Interstellar (USA 2014)
Regie: Christopher Nolan
Drehbuch: Jonathan Nolan und Christopher Nolan
Musik: Hans Zimmer
Darsteller: Matthew McConaughey (Cooper), Anne Hathaway (Amelia Brand), Michael Caine (Professor Brand), Matt Damon (Dr. Mann), Jessica Chastain (Murph), David Gyasi (Romilly), Wes Bentley (Doyle), Casey Affleck (Tom), Topher Grace (Getty), Mackenzie Foy (Murph als Zehnjährige), John Lithgow (Donald) u. a.
Produzenten: Lynda Obst, Emma Thomas und Christopher Nolan
Companies: Paramount, Warner Brothers, Legendary Pictures, Syncopy, Lynda Obst Productions
Laufzeit: 169 Minuen; Farbe
Premiere: 5. November 2014 (USA); 6. November 2014 (Deutschland)
In naher Zukunft hat der Klimawandel verheerende Auswirkungen. Weltweit herrscht Niederschlagsmangel, und die Ernten fast aller Getreide- und Gemüsesorten fallen regelmäßig dem Befall mit Mehltau zum Opfer. Ständig wiederkehrende, gewaltige Staubstürme legen sich überall auf das Land. Die einzige Nahrungsquelle, die noch Erträge liefert, ist Mais, doch es zeichnet sich ab, dass es auch damit bald zuende gehen wird. Unter dem Vorzeichen von Hunger und Not sind staatliche Institutionen auf dem Rückzug oder – wie das überflüssig gewordene Militär – vollständig verschwunden. Es scheint unausweichlich, dass schon bald die gesamte Menschheit den Hungertod sterben wird.
In dieser desolaten Welt lebt der etwa vierzigjährige Witwer und zweifache Vater Cooper. Als junger Mann war Cooper ein aufstrebender Astronaut der NASA; jetzt ist er wie viele andere auch Landwirt geworden und versucht auf einer Farm im Mittelwesten der USA, über den ständige Staubstürme hinweggehen, sich und seine Familie irgendwie von Ernte zu Ernte über Wasser zu halten. Coopers zupackender Sohn Tom strebt seinem Vater nach und will später die Farm übernehmen. Seiner klugen, zehnjährigen Tochter Murph hingegen hat Cooper die tiefe Liebe zur Wissenschaft vererbt. Als Murph davon spricht, dass in ihrem Zimmer ein „Geist“ sein muss, der Bücher ganz von allein aus ihrem Bücherregal fallen lässt, rät Cooper ihr, das Phänomen wissenschaftlich anzugehen. Eines Tages fällt der durch das offene Fenster in Murphs Zimmer gewehte Staub in einem geordneten Strichmuster auf den Boden – wahrscheinlich, wie Cooper und Murph mutmaßen, durch eine „Gravitationsanomalie“ bedingt. Das Strichmuster entpuppt sich als Binärcode für geografische Koordinaten, die ganz in der Nähe liegen. Als Cooper und Murph den abgelegenen Ort aufsuchen, stehen sie vor einem abgezäunten Gelände – und werden prompt von Sicherheitskräften ergriffen und hineingebracht.
Unterhalb des Geländes befindet sich ein riesiger Forschungs- und Montagekomplex: der streng geheim gehaltene Rest der einstigen NASA. Cooper trifft auf den Physiker Professor Brand, den er noch von seinen alten Astronautentagen her kennt, und Brand erläutert ihm die Lage. Bereits vor 50 Jahren wurde in der Nähe des Saturns ein kosmisches, fünfdimensionales „Wurmloch“ entdeckt, dessen Passage in eine ferne Galaxis führt. Auf der Suche nach einem geeigneten Planeten, auf den die verzweifelte Menschheit übersiedeln könnte, hatte die NASA bereits vor Jahren zwölf bemannte Expeditionen durch das Wurmloch geschickt, um die zwölf Welten erkunden zu lassen, die sich am anderen Ende des Wurmlochs in erreichbarer Nähe befinden und dort ein gigantisches schwarzes Loch namens „Gargantua“ umkreisen. Funksignale, die durch das Wurmloch zurückgeschickt wurden, nährten die Hoffnung, dass mindestens drei der untersuchten Welten vielversprechend sein könnten. Brand bittet Cooper, mit einem Astronautenteam eine weitere Expedition durch das Wurmloch zu fliegen, um diese drei Welten näher unter die Lupe zu nehmen.
