Total Recall – Die totale Erinnerung

Deutsches Bluray-Cover zu dem Film "Total Recall" (USA 1990) von Paul Verhoeven

Total Recall (USA 1990)

 

Regie: Paul Verhoeven

Drehbuch: Ronald Shusett, Dan O’Bannon und Gary Goldman, nach der Kurzgeschichte We Can Remember It For You Wholesale (1966) von Philip K. Dick

Kamera: Jost Vacano. Schnitt: Carlos Puente und Frank J. Urioste. Musik: Jerry Goldsmith

Darsteller: Arnold Schwarzenegger (Douglas Quaid), Rachel Ticotin (Melina), Sharon Stone (Lori), Ronny Cox (Cohaagen), Michael Ironside (Richter), Marshall Bell (George/Kuato), Mel Johnson Jr. (Benny), Mi­chael Champion (Helm), Roy Brocksmith (Dr. Edgemar) u. a. Produzenten: Buzz Feitshans und Ronald Shusett; Mario Kassar und Andrew Vajna (ausführende Produzenten). Companies: Carolco Pictures; TriStar Pictures (Verleih). Laufzeit: 113 Minuten; Farbe. Premiere: 31. Mai 1990 (USA); 26. Juli 1990 (Deutschland)

 

Douglas Quaid führt im Jahr 2084 ein stinknormales, aber sorgenfreies Leben. Er hat einen Job als Bauarbeiter, und mit seiner wunderschönen Frau Lori bewohnt er eine schicke Appartmentwohnung. Allerdings verfolgen ihn ständig Träu­me, in denen er sich zusammen mit einer anderen Frau auf dem Mars befindet. Der Mars, der von der Erde schon seit einigen Jahrzehnten kolonisiert wird, beschäftigt Quaid auch, wenn er wach ist, doch seine Frau will von seinem Vor­schlag, auf den Mars umzuziehen, nichts wissen.

 

Quaid entschließt sich daher, zur Firma Rekall Inc. zu gehen, die damit wirbt, für günstiges Geld perfekt programmierte Erinnerungen an traumhaft schöne Urlaubsreisen in das Gehirn einspeisen zu können. Diese künstlichen Erinnerungen, so das Versprechen, seien so real, dass der Kunde sie nicht von Erinnerungen an tatsächlich gemachte Reisen unter­scheiden könne. Um die „Reise“ aufzupeppen, bucht Quaid bei Rekall ein Zusatzpaket hinzu: Auf dem Mars soll er nicht er selbst, sondern ein von vielen Feinden gejagter Top-Geheimagent sein, der den Planeten vor einer ernsten Bedro­hung rettet und dabei das Herz einer wunderschönen Frau erobert.

 

Bei der Einspeisung der Erinnerungen geht jedoch etwas schief. Offenbar ist schon einmal an Quaids Gehirn herumma­nipuliert worden, denn nach Verabreichung der vorbereitenden Drogen, aber noch bevor die eigentlichen Erinnerun­gen implantiert wurden, rastet Quaid plötzlich aus, greift die Laboranten Rekalls an und beschuldigt sie, seine Tarnung als Geheimagent aufdecken zu wollen. Es gelingt den Laboranten, Quaid festzuhalten und zu betäuben. Der Chef von Rekall fürchtet juristische Scherereien wegen der unangenehmen Panne und beschließt, die Sache zu vertuschen. Er lässt Quaids Zahlung an Rekall zurücküberweisen und den bewusstlosen Mann mit einem Taxi nach nirgendwo fahren. Als Quaid wieder zu sich kommt, ist er vollkommen verwirrt: Eine Gruppe von bewaffneten Männern ist plötzlich hin­ter ihm her, doch Quaid gelingt es, die Angreifer allesamt im Nahkampf zu töten. Woher hat er diese Fähigkeiten? Ist er vielleicht tatsächlich ein Geheimagent, dem die Erinnerungen gelöscht und mit der Identität von Douglas Quaid, dem Bauarbeiter, ersetzt wurden? Als ihn später seine Frau Lori zu töten versucht und sich ebenfalls als Agentin ent­puppt, ist Quaid vollends überzeugt, dass sein Gehirn manipuliert worden ist.

