Tarantula

Tarantula (USA 1955) Filmplakat

Tarantula (USA 1955)

 

Regie: Jack Arnold

Drehbuch: Robert M. Fresco und Martin Berkeley, nach einer Story von Robert M. Fresco und Jack Arnold (basierend auf der Episode No Food for Thought aus der TV-Reihe Science Fiction Theater vom 14. Mai 1955)

Darsteller: John Agar (Dr. Matt Hastings), Mara Corday (Stephanie “Steve” Clay­ton), Leo G. Carroll (Prof. Gerald Deemer), Nestor Paiva (Sheriff Jack Andrews), Ross Elliot (Joe Burch), Ed Rand (Lt. John Nolan), Raymond Bailey (Dr. Townsend), Hank Patterson (Josh), Clint Eastwood (Bomberpilot), Ed Parker (Eric Jacobs und Dr. Paul Lund) u. a.

Produzent: William Alland

Company: Universal-International Pichtures

Laufzeit: 80 Minuten; Schwarzweiß

Premiere: 23. November 1955 (USA); 23. März 1956 (Deutschland)

 

In der Nähe des kleinen Städtchens Desert Rock in Arizona wird die Leiche eines grässlich entstellten Mannes aufge­fun­den. Professor Deemer, ein Wissenschaftler aus der Umgebung, identifiziert den Toten als seinen Assistenten Eric Jacobs. Deemer, der in einem Haus in der Wüste an einem radioaktiven Serum forscht, das möglicherweise die Er­näh­rungsprobleme der Zukunft lösen könnte, erklärt Jacobs’ Entstellungen als einen Fall von Akromegalie, einer seltenen, tödlichen Drüsenkrankheit. Der städtische Arzt Dr. Matt Hastings jedoch hat Zweifel und hegt den Verdacht, dass Jacobs’ Tod mit Deemers Forschungen zu tun haben könnte.

 

Bald darauf geschehen in der Umgebung weitere unerklärliche Schrecken: Tiere und Menschen werden vollständig skelettiert aufgefunden, umgeben von mächtigen Pfützen einer weißen Substanz, die sich als Tarantelgift entpuppt. Als Professor Deemer nicht länger verbergen kann, dass auch er an Akromegalie leidet, offenbart er Hastings schließ­lich die Wahrheit. Sein Serum schien zunächst ein Erfolg zu sein und ließ Versuchstiere, die damit injiziert wurden, zu gigantischer Größe anwachsen. Eric Jacobs jedoch und Deemers zweiter Assistent Dr. Lund probierten das Serum an sich selbst aus und erlitten furchtbare Entstellungen. Jacobs verließ das Haus und starb in der Wüste; Lund hingegen griff kurz vor seinem Tod Deemer in seinem Labor an, schlug ihn nieder und injizierte ihm selbst das Serum. Bei dem Kampf ging das Labor in Flammen auf, und in dem Chaos konnte ein injiziertes Versuchstier entkommen: eine mächti­ge Tarantel, die in der Wüste zu einem haushohen Koloss herangewachsen ist . . .

 

Eine Sternstunde des Monsterfilms

 

Nach dem enormen Erfolg von Gordon Douglas’ Formicula (1954), Warner Brothers’ Science-Fiction-Thriller um gigan­tisch gewachsene Ameisen, wurde das neu entdeckte Erfolgsrezept riesiger Krabbelviecher (big bugs) rasch auch von anderen Filmstudios aufgegriffen. Mit Tarantula schickte Universal-International eine haushohe, haarige, dicke Spinne ins Rennen und konnte darauf zählen, dass der verbreitete Ekel vor Spinnen, aber auch die bizarre Faszination, die von diesen Tieren ausgeht, für den Film arbeiten würde. Regie führte Universals talentiertester Science-Fiction-Filmer Jack Arnold (1912–1992), der aus dem Streifen einen atmosphärischen, knackig-kurzweiligen Thriller machte. Die Rechnung ging auf: Tarantula wurde ein Volltreffer und spülte ordentliche Profite in die Kinokassen.

