Im Staub der Sterne (DDR/Rumänien 1976)
Regie: Gottfried Kolditz
Drehbuch: Gottfried Koldwitz (Story), Joachim Hellwig (Drehbuch)
Kamera: Peter Süring
Schnitt: Christa Helwig
Musik: Karl-Ernst Sasse
Darsteller: Jana Brejchová (Akala), Alfred Struve (Suko), Ekkehard Schall (Chef), Milan Beli (Ronk), Regine Heintze (Miu), Silvia Popovici (Illik), Violeta Andrei (Rall), Leon Niemczyk (Thob), Mihai Mereuta (Kte) u. a.
Companies: DEFA Studio für Spielfilme; Gruppe DEFA Futurum
Laufzeit: 100 Minuten; Farbe
Premiere: 1. Juli 1976 (DDR)
In einer fernen Galaxis empfängt die von Menschen bewohnte, hochentwickelte Welt Cynro einen Hilferuf vom bislang unerforschten vierten Planeten des Tem-Systems. Ein Raumschiff unter der Leitung der Kommandantin Akala wird daraufhin nach Tem 4 ausgeschickt. Beim Landeanflug sind die Schiffsfunktionen plötzlich dramatisch gestört, sodass das Schiff beinahe abstürzt. Schließlich gelingt doch die Landung. Die Raumfahrer werden zu Ronk gebracht, einem mächtigen Anführer auf Tem 4, der in einem großen Palast residiert. Ronk zeigt sich den Besuchern gegenüber abweisend. Er behauptet, dass der Hilferuf nur aus Versehen abgesetzt worden sei, und drängt Akala, möglichst bald wieder abzufliegen. Der Wissenschaftler Suko hat derweil die Systeme des Raumschiffs untersucht und herausgefunden, dass die Störung beim Landeanflug von Tem 4 ausgegangen und offensichtlich ein Angriff gewesen war. Akala will Sukos Misstrauen allerdings zunächst nicht teilen.
Unerwarteterweise wird die Besatzung des Schiffs wenig später von Ronk zu einer Feier eingeladen. Auf der opulenten Party amüsieren sich alle Kosmonauten prächtig und bekommen nicht mit, dass sie von Ronk heimlich mit einem telepathischen Strahl „mental blockiert“ werden, was zur Folge hat, dass plötzlich jeder von der Gutmütigkeit der Tem-4-Bewohner überzeugt ist und kein Interesse mehr daran hat, den ominösen Hilferuf aufzuklären. Nur Suko ist der Party fern geblieben. Er verlässt heimlich das Raumschiff, erkundet mit einer Sonde die wüstenhafte Umgebung und stößt dabei auf seltsame Schachteingänge. Tief unter der Oberfläche des Planeten entdeckt Suko schließlich das Geheimnis von Tem 4: In gewaltigen Minen müssen die versklavten Ureinwohner des Planeten, die Turi, unter der Knute von Ronks Volk, das vor langer Zeit von Tem 3 eingewandert ist, Mineralien abbauen. Die Turi erklären Suko, dass sie den verzweifelten Hilferuf ins All abgesetzt hatten. Bevor Suko zum Raumschiff zurückkehren kann, wird er von Ronks Soldaten gefangen genommen. Der Herrscher des Planeten, „der Chef“, überlegt, wie weiter mit den Kosmonauten zu verfahren ist, denn einen militärischen Konflikt mit Cynro will er möglichst vermeiden . . .