Cooper fällt es schwer, seine Kinder unter der Obhut ihres Großvaters zurückzulassen, wohlwissend, dass die Expedition viele Jahre dauern und er womöglich nie zurückkommen wird. Insbesondere seine Tochter Murph ist zutiefst verletzt davon, dass ihr Vater sie verlassen will. Dennoch entschließt sich Cooper, an der Expedition teilzunehmen. Mit dem rotierenden, ringförmigen Raumschiff Endurance tritt die Crew die zweijährige Reise zum Saturn an, die sie im Kälteschlaf verbringt. Der Flug durch das Wurmloch gelingt. Am Ziel angelangt, müssen sich die Astronauten wegen Treibstoffmangel auf zwei der drei zu untersuchenden Welten einigen. Die Zeit drängt: Auf der Erde wird sie ohnehin langsam knapp, während die Zeitdilatation im starken Schwerkraftfeld von Gargantua dafür sorgt, dass schon während weniger Stunden, die für die Astronauten verstreichen, auf der Erde mehrere Jahrzehnte vergehen . . .
Ein mitreißender Raumfahrtfilm – aber kein neuer 2001: Odyssee im Weltraum
Intelligente Raumfahrtfilme, die ihr Thema möglichst realistisch handhaben und dabei noch interessante astrophysikalische Theorien auf clevere Weise zu zentralen Elementen der Handlung machen, sind dem Freund „ernsthafter“ oder „harter“ Science-Fiction, die sich auf den festen Grund realer Wissenschaft stellen will, immer hochwillkommen. Ein besonders nerdiger und astrophysikalisch ambitionierter Film dieser Art ist Interstellar, Christopher Nolans große, 165 Millionen Dollar teure Weltraum-Oper mit Starbesetzung. Optisch, dramatisch und auch musikalisch bietet der Film überwältigend schöne und packende Momente, und es ist überdeutlich, dass Christopher Nolan hier visuell und erzählerisch dem übermächtigen Vorbild 2001: Odyssee im Weltraum (1968) von Stanley Kubrick nacheifert. Die majestätische Größe und durchschlagende Kraft des Filmklassikers zu erreichen, ist Nolan allerdings nur in den völlig lautlosen oder auch mit Hans Zimmers rauschhaftem Score unterlegten Hardware-Szenen im Weltraum gelungen – von denen es in einem Film, der immerhin „Interstellar“ heißt und überlange zweidreiviertel Stunden dauert, erstaunlich wenige gibt. Neben den visuellen und dramatischen Triumphen im All wirken sich die sentimentalen Flachheiten, die erzählerischen Leerläufe auf der Erde und die ärgerlichen Logiklöcher, in denen gleich mehrere schwarze Löcher Platz finden würden, umso störender aus. So hinterlässt der Film zwar einen teilweise großartigen, aber eben doch nicht so großartigen Eindruck.