 

Tarantula war nicht nur der erste big bug movie nach Formicula, sondern auch der beste. Bis heute ist der Film überaus populär und wird von vielen Fans und Zuschauern geliebt. Die Filmkritiker hingegen neigen seit jeher dazu, den Strei­fen lediglich als einfallsloses Rip-Off von Formicula zu sehen und das Original für besser zu befinden. Zu Un­recht, wie ich finde: Meines Erachtens übertrifft Tarantula seinen Vorgänger um Längen. Der Film weist eine derart zwingen­de Stringenz im Exposé, eine Klarheit und Eleganz in der Ausführung und ein visuell derart perfekt umgesetztes Monster auf, dass er nahezu als Lehrstück eines gelungenen Monsterfilms dienen könnte. Tarantula ist, ohne den Begriff über­strapazieren zu wollen, in den engen Grenzen seines Budgets und seines Genres schlichtweg ein Meister­werk, das auch heute noch höchst unterhaltsam ist.

 

Der Film basiert auf einer im Mai 1955 ausgestrahlten Episode der TV-Reihe Science Fiction Theater, die Robert M. Fresco (1930–2014) geschrieben und Jack Arnold inszeniert hatte. In No Food for Thought ging es um Wissenschaftler, die mit einem künstlichen Nahrungskonzentrat experimentierten. Arnold und Fresco waren sich einig, dass sich der Plot gut für einen Kinofilm eignen könnte, allerdings noch mit einem Monster aufgepeppt werden müsste. Beide über­legten herum, bis ihnen die Idee mit der Riesenspinne kam (auf wen von beiden sie letztlich zurückgeht, ist unklar, da sowohl Fresco als auch Arnold in Interviews behauptet hatten, Urheber der Idee gewesen zu sein). Fresco arbeitete ein Skript aus, mit dem Arnold sehr zufrieden war, doch hatte Produzent William Alland andere Pläne: Er drängte Fres­co aus dem Projekt und ließ das Skript von seinem Freund Martin Berkeley überarbeiten, der angeblich, wie Fresco in einem Interview versicherte, kaum noch etwas daran veränderte. Alland selbst behauptete später in einem Interview sogar, selbst die Idee mit der Riesenspinne gehabt zu haben. Dem guten Verhältnis zwischen Arnold und Fresco taten die Reibereien mit Alland keinen Abbruch – nachdem Tarantula an den Kinokassen ein Hit geworden war, ermunterte das Studio Arnold und Fresco, sich gemeinsam einen weiteren Science-Fiction-Film auszudenken; heraus kam die höchst originelle Story für Das Geheimnis des steinernen Monsters (1957).

Leo G. Carroll in seinem Labor mit der Spinne in Tarantula (USA 1955)
Mad Scientist? Professor Deemer (Leo G. Carroll) stößt in neue Wissensbereiche vor

Die Entstehung der Story von Tarantula erklärt vielleicht, warum der Film neben der Riesenspinne noch einen zweiten Erzählstrang um ein klassisches Science-Fiction-Thema enthält: Der Forscher, der in Wissensbereiche vordringt, die „dem Menschen nicht zu wissen bestimmt sind“, und dadurch scheußlich entstellt wird, hätte gut auch einen eigen­ständigen Science-Fiction-Thriller abgeben können. Bill Warren hielt die Hinzufügung menschlicher entstellter Monster für überflüssig und nahm an, dass sie von Universal-International eingefordert wurde, um einen zusätzlichen Aufhän­ger für den Film zu haben (vgl. Keep Watching the Skies!, S. 740). Das mag stimmen oder nicht, aber gegen Warren halte ich das zusätzliche Thema auf jeden Fall für einen Gewinn für den Film. Beide Themen werden geschickt mitein­ander verschränkt und parallel zueinander erzählt, sodass der Film ein erfreulich hohes Tempo aufweist und vielschich­tiger wirkt als manch anderer zeitgenössischer Monsterfilm. Das einzige Manko ist die schwache logische Verknüp­fung der menschlichen Monster mit dem radioaktiven Serum: Das Problem ist nicht so sehr die unterschiedliche Wir­kung des Serums auf Menschen und Tiere (die aufgrund der verschiedenen Physiologien durchaus glaubwürdig er­scheint) als vielmehr die offen bleibende Frage, warum um alles in der Welt die Wissenschaftler darauf aus sind, das Serum überhaupt am Menschen auszuprobieren.