Skurrile Mischung in grellem Siebziger-Disco-Look
Science-Fiction-Filme wurden in der DDR leider nur sehr selten gedreht; der Publizist, Medienwissenschaftler und Kenner der DDR-Science-Fiction Olaf R. Spittel (geb. 1953) verzeichnet auf seiner Webseite insgesamt nur elf Kinofilme, einen Kurzfilm und vier Fernsehproduktionen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Visuell aufwendig gestaltete Science-Fiction-Filme erfordern materielle und tricktechnische Ressourcen, die in der DDR nicht immer ausreichend zur Verfügung standen, während die Kulturbehörden den eskapistischen Tendenzen misstrauten, die sie in Science-Fiction-Filmen witterten. Die Filmemacher standen außerdem vor dem Problem, eine Zukunft abbilden zu müssen, in der gemäß der politischen Doktrin die makellose kommunistische Gesellschaft bereits Realität und damit das Ende der Sozial- und Kulturgeschichte erreicht war, sodass es folglich in dieser Zukunft eigentlich keine erzählenswerte Konfliktpotenziale mehr geben konnte. Die Lösung des Problems lag meistens in seiner Auslagerung: Konflikte entstanden nicht innerhalb der kommunistischen Gesellschaft, sondern in ihrer Berührung mit rückständigen, ausbeuterischen und kriegslüsternen, sprich: kapitalistischen Systemen. Diese wurden, wie beispielsweise in Kurt Maetzigs Der schweigende Stern (1960), dem ersten Science-Fiction-Film der DEFA, als außerirdische Schreckgespenster allegorisiert.
Gottfried Kolditz (1922–1982), Autor und Regisseur von Im Staub der Sterne, war in der DDR ein viel beschäftigter Filmemacher, der eine Reihe sehr erfolgreicher Märchenfilme, Musicals, Komödien, vor allem aber Indianerfilme inszenierte – letztere mit dem beliebten Hauptdarsteller Gojko Mitic, dem „Winnetou des Ostens“. Seinen ersten Science-Fiction-Film drehte Kolditz mit Signale – Ein Weltraumabenteuer (1970), der tricktechnisch recht gekonnt war, obwohl er natürlich nicht an sein großes Vorbild 2001: Odyssee im Weltraum (1968) heranreichen konnte. Drei Jahre nach Im Staub der Sterne (1976) entstand Kolditzʼ dritter und letzter Science-Fiction-Film Das Ding im Schloß (1979), eine Geschichte um eine Zeitmaschine, in der Kolditz über das Altern meditiert. Bei allen drei Filmen hatte Kolditz auch intensiv an den Drehbüchern mitgewirkt.
Wer einen Sinn für Science-Fiction-Filme des ehemaligen Ostblocks hat, stört sich selten an ihrer typischen Behäbigkeit. Der Erzählfluss ist langsam, ausufernde Dialoge erstellen den ideologischen Rahmen, und „Action“ im landläufigen Sinn ist rar und wirkt, wenn sie dann doch zum Zuge kommt, meist steif und unbeholfen. Andererseits ist gerade die erfrischend ungewöhnliche Machart, die nicht dem üblichen Schema typischer Hollywood-Blockbuster folgt, reizvoll. Für Fans intelligenter Science-Fiction-Geschichten, denen es nicht nur um eine coole Show, sondern auch um die Inhalte geht, sind die utopischen Entwürfe und Aussagen, die in diesen Filmen im Vordergrund stehen, besonders interessant – selbst wenn sie einen propagandistischen, „bildenden“ Zweck zu erfüllen hatten. Doch auch wer all diese Rahmenbedingungen gebührend in Rechnung stellt, kommt nicht umhin einzuräumen, dass Im Staub der Sterne die wohlwollende Geduld des Zuschauers arg strapaziert. Die Probleme sind zahlreich, doch das mit Abstand schwerwiegendste Defizit ist die entsetzlich bleierne Starre, mit der sich der Film schwerfällig durch seine magere Story schleppt. Alles in allem bleibt der Film als recht dröges Erlebnis in Erinnerung.
Das ist sowohl schade als auch bemerkenswert, denn abgesehen von seiner Behäbigkeit und manch erzählerischer Grille weiß Im Staub der Sterne auch zu gefallen. So ist der Film optisch sehr ansprechend, indem er großen Wert auf die Kostüme und die Ausstattung legt. Vor allem das exzessive Siebzigerjahre-Design der grellbunten Polyester-, Tüll- und Kunstleder-Kostüme ist umwerfend. Die mit über achtzig Schneiderinnen großzügig besetzte Kostümabteilung der DEFA ließ sich nicht zweimal bitten und protzte hier mit einem futuristischen Look, der sich unverkennbar an modischen Extravaganzen der westlichen Popkultur, an Glamrock, ABBA und der sich anbahnenden Disco-Ära orientierte. Der Film schwelgt geradezu in der üppigen Vielfalt seiner Verkleidungen, es gibt kaum eine Szene, in der die Protagonisten nicht von einem interessanten Kostüm in ein anderes gewechselt haben. Am extremsten treiben es in dieser Hinsicht der theatralische „Chef“ – gespielt vom bekannten Brecht-Darsteller Ekkehard Schall –, der direkt von einer Varieté-Showbühne gestiegen sein könnte, und seine halbnackten, bulligen Schergen, die wie Sadomaso-Zuchtmeister in schwarzes Lack und Leder gewandet sind. Die farbenfrohe Extravaganz der Kostüme lässt unweigerlich an die zeitgenössische Gerry-Anderson-Serie Mondbasis Alpha 1 (1975–1977) denken.