Interstellar hat eine lange Vorgeschichte, die bis in die Neunzigerjahre zurückreicht. Damals traf sich die Produzentin Lynda Obst (geb. 1950) mit dem theoretischen Physiker Kip Thorne (geb. 1940), um ihr damaliges Filmprojekt Contact (1997) wissenschaftlich beraten zu lassen. Die Idee kosmischer „Wurmlöcher“ als Abkürzungen durch die Raumzeit, in Contact erstmals in einem Kinofilm verwendet, wurde bereits 1935 von Albert Einstein und Nathan Rosen beschrieben. Kip Thorne hat sich in seinen theoretischen Schriften intensiv mit ihr beschäftigt und sie mit theoretischen Gebilden wie „exotischer Materie“, die antigravitativ wirkt, zu erweitern versucht. Im Zuge ihres Treffens für Contact ersannen Obst und Thorne auch die Idee für einen Science-Fiction-Film, der die modernsten physikalischen Theorien zur Gravitation, zu schwarzen Löchern und zu Wurmlöchern aufgreifen könnte. Lynda Obst konnte zunächst Steven Spielberg für die Filmidee gewinnen, doch aufgrund vieler anderer Filmprojekte Spielbergs blieb die Idee lange in der Schublade liegen. Im Jahre 2007 beauftragte Spielberg Jonathan Nolan, den Bruder von Christopher Nolan, damit, ein Drehbuch zu schreiben, doch schon bald musste Spielberg ganz aus dem Projekt aussteigen, und die Filmidee lag erneut auf Eis. Erst als 2012 Christopher Nolan die Hände frei hatte, nahm er sich des Projekts an, tüftelte mit seinem Bruder eine neue Drehbuchfassung aus, und die Produktion des Films wurde gemeinschaftlich von Paramount und Warner Bros. angeschoben.
Die Anlehnung an Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum ist in wesentlichen Teilen der Erzählstruktur von Interstellar deutlich erkennbar. Die Plots beider Filme sind sehr ähnlich aufgebaut und enthalten mehrere vergleichbare Elemente. So gibt es eine Reise in das äußere Sonnensystem – in 2001 zum Jupiter, hier zum Saturn –, wo auf die Raumfahrer ein Sternentor wartet, das von mysteriösen, höher entwickelten Wesen dort platziert wurde. Die Reise der Raumfahrer wird massiv sabotiert – in 2001 von HAL 9000, hier von Dr. Mann –, und nach diesem Kampf auf Leben und Tod erlebt die Hauptfigur eine surreale Passage in ein Reich, das sich dem menschlichen Verstehen entzieht und doch oder gerade deshalb in allzu menschlichen Begriffen dargestellt wird – in 2001 in Form des barocken Schlosszimmers, in dem sich Bowman wiederfindet, hier in Form des myriadenfach vervielfältigten Kinderzimmers von Murph. Lediglich die schlussendliche Aussage beider Filme ist anders. Während Bowman, wie es scheint, in 2001 eine höhere Evolutionsstufe erreicht hat und damit der Teilhabe an der kosmischen Gemeinschaft mit den hochentwickelten Aliens, die die Monolithen erschaffen haben, einen großen Schritt näher gekommen ist, spekuliert Cooper im schwarzen Loch, dass der fünfdimensionale Raum, in dem er sich befindet, ein Werk „von uns“, von Menschen, genauer: von hochentwickelten, fünfdimensionalen Nachfahren der Menschen ist. Und er erkennt, dass es die Liebe zu seinen Nächsten, also das nur allzu Menschliche, ist, was am Ende vor allem anderen zählt. Das schwarze Loch speit ihn nicht als „Sternenkind“ aus, das zu etwas Übermenschlichem geworden ist – sondern als geläuterten Familienvater, der seinen Frieden erst findet, als er am Sterbebett seiner inzwischen uralt gewordenen Tochter Murph die Vergebung für seine väterlichen Verfehlungen empfängt.
Interstellar ist in seinen Weltraumsequenzen ein Film von wahrhaft majestätischer Schönheit. Die Stille im All, der Impulserhalt aller Dinge, die Schwerelosigkeit und Zentrifugalkräfte, Bilder von winzigen Dingen wie dem Raumschiff Endurance, die in der Verlorenheit des Alls vor gigantischen kosmischen Gebilden wie dem mächtigen Saturn oder der leuchtenden Akkretionsscheibe von Gargantua dahinziehen: Alles das wird in wunderbaren Bildern präsentiert, die jeden Science-Fiction-Fan – auch mich – im Handumdrehen begeistern. Während sich die Dramatik steigert und der Film auf seinen kosmischen Höhepunkt zusteuert, kulminieren die Bilder im Verein mit der hypnotischen Musik von Hans Zimmer, die reichlichen Gebrauch von Kirchenorgeln macht und damit auch noch über das Geschehen ein sakrales Odium versprüht, zu einem mitreißenden Bilderrausch.
