Im Sumpf des Grauens

DVD-Cover zu dem Film "Im Sumpf des Grauens" (The Alligator People, USA 1959)

The Alligator People (USA 1959)

 

Regie: Roy Del Ruth

Drehbuch: Orville H. Hampton, nach einer Story von Robert M. Fresco (ungenannt), Orville H. Hampton und Charles O’Neal

Kamera: Karl Struss. Schnitt: Harry W. Gerstad, Orven Schanzer

Musik: Irving Getz

Darsteller: Beverly Garland (Jane Marvin/Joyce Webster), Richard Crane (Paul Webster), George Macready (Dr. Mark Sinclair), Lon Chaney Jr. (Mannon), Frieda Inescort (Mrs. Lavinia Hawthorne), Bruce Bennett (Dr. Eric Lorimer), Douglas Kennedy (Dr. Wayne MacGregor), Ruby Goodwin (Louanne), Vince Townsend Jr. (Toby), Boyd Stockman (Paul mit Alligatorkopf) u. a.

Produzent: Jack Leewood

Companies: Associated Producers, im Verleih der Twentieth Century Fox Laufzeit: 74 Minuten; Schwarzweiß; CinemaScope

Premiere: 16. Juli 1959 (USA); 16. Dezember 2016 (Deutschland, DVD/Bluray)

 

Der Psychiater Dr. Wayne MacGregor unterzieht im Beisein seines Kollegen Dr. Eric Lorimer seine Sekretärin Jane Mar­vin einer Tiefenhypnose, da sie sich an ein ganzes Jahr ihrer Vergangenheit nicht mehr erinnern kann. Unter der Hyp­nose erzählt die junge Frau eine schier unglaubliche, fantastische Geschichte . . .

 

Jane heißt in Wirklichkeit Joyce Webster und hatte zu Beginn des von ihr verdrängten, traumatischen Jahres den jun­gen, sympathischen Paul Webster geheiratet. Als das Paar mit der Eisenbahn auf dem Weg in die Flitterwochen ist, erreicht Paul ein Telegramm, das ihn schwer erschüttert. Ohne ein Wort zu seiner Frau zu sagen, verlässt er bei der nächsten Gelegenheit den Zug und verschwindet spurlos. Joyce versucht in den folgenden Monaten verzweifelt, Paul wiederzufinden, doch sie weiß kaum etwas über ihn, und viele Spuren laufen ins Leere. Schließlich kann sie aus High­school-Akten eine alte Adresse von ihm herausfinden und macht sich auf den Weg nach „The Cypresses“, einem weit abgelegenen Herrenhaus tief in den Sümpfen von Louisiana.

 

Joyce wird von der älteren Besitzerin des Hauses, Mrs. Hawthorne, frostig empfangen; sie behauptet, noch nie den Namen Paul Webster gehört zu haben, und gewährt Joyce nur eine Nacht Unterkunft, bis sie am Morgen mit dem nächsten Zug wieder abreisen kann. Noch am Abend wird Joyce von der Haushälterin Louanne gewarnt, dass im Hau­se teuflische Dinge vorgingen und Joyce am besten sofort wieder gehen sollte. Später hört Joyce im Erdgeschoss ei­nen Mann am Klavier spielen, der sofort nach draußen in die Wildnis flieht, als Joyce ihn sieht und flüchtlig sein ent­stelltes Gesicht bemerkt. Er hinterlässt moddrige Fußspuren auf dem Teppich, obwohl es gar nicht geregnet hat. Selt­sam verhält sich auch ein alkoholabhängiger, verkommener Arbeiter des Hauses, Mannon, der einen rasenden Hass auf Alligatoren hegt, seit ihm eines der Tiere eine Hand abgebissen hat. Mitten in der Nacht schießt er in den Sümpfen wütend auf die Tiere und lässt sich dabei kaum von Toby, dem Butler, bremsen.

 