 

Tarantula ist ein extrem kurzweiliger Film. Bereits der atmosphärische Auftakt schürt die Neugier: Noch vor dem Vorspann zeigt die Kamera die stille, archaisch anmutende Wüste; nur das leise Pfeifen des Windes ist zu hören. Da wankt ein schrecklich deformierter Mensch in die Szenerie, bricht zusammen und stirbt. In den nächsten Szenen wird angedeutet, dass die Entstellung des Mannes mit den geheimnisumwitterten Experimenten von Professor Deemer zusammenhängen könnte. Diese haben zwar, wie sich bald herausstellt, in erster Linie mit der Vergrößerung von Tieren und der Tarantel des Filmtitels zu tun, aber eben auch die Entstellung von Deemers Kollegen verursacht. Unter dem Einfluss des Serums, das Deemer gewaltsam injiziert wird, mutiert der Professor nach und nach selbst zu einem entstellten Monster. Gleichzeitig erlebt der Zuschauer immer wieder Attacken der entflohenen Riesentarantel, bis sie – unweigerlich – ihren Schöpfer aufsucht und tötet, indem sie ihn samt seinem Haus zermalmt. Danach strebt der Film zügig seinem Showdown zu: Die Spinne nähert sich Desert Rock, wo sie von der Luftwaffe schließlich mit Napalm­bom­ben zur Strecke gebracht wird.

 

Das Drehbuch ist bestechend klar aufgebaut und straff geschrieben. Abgesehen von der angedeuteten Romanze zwi­schen Dr. Hastings und Stephanie „Steve“ Clayton gibt es kaum ein Dialogwort zuviel – alles ist konsequent auf die fantastische Erzählung und ihren Spannungsbogen zugeordnet. Etwa ab der zehnten Filmminute wird in einer länge­ren Szene Professor Deemer gezeigt, wie er allein in seinem Labor eines seiner Versuchstiere mit seinem Serum inji­ziert und die übrigen, mächtig gewachsenen Tiere begutachtet – unter ihnen die Tarantel. Da betritt Deemers zweiter Assistent Dr. Lund das Labor, und es kommt zum Kampf, bei dem das Labor in Flammen aufgeht und die Tarantel ent­flieht.

 

Bill Warren hat vermutet, dass diese Szene, die keinen Dialog enthält, ursprünglich als Flashback geplant gewesen war und erst an einer späteren Stelle des Films das Mysterium der Riesenspinne aufklären sollte, unterlegt mit Deemers Stimme, die die Geschehnisse erläutert; da Universal-International generell jedoch keine Flashback-Strukturen mochte, sei die Szene schließlich dort eingefügt worden, wo sie dem Handlungsverlauf gemäß hingehört (vgl. Skies, S. 738f.). Auch hier ist unklar, ob Warrens Vermutung zutrifft, doch ist meines Erachtens die schließlich gewählte Szenenabfolge von Vorteil. Die Szene im Labor klärt den Zuschauer früh über die Ursache der Entstellungen und die Herkunft der Rie­senspinne auf, das ist wahr, aber da ohnehin auf der Hand liegt, dass der Wissenschaftler mit beidem zu tun haben muss, wurde hier keine nennenswerte Spannung geopfert. Die Tragik Deemers aber ist umso mehr gesteigert: Wenn der Professor sich später mehrfach an seinen juckenden Arm greift, weiß der Zuschauer, welch fatale Bedeutung diese Geste hat; ihm sind auch Deemers spätere Verfallserscheinungen erklärlich, und seine Aufmerksamkeit ist umso stärker auf deren traurige Unausweichlichkeit gerichtet. Auch die Riesenspinne in der Wüste ist nunmehr motiviert. Statt sich zu fragen, wo die Spinne herkommt – wer sie ist –, konzentriert sich der Zuschauer auf das, was sie macht.

 

Die Schauspieler sind durchweg gut. John Agar (1921–2002) war in den Fünfzigerjahren ein vielbeschäftigter Genre­darsteller; als Dr. Matt Hastings gibt er wie immer den gutaussehenden, entschlossenen Helden, eine Rolle, in der er häufig etwas plump wirkte und zuviel lächelte. In Tarantula spielt er sie dagegen abgeklärt und zurückhaltend und wirkt damit auf Anhieb glaubwürdig. Mara Corday (geb. 1930) verkörpert als Stephanie Clayton die typische attraktive Wissenschaftlerin in teurer Designermode und hat auch hier die vornehmliche Aufgabe, als love interest für den Hel­den (und die Spinne!) dienen – mehr gab es für Frauen in Genrefilmen jener Zeit nicht zu tun. Aber sie spielt ihre Rolle bezaubernd; überdies wird bei genauerem Hinsehen auch sie sinnvoll für die Geschichte genutzt, indem sie Hastings Näheres über Deemers Experimente mitteilt und dafür vom diabolisch veränderten Professor harsch gemaßregelt wird.