Ähnlich opulent fallen die Bühnenbilder aus – geräumig und bunt, aber auch recht leer und glatt. Insbesondere das coole Setdesign der Raumschiffzentrale spart nicht mit elektrotechnischem Dekor, wie es typisch für die Siebzigerjahre war, garniert mit elektronisch generierten Computerstimmen und spacigen Synthesizer-Sounds, die freilich auch den Blick dafür vernebeln sollen, dass es praktisch keine Spezialeffekte zu bewundern gibt. Während Der schweigende Stern (1960), Signale (1970) und Eolomea (1972) noch schöne, durchs All gleitende Raumschiffmodelle zu bieten hatten, gibt es in Im Staub der Sterne nur eine einzige derartige Szene am Anfang des Films zu sehen, in der das Raumschiff der Cynroer über dem Globus von Tem 4 schwebt. In allen anderen Einstellungen ist das mit rotierenden Antennen ausgestattete Raumschiffmodell nur in der Halbtotalen gegen den Himmel oder vollständig in der Landschaft stehend zu sehen. Die Landschaft hinwiederum ist spektakulär und überzeugend „außerirdisch“: Die Außenaufnahmen wurden in Rumänien in der bizarren, völlig vegetationslosen Landschaft der Schlammvulkane von Berca, nördlich von Buzau am Rande der Karpaten, gedreht. Spektakulär ist auch die gigantische, bis zu 80 Meter hohe Halle eines rumänischen Salzbergwerks, die als Bühne für die Erzminen der Turi herhielt.
Bemerkenswert gut ist auch die internationale Besetzung, allen voran die beliebte und damals vielbeschäftigte tschechische Schauspielerin Jana Brejchová (geb. 1940) als kompetente Kommandantin Akala, Alfred Struve (1927–1998) als sanfter, aber unnachgiebiger Zweifler Suko, der gebürtige Serbe Milan Beli (geb. 1931) als selbstherrlicher Ronk und Ekkehard Schall (1930–2005) als sardonischer „Chef“. Alle spielen ihre Rollen abgeklärt und glaubwürdig, mit Ausnahme vielleicht von Leon Niemczyk (1923–2006) als Ingenieur Thob, dem die undankbare Rolle zukam, das in den Film völlig unpassend eingefügte, altbackene Klischee vom comic relief auszufüllen. Erwähnenswert ist zudem die ruhige, karge Musikuntermalung, die im Vorspann mit elfenhaftem, esoterischem Gesang beginnt und sonst überwiegend aus monotonem, dudeligem Casio-Sound besteht. Alles in allem entfaltet der Film das Odium eines üppig ausgestatteten, aber sperrigen Fernsehspiels mit sozialkritischem Anstrich. Rainer Erler à la DDR.
Inhaltlich bedient sich Gottfried Kolditz sattsam bekannter Versatzstücke, um seine Science-Fiction-Story zusammenzubasteln. Das Grundgerüst ähnelt dem Plot von Fred M. Wilcoxʼ Klassiker Alarm im Weltall (1956) und dem Schema F unzähliger Star Trek-Folgen: Ein Raumschiff der technisch wie ethisch hochentwickelten Menschheit landet auf einem wüstenhaften Planeten, auf dem gewisse Dinge nicht in Ordnung zu sein scheinen, und stößt auf die Feindseligkeit der Bewohner, noch bevor überhaupt klar ist, was genau nicht in Ordnung ist.