Am nächsten Morgen erscheint der Arzt der Gegend, Dr. Sinclair, trifft Joyce auf der Veranda und stellt ihr etwas zu viele Fragen, sodass Joyce nur noch misstrauischer wird. Sie stellt Mrs. Hawthorne vehement zur Rede, die schließlich nachgibt und erklärt, dass sie Paul Websters Mutter ist. Joyce erfährt die ganze Wahrheit: Paul hatte einst einen Flug­zeugabsturz überlebt, bei dem er entsetzliche Entstellungen erlitten hatte. Dr. Sinclair aber forschte an einem Serum, das jegliche Entstellungen wieder heilen, ja, ganze Gliedmaßen wieder nachwachsen lassen sollte. Da manche Repti­lien über diese Heilkräfte verfügen, hatte Dr. Sinclair sein Serum aus Alligatoren gewonnen. Er wendete das Serum an Paul an, und zunächst war der Heilungserfolgt erstaunlich: Paul gewann sein altes, unversehrtes Aussehen zurück. An weiteren Patienten musste Dr. Sinclair jedoch beobachten, dass die Wirkung des Serums nach einigen Monaten voran­schreitet und den Patienten langsam zu einer Kreuzung von Mensch und Alligator mutieren lässt. Daher hatte Dr. Sin­clair Paul telegrafiert und zu sich gerufen – er will mittels radioaktiver Strahlen versuchen, die Transformation umzu­kehren und Paul endlich ganz zu heilen. Doch wird dieses riskante Experiment auch gelingen?

Szenenfoto zu dem Film "Im Sumpf des Grauens" (The Alligator People, USA 1959); Beverly Garland und Richard Crane
Noch ist das junge Glück von Joyce (Beverly Garland) und Paul (Richard Crane) auf ihrer Fahrt in die Flitterwochen ungetrübt

Die Fliege à la Louisiana: Alligatorenmenschen

 

Im Sumpf des Grauens, wie The Alligator People neuerdings im deutschsprachigen Raum heißt, seit er jüngst vom La­bel Anolis erstmals in Deutsch synchronisiert und auf DVD und Bluray veröffentlicht wurde, ist ein handwerklich sehr sorgfältig gemachter Horror-Science-Fiction-Film. Was die Regie, die Kameraarbeit, das Schauspiel und vor allem die exzellenten Produktionswerte anbelangt, macht er eine überdurchschnittlich gute Figur. Das ist umso erstaunlicher, weil Associated Producers, die damalige Low-Budget-Company von 20th Century Fox, sich den Streifen lediglich als zweite Hälfte eines Double Features für den Hauptfilm Die Rückkehr der Fliege (1959) aus den Fingern gesogen hatte; seine Grundidee wurde dabei unverkennbar aus Die Fliege (1958) abgeleitet. „Es ist leicht“, schrieb Bill Warren dazu in seinem Buch Keep Watching the Skies!, „sich vorzustellen, wie die Leute da saßen und mit verschiedenen Filmideen spielten (und dabei den Plot von Die Fliege als grundlegende Form benutzten) und schließlich auf den Titel The Alliga­tor People kamen. Klarerweise lag dahinter kein wirklicher Anstoß zu einem Plot, also wurde eine Story zusammenge­braut – und das Wort trifft es –, um uns Alligatorenmenschen zu geben“ (Skies, S. 36). Rolf Giesen vermutet im Audio­kommentar auf der 2016 erschienenen Anolis-Bluray, dass der Filmtitel auch bewusst an den Titel von Jaques Tour­neurs Horrorklassiker Cat People (1942) angelehnt worden ist. Das ist gut möglich, zumal jener Film wie Im Sumpf des Grauens mit einem melodramatischen, psychopathologischen Geschehen statt mit Schockeffekten beschäftigt ist.

 

Die Tragik eines fatalen Schicksals steht in Im Sumpf des Grauens im Mittelpunkt, während die typischen Horrormo­mente eines Monsterfilms weitgehend ausbleiben. Paul wird das Opfer eines noblen, aber schlimm fehlschlagenden medizinischen Versuchs und entwickelt im Gesicht eine ledrig-schuppige Alligatorenhaut, wegen der er sich, be­schämt vor der eigenen Ehefrau, in den Sümpfen Louisianas versteckt hält. Der Arzt, der ihn heilen wollte, ist kein her­kömmlicher, nach Ruhm gierender, skrupelloser mad scientist, sondern ein nobler, gewissenhafter Mann, der allenfalls übereilt seine wissenschaftliche Schlussfolgerungen zieht und in seinen Experimenten zu ambitioniert handelt. Er ver­sucht nach Kräften, seine schrecklichen Irrtümer rückgängig zu machen und Paul von seiner Mutation zum Alligator zu befreien. Unterstützung findet er dabei bei Pauls Ehefrau Joyce und bei Pauls Mutter Mrs. Hawthorne, die nach an­fänglichen Heimlichtuereien ihr liebendes Mutterherz nicht länger unterdrücken kann und voller Fürsorge für ihren Sohn und ihre Schwiegertochter ist.