Leo G. Carroll und Mara Corday auf einem Werbefoto für Tarantula (USA 1955)
Leo G. Carroll als Akromegalie-Gezeichneter und Mara Corday in einem Publicity-Foto

Leo G. Carroll (1892–1972) als Professor Deemer überzeugt von allen Darstellern am meisten. Er ist großartig als altvä­ter­licher, zurückhaltender und leidenschaftlich seiner Forschung verschriebener Wissenschaftler und lässt mit nur we­nigen Gesten die Tragik seines Scheiterns spüren, die mit einer Verdüsterung seines Wesens einhergeht. Seine nach und nach schlimmer werdende Entstellung ist maskenbildnerisch bemerkenswert sorgfältig umgesetzt (insgesamt trägt Caroll drei verschiedene, jeweils gesteigerte Horror-Makeups). Schließlich sei noch die Marginalie erwähnt, dass der damals noch unbekannte Clint Eastwood (geb. 1930) am Ende des Films in einem Kurzauftritt als Bomberpilot zu sehen ist.

 

Arnoldsche Poesie auf acht Beinen

 

Die tricktechnische Inszenierung der Riesenspinne ist brillant und begeistert nach wie vor. Wie es scheint, wurde anfänglich noch der Gedanke verfolgt, für das Monster wie in Formicula ein großes Modell zu verwenden. Das Modell, das gebaut wurde, kam aber glücklicherweise nur für Nahaufnahmen vom Gesicht der Tarantel und den Brand der Spinne in der Schlussszene zum Einsatz. Für alle übrigen Trickaufnahmen arbeitete Jack Arnold mit lebenden Taranteln, die er entweder über Miniaturen krabbeln ließ – z. B. in der Szene, in der die Tarantel durch Prof. Deemers Tür in die Wüste hinausspaziert – oder vor einem schwarzen Hintergrund aufnahm, um sie anschließend als traveling matte in die Realaufnahmen des Films einzukopieren. Um die Spinne vor der Kamera in die gewünschte Richtung zu lenken, ließ Arnold sie mit kurzen Druckluftstößen aus einer Sauerstoffflasche anpusten – die Spinne wich dann aus und krabbelte von dem Luftstoß fort. Mit einer Modellspinne wäre es niemals gelungen, den charakteristischen Bewegungsablauf der krabbelnden Tarantel korrekt nachzuahmen, aber eine vergrößert in den Film einkopierte echte Tarantel dagegen wirkt auf Anhieb realistisch. Die optische Glaubwürdigkeit wird noch durch wichtige Details unterstützt: So wirft die Spinne in vielen Szenen unter sich einen Schatten, und wenn sie hinter Bergen und Hügeln hervorkommt, passen die Konturen ihres traveling matte perfekt auf die Horizontlinie (nur in einer Szene hängen ein oder zwei Spinnenbeine für ein paar Sekunden scheinbar abgeschnitten in der Luft). Die Schwärze der Spinne lässt zudem die leidigen matte-Linien verschwinden – in einigen Szenen ist die Spinne sogar so schwarz, dass Bill Warren vermutet hat, dass dort das traveling matte der Spinne leer blieb (vgl. Skies, S. 740).

 

Nicht immer treffen die Trickaufnahmen das korrekte Größenverhältnis – wenn die Spinne am Horizont oder weiter entfernt zu sehen ist, wirkt sie generell gigantischer als aus der Nähe –, doch fällt dies kaum auf. Die Spinne wird in der Nacht, aber auch bei Tage zur tödlichen Bedrohung, wodurch sich schöne Wechsel in der Stimmung ergeben. Ihren eindrucksvollsten Angriff führt sie gegen das Haus des Professors aus. Das Haus ist in der rechten Bildhälfte zu sehen, während in der linken die Spinne langsam durch die nächtliche Wüste näherkrabbelt – eine surreale, unbehagliche, wahrhaft angsteinflößende Einstellung. In King-Kong-Manier glotzt das achtäugige Monster durch ein Fenster in das Schlafzimmer, in dem sich Mara Corday gerade entkleidet, und besteigt dann das Haus, aus dem Corday in letzer Sekunde schreiend hinauslaufen kann. Es ist kaum möglich, dass den Machern des Films die sexuelle Symbolik dieser Szene nicht bewusst gewesen war; sie muss auch schon 1955 das Publikum belustigt haben. Wem es gefällt, mag hier Spekulationen über Freudsche Sinnbezüge anstellen – in der Literatur über Tarantula findet man solche Analysen zuhauf.