 

Auf der Flucht vor weiteren Angreifern wird er von einem Unbekannten kontaktiert, der ihm einen Koffer übergibt. In diesem Koffer befindet sich neben Geld, gefälschten Dokumenten und Waffen eine Videobotschaft, die er selbst einst aufgenommen hatte. Sein früheres Ich im Video klärt ihn darüber auf, dass er eigentlich Hauser heißt und als Geheim­agent für den Gouverneur des Mars namens Cohaagen gearbeitet hat, der auf dem Mars ein diktatorisches Regime führt. Als Hauser auf dem Mars die Seiten wechseln und eine Organisation von Rebellen unterstützen wollte, hatten Cohaagens Agenten ihn ergriffen, ihm seine neue Identität als Quaid ins Gehirn eingespeist und auf die Erde gebracht, wo sie ihn unschädlich wähnten. Quaid sieht nur eine Möglichkeit, gegen seine Verfolger zu gewinnen: Er macht sich auf den Weg zurück auf den Mars, um dort den Rebellenführer Kuato zu finden und mit seiner Hilfe Cohaagen zu entmachten . . .

 

Brachiale Schwarzenegger-Action mit Köpfchen

 

Paul Verhoevens Streifen Total Recall – Die totale Erinnerung ist ein mitreißender Science-Fiction-Film, der mit wuchti­ger Action, hohem Tempo und fantastischen Spezialeffekten und Modellbauten begeistert, die damals state of the art waren und auch heute noch immer sehr ansehnlich sind. Der 65 Millionen Dollar teure Film ist – selbstredend – ein muskelschwellendes und extrem bleihaltiges Starvehikel für Arnold Schwarzenegger, der sich über weite Strecken mit automatischen Waffen im Ego-Shooter-Modus durch die Show ballert, und geizt auch nicht mit der deftigen Gewalt, die für Paul Verhoeven nach seinem Erfolgshit RoboCop (1987) zum typischen Markenzeichen geworden war. Für bei­des wurde Total Recall in der damaligen Filmkritik auch häufig verrissen. Allerdings – und das hebt den Film deutlich über den Actionschund der Achtziger und Neunziger empor – hat er trotz der oberflächlich stumpf wirkenden Schieß­wütigkeit und der eher schlichten Figurenzeichnung ein sehr intelligentes Drehbuch vorzuweisen, das ein fintenrei­ches Vexierspiel mit den Realitätsebenen des Geschehens und der Erinnerungen spielt. Man weiß als Zuschauer nie, welche von Quaids Erlebnisse tatsächlich „wahr“ und welche nur implantierte, künstliche Erinnerungen sind, und selbst am Ende lässt es der Film offen, ob nicht vielleicht das gesamte Abenteuer Quaids nur eine große, ihm ins Gehirn ein­gepflanzte Täuschung sein könnte. In der Tat legt des Film dem Zuschauer diese Lösung sogar nahe. Das verleiht dem Film interessante Twists, die beständig aufs Glatteis führen und zu spannenden Gedankenspielen herausfordern.

Szenenfoto aus dem Film "Total Recall" (USA 1990) von Paul Verhoeven; Mars-Landschaft
Quaids Träume vom Mars treiben ihn dazu, bei Rekall Inc. eine künstliche Erinnerung an den Mars zu erwerben