 

Hier zeichnen sich allerdings auch die Schwächen des Plots ab. Es gibt nämlich in diesem Horrorfilm weder einen be­drohlichen Bösewicht noch ein bedrohliches Monster. Der nette, sympathische Paul mutiert zum Alligator, bleibt in seinem Inneren jedoch unverändert der nette, sympathische Paul, der niemandem etwas antun will. Er tötet nicht einmal den versoffenen Unhold Mannon – der mit viel Spiellaune knorrig und polternd von Lon Chaney Jr. (1906–1973) verkörpert wird –, als dieser gegen Ende des Films das Experiment ruiniert, das Paul wieder kurieren soll. Die Folge von Mannons gewaltsames Eindringen in Dr. Sinclairs Labor und die Sabotage des Experiments ist, dass Paul zu lang der radioaktiven Strahlung ausgesetzt bleibt und ihm daraufhin ein Alligatorenkopf wächst. Mannon richtet sich schließ­lich unfreiwillig selbst, indem er mit seiner Hakenhand am Strahlengerät hängenbleibt und einen tödlichen Strom­schlag erleidet. Im Showdown sterben bis auf Joyce alle noch übrig Gebliebenen – das Labor explodiert in einem gewaltigen Feuerball, und mit ihm fliegen passenderweise alle Personen, die Joyce Websters Geschichte verifizieren könnten, in die Luft.

Szenenfoto zu dem Film "Im Sumpf des Grauens" (The Alligator People, USA 1959); Richard Crane und George Macready
Paul (Richard Crane mit gelungenem Alligatorhaut-Makeup) erhofft sich Vergeblich Hilfe von Dr. Sinclair (George Macready)

Mit dem ausgesprochen albernen und unbeweglichen Alligatorenkopf rutscht der Showdown des bis dahin passablen Films leider rettungslos ins Lächerliche ab – tödlich für einen Horrorfilm, und hier erst recht, da der Kopf selbst offen­bar schon den Höhepunkt des Films bilden soll. Denn in den letzten Filmminuten passiert mit „Pauligator“ nicht mehr viel – er flieht erneut voller Scham vor seiner Frau und lässt sich im Sumpf bereitwillig von einem Loch voll Treibsand verschlucken. Seine Tragik ist vollendet. Recht interessant ist immerhin die Struktur der Rahmenhandlung – die an eine ähnliche Rahmenhandlung in Don Siegels Die Dämonischen (1956) erinnert –, in der Joyce alias Jane Marvin ihrem Psy­chiater die unglaubliche Geschichte unter Hypnose erzählt und es letzten Endes offen bleibt, ob ihre Geschichte wahr ist oder einem Wahn entspringt. Die Psychiater Dr. MacGregor und Dr. Lorimer beschließen gemeinschaftlich, die längst wieder psychisch gefestigte Jane nicht mit ihrer ungeheuerlichen Erzählung zu konfrontieren und es damit auf sich beruhen zu lassen.

 

Der Film ist sehr dialoglastig und ein wenig langatmig, und über weite Strecken passiert nicht viel. Das ernsthaft und vielleicht etwas zu behutsam mit seinem Thema umgehende Drehbuch lieferten der routinierte, nicht besonders herausragende Orville H. Hampton (1917–1997) – er schrieb unter anderem das Skript zum Low-Budget-Heuler Auf U-17 ist die Hölle los (1959) – und Charles O’Neal (1904–1996), Autor von Mark Robsons exzellentem The Seventh Victim (1943) und Vater des Schauspielers Ryan O’Neal (geb. 1941). Außerdem hat auch Robert M. Fresco (1930–2014), Ko-Autor von Jack Arnolds Tarantula (1955) und Das Geheimnis des steinernen Monsters (1957), Ideen zur Story beigesteuert; er wird im Vorspann des Films allerdings nicht genannt.

 