Die Planeten in der Nähe des schwarzen Lochs, die die Astronauten besuchen, sind wahrhaft originelle und doch auch glaubwürdige Kreationen: eine Wasserwelt, über die regelmäßig kilometerhohe Wellen hinwegjagen, und eine vereiste Welt, in dessen Atmosphäre gefrorene Wolkengebirge hängen. Schöne wissenschaftliche Details unterstreichen Nolans Anspruch, einen intelligenten Science-Fiction-Film zu bieten, wie etwa die korrekte Handhabung der Zeitdilatation innerhalb starker Gravitationsfelder oder die Erklärung, warum ein fünfdimensionales Wurmloch im All nicht wie das Auge eines Strudels, sondern vielmehr wie eine Kugel erscheinen muss. So entspricht eine Stunde auf „Millers Planet“, der Wasserwelt, die dem schwarzen Loch Gargantua am nächsten steht, sieben Jahre auf der Erde. Science-Fiction in reinster Essenz: Wissenschaftliche Konzepte wie die Relativitätstheorie, Theorien zur Gravitation, zu Wurmlöchern, schwarzen Löchern und zur mehrdimensionalen Natur des Universums werden hier zu zentralen Elementen, die die Reise der Astronauten direkt betreffen und sie existenziell beeinflussen. Freilich: Bei Coopers Reise ins schwarze Loch spielt all das keine Rolle mehr, denn in der Nähe des Ereignishorizonts müsste sich die Zeitdilatation für Cooper eigentlich immer extremer auswirken, und Cooper hätte das Überschreiten des Ereignishorizonts selbstverständlich niemals überlebt. Doch dass hier im Interesse der Erzählung derlei Dinge beiseite gelassen wurden, kann man gut verzeihen.
Die Besetzung des Films, der nicht weniger als fünf Oscarpreisträger angehören, spielt durchweg hervorragend. Matthew McConaughey überzeugt in der Rolle des Familienvaters, der sich von seinem lang gehegten Traum, ins All zu fliegen, mitreißen lässt und dafür seine Kinder verlässt, und die junge Mackenzie Foy überrascht mit einer starken Darstellung von Coopers Tochter Murph (gottlob hat sie als Mädchen nur einmal das leider auch von Nolan nicht vermiedene Klischee zu erfüllen und in schlimmer Dakota-Fanning-Tradition nervtötend schrill zu kreischen, nämlich bei der Festnahme vor dem Zaun des NASA-Geländes). Jessica Chastain spielt die erwachsene Murph überzeugend verbittert, aber auch wissenschaftlich engagiert, während Michael Caine einmal mehr eine wohlmeinende und leicht joviale Vaterfigur spielen darf. Matt Damon ist großartig in der Rolle des nüchternen, falsch spielenden Dr. Mann. Auch Anne Hathaway, die in den Kritiken oft ziemlich hämisch gescholten wurde, hat mich hier vollkommen überzeugt. Sie spielt die professionell agierende, gleichzeitig aber auch hochemotionale Wissenschaftlerin sehr eindringlich. Dass ihr auf Millers Planet die undankbare Rolle zufällt, sich völlig dumm zu verhalten und dadurch den Tod ihres Astronautenkollegen Doyle zu verursachen, ist dem Drehbuch, nicht aber ihr anzulasten. Eine interessante, unterhaltsame und durchaus wichtige Figur des Films ist schließlich der scherzende und stets zu Diensten stehende Roboter TARS, obgleich ich sein eckiges Schachteldesign – angeblich eine Hommage an die Monolithen aus 2001 – für absurd und missglückt halte.