Das Drehbuch von Total Recall basiert auf der Kurzgeschichte We Can Remember It For You Wholesale (1966) von Philip K. Dick (1928–1982), die in Deutschland unter verschiedenen Titeln – Mr. Quails Erinnerungen (1966), Erinnerung zum Einstandspreis (1973), Wir erinnern uns für Sie en gros (1981), Total Recall (1991), Erinnerungen en gros (1991) und Die totale Erinnerung (1998) – erschienen ist (vgl. dazu die ISFDb). Unter Science-Fiction-Kritikern ist es schon seit Lan­gem eine liebgewonnene Tradition, Verfilmungen von Philip-K.-Dick-Erzählungen zu bejammern: Die Filme würden ihre über den grünen Klee gelobten litarischen Vorlagen regelmäßig zum Schlechteren verfälschen und verwässern. Zumin­dest im Falle von Total Recall kann ich diese Kritik nicht teilen. Während Philip K. Dicks Kurzgeschichte ein recht hüb­sches Spiel mit der Idee künstlicher Erinnerungen darstellt, wird in ihr der Leser nie im Zweifel darüber gelassen, dass die Erinnerungen des Protagonisten Douglas Quail an seine Erlebnisse als Geheimagent wirklich geschehen sind. Das gilt auch für die zweite, tiefer in Quail vergrabene Erinnerung, in der er als Kind ganz allein die Erde vor einer Alien­invasion gerettet hat: Auch sie entpuppt sich am Ende als real. Das kann man zwar, wie es gemeinhin getan wird, als ironischen Scherz von Philip K. Dick interpretieren. Sehr subtil verarbeitet Dick das Thema dennoch nicht, im Gegenteil: Nach der Lektüre hat man eher den Eindruck, dass Dick das Potenzial des Themas vollkommen verschenkt hat. Demge­genüber holt Verhoevens Verfilmung wesentlich mehr aus dem Thema heraus und ist, was die Konzeption und Story betrifft, seiner literarischen Vorlage weit überlegen.

 

Es brauchte 15 lange Jahre von der Idee einer Verfilmung bis zu ihrer Realisierung. Der Drehbuchautor und Produzent Ronald Shusett (geb. 1935) hatte 1974 Philip K. Dicks Kurzgeschichte gelesen und war sofort davon überzeugt, dass sie sich für einen hervorragenden Science-Fiction-Film eignen würde. Er erwarb vom Autor für läppische 1.000 Dollar die Filmrechte und machte sich gemeinsam mit Dan O’Bannon (1946–2009), mit dem er später auch das Drehbuch zu Alien (1979) schreiben sollte, daran, ein Drehbuch unter dem Arbeitstitel Total Recall zu erarbeiten. Bereits die frühen Versio­nen des Drehbuchs ähneln in ihrer Struktur dem späteren Film: Im ersten Drittel folgen sie Philip K. Dicks Kurzgeschich­te, doch dann begibt sich Douglas Quail tatsächlich auf den Mars und erlebt dort sein Agentenabenteuer, in dem re­bellische Mutanten und eine verschwörerische Marsregierung die Gegenspieler sind. Nur der dritte Akt bereitete Pro­bleme: Shusett und O’Bannon werkelten ständig an ihm herum, ohne je zu einem befriedigenden Ergebnis zu gelan­gen.

 

Nachdem mehrere Produzenten Shusetts Total Recall-Projekt abgelehnt hatten, weil der Film ihrer Ansicht nach zu teuer werden würde – unter anderem hatten anfangs sogar die Disney Studios eine Zusage gegeben, sich dann aber doch zurückgezogen –, gelang es Shusett 1982, Dino De Laurentiis (1919–2010) von dem Film zu überzeugen. De Lau­rentiis heuerte David Cronenberg (geb. 1943) für die Regie an, und für die Rolle des Douglas Quail wurde zunächst Richard Dreyfuss (geb. 1947), dann William Hurt (geb. 1950) angedacht. Differenzen zwischen De Laurentiis, Shusett und Cronenberg darüber, wie der Film umgesetzt werden sollte, führte allerdings dazu, dass Cronenberg aus dem Projekt wieder ausstieg. Als daraufhin De Laurentiis und Shusett in Hollywood nach einem neuen Regisseur suchten, bekam Arnold Schwarzenegger (geb. 1947) das Drehbuch in die Hände. Schwarzenegger war begeistert von dem Skript und bot sich sofort für die Hauptrolle an, aber De Laurentiis lehnte ab: Er konnte sich den Muskelmann mit den eisernen Gesichtszügen kaum in der Rolle eines verbitterten kleinen Angestellten, wie Quail noch in Dicks Kurzgeschichte ge­zeichnet wird, vorstellen.

