Norbert Grob: Fritz Lang. „Ich bin ein Augenmensch“

Buchcover zu "Fritz Lang. Ich bin ein Augenmensch" (2014) von Norbert Grob

Norbert Grob: Fritz Lang. „Ich bin ein Augenmensch“. Die Biographie. Propyläen Verlag (Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin) 2014. Mit elf schwarzweißen Abbildun­gen und einem Anhang mit Anmerkungen, Literaturverzeichnis, einer Filmografie Fritz Langs und Personenregister. Hardcover mit Schutzumschlag, 448 Seiten.

 

Fritz Lang (1890–1976) war einer der bedeutendsten Regisseure der Kinogeschichte, ein ehrgeiziger Visionär, der vor allem mit seinen avangardistisch ambitionierten, expressionistisch beeinflussten Filmen, die während seiner Schaffens­jahre in der Weimarer Republik entstanden, faszinierende Kunstwerke geschaffen hat, deren vielfältige Einflüsse auf das Kino bis heute nachwirken. Dr. Mabuse, der Spieler (1922), M (1931) oder Das Testament des Dr. Mabuse (1933) gelten als Meilensteine des Kinos und hintergründige Kommentare auf die jeweils zeitgenössischen Weimarer Befind­lichkeiten. Science-Fiction-Aficionados wertschätzen vor allem Langs wegweisende Science-Fiction-Filme Metropolis (1927) und Frau im Mond (1929), ersterer ein kolossaler Mythos von der urbanen Gesellschaft von morgen und ihrer sozialen Krise – Prototyp aller cineastischen Science-Fiction-Dystopien –, letzterer der erste wirklich zeitgemäße, auf technologische Glaubwürdigkeit versessene Raumfahrtfilm. Auch sein zweiteiliges, monumentales Epos Die Nibelun­gen (1924) – die filmische Adaption eines deutschen Natio­naldenkmals, das Lang zu einer schillernden, brillant stili­sierten Fantasy-Saga und blutgetränkten, radikalen Unter­gangsfantasie macht – ist unter Genrefans weithin be­kannt. Fritz Lang war jedoch in vielen Genres zuhause, wobei sein Werk am stärksten geprägt ist von den immer wie­derkeh­renden Motiven des Verbrechens und des scheiternden Kampfes Einzelner gegen übermächtige Zwänge der gesell­schaftlichen Systeme. Fritz Lang drehte rasante, actionreiche Abenteuerfilme, fatalistische Gangsterfilme, ausge­kochte Spionagefilme und psychologisierende Filme über Serienkiller. Später, in den USA, blieb er seinem Hang zu Dramen über Totschläger und Mörder, die von Verzweiflung, Liebe, Hass oder Intrigen getrieben werden, treu. Lang drehte sogar Westernfilme, die er freilich mit ähnlich düster-dramatischen Zügen versah wie seine anderen Filme. Das Komö­diantische und Romantische lag ihm demgegenüber nicht. Ihn faszinierte das Dunkle der menschlichen Natur, das Bedrohliche und Abgründige der menschlichen Psyche bis hin zu paranoiden Wahnvorstellungen, die sich in vielen seiner Filme finden.

 