Der Film ist elegant ausgestattet, und es gefallen insbesondere die üppigen Sets für die schwüle Sumpflandschaft, in denen es von Alligatoren nur so wimmelt. Der Film profitiert massiv davon, dass er die Ressourcen des (1961 teilweise verkauften) Fox-Studiogeländes in Century City im Westen von Los Angeles, wo der Film gedreht wurde, nutzen durfte. Einen zusätzlichen hochwertigen Flair gewinnt er damit, dass er im Breitformat CinemaScope gefilmt wurde. Regie führte Roy Del Ruth (1895–1961), ein routinierter Veteran seines Fachs, der ab 1916 Kurzfilme und ab Mitte der Zwanzigerjahre abendfüllende Spielfilme in verschiedensten Genres, unter anderem mehrere erfolgreiche Musicals, inszenierte; Im Sumpf des Grauens war sein vorletzter Film. Del Ruths Inszenierung ist gefällig und bisweilen atmo­sphärisch, doch gelingt es dem Regisseur nicht, aus dem zu handzahmen und handlungsarmen Skript mehr Thrill oder mehr unheimliche Gruselstimmung herauszuholen. Doch wurde Del Ruth tatkräftig unterstützt von seinem Kamera­mann Karl Struss (1886–1981), einem hervorragenden, viel beschäftigten Vertreter seiner Zunft, der für seine Kamera­arbeit in Friedrich Wilhelm Murnaus Drama Sonnenaufgang (1927) mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Er filmte unter anderem D. W. Griffiths’ Abraham Lincoln (1930), Charlie Chaplins Der große Diktator (1940), Orson Welles’ Journey into Fear (1942), Gregg G. Tallas’ Die Herrin von Atlantis (1949), Byron Haskins Tarzan und die Dschungelgöttin (1951) sowie die Kurt-Neumann-Filme Rakete Mond startet (1950), Kronos (1957) und Die Fliege (1958).

Szenenfoto zu dem Film "Im Sumpf des Grauens" (The Alligator People, USA 1959); Beverly Garland und Boyd Stockman
Joyce (Beverly Garland) ist entsetzt über das Misgeschick ihres Gatten Paul (hier gespielt von Boyd Stockman) im Labor von Dr. Sinclair

Im Sumpf des Grauens hat überdies sehr gute Schauspieler vorzuweisen. Neben dem bereits erwähnten Lon Chaney Jr. ist hier vor allem Beverly Garland (1926–2008) zu nennen, eine von 1949 bis kurz vor ihrem Tod durchgängig aktive, talentierte Schauspielerin, die ab Mitte der Fünfzigerjahre viele Rollen in zahlreichen bekannten TV-Serien übernahm. Vor Im Sumpf des Grauens hatte sie auch schon in mehreren Science-Fiction-Filmen mitgespielt, unter anderem in Roger Cormans It Conquered the World (1956) und Gesandter des Grauens (1957). Garland verleiht ihrer Rolle Unabhän­gigkeit, Intelligenz, Engagement und Durchsetzungsvermögen – sie gibt hier wohltuenderweise nicht die traditionell passive, labile Horrorfilm-Scream-Queen. In einem Interview mit Tom Weaver erklärte sie, dass es während der Dreh­arbeiten zu Im Sumpf des Grauens am schwersten gewesen sei, eine ernsthafte Miene zu bewahren – vor allem in der Szene in Dr. Sinclairs Laboratorium, wo sie mit den vollständig vermummten Patienten konfrontiert wurde:

 

Ich komme herein, und da haben sie diese Typen in langen weißen Roben mit einer Art Hut-Dings über ihren Köpfen – und ich sage dir, sie sahen alle aus, als hätten sie Urinale auf ihren Köpfen! Wir filmten drei Stunden lang nicht mehr, ich war so ausge­flippt vor Lachen! Dann begann Ruth Del Roy sie sich anzusehen, und langsam dämmerte es ihm auch! Ich glaube, wir haben fast einen halben Tag Drehzeit verloren. (vgl. Bill Warren, Keep Watching the Skies!, S. 38)

 

Richard Crane (1918–1969) spielt seine Rolle als deformierter, verzweifelter Paul geschmeidig und solide; er ist durch und durch ein Opfer seiner Situation, verfällt jedoch nie in weinerliches Selbstmitleid. Berühmt wurde Crane durch seine Hauptrolle in der munteren Science-Fiction-Fernsehserie Rocky Jones, Space Ranger (1954); neben einigen Kino­filmen war er noch viel fürs Fernsehen tätig, bis er mit nur 50 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb.

 

So bleibt am Ende von dem Film ein durchwachsener Eindruck zurück. Er ist dank guter Schauspieler und einer profi­lierten Filmcrew handwerklich sehr solide gemacht und fährt trotz seines niedrigen Budgets hervorragende Produk­tionswerte auf, folgt jedoch einem nur lauwarmen, dialoglastigen Drehbuch ohne größere Spannungsmomente oder nennenswerter Action, und der Showdown wird vom maskenbildnerisch missglückten, lächerlichen Alligatoren­kopf Pauls mit Vollgas gegen die Wand gefahren. Es gibt unzählige B-Filme, die schlechter sind als Im Sumpf des Grauens; aber eben auch viele, die deutlich besser und spannender sind. Unter dem Strich ist der Film aber doch noch sehens­wert.

 

 

© Michael Haul; veröffentlicht auf Astron Alpha am 26. November 2017

Szenenfotos © 20th Century Fox Home Entertainment/Anolis