Szenenfoto aus dem Film "Total Recall" (USA 1990) von Paul Verhoeven; Arnold Schwarzenegger
Bei Rekall Inc. läuft beim Implantieren der Erinnerung ins Gehirn etwas schief

De Laurentiis verpflichtete schließlich Bruce Beresford (geb. 1940) als Regisseur, und Patrick Swayze (1952–2009) sollte nunmehr die Hauptrolle übernehmen. In Australien wurden bereits Sets für die Dreharbeiten gebaut – und bis 1987 bereits 6 Millionen Dollar ausgegeben –, da ereilte Dino De Laurentiis’ Produktionsfirma DEG aufgrund einer Reihe an­derer, an den Kinokassen gefloppter Filme der Bankrott. Arnold Schwarzenegger ergriff die Gelegenheit und überzeug­te die Produktionsfirma Carolco, mit der er zuletzt Red Heat (1988) gedreht hatte, Dino De Laurentiis Total Recall zum Schnäppchenpreis von 3 Millionen Dollar abzukaufen. Schwarzenegger wurde von Carolco großer Einfluss auf die Pro­duktion gewährt: So durfte er bei der Auswahl des Regisseurs und der anderen Schauspieler mitreden und war auch mit erheblichem Engagement in die Vermarktung des Films eingebunden. Da dem Actionstar Paul Verhoevens Überra­schungshit RoboCop (1987) sehr gut gefallen hatte, bot er dem niederländischen Regisseur an, die Inszenierung von Total Recall zu übernehmen. Als Verhoeven das Drehbuch zu lesen bekam, hatte es bereits einundvierzig (!) Überarbei­tungen hinter sich, und ihm fehlte noch immer ein überzeugender Schluss. Dennoch sagte er zu. Ronald Shusett holte sich derweil Hilfe vom Drehbuchautor Gary Goldman (geb. 1944), mit dem er gemeinsam einen zündenden dritten Akt für das Drehbuch schrieb. Zuguterletzt änderten beide den Namen der Hauptfigur von Quail in Quaid ab, um den Ver­dacht einer Anspielung auf den damaligen US-Vizepräsident Dan Quayle (geb. 1947) auszuschließen.

 

Die Dreharbeiten mit den Schauspielern fanden von März bis August 1989 in Mexiko City statt. In den Churubusco-Azteca-Filmstudios wurden die Sets für die Marskolonie mit ihren Tunneln und Marsminen errichtet, während in Me­xiko City und Umgebung auch mehrere Außendrehs stattfanden. Die aufwendigen Modellbauten der Marslandschaf­ten und die Spezialeffekte wurden indessen von Dream Quest Images, Stetson Visual Services und ILM in Kalifornien geschaffen. Die berühmten Szenen mit den Skeletten im Röntgen-Scanner in der U-Bahn kreierte die Spezialeffekte­firma MetroLight Studios – per Motion Capture und CGI. Sie stellen eine der ersten, noch mit enorm viel Handarbeit am Computer erstellten, aufwendigen CGI-Sequenzen der Filmgeschichte dar.

Szenenfoto aus dem Film "Total Recall" (USA 1990) von Paul Verhoeven; Mars-Landschaft
Der Mars ist im Jahre 2084 nur von einigen Minenkolonien besiedelt, in denen Mutanten ausgebeutet werden

Die ursprüngliche Schnittversion, die bis heute unveröffentlicht ist, soll so brutal gewesen sein, dass sie noch vor dem Kinostart in den USA leicht gekürzt wurde, um überhaupt eine “R-rated”-Freigabe zu erhalten, die Kinobesuchern unter 17 Jahren den Zutritt nur in Begleitung Erwachsener erlaubt. In der 113 Minuten langen US-Kinofassung kam der Film – mit einer FSK-18-Freigabe – auch in die deutschen Kinos und erschien später auch auf VHS-Cassette. 1991 war der Film allerdings von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index gesetzt worden, womit der Film zwar an Erwachsene auf VHS oder DVD verkauft, aber nicht öffentlich für ihn geworben werden durfte. Ungeach­tet der Indizierung erschien 2000 der Film in der FSK-18-Version in Deutschland erstmals auf DVD, neben der zuvor auch schon auf VHS erhältlichen, um etwa 2 Minuten gekürzten FSK-16-Version. Erst 2011 wurde der Film vom Index wieder gestrichen und erhielt nach erneuter Prüfung in seiner ungeschnittenen 113-Minuten-Kinoversion eine FSK-16-Kennzeichnung.