Leider hat Interstellar auch eine Reihe von ärgerlichen Schwächen aufzuweisen. So spielt ein großer Teil des Films auf der Erde, deren desolater Zustand kaum erläutert wird und vollkommen unglaubwürdig daherkommt. Das Szenario weltweiter ewiger Staubstürme wirkt genauso hergeholt wie die Prämisse des Films, dass wesentliche staatliche Institutionen unter der Hungerkatastrophe praktisch zerbröckeln würden. Besonders lächerlich ist die Annahme, dass ausgerechnet das Militär (!) unter diesen Bedingungen aufgelöst werden würde – während andere Dinge wie Schulen, Finanzämter und das Hissen der im Film allgegenwärtigen US-Fahne noch funktionieren. Ich schätze vielmehr, dass die bewaffneten Staatsorgane so ziemlich die letzten wären, die ein Staat angesichts einer weltweiten Hungerkrise aufgeben würden. Hunger ist garantiert nicht der Schlüssel zum Weltfrieden, wie Interstellar uns glauben machen will, sondern allenfalls der Anstoß für neue blutige Konflikte.
Ebenso völlig unglaubwürdig ist, dass sich die NASA in ein unterirdisches Loch verkriechen kann und dort ohne die Ressourcen von Zehntausenden von Ingenieuren und Wissenschaftlern und ohne ein Budget von Zigmilliarden Dollar völlig im Geheimen mehrere bemannte Raumschiffe bauen und dann auch noch unbemerkt starten kann. Auch sind die technischen Fähigkeiten der NASA der nahen Zukunft maßlos übertrieben – der Kälteschlaf ist nur eine davon. Am Ende des Films werden dem Zuschauer sogar gigantische Bernalsphären – rotierende, auf der Innenseite besiedelte Trommeln – gezeigt, die die NASA im Saturn-Orbit gebaut hat und in die die Menschheit – beziehungsweise die Baseball spielende US-Gesellschaft – zwischenzeitlich umgezogen ist. Dagegen macht sich Kubricks erdorbitale Raumstation in 2001 regelrecht mickrig aus. Kurzum: Das gesamte Ausgangsszenario auf der Erde ist in Interstellar heillos ver-murkst. Man mag diese Kritikpunkte als Erbsenzählerei abtun. Aber von einem Film, der ernsthaft daraus aus ist, die Wissenschaft, die Raumfahrt und Science-Fiction-Konzepte mit realistischer Genauigkeit darzustellen, darf man schon etwas mehr Finesse in der grundlegenden Konzeption erwarten.
Auf Feld und Farm im US-Mittelwesten werden die altbekannten, geradlinigen Mythen amerikanischer Identität durchgespielt. Abends sinniert man auf der Veranda sitzend mit einem Bier in der Hand über die Härten des Lebens, und wer dem Landei gegenüber eine Meinung äußert, die dem erdigen Farmer nicht passt, bekommt erst einmal unangekündigt eins aufs Maul. Die Grundidee ist schon klar: Die Darstellung von Coopers desillusioniertem Leben mit seinen Kindern auf dem Lande soll beim Zuschauer die Anteilnahme an der emotionalen Bindung des Astronauten zu seiner Familie herstellen. Dennoch wirkt die lächerlich unglaubwürdige Handlung auf der Erde im ersten Drittel des Films nur wie eine sich dahinschleppende Verzögerung, bis es dann endlich mit der Reise ins All losgeht.
Die „private“ Seite der Erzählung bleibt auch im All eine Schwachstelle in Interstellar. In Kubricks unterkühltem 2001 gelingt keine Identifikation mit den menschlichen Protagonisten, weil sie alle unpersönliche Figuren bleiben, deren Beziehungen kaum oder gar nicht thematisiert werden. Es muss hier nicht verhandelt werden, ob das von Kubrick so beabsichtigt war oder nicht. Christopher Nolan hingegen macht aus der Odyssee seiner Raumfahrer eine sentimentale Familienchronik. Cooper wird von Schuldgefühlen wegen seiner zurückgelassenen Kinder geplagt, die immer wieder von Videobotschaften genährt werden, in denen Cooper seine inzwischen um viele Jahre gealterten Kinder ansehen muss. Kaum anders ergeht es Amelia Brand, der mitgereisten Tochter von Professor Brand: Auch sie muss das rasche Älterwerden und schließlich die Nachricht vom Tod ihres Vaters verkraften.