 

Die Spinne bewegt sich auffällig langsam, was man für ein riesengroßes, massiges Tier auch erwarten würde. Ver­mut­lich wurde die Spinne mit höherer Geschwindigkeit gefilmt, um so die Slow Motion zu erzielen. Eine Spinne dieser Größe würde auch bei gemächlichem Tempo mit wenigen Schritten enorme Entfernungen zurücklegen – eine wahr­lich garstige, ja, Panik erweckende Vorstellung, die der Film wundervoll umsetzt. In einer Szene stehen die Hauptfigu­ren mit einigen Polizisten neben ihren Autos auf einer einsamen Wüstenstraße und starren voller Entsetzen auf die haarige Spinne, die hinter einem Hügel am Kilometer entfernten Horizont hervorkrabbelt, turmhoch und bedrohlich, und dann – eben wie eine echte Spinne –abrupt erstarrt. Sie scheint ihre Beute zu mustern und setzt sich dann ebenso abrupt wieder in Bewegung. Wie eine Maschine marschiert sie auf die Menschen auf der Landstraße zu und kommt dabei trotz ihrer langsamen Bewegungen rasend schnell näher. Die räumliche Weite der Wüste ist hier – wie auch in allen anderen Trickszenen – perfekt für den Terror der Spinne ausgeschöpft worden. Überhaupt wirkt die gigantische Tarantel so, als sei die Wüste ihr völlig natürliches Zuhause; die Wüste ist weit und leer und gibt dem Monstrum ge­nügend Raum, sich zu bewegen und auch zu verbergen.

Die Riesenspinne auf einer Landstraße in der Wüste in Tarantula (USA 1955)
Trial and error – Der Versuch, die gigantische Tarantel mit TNT-Ladungen zu stoppen, wird fehlschlagen

Jack Arnolds Vorliebe für die kalifornische Wüste, die schon in seinem erstem Science-Fiction-Film Gefahr aus dem Weltall (1953) als Schauplatz diente, ist legendär. Sie hatte vor allem ästhetische Gründe, und Versuche, diese Auffas­sung zu relativieren, wirken wenig stichhaltig. So behauptete beispielsweise Phil Hardy: „Zweifellos benutzte Arnold die Wüste aus Gründen des Budgets“ (Die Science Fiction Filmenzyklopädie, S. 162). Und Bill Warren schrieb über Ge­fahr aus dem Weltall, der auf einem Drehbuchentwurf von Ray Bradbury basiert:

 

„Manche Autoren haben eine Affinität zwischen Jack Arnold und der Wüste gesehen. Aber da das Wüsten-Setting vermutlich auf Ray Bradbury zurückgeht, scheint das nicht wahrscheinlich. Arnold hat das überdies in Interviews zurückgewiesen; er hat immer gesagt, dass er die Filme in der Wüste gedreht habe, weil das so in den Drehbüchern gestanden hatte. Wie auch immer, ich ver­mute, dass nachfolgende in der Wüste angesiedelte Science-Fiction-Filme diese Landschaft zu einem Gutteil deshalb nutzten, weil Gefahr aus dem Weltall es vorgemacht hatte.“ (Skies, S. 448)

 

Ray Bradbury mag vielleicht die ursprüngliche Idee gehabt haben, aber da erst Jack Arnold mit seiner atmosphärischen Inszenierung demonstrierte, wie gut die Wüste als Schauplatz funktioniert, verselbstständigte sich das Motiv rasch – die Wüste wurde in den Jahren nach Gefahr aus dem Weltall neben der amerikanischen Kleinstadt zu einer bevor­zug­ten Umgebung für Science-Fiction-Filme. Ihre ästhetische Attraktivität liegt dabei auf der Hand. Die Wüste, so sagte Jack Arnold einmal in einem Interview, sei für einen Science-Fiction-Film perfekt, denn die Science-Fiction verlange vom Publikum, wider besseres Wissen zu glauben; die Wüste aber sei schon für sich genommen fantastisch, sie wirke bizarr und vorweltlich und vor allem – unheimlich. Das aber bedeutet, so lässt sich hinzufügen, dass eine enge Bezie­hung zwischen der Umgebung und dem Geschehen entsteht: Das fantastische Geschehen wirkt in fantastischer Um­gebung natürlicher und glaubwürdiger. Und genau für diesen Zusammenhang hatte Jack Arnold offensichtlich ein besonders ausgeprägtes Gespür.