 

Diese Entscheidung ist auch mehr als gerechtfertigt. 1990 wurde der Film – nicht nur von der Freiwilligen Selbstkon­trolle, sondern auch von sehr vielen Kritikern – als übermäßig gewalttätig empfunden. Sieht man sich den Film jedoch heute an, wirken die ungeschnittenen Gewaltsszenen beinahe harmlos, vergleicht man sie mit den Splatter- und Gore-Effekten, die heutzutage sogar zur besten Primetime im Fernsehen zu sehen sind. Zudem sind die blutigen Schieße­reien und Schlitzer-Effekte derart temporeich und grotesk dargestellt – in einer Szene benutzt Schwarzenegger eine völlig durchlöcherte Leiche als Schutzschild gegen die Schüsse seines Widersachers und wirft sie ihm schließlich wie eine blutige, zerfetzte Puppe entgegen –, dass ihnen kaum Ernsthaftigkeit oder gar eine tief verletztende, erschüt­ternde Wirkung zugesprochen werden kann. Viele sehen hierin ganz im Gegenteil ein deftiges komödiantisches Ele­ment, das spätestens in Arnies bewährten Onelinern unverkennbar wird: „Betrachte dies als Scheidung“, sagt er lako­nisch, nachdem er seine falsche Ehefrau Lori erschossen hat.

 

Es lässt sich nicht leugnen, dass Arnold Schwarzeneggers schauspielerische Fähigkeiten begrenzt sind. Besonders deutlich wird dies beispielsweise in der häuslichen Szene am Anfang des Films, in der er mit Sharon Stone (geb. 1958) darüber diskutiert, vielleicht auf den Mars zu ziehen, und dabei im Gegensatz zu Stone überaus hölzern wirkt. Paul Verhoeven hat andererseits im Interview, das auf der Bluray des Films als Special erschienen ist, durchaus recht, wenn er sagt, dass Schwarzenegger allein durch seine durchtrainierte Physis und seine wie gemeißelt erscheinenden Züge eine ungeheure Präsenz hat, die schauspielerische Talente fast erübrigt. Sharon Stone spielt ihre Rolle hervorragend, und auch an Rachel Ticotin (geb. 1958) und den anderen Darstellern gibt es nichts auszusetzen, wenngleich von Ronny Cox (geb. 1938) als Cohaagen kaum mehr verlangt wird, den klischeehaften, oberfinsteren Kapitalisten und Machtha­ber zu spielen, der bedenkenlos über Leichen geht. Besonders hervorzuheben ist Michael Ironside (geb. 1950), der den mordlüsternen, fanatischen Handlanger Cohaagens sehr lebendig und überzeugend spielt. In Verhoevens Starship Troopers (1997) durfte er ein paar Jahre später in der Rolle des Veterans und Kompanieführers Raczak erneut ein zy­nisch-brutales Kampfschwein darstellen.

Szenenfoto aus dem Film "Total Recall" (USA 1990) von Paul Verhoeven; Arnold Schwarzenegger und Sharon Stone
Gelingt es Quaid (Arnold Schwarzenegger, mit Sharon Stone) noch, die Realität von den künstlichen Erinnerungen sauber abzugrenzen?