In den ersten Filmminuten ist die Ähnlichkeit zu Alarm im Weltall besonders augenfällig. Zunächst sehen wir der Besatzung des Raumschiffs eine Weile bei der Bedienung ihrer Apparaturen und Instrumente zu – ähnlich beschäftigte sich die Mannschaft der C-57-D zu Beginn ihres Abenteuers. Nach der Landung des Schiffes nähert sich eine Sklavin der Temer, die wie eine Squaw aussieht, um die Besucher zu begrüßen und sie in einem eckigen, etwas ulkig ausstaffierten Bus zu ihrem Herrn zu bringen – genau so, wie der Roboter Robby die Crew der C-57-D mit einem offenen, futuristischen Golf-Caddy abholt. Die Gastfreundschaft des Herrn – Ronk beziehungsweise Dr. Morbius – erweist sich als vordergründig, das aufgedeckte Geheimnis als ungeheuerlich. Anstelle der „Monster aus dem Id“ setzt Kolditz die alte kommunistische Formel von der moralischen Verderbtheit kapitalistischer Ausbeuter, und so wie schon Jakow Protasanow in Aelita (1924) das Geschehen auf dem Mars zu einem symbolischen Revolutionsepos münzte, geht es auch in Kolditz’ letzten Akt um den revolutionären Umsturz der Turi gegen die Temer. Kolditz inszeniert dabei die Arbeiter wie eine schwache Imitation von Fritz Langs „Ornament der Masse“: Sie stehen stets dicht an dicht, schwingen ihre Spitzhacken und verladen Erze, sehen dabei aber kaum wirklich arbeitend aus, oder sie branden als kompakte Masse gegen ihre Unterdrücker an.
Platte Propaganda also? Mitnichten. Denn bei genauerem Hinsehen entwickelt Kolditz durchaus interessante Aspekte seines utopischen Entwurfs, der ähnlich wie Jewgeni Scherstobitows Tumannost Andromedy (1967) in einer extrem fernen Zukunft angesiedelt ist. Der Konflikt des Films hat, wie die Einblendung eines Spiralnebels am Beginn und Ende des Films deutlich macht, galaktische Dimensionen: Das hochentwickelte Volk von Cynro ist eine von der Erde stammende menschliche, mächtige Zivilisation irgendwo in den Tiefen der Galaxis, die bereits sämtliche Stadien der kulturhistorischen Entwicklung durchschritten und den Gipfel der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft erklommen hat. Warum aber wird diese Zivilisation dann mit „Cynro“ bezeichnet? Soll hier etwa von der irdischen Entwicklung bewusst abstrahiert und die Gesellschaft von Cynro ins – zweifelhafte – Reich der Fantasie verwiesen werden, was die Unterzeichnung des kommunistischen Ideals deutlich abschwächte? Oder ist Cynro tatsächlich gar nicht als irdische Kolonie zu denken? Wo aber bleibt dann die postulierte Solidarisierung aller Völker, ihr Aufgehen in der Endstufe der gesellschaftlichen Entwicklung, der kommunistischen Weltgemeinschaft, die hier in den Kosmos ausgedehnt zu denken wäre? Man mag diese Überlegungen als Spitzfindigkeiten abtun, aber bei näherem Hinsehen drängen sich diese Fragestellungen unweigerlich auf. Am Ende des Films werden sie noch ein überraschendes Gewicht erhalten.