Fritz Langs Werk wurde seit den Sechzigerjahren zunehmend filmwissenschaftlich gewürdigt und erforscht, und es gibt heute eine ungeheure Fülle an Artikeln, Essays und Monografien zu dem Thema. Eine Biografie des Regisseurs, die konsequent den Menschen und sein bewegtes Leben in den Mittelpunkt der Darstellung stellt, fehlte bislang aller-dings. Der Mainzer Professor für Mediendramaturgie und Filmwissenschaft Norbert Grob (geb. 1949), ein erklärter Fritz-Lang-Enthusiast, hat mit vorliegendem Buch diese Lücke dankenswerterweise geschlossen. Entstanden ist ein wun­derbar flüssig geschriebenes, sehr unterhaltsames Buch, das von angenehm sachlichem Stil geprägt ist und sich strikt auf die minuziös recherchierten und in den Endnoten nachgewiesenen Fakten stützt. Dabei vermeidet der Autor so­wohl übertriebenen Lobpreis als auch überhebliche Scharfrichterei. Norbert Grob rutscht weder auf Knien vor Lang, noch sitzt er mit erhobenem Zeigefinger über Fritz Langs politischer Haltung oder Moral zu Gericht. Gewiss und ver­ständlicherweise kommt Grob als erklärter Verehrer von Fritz Langs Werk nicht umhin, in sei­ner Darstellung immer wieder Fritz Langs Genie, seine avangardistischen Triumphe oder die Wirkmäch­tigkeit seiner filmischen Erfolge zu un­terstreichen. Bisweilen wirkt das dann etwas zu glorifizierend – insbesondere deshalb, weil gegensätzliche, kritischere Meinungen über Lang und sein Werk in Grobs Buch kaum zu Wort kommen. Doch zum einen ist Grobs Verehrung des Meisterregisseurs durchaus moderat eingestreut und im Lesefluss nicht hinderlich, und zum anderen sollte der kriti­sche Leser in der Lage sein, die jeweiligen Beurteilungen Grobs entspre­chend einzuordnen – er muss ihnen ja keines­wegs immer folgen. Wer ohnehin nur darauf aus ist, sich über Lang, den angeblichen Tyran­nen und „unbewussten Pro­tofaschisten“ zu empören, kann sich ja nach wie vor die altbewährte, über Jahrzehnte ein­flussreiche, psychologisieren­de Lang-Schelte Von Caligari zu Hitler (1947) von Siegfried Kra­cauer zu Gemüte führen.

 

Eine Biografie über Fritz Lang zu schreiben, dürfte kein leichtes Unterfangen gewesen sein, denn Fritz Lang selbst hatte es zeit seines Lebens weitgehend vermieden, in Interviews über sich und sein Privatleben zu sprechen. Er hatte stets darauf insistiert, dass stattdessen allenfalls seine Filme über ihn Auskunft zu geben hätten – sie sollten das Inte­resse auf sich ziehen, nicht seine Person. Dennoch gelingt es Grob, anhand der Quellen ein lebendiges Bild von der Persönlichkeit und dem Leben dieses Menschen zu zeichnen und darüber hinaus durch Langs Vita die Vielgestaltigkeit und die Brüche in seinem Werk verständlicher zu machen.

 

Geboren und aufgewachsen in Wien als Sohn eines Stadtbaumeisters und einer aus wohlhabenden Hause stammen­den Mutter, zieht es Fritz Lang schon früh zur Kunst. Gegen den Willen des Vaters verfolgt er den Plan, Maler zu wer­den. Er zieht zunächst nach München, später nach Paris, um sich dort an Kunstschulen ausbilden zu lassen – und die Freuden eines freien Studentenlebens zu genießen. Bereits in diesen frühen Jahren ist Lang auch vom Film fasziniert und geht leidenschaftlich gern ins Kino, um sich die damals gängigen Abenteuer-, Detektiv-, Gauner- und Ganoven­filme anzusehen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, kehrt Fritz Lang nach Wien zurück, und Anfang 1915 meldet er sich freiwillig zur K.u.K.-Armee, weniger aus überschäumendem Patriotismus als aus dem Gefühl heraus, seine Pflicht tun zu müssen. Nach einem Offizierslehrgang wird er als Fähnrich, später als Leutnant einer Meldeeinheit an verschiedene Fronten geschickt: die Ukraine, Rumänien, Italien. Er erleidet in seinen Fronteinsätzen, bei denen er sich mehrfach mit Belobigungen und Orden auszeichnet, mehrere Verletzungen; bei einer von ihnen soll sein linkes Auge in Mitleiden­schaft gezogen worden sein, der Grund für sein später berühmt werdendes Monokel, das er die meiste Zeit seines Lebens trug. Die Verletzungen führen dazu, dass Lang für mehrere Monate zur Rekonvales­zenz nach Wien zurückkeh­ren kann. So weilt er im Spätherbst 1916 in Wien, wo er, Grob zufolge, endgültig dem Kino verfällt und der Kunst mit Pinsel und Leinwand den Rücken kehrt (S. 55). Häufige Kinobesuche machen ihn süchtig nach Filmen, und er schreibt in dieser Zeit ein erstes Drehbuch, Die Peitsche, eine Detektivgeschichte, die im Rahmen der Stuart Webbs-Filmserie von Adolf Gärtner auch verfilmt wird. Bald darauf kann Fritz Lang zwei weitere Drehbü­cher, Die Hochzeit im Excentric-Club und Hilde Warren und der Tod, an den Filmproduzenten und Regisseur Joe May (1880–1954) verkaufen, die beide ebenfalls sehr erfolgreich von May verfilmt werden.