Die Modellbauten und Spezialeffekte bieten dem Zuschauer tolle Ansichten von in sattem Rot erstrahlenden, steini­gen Marslandschaften, in denen sich die Infrastrukturen irdischer Kolonien eingenistet haben, sowie eine an Alarm im Weltall (1956) gemahnende unterirdische, endlose Reaktorhalle von gigantischen Ausmaßen, die von Außerirdischen vor 500.000 Jahren gebaut wurde und in der Lage ist, mit dem Eis tief im Inneren des Mars eine neue, sauerstoffhaltige Marsatmosphäre zu erschaffen. Total Recall bietet zur Freude des Genrefans einen gut durchdachten und mit vielen futuristischen Details ausgestalteten, interessanten Science-Fiction-Hintergrund – sowohl auf der Erde wie auch in den Marskolonien. Zwar gerät hier manches ziemlich comichaft bis trashig – etwa die übertriebenen Mutanten-Make­ups von Rob Bottin (geb. 1959; Das Ding aus einer anderen Welt, RoboCop), gipfelnd in der berühmten dreibrüstigen Marshure, oder die ulkig-kantigen, wackeligen Golfcaddy-Autos der Zukunft. Lachhaft und ins comichafte übertrieben sind auch die verzerrten Gesichter von Arnold Schwarzenegger und Rachel Ricotin gegen Ende des Films, als sie der Dekompression in der dünnen Marsatmosphäre ausgesetzt sind und ihnen die Augen blutunterlaufen aus den Augen­höhlen schwellen und herauszuplatzen drohen. Das hat dann mehr von Tom & Jerry als von ernsthafter Science-Fiction.

 

Der Showdown des Films, bei dem der außerirische Reaktor unter der Marsoberfläche aktiviert wird, strotzt dann nur so vor wissenschaftlicher Absurdität: Der Reaktor erzeugt eine atembare, dichte Marsatmosphäre, die sich buchstäb­lich in Sekundenschnelle über den gesamten Mars verbreitet, sodass die nach Luft ringenden Helden gerettet sind. In der elysischen Schlusseinstellung lässt die Sonne einen mit sanften Wolken besetzten blauen Himmel über der Mars­landschaft erstrahlen. Trotzdem gilt, was Dan O’Bannon, der sich ansonsten sehr kritisch gegen den Film geäußert hatte, über die Science-Fiction-Anteile gesagt hat: „Dieser Film ist etwas sehr Seltenes: Er ist tatsächlich ein Science-Fiction-Film! Die meisten Science-Fiction-Filme sind nämlich in Wirklichkeit etwas anderes in Verkleidung“ (zitiert nach John Brosnan, The Primal Screen, S. 373).

Szenenfoto aus dem Film "Total Recall" (USA 1990) von Paul Verhoeven; Makeup von Rob Bottin
Nicht nur die grotesken Makeups von Rob Bottin sind in "Total Recall" comichaft überzogen

Philip K. Dicks Infragestellung der Erinnerungen und damit der Realität selbst wird in Total Recall mit immer neuen Wendungen des Geschehens wundervoll auf die Spitze getrieben. Ein genialer Kniff ist, dass Cohaagen, als Quaid seiner endlich habhaft wird, seinem Gegner mittels eines Videos „beweist“, dass Hauser, Quaids frühere Identität, durchaus kein zu den Rebellen übergelaufener Agent ist, sondern dass er vielmehr im Auftrage Cohaagens freiwillig die Identität von Quaid angenommen hat, um so sich selbst vom eigenen, gefälschten rebellischen Edelmut zu über­zeugen. Auf diese Weise würde er auf seiner Flucht vor Cohaagens Verfolgern eben jene Verfolger ungewollt zum Rebellenführer Kuato führen – eine Rechnung, die auch aufgegangen ist. Diese Wendung funktioniert hervorragend, weil sie die Sympathie, die der Zuschauer bis dahin für den Helden aufgebracht wird, völlig unerwartet auf den Kopf gestellt wird. Überdies erklärt sie, weshalb Hauser, wenn er denn wirklich zu den Rebellen übergelaufen wäre, von Cohaagen nicht einfach getötet worden war. Quaid glaubt Cohaagen, entscheidet sich in diesem kritischen Moment aber trotzdem für seine Heldenrolle und kämpft weiter auf Seiten der Marsrebellen. Doch ist nicht all das trotzdem ein Teil seines Traums?