Die klassenlose Gesellschaft, in der die von Besitzdenken geprägte Moralität der kapitalistischen Kulturstufe abgelöst ist, markiert Kolditz plakativ in den Geschlechterrollen und im Sexleben der Cynroer. Die Besatzung des Cynro-Schiffes besteht, in krassem Gegensatz zu jeder Raumschiffbesatzung westlicher Prägung, überwiegend aus Frauen (vier Frauen und zwei Männer). Auch das Kommando hat eine Frau inne, was zu keinem Zeitpunkt sexistisch infrage gestellt wird, weder durch Äußerungen der männlichen Crewmitglieder, noch durch die Darstellung von Akalas Tun und Den-ken. Die Männer leiden keineswegs unter Komplexen oder bilden sich ein, dass ihnen ihre natürliche Führungsrolle vorenthalten sei. Es gibt in der Zukunft von Im Staub der Sterne schlichtweg keine geschlechtsspezifischen Hierarchien mehr. Die Cynroer gehen völlig unverkrampft und freizügig mit Nacktheit um. Auch die Kommandantin hat es als Autoritätsperson nicht nötig, ihre weiblichen Reize zu verbergen. Überdies scheint es keinerlei sexuellen Exklusivansprüche, geschweige denn eheliche Bindungen zu geben. Suko ist sowohl der Liebhaber von Miu als auch von Akala, und zu beiden Frauen pflegt er darüber hinaus auch ein intimes menschliches Verhältnis. Miu hingegen scheint in mindestens einer Szene auch einem weiteren weiblichen Besatzungsmitglied zugetan zu sein. Die allgemeine Intimität schlägt sich in einer bemerkenswerten „Kultur des Miteinander“ nieder, in der Konflikte leidenschaftlich, aber nie autoritär verhandelt werden – ein radikaler, wahrhaft utopischer Gegenentwurf zu den militärisch strukturierten Raumschiffbesatzungen westlicher Prägung. Der Kommandantin Akala ist es wie selbstverständlich gestattet, Angst darüber zu verspüren, sich in Hinblick auf die Turi eventuell falsch zu entscheiden. Sie weint sogar, als sie mit Suko über ihre Zweifel spricht, halbnackt und verletzlich auf dem Boden kauernd, doch ist dies kein Zeichen von Führungsschwäche, sondern von gereifter Menschlichkeit. Als die Bordärztin Akalas Entscheidung, mit der gesamten Schiffsbesatzung für immer auf Tem 4 zu bleiben, als zu radikalen Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht empfindet, erklärt sie Akala, dass sie ihr in ihrer Funktion als Ärztin legitimerweise eine geschwächte Zurechnungsfähigkeit bescheinigen und sich darum bemühen werde, die anderen davon zu überzeugen, eine neue Schiffsführung zu wählen – und Akala hat dagegen keine Einwände. Man bleibt vernünftig, egomanische Kämpfe um die Macht gehören der Vergangenheit an.
Die erotische Freizügigkeit der Cynroer, im Zusammenhang der Erzählung ein Signum der Fortschrittlichkeit und sittlichen Reife, gleichzeitig freilich auch ein Reflex der damals aktuellen Welle der „freien Liebe“, gibt Kolditz die Gelegenheit, in seinem Film reichlich nackte Haut zu zeigen. In mindestens einer Szene entgleist ihm das Thema allerdings, nämlich in dem splitternackten, räkelnden Ausdruckstanz, den Miu für die voyeuristische Kamera im Halbdunkel ihrer Kabine ausführt. Die Szene ist völlig unmotiviert in den Film hineingeklatscht und erfüllt lediglich den primitiven Zweck einer Peepshow. Die legendäre FKK-Kultur der DDR schuf offenbar ein Klima, das solche Stilblüten auch in größeren Kinoproduktionen erlaubte. Im zeitgenössischen Westdeutschland war Vergleichbares dagegen nur in billigen Softpornos zu begaffen, die man in verstohlenen Bahnhofkinos besuchen musste.
Weitaus stärker noch als bei den Cynroern betont Kolditz das erotische Treiben bei den Temern. Dort ist der Eros wie eh und je bedrohlich, erfüllt die traditionelle Funktion der trügerischen Verführung und symbolisiert die moralische Verderbnis der vergnügungssüchtigen Kapitalisten. Die überall auf den Banketttischen herumschleichenden, zischelnden Schlangen sind nicht nur visuell ein begeisternder Einfall, sondern vor allem auch ein überdeutlicher Fingerzeig auf das alte, biblische Verführungsmotiv. Die Frauen sind halbnackte, becircende Tänzerinnen, die ausgelassene Party ein betörender, orgiastischer Drogenrausch. Der sich im Hintergrund haltende, abstoßend-schmierige „Chef“, ein psychopathischer, stets benebelter Caligula, residiert in einem ständig vexierenden Spiegelkabinett, in dem nichts so ist wie es scheint, alles stets verdreht wird und die Berater des Chefs als finster dreinblickende lebende Köpfe in Vitrinen ausgestellt sind. Wenn der Chef gerade keine Ränke schmiedet, hämmert er wie irr auf einen bunt leuchtenden Sex-Synthesizer ein, der seine stummen, nackten Konkubinen tanzen lässt, oder übt sich bisweilen selbst im narzisstischen Ausdruckstanz.