 

Ende 1917 wird Lang ein weiteres Mal verwundet, sodass er erneut nach Wien zurückkehren kann. Er wird zum Leut­nant der Re­serve ernannt und verbringt das Jahr 1918 fast zur Gänze in seiner Heimatstadt, wo er in einem Theater vor Soldaten als Schauspieler auftritt. Nach einem dieser Auftritte im Juni 1918 lernt er den Filmproduzenten Erich Pommer (1889–1966) kennen, mit dem er sich enthusiastisch über seine Ideen zum Filmemachen unterhält. Lang hat da bereits die Vorstellung, dass das Kino die neue Kunstform des 20. Jahrhunderts werden könnte; seine künstlerische Ausbil­dung lässt ihn Potenziale in der filmischen Bildgestaltung sehen, die noch kaum ausgeschöpft waren. Für sich selbst hat Lang das ehrgeizige Ziel, ein „Rembrandt des Kinos“ zu werden, Virtuose des mise en scène, Meister im Spiel mit arran­giertem Licht und Schatten. Pommer genügt bereits die glühende Leidenschaft, die Lang im Gespräch entwickelt, und lädt ihn ein, als Drehbuchautor und Dramaturg für seine Filmproduktionsfirma Decla zu arbeiten. Fritz Lang sagt sofort zu und zieht im September 1918, noch vor Ende des Ersten Weltkriegs, nach Berlin. Es ist der Beginn der glän­zendsten und ruhmreichsten Jahre Fritz Langs, die mit seiner Emigration 1933 ein jähes Ende fanden.

Fritz Lang (1890–1976)
Fritz Lang (1890–1976)

Mit seinem Monokel, seiner bis in die Haarspitzen gepflegten Erscheinung und seinem kultivierten Verhalten wirkte Fritz Lang auf viele Zeitgenossen oft arro­gant und versnobt. Gewiss war Fritz Lang eitel. Als Bonvivant wird er seine modi­sche Eleganz ebenso geschätzt und in vollen Zügen genossen haben wie die ex­travagante Lebensart, die er als Star der Berliner Society pflegte. Und natürlich inszenierte Lang damit auch sein Image als bedeutender und hochgeschätzter Künstler. Im gesell­schaftlichen Umgang war Lang allerdings stets höflich, galant und geistreich. Er war ein feinsinniger Mensch, der oft mit sich haderte, sehr warmherzig und groß­zügig sein konnte und seine Freundschaften intensiv pfleg­te. Nur in seiner Arbeit, wenn er Regie führte, erwies er sich als gnadenloser Per­fektionist, der immer ge­nau wusste, was er wollte, und keinen Konflikt am Set scheute, um seine Ziele zu erreichen. Unter Schauspielern und Filmteam-Mitar­beitern galt er als halsstarriger Diktator, der stets über allem die Kontrolle behal­ten wollte, harsche Kritik üben konnte und zigfach Szenen wiederholen ließ, bis sie endlich seinen Vorstellungen entsprachen.