 

Das Spiel mit der Realität gipfelt in der berühmten Szene, in der Dr. Edgemar von Rekall Inc. Zusammen mit Quaids vermeintlicher Ehefrau Lori Quaid in seinem Hotelzimmer auf dem Mars aufsucht und beide ihn davon überzeugen wollen, dass er tatsächlich noch immer auf der Laborliege von Rekall angeschnallt ist und alles nur geträumt hat. Edge­mar und Lori behaupten, als Gedächtnisimplantate in Quaids Traum eingeschleust worden zu sein, um ihn zu überzeu­gen, sich zu ergeben und endlich aufzuwachen. „Was ist wahrscheinlicher“, fragt ihn Lori, „die Erklärung, die wir dir eben gegeben haben, oder die Vorstellung, dass du ein unbesiegbarer Geheimagent bist, der zum Opfer einer inter-planetaren Verschwörung wurde, die dich glauben ließ, dass du ein einfacher Bauarbeiter bist?“ Ein Schweißtropfen, der an Edgemars Schläfe herabrinnt, überzeugt Quaid, dass Edgemar und Lori lügen und alles real ist – aber kann man dessen sicher sein? Es gibt freilich mindestens eine Szene im Film, die Quaid recht zu geben scheint. So liegt Quaid zu Beginn des Films bewusstlos in seiner Laborliege, nachdem die Rekall-Laboranten ihn sediert haben, und die Leiterin des Labors erklärt ihrem Chef, dass die künstliche Erinnerung noch gar nicht in Quaids Gehirn eingespeist worden sei, seine freigelegten Erinnerungen an seine frühere Identität als Geheimagent also real sein müssten. Diese Szene, in der Quaids Perspektive aufgrund seiner Bewusstlosigkeit ausgeblendet ist, kann sich eigentlich nicht ereignet haben, wenn Quaids Hauser-Identität tatsächlich vollständig virtuell wäre, wie Edgemar in Quaids Hotelzimmer auf dem Mars behauptet. Oder blickt Quaids träumendes Ich hier quasi von außen auf eine Szene, in der es sich selbst als bewusstlo­ses Subjekt sieht und dabei weiter an der implantierten Geschichte schreibt?

Szenenfoto aus dem Film "Total Recall" (USA 1990) von Paul Verhoeven; Rachel Ticotin, Arnold Schwarzenegger
Am Ende wandelt sich der Mars in ein traumhaftes, blaues Elysium – eine weitere künstliche Erinnerung?

Wenn sich dann alles in einem unglaublich kitschigen Ende auflöst, das Mädchen den Helden auffordert, ihn zu küssen, bevor er aus seinem Traum aufwacht, wenn er denn träumen sollte, und das Bild weiß aufblendet, wie wenn jemand in eine Nahtoderfahrung geht oder aus ihr zurückkehrt – dann ist man als Zuschauer tatsächlich geneigt zu glauben, dass alles nur ein wahnwitziger Traum gewesen ist. Sollte man sich den Film nochmals anschauen, um den Versuch zu ma­chen, sich in dieser Frage sicher zu werden? Auf jeden Fall!

 

Total Recall ist einerseits ein typischer Arnold-Schwarzenegger-Actionkracher und hat einen laut polternden, rauen Tonfall am Leib – er ist eine temporeiche Baller- und Gewaltorgie, ein in vielen Belangen grotesk und comichaft über­zogener Film und trägt damit die unverkennbare Handschrift von Paul Verhoeven. Aber wie schon bei RoboCop und später auch bei Starship Troopers, beides Verhoeven-Filme, paart sich dieser gallige wie schwungvolle Action- und Gewalt-Krawall mit großartigen Spezialeffekten und einer überdurchschnittlich cleveren und frappierenden Science-Fiction-Story, die die Bezeichnung „Science-Fiction“ auch wirklich verdient. Der Film ist hochgradig unterhaltsam, wird nie langweilig und regt beständig zum Rätselraten über die Realitätsebenen an. Demgegenüber bleibt das Remake Total Recall (2012) von Len Wiseman (geb. 1973) mit Colin Farrell (geb. 1976) in der Hauptrolle enttäuschend blass und ideenlos und kann dem Original nicht annähernd das Wasser reichen.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 15. Februar 2019

Szenenfotos © TriStar Pictures; StudioCanal