 

Es stand eben nicht alles einfach nur im Drehbuch – schon gar nicht bei Tarantula, an dessen Story Jack Arnold maß­geblich mitgewirkt hatte. Jack Arnold wählte seine Drehorte immer sehr sorgfältig aus. Ein anschauliches Beispiel schilderte Arnold in einem Interview mit John Brosnan:

 

Tarantula war in derselben Wüstengegend gedreht worden, wo ich Gefahr aus dem Weltall gedreht hatte, ein Ort zehn oder 15 Meilen nördlich von Hollywood namens Dead Man’s Curve. Es gab dort eine anstehende Felsenformation, die ich besonders benutzen wollte. Was ich einfach tat, war in die Wüste hinauszufahren und nach etwas zu suchen, das unheimlich aussah. Wenn mir dann etwas Gänsehaut machte, sagte ich: Gut, wir werden hier drehen. Was wir taten, war die Miniaturfelsen im Studio den wirklichen Felsen in der Wüste nachzubilden und sie dann perspektivisch zu filmen. Wir schubsten die Spinne mit Luftstößen darüber, bis ich die Aufnahme hatte, die ich wollte. Sagen wir, ich wollte, dass zuerst ein Bein über dem Gipfel des Hügels erscheint, dann die Mandibeln und so weiter. Gewöhnlich hatten wir nach etwa zehn Versuchen oder so die Aufnahme, die ich wollte.“ (John Brosnan, The Primal Screen, S. 94)

 

Das Prinzip, eine echte Spinne aufzunehmen und als einkopiertes traveling matte riesengroß erscheinen zu lassen, ist bestechend simpel, doch erst die souveräne Handhabung dieser Technik und Arnolds einfallsreiche, stilsichere Regie ergaben nahezu perfekte, effektvolle Trickszenen. Zwei Jahre später konnte Jack Arnold die Erfahrungen aus Tarantula noch einmal nutzen und erneut eine gigantisch groß erscheinende Spinne inszenieren – in Die unglaubliche Geschich­te des Mr. C (1957), dem besten von Jack Arnolds Science-Fiction-Filmen.

 

Die überragenden Tricks, ein schnörkelloses, hervorragend getimtes Drehbuch, Arnolds atmosphärische Inszenierung und überdurchschnittlich gute Schauspielleistungen machen aus Tarantula einen höchst unterhaltsamen Monster­thril­ler. Als einer der bekanntesten und beliebtesten Science-Fiction-Filme der Fünfzigerjahre hat er sich längst einen Platz in der Ehrenhalle der ganz großen Genreklassiker erworben.

 

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Tarantula (USA 1955). Regie: Jack Arnold. Produzent: William Alland. Company: Universal-International Pictures. Dreh­buch: Robert M. Fresco, Martin Berkeley. Story: Robert M. Fresco, Jack Arnold, basierend auf der Episode No Food for Thought aus der TV-Reihe Science Fiction Theater vom 14. Mai 1955. Kamera: George Robinson. Schnitt: William M. Morgan. Musik: Joseph Gershenson (Leitung); Henry Mancini, Herman Stein. Art Direction: Alfred Sweeney, Alexander Gorlitzen. Set Decoration: Russell A. Gausman, Ruby R. Levitt. Spezialeffekte: Clifford Stine, David S. Horsley. Makeup: Bud Westmore (Leitung), Jack Kevan u. a. Darsteller: John Agar (Dr. Matt Hastings), Mara Corday (Stephanie “Steve” Clayton), Leo G. Carroll (Prof. Gerald Deemer), Nestor Paiva (Sheriff Jack Andrews), Ross Elliot (Joe Burch), Ed Rand (Lt. John Nolan), Raymond Bailey (Dr. Townsend), Hank Patterson (Josh), Clint Eastwood (Bomberpilot), Ed Parker (Eric Jacobs und Dr. Paul Lund) u. a. Laufzeit: 80 Minuten; Schwarzweiß. Premiere: 23. November 1955 (USA); 23. März 1956 (Deutschland)

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 26. Mai 2016

Plakatmotiv und Szenenbilder © Universal-International Pictures