 

In seinem Privatleben hatte Fritz Lang, der dreimal verheiratet, aber niemals treu war, zahllose Liebschaften, sowohl in Europa als auch später in den USA. Oft waren Schauspielerinnen darunter – unter anderem Lil Dagover, Marlene Diet­rich und Joan Ben­nett. Die Schauspielerin Gerda Maurus (1903–1968) scheint nach Grob die Frau gewesen zu sein, die Lang in seinem Leben am tiefsten geliebt hatte. Dass sie sich von ihm trennte, weil er auch ihr nicht treu bleiben konn­te, hatte ihn noch Jahrzehnte später mit Bedauern erfüllt. Den Stoffaffen „Peter“, den Gerda Maurus ihm 1932 zum Ab­schied schenk­te, hatte Lang bis an sein Lebensende wie einen besten Freund behandelt und liebevoll gehegt und ge­pflegt.

 

1920 lernt Fritz Lang durch Joe May die bereits damals erfolgreiche Dreh­buchautorin Thea von Harbou (1888–1954) kennen. Die beiden schreiben von da an während der gesamten Weimarer Zeit gemeinsam sämtliche Drehbücher von Fritz Langs Filmen. Sie gehen auch rasch ein Liebesverhältnis miteinan­der ein, obwohl Lang im Jahr zuvor Elisabeth Rosenthal geheiratet hatte. Am 25. September 1920 ertappt die Ehefrau die beiden inflagranti, und es kommt zu einem hitzigen Streit. Am Ende liegt Elisabeth tot in der Badewanne – getroffen von einer Kugel aus Langs Hand­feuerwaffe. Der Polizei erklären Lang und von Harbou, dass Elisabeth sich selbst erschossen habe, doch es gibt Indi­zien, die diese Geschichte zweifelhaft erscheinen lassen. Der Arzt, der den Totenschein ausstellt, erklärt Rosenthals Tod mit einem Unfall, woraufhin Fritz Lang nicht strafverfolgt wird (vgl. dazu S. 83–85). Ob Fritz Lang seine Frau kaltblütig oder im Affekt erschossen hat oder sich der fatale Schuss in einem möglichen Handgemenge gelöst hatte, lässt sich nicht mehr zweifelsfrei aufklären. Eine Folge dieses Ereignisses ist, dass Lang, der Kontrollfreak, von da an täglich in einen Kalender notiert, was er wann und wo gemacht hat – als ein ständiges, vorbeugendes Alibi, wie Grob vermutet. Diese Kalender, die Norbert Grob als erster Filmwissenschaftler überhaupt systematisch herangezogen hat, sind eine beson­ders interessante Quelle, da sie Auskunft geben über Langs Telefo­nate und Verabredungen sowie über seine Besuche von Kinos, Theatern, Kunstausstellungen oder Sportveranstaltun­gen wie Boxkämpfe oder das Sechstage­rennen. Die Kalendernotizen wirken im Buch oft unverbunden aneinanderge­reiht – so wie das Leben nun einmal eine unverbun­dene Aneinanderreihung von täglichen Erlebnissen ist. Aber nur auf den ersten Blick: Tatsächlich zählen die Notizen zu den intimsten Fakten, die Fritz Lang über sich selbst hinterlassen hat, und geben ein interessantes Bild da­von, wie der Regisseur seinen privaten Alltag verlebte, wie sich seine Kontak­te in der Filmindustrie gestalteten und welche Filme und Kunstwerke er in seiner Freizeit goutierte – Spuren möglicher Einflüsse, die auf den Regisseur einge­wirkt haben könnten.