Die Liebe erweist sich schließlich als der Schlüssel, als der stärkste Kompass für das menschliche Handeln – sie wird zur zentralen Botschaft der Erzählung. Amelia spekuliert, ob die Liebe nicht eine höhere physikalische Kraft sein könnte, ein in Begriffen der theoretischen Physik noch unverstandenes Phänomen, dem zu trauen ebenso gerechtfertigt sein könnte, wie es das Vertrauen auf bereits gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse ist. Auf diese Weise rechtfertigt sie, weshalb sie zum Planeten des von ihr geliebten Astronauten Dr. Wolf Edmunds statt zu Millers Planet fliegen will. Und Cooper erfährt, wie bereits erwähnt, im schwarzen Loch eine banale Läuterung, die ihm vor Augen stellt, dass die Liebe zu seinen Kindern am Ende doch das Kostbarste ist, was er je besessen hatte, und dass es ein Fehler gewesen war, seine Kinder zu verlassen. Zudem ahnt Cooper im Tesserakt, der aus Myriaden Ansichten von Murphs Kinderzimmer, alle jeweils zu verschiedenen Zeitzuständen, besteht – die Zeit liegt vor Cooper wie ein aufgeschlagenes Buch –, dass es die Liebe sein muss, die diesen Tesserakt überhaupt erst ermöglichte: sowohl die Liebe in ihm selbst als auch die Liebe der hochentwickelten „Menschen der Zukunft“, die den Tesserakt für Cooper arrangiert haben. Keine „Wesen“, so belehrt Cooper TARS, hätten diesen fünfdimensionalen Raum oder das Wurmloch beim Saturn erschaffen, sondern „wir“, das heißt Menschen – genauer gesagt Nachfahren der Menschen, die eine extrem ferne, hochentwickelte Zivilisationsstufe erreicht haben. Und das Bindeglied zwischen „ihnen“ und „uns“ ist – die Liebe.
Die Liebe ist die machtvollste aller menschlichen Regungen, das edelste seiner Vermögen und die Kraft, die die menschliche Gesellschaft zusammenhält; durch sie zieht sich die Menschheit immer wieder am eigenen Schopfe aus der Misere. Das ist die Botschaft, die Interstellar vermittelt. Sie ist wahr, aber auch banal. Und doch steht die Handlung des Films in einem seltsamen Kontrast zu dieser Botschaft. Denn erst Coopers Opfer, die Abkehr von seinen Kindern, ermöglicht seine Reise ins schwarze Loch und die Rettung der Menschheit. Im schwarzen Loch erfährt Cooper nämlich durch TARS die vollständige physikalische Natur der Gravitation. Dieses Wissen vermittelt er über gravitative Kräfte an den Sekundenzeiger der Armbanduhr in Murphs Kinderzimmer, sodass Murph, inzwischen erwachsen, in die Lage versetzt wird, die Gravitationstheorie von Professor Brand zu vervollständigen. Die Überwindung der Gravitation mittels dieser Theorie hinwiederum ist nötig, um die Evakuierung der Menschheit ins All in die Tat umzusetzen. Als Cooper aus dem schwarzen Loch zurückgekehrt ist (wie, lässt der Film leider offen), ist die Rettung geglückt, und die Menschen leben in sonnigen, elysischen Bernalsphären.
Zuguterletzt muss noch auf die kontroverse Zeitschleife eingegangen werden, die der Film als vermeintlich cleveren Kniff in die Szene im schwarzen Loch einbaut. Es zeigt sich, dass Murphs „Geist“ im Kinderzimmer tatsächlich Cooper war, der vom Tesserakt im schwarzen Loch aus Murphs Bücher aus dem Regal fallen ließ, um ihr so eine verschlüsselte Botschaft zu vermitteln. Cooper war es auch, der mittels gravitativer Kräfte den binären Code, der zum NASA-Gelände führte, in den Staub auf dem Zimmerboden schrieb. Mit Letzterem setzte Cooper den Anstoß zu seiner Odyssee selbst ins Werk: eine klassische Zeitschleife, wie man sie aus vielen anderen Zeitreisegeschichten kennt und die jedweder konventionellen Logik widerspricht. Es hat unter Fans des Films zahlreiche Diskussionen um diesen Punkt der Erzählung gegeben, oft unterfüttert mit Kip Thornes publizierten Erläuterungen zur “Science of Interstellar”, die hier nicht weiter kommentiert werden müssen. Am Ende verhält es sich damit so wie mit allen Zeitreisegeschichten: Die Paradoxien und Schleifen sind logisch nicht auflösbar.