Ein Übermaß der Symbolik, wohl wahr, und auch intellektuell nicht unbedingt fordernd, doch allemal ein bizarres visuelles Vergnügen. In dem Moment, in dem Suko die Minen der Turi entdeckt und die Turi Suko um Waffen anflehen, mit denen sie sich von ihrem Joch befreien wollen, ist man zunächst enttäuscht und meint, den ideologisch vorgezeichneten Ausgang des Ganzen bereits zu kennen. Doch so einfach macht es sich Kolditz gottlob nicht, und der Film wird am Ende inhaltlich noch richtig spannend. Das Problem der Legitimität von Gewalt wird von Kolditz sehr ernst und delikat behandelt. Akala sieht sich in einem Dilemma: Soll sie, obwohl ihre eigene Kultur Gewalt seit Jahrtausenden verabscheut, den Turi Waffen in die Hand legen und damit ein mögliches Blutbad heraufbeschwören, oder soll sie tatenlos mitsamt ihrer Mannschaft wieder abziehen? Suko plädiert für Letzteres, meint, dass die Turi ihr weiteres Geschick aus eigenen Kräften entwickeln sollten, auch wenn dies noch Generationen dauern würde, doch Akala kann dies nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Eine dritte Idee – nämlich auf ewig auf Tem 4 zu bleiben, quasi als intergalaktische UNO-Blauhelmtruppe, und selbst den Turi unter die Arme zu greifen – stößt in der Schiffsbesatzung auf Ablehnung. Das Problem wird intensiv diskutiert, gelangt jedoch zu keiner Lösung. Ein interessanter Aspekt ist dabei, dass Cynro, obwohl eine Gesellschaft von Friedensengeln, trotzdem noch immer über Waffen verfügt, die im Kosmos offenbar noch immer vonnöten sind, jedoch nur höchst ungern eingesetzt werden. So schwingt im Konflikt um die Turi auch die Frage mit, ob überhaupt eine ethisch vollendete Gesellschaft, die ganz auf Waffen verzichten kann, denkbar und möglich wäre.
Das Ende des Films ist in Hinblick auf die genaue Ordnung der Abläufe etwas wirr. Die Turi entschließen sich zum Aufstand, und ein Tumult bricht aus. Ronk lässt die Wüstenebene, in der das Raumschiff gelandet ist, mit Wasser fluten, um das Schiff zum Alarmstart zu zwingen, und Suko wird, bevor er das Schiff erreichen kann, von Ronk erschossen. Das Schiff startet und entschwindet am Himmel; zurück bleiben der tote Suko, der von den aufständischen Turi wie der Leichnam eines Märtyrers davongetragen wird, und die bitter trauernde Akala. Ob und wie es den Turi gelingen wird, die Herrschaft der Temer zu beenden, bleibt offen.
Ein offenes Ende: Auch damit entspricht Im Staub der Sterne ganz der Mode gesellschaftskritischer Filme der Siebziger. Die Utopie der friedliebenden und sexuell befreiten Gesellschaft mag naiv sein und ideologischen Vorgaben entsprechen, wird aber differenziert behandelt. Auch der Aufstand der Arbeiter gegen kapitalistische Ausbeuter, ein Kernthema der sozialistischen Propaganda, wird problematisiert. Freilich wirkt das idealistische Ringen des Films um eine gewaltfreie Gesellschaft aus der Perspektive der heutigen Science-Fiction, in der allzu oft nur blanker Zynismus herrscht, beinahe ebenso rührend antiquiert wie die Kostüme und Requisiten. Und vor allem verhindert der furchtbar zähe Erzählfluss und die Neigung, zu viel in symbolischen Formen zu erzählen, dass der Zuschauer wirklich eingenommen wird. Der Film ist eine skurrile, grellbunte Travestie und ein erfrischend eigenwilliges Filmerlebnis, das für den unerschrockenen Genrefan allemal lohnt. Er sollte jedoch ein gehöriges Maß Geduld mitbringen.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 26. August 2018
Szenenfotos © Icestorm Entertainment