 

Im August 1922 heiraten Fritz Lang und Thea von Harbou. Ihr Liebesverhältnis kühlt sich allerdings schon binnen eines Jahres ab, und beide gehen daraufhin anderen Liebschaften nach. Beruflich jedoch arbeiten Lang und von Harbou bis 1933 sehr eng weiter zu­sammen. In der Berliner Öffentlichkeit geben sie ein überaus glamouröses Paar ab und werden wie Super­stars bewun­dert. Auch wenn Grob das nicht explizit sagt, entsteht der Eindruck, dass Lang und von Harbou sich nicht zuletzt auch deshalb so gut verstanden, weil beide lebhaft am Film, Theater und Kulturleben Berlins interes­siert waren; außerdem war von Harbou als Schriftstellerin und Drehbuchautorin wie Lang selbst eine Kulturschaffende. Sie teilten gemeinsa­me Interessen und konnten offenbar sehr gut miteinander arbeiten. Den Respekt und das Ver­ständnis für Thea, von der Fritz Lang sich erst Ende 1931 offiziell trennte und im April 1933 scheiden ließ, hatte der Re­gisseur auch in späteren Jahren, als die Filmkritik „die Nazi-Thea“ vielfach scharf und unerbittlich angriff, nie verloren und sich immer verteidi­gend vor sie ge­stellt (vgl. S. 331 f.), und das, obwohl er wohl nie ihre stark nationalkonservative Haltung teilte. Wenn der Schauspieler Willy Fritsch (1901–1973) sich später erinnerte, dass Fritz Lang angeblich „patrio­tischer als ein deutschna­tionaler Junker“ gewesen sei – ein gern verwendetes Zitat, wenn Langs „Protofaschismus“ nachgewiesen werden soll –, dürfte das eine krasse Fehleinschätzung darstellen. Das zeigt sich besonders in Langs Äußerungen über Die Nibe­lungen (1924), einem Film, der mit seiner Widmung: „Dem deut­schen Volke zugeeig­net“ durchaus auch nationale Gefühle ansprechen will. Im damaligen Programmheft zum Film spricht Lang jedoch nicht vom Nationalen, sondern von der Gestaltung der verschiedenen Bilderwelten des Films – die dekadente Welt der Bur­gun­der, die märchenhafte Welt Siegfrieds, das eisige Isenland, die erdige, asiatisch-exotische Welt der Hunnen – so­wie von der „unerbittlichen Folgerichtigkeit“, mit der sich die Schicksale in dem Film vollziehen (S. 110 f.). Hier zeigt er sich wieder ganz als „Rem­brandt des Films“, als Maler der Kinoleinwand: Es geht Lang um den visuellen Ausdruck schicksal­hafter Geschehnisse, die hinwiederum mit dem Düsteren und Abgründigen der Figuren unheilvoll verschränkt sind – eine sehr fortschritt­liche Sichtweise auf die Nibelungensage, die auch ihre heutige Rezeption bestimmt.

 

Tatsächlich hatte Fritz Lang sich in seiner Weimarer Zeit praktisch gar nicht für die politischen Entwicklungen in Deutschland, sondern ausschließlich für seine Kunst interessiert. Später hatte er bedauert, in dieser Zeit wie ein „Schlafwandler“ gelebt zu haben, dem die drohende Gefahr des Nationalsozialismus nicht bewusst wurde. Alarmiert war Lang erst, als Josef Goebbels ihn im März 1933 zum Chef des deutschen Filmwesens machen wollte und erklärte, dass Hitler von ihm erwarte, dass er großartige nationalsozialistische Filme erschaffen möge. Lang schwitzte vor Angst bei seinem Termin im Propagandaministerium, als ihm Goebbels diese Pläne unterbreitete. Ihm war klar, dass die Gän­gelung seiner Arbeit durch die Partei ihm künstlerisch und auch persönlich seine Freiheit rauben würde. Zudem warnte ihn Lilly Latté, die später seine langjährige Lebensgefährtin und dritte Ehefrau werden sollte, dass die Nazis sich früher oder später an seine jüdischen Wurzeln erinnern würden, und drängte ihn mit Nachdruck, ins Exil zu gehen. So ent­schied er sich zur Flucht. Er machte sich noch drei Monate in Deutschland rar, bis er am 27. Juni 1933 nach Paris und ein Jahr später in die USA emigrierte. Seine Scheidung von Thea von Harbou, die nach Hitlers Machtübernahme willig und mit Überzeugung dem Naziregime diente, fiel nur zufällig in diese Zeit und hatte mit seiner Entscheidung, ins Ausland zu gehen, nichts zu tun.

