Wehr setzen kann. Der Showdown strotzt vor Action-Klischees, von denen besonders sauer aufstößt, dass es Wikus in sei­nem Kampfroboter zwar mühelos gelingt, reihenweise MNU-Söldner wegzublasen, er es jedoch stur und dumm ver­meidet, auf seinen gefährlichsten Widersacher Koobus Venter zu schießen. Der Grund dafür ist klar: Koobus darf den Genregesetzen folgend erst ganz am Schluss sterben, Aug’ in Aug’ mit Wikus. Dass es dann die Aliens sind, die Koobus schließlich in Stücke reißen und verspeisen, ist der dick aufgetragenen Symbolik dann auch zuviel.

 

Die Alienwaffen werfen gravierende Fragen auf. Die Aliens werden im Slum von Sicherheitskräften der MNU brutal in Schach gehalten. Gleichzeitig verfügen die Aliens im Distrikt 9 über ein großes Arsenal an eigenen Waffen, die auf­grund der DNA-Erkennung nur in ihren eigenen Händen funktionieren. Wie gerieten diese Waffen aus dem Mutter­schiff in den Slum? Wären sie bei der Evakuierung des Mutterschiffs nicht alle konfisziert worden? Und vor allem: Warum wehren sich die Aliens nie mit ihnen? Statt aufzubegehren, verscherbeln die Aliens die Waffen für ein paar Dosen Katzenfutter (!) an die Nigerianer. Arbeitssklaven hin oder her – kann eine raumfahrende, technisch haushoch überlegene Rasse sich wirklich so dumm verhalten, zumal die bloße Existenz der Waffen beweist, dass den Aliens bewaffnete Konflikte nicht unbekannt sind?

Szenenfoto aus dem Film "District 9" (2009) von Neill Blomkamp
Schlussakkord – Wikus schlägt sich als Alien im Slum durch und kann auf seine Erlösung nur noch hoffen

Auch kleinere Schwächen und Stolpersteine wären leicht vermeidbar gewesen. Dass Wikus sich in einer Szene mit ei­nem Beil einen Finger abhackt und schon in der nächsten Szene keine Schmerzen mehr verspürt, muss der Zuschauer ebenso hinnehmen wie die Merkwürdigkeit, dass Wikus mühelos in der Lage ist, ein Alien-Fluggefährt zu steuern. Es erscheint auch etwas gewollt, dass derselbe „Saft“, den Christopher und sein Sohn für den Antrieb des Fluggefährts hergestellt haben, Wikus mit Alien-DNA infiziert und ihn zu einem Alien transformiert. Schließlich ist Christopher selbst problematisch. Gehört er der intelligenteren Führungskaste der Aliens an oder nicht? Wenn nicht, wären seine tech­nischen Erfolge im Distrikt 9 unglaubwürdig. Wenn ja, fragt sich, warum er nicht schon vor 20 Jahren gehandelt hatte, als das Raumschiff auf der Erde strandete und sich alle Aliens noch an Bord befunden hatten. Denn dass das Raum­schiff noch voll funktionstüchtig ist, zeigt ja das Ende des Films.

 

Ein Fazit

 

Eine gewitzte Plotidee, die schließlich in genreübliche Muster abrutscht, und logische Schwächen, die sich im Film zu­sehends aufsummieren – beides zwei altbekannte Probleme sehr vieler Science-Fiction-Filme. Es ist schade, dass Neill Blomkamp die relativ einfachen Schwierigkeiten seiner Mär nicht abstellte, denn ansonsten ist seine ruppige Ghetto-Ballade ein überaus intelligent gemachter, packender Science-Fiction-Streifen, der sich das vielfältige Lob redlich ver­dient hat. Ein brillanter Genrebeitrag eines Regisseurs, der mit Elysium (2013) und Chappie (2015) bereits zwei weitere herausragende Science-Fiction-Streifen nachgelegt hat.

 

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District 9 (Südafrika/Neuseeland 2009). Regie: Neill Blomkamp. Produzenten: Peter Jackson, Carolynee Cunningham. Ausführende Produzenten: Bill Block, Ken Kamins, Elliot Ferwerda, Paul Hanson u. a. Companies: WingNut Films, Block/Hanson (Produktion); TriStar Pictures (A Sony Pictures Entertainment Company; Vertrieb). Drehbuch: Neill Blom­kamp, Terri Tatchell. Kamera: Trent Opaloch. Schnitt: Julian Clarke. Musik: Clinton Shorter. Szenenbild: Philip Ivey. Art Direction: Mike Berg, Emilia Roux. Set Decoration: Guy Potgieter. Spezialeffekte/Visuelle Effekte: Max Poolman (Lei­tung), Paul Glubb (Koordination), Weta Digital, Weta Workshop, Zoic Studios, The Embassy, Image Engine Design, Ani­matrix Film Design, MXFX Special Effects, XYZ-RGB.

Darsteller: Sharlto Copley (Wikus van de Merwe), Jason Cope (Christopher Johnson), Vanessa Haywood (Tania van de Merwe), Louis Minnaar (Piet Smit), David James (Koobus Venter), Eugene Khumbanyiwa (Obesandjo), Hlengiwe Mad­lala (Sangoma), Mandla Gaduka (Fundiswa Mhlanga), Nathalie Boltt (Sarah Livingstone), Sylvaine Strike (Dr. Katrina McKenzie), John Sumner (Les Feldman), William Allen Young (Dirk Michaels) u. a.

Laufzeit: 112 Min.; Farbe. Premiere: 13. August 2009 (Neuseeland); 14. August 2009 (USA); 28. August 2009 (Südafrika); 10. September 2009 (Deutschland)

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 8. März 2017

Szenenfotos © TriStar Pictures/Sony Pictures