Ich habe nicht selten Argumentationen gelesen, die schlichtweg bestreiten wollen, dass hier überhaupt eine Zeitreise-Problematik vorliegt: Cooper würde die Zeit im fünfdimensionalen Tesserakt wie eine weitere räumliche Dimension erfahren, die er problemlos manipulieren kann – für ihn gebe es so etwas wie „Zeitpunkte“ oder einen gerichteten Zeitpfeil gar nicht. Das ist durchaus nicht falsch. Allerdings ist der nicht umkehrbare Zeitpfeil für die vierdimensionale Welt von Murphs Kinderzimmer und der Erde sehr wohl eine Erfahrungsrealität, und im Horizont dieser – unserer! – vierdimensionalen Realität wirkt sich Coopers Eingreifen in die Geschehnisse sehr wohl wie ein typisches Zeitreise- bzw. Zeitschleifen-Paradox aus – physikalische String-, Brane- und Bulk-Theorien hin oder her.
Darüber hinaus ergibt sich aus Coopers Mutmaßung über die Natur der „höheren Wesen“, dass noch eine zweite, übergeordnete Zeitschleife das Geschehen erst ermöglicht hat. Denn wenn diese fünfdimensionalen Wesen, die das Wurmloch in das Saturnsystem platziert haben – und die von Fans im Anschluss an Kip Thorne auch “bulk beings” genannt werden (siehe dazu etwa einen Online-Artikel von Kip Thorne oder auch das Interstellar Wiki) –, wenn diese Wesen also wirklich die Nachfahren der Menschheit sind, so fragt sich, weshalb sie für ihre vom Aussterben bedrohten Vorfahren überhaupt ein Wurmloch installieren müssen. Ihre Existenz wäre nämlich gar nicht möglich, wenn Äonen zuvor ihre Vorfahren tatsächlich ausgestorben wären. Doch wie schon im Fall zuvor ist es müßig, dieses Paradox weiter zu diskutieren – es bleibt unlogisch.
Alles in allem hätte Nolan auf seine Zeitschleifen auch gut verzichten können – wenn ihm denn ein besserer Gosh-wow!-Effekt für das Ende seines Films eingefallen wäre. Eine vermeintlich frappierende Zeitschleife für diesen Effekt zu bemühen, wirkt indes enttäuschend schwach.
Es ließen sich noch weitere kleinere Ungereimtheiten ansprechen – etwa Dr. Manns völlig dilettantisches Handeln an der Luftschleuse der Endurance, das in eklatantem Widerspruch zu seinem Ruf als der mit Abstand beste aller NASA-Astronauten steht –, doch würde das tatsächlich in Erbsenzählerei ausarten. Alles in allem ist Interstellar trotz seiner misslungenen Prämissen, trotz der zähen Längen in den Erzählteilen auf der Erde und trotz der Zeitschleifenparadoxien, die sich cleverer geben, als sie sind, ein überdurchschnittlich intelligenter und streckenweise außerordentlich spannender Science-Fiction-Film, der dem Zuschauer jede Menge Denkfutter anbietet. Am stärksten ist der Film dort, wo er sich in den mitreißenden Raumfahrtsequenzen auf seine visuelle Opulenz, seine musikalische Kraft und seine wissenschaftliche Hardware verlässt. Auch Coopers Trip ins schwarze Loch und die visuelle Umsetzung des Tesserakts in der Art eines unendlichen Spiegelsaals sind respektable cineastische Leistungen. Interstellar ist kein Update von Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968) oder gar ein Film, der an das große Vorbild heranreichte. Aber das Werk zählt zweifellos zu den bemerkenswertesten Science-Fiction-Filmen, die seit 2001 gedreht wurden. Und das will eine Menge heißen.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 27. März 2017
Szenenfotos © Paramount Pictures Corporation/Warner Bros. Entertainment Inc.