 

In den USA passte sich Fritz Lang eifrig seiner neuen Umgebung an, sprach konsequent nur noch Englisch – freilich mit schwerem deutschen Akzent – und beantragte und erhielt später auch die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er lob­te oft Amerika, sein Paradies und „Atlantis“, wie er es nannte, und war zutiefst dankbar für das freiheitliche Exil, das es ihm bot. In Hollywood musste er sich allerdings dem bestehenden Studiosystem unterordnen, bei Studiobossen und Produzenten um die Realisierung von Filmprojekten kämpfen, ihre Kontrolle und Einmischungen erdulden und mit deutlich geringeren Budgets auskommen als zu seinen Berliner Glanzzeiten Mitte der Zwanzigerjahre. Am Set pflegte Lang allerdings weiterhin seinen extremen Perfektionismus, behandelte die Schauspieler und Mitarbeiter oft distan­ziert und schroff oder explodierte in Wutausbrüchen (S. 234 f.), was ihm den zusätzlich hinderlichen Ruf eintrug, ein schwieriger Regisseur zu sein.

 

Das Buch macht deutlich, wie sehr Fritz Lang trotz seiner gelungenen Integration in Hollywood ver­bittert war über den Bruch, den sein Leben durch die Naziherrschaft und das daraus folgende Exil erfahren hatte. „Er fühlte sich wie aus dem Himmel gefallen“, wie Grob es einmal in einem Interview formuliert hat. Fritz Lang hatte in der Mitte des Lebens noch einmal völlig neu anfangen müssen, und seinen alten Ruhm als der größte aller deutschen Regisseure und die fast grenzenlose künstlerische Freiheit, die er in Deutschland genossen hatte, gewann er nie wie­der zurück. So war es sicherlich nicht nur Opportunismus, sondern auch persönliche Überzeugung, die ihn dazu trieb, während des Krieges Flagge gegen die Naziherrschaft zu zeigen – als Mitbegründer der Hollywoodschen „Anti-Nazi-Liga“, als vielfacher Spender für verschiedene Widerstandsgruppen, die sich um die Rettung und das Exil massiv ge­fährdeter europäischer Künstler kümmerten, und nicht zuletzt mit politischen Anti-Nazi-Filmen. Am Ende des Krieges, als alle unerträglichen Gräuel der Deutschen zur Gänze bekannt wurden, hatte Lang zeitweilig sogar einen regelrech­ten Abscheu gegen Deutschland entwickelt und sich zutiefst dafür geschämt, dass Deutsch seine Muttersprache war. Auch als er 1956 das erste Mal nach dem Krieg wieder Deutschland besuchte, freundlich hofiert und als großer deut­scher Regisseur gewür­digt, als sei nie etwas passiert, blieb Lang reserviert. Ganz zurück kehrte er nie, auch wenn er hier noch seine drei letz­ten Filme für Arthur Brauner drehte: Der Tiger von Eschnapur (1959), Das indi­sche Grabmal (1959) und Die 1000 Augen des Dr. Mabuse (1960).

 

Norbert Grob zeichnet ein lebendiges Bild vom Menschen Fritz Lang und seinem Leben. Wirklich umfassend wird die­ses Bild freilich erst, wenn der Leser auch die Möglichkeit nutzt, sich die verfilmten Interviews mit Fritz Lang anzu­schauen, um so einen unmittelbaren Eindruck von Langs Persönlichkeit, ihrer klaren, akzentuierten Sprache und ihrem Gestus zu erheischen. Obwohl Grobs Buch in erster Linie eine Biografie ist, bleiben die Stationen und mithin auch die Kapitel, in die das Buch gegliedert ist, die Filme von Lang. Film für Film bespricht Grob die Produktion, die Erzählinhal­te, die Ausdeutung, das kommerzielle Abschneiden und die Wirkung in der zeitgenössischen Filmkritik. Die filmwissen­schaftliche Analyse bleibt dabei freilich recht oberflächlich und betont lediglich Langs Motivationen und seine filmi­sche Meisterschaft, sodass manch Leser vielleicht darüber enttäuscht sein mag. Insbesondere bleibt in einigen Fällen wie beispielsweise bei Die Nibelungen, Metropolis und Die Frau im Mond die Frage nach der Entstehung der jeweili­gen Idee, überhaupt diese Stoffe zu verfilmen, im Dunkeln – wahrscheinlich sind dazu keine neuen Quellen mehr auf­zufinden. Gern hätte man auch mehr erfahren über die Zusammenarbeit Langs mit Thea von Harbou, deren maß­gebli­che Anteile an den Drehbüchern Norbert Grob an einigen Stellen in unzulässiger Weise einfach übergeht. Aber, wie gesagt: Das Buch ist eine Biografie, keine Werkschau.

 

Ein echtes Ärgernis des Buchs ist seine unnötig umständliche Zitierweise. Zitate, die Grob oft direkt in den Fließtext einbindet, werden nie mit einem Namen, sondern nur mit einer Endnote versehen. So muss der geneigte Leser die Endnote nachschlagen, um zu erfahren, wer zum Henker dieses oder jenes gesagt hat. In der Endnote hinwiederum findet sich nur ein abgekürztes Zitat der jeweiligen Publikation ohne Jahreszahl. Nun weiß man also, wer etwas gesagt hat, aber nicht wann – was ja im Zusammenhang des Textes nicht unwichtig ist. Also muss man für diese Information ein zweites Mal im Literaturverzeichnis nachschlagen, wo die Literatur vollständig verzeichnet ist. Die Filmografie zu Fritz Langs Werken ist ein sehr willkommenes, hilfreiches Instrument, allerdings ist es schade, dass es ansonsten nur ein Personen-, aber kein Sachregister gibt. Kurioserweise wird Langs Wort „Ich bin ein Augenmensch“, der Untertitel des Buchs, nirgendwo in einer Endnote nachgewiesen.

 

Norbert Grob ist mit seinem Buch über Fritz Lang eine tolle, kurzweilige und hochinformative Biografie gelungen. Dass Grob nüchtern die gewissenhaft recherchierten Fakten ausbreitet, ohne aus ihnen spekulative Schlussfolgerungen zu konstruieren, ist kein Mangel, sondern eine Stärke des Buchs. So kann der Leser mögliche Zusam­menhänge erahnen, für die auch der Filmwissenschaftler kaum mehr als Mutmaßungen äußern könnte. Die derzeit prominenteste dieser Mutmaßungen, auch zugrundegelegt in Gordian Mauggs semidokumentarischem Spielfilm Fritz Lang (2016) mit Heino Ferch in der Hauptrolle, besagt, dass der mysteriöse Tod von Langs erster Ehefrau tiefe Schuldge­fühle in Fritz Lang er-zeugt habe, die hinwiederum sein obsessives Interesse für Verbrechen, Verstrickungen und Paranoia motiviert haben sollen. Langs Filme: eine ständige Sühnearbeit? Grob selbst verzichtet in seinem Buch auf diese Spekulation, die sich wohl ohnehin niemals beweisen ließe. Seine Fritz-Lang-Biografie ist eine sehr empfehlenswerte Lektüre, die, wie so oft bei solchen Filmbüchern, die Neugier auf all die diskutierten Filme schürt, die man noch nicht gesehen hat.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 23. Dezember 2017