Just Imagine

Werbe-Illustration für den Film "Just Imagine" (USA 1930) von David Butler

Just Imagine (USA 1930)

 

Regie: David Butler

Drehbuch und Musik: Buddy G. De Sylva, Lew Brown, Ray Henderson

Kamera: Ernest Palmer

Art Direction: Stephen Goosson und Ralph Hammeras

Darsteller: El Brendel (Single-O), Maureen OʼSullivan (LN-18), John Garrick (J-21), Frank Albertson (RT-42), Marjorie White (D-6), Kenneth Thompson (MT-3), Hobart Bosworth (Z-4), Mischa Auer (B-36), Joyzelle Joyner (Loo-Loo/Boo-Boo), Ivan Li­now (Loko/Boko) u. a.

Produzenten: Ray Henderson, Lew Brown, Buddy G. DeSylva

Company: Fox Film Corporation

Laufzeit: 113 Minuten; Schwarzweiß

Premiere: 10. Oktober 1930 (Vorpremiere Los Angeles); 23. November 1930 (USA)

 

„Just imagine what a difference fifty years can make!“ So lädt eine Erzählerstimme den Zuschauer des Jahres 1930 ein, sich den rasanten Wandel der modernen Zeiten vorzustellen. Nach einem Blick 50 Jahre zurück, in das New York des Jahres 1880, als die Stadt noch ein beschauliches und von Pferdekutschen bewegtes Idyll war, und einem Blick auf den hektischen und lärmenden Autoverkehr des New Yorks der Gegenwart von 1930, versetzt der Erzähler den Zuschauer 50 Jahre in die Zukunft – in das New York des Jahres 1980 . . .

 

Die Stadt hat sich in eine stolze Metropolis verwandelt, mit schwindelerregend hohen, weiß strahlenden Wolken­kratzern, zwischen denen sich breite Verkehrsadern und großzügige Streifen von Gartenanlagen erstrecken. Schwe­bende Trassen für Autos und Eisenbahnen durchmessen in großen Höhen die Häuserschluchten, und im Luftraum der Stadt schwirren mit brummenden Motoren Massen von Ein-Mann-Flugzeugen und Luftschiffe auf verkehrsgeregelten Flug­bahnen in alle Richtungen.

 

Inmitten dieses regen Flugverkehrs steuert der junge J-21 in windiger Höhe auf das Flugzeug seiner Freundin LN-18 zu, lässt sein Flugzeug längsseits schweben und springt zu ihr herüber. Er hat eine schlechte Nachricht für sie: Das gericht­liche Ehe-Tribunal, das in der Zukunft die Entscheidungsgewalt darüber hat, wer wen heiraten darf, hat J-21 abgelehnt und das Recht, LN-18 zu heiraten, dem wohlhabenden, aber schmierigen Zeitungserben MT-3 zugesprochen. J-21 hat Berufung eingelegt, muss aber bis zum Berufungstermin in vier Monaten mit herausragenden Leistungen beweisen, dass er ein würdiger Heiratskandidat ist.

Publicityfoto für den Film "Just Imagine" (USA 1930) von David Butler; Maureen O'Sullivan und John Garrick
LN-18 (Maureen OʼSullivan) und J-21 (John Garrick) über der Metropolis des New Yorks von 1980 (Publicity Shot)

Später, zuhause, brütet J-21 düster vor sich hin. Sein jün­gerer Freund und Mitbewohner RT-42 versucht ihn auf­zumuntern und lädt ihn zu einem medizinischen Experi­ment in der Klinik ein, in der seine Freundin D-6 arbeitet. Der Professor dort will vor der versammelten Fachge­nossenschaft mit einem mysteriösen Energiestrahl einen Mann wieder zum Leben erwecken, der 50 Jahre zuvor von einem Blitzstrahl getötet worden war. J-21 und RT-42 werden Zeugen des spektakulären Experiments, das auch prompt gelingt. Da die Wissenschaftler für den wiederbelebten Mann aus dem Jahre 1930 keine weitere Verwendung haben, erbarmen sich J-21 und RT-42 seiner und bieten ihm an, zunächst bei ihnen zu wohnen.

 

Da die Menschen in der Zukunft keine Namen, sondern nur noch alphanumerische Codes tragen, tauft sich der Wiedererweckte kurzerhand selbst auf Single-O. Er staunt über die Zukunft, in der es Essen und Trinken nur noch in Pillenform gibt, Cafés vollautomatisiert ohne Personal funktionie­ren und Paare Retortenbabys aus Münzautomaten ziehen können. Über all diese Dinge lachend, bringt Single-O mehr als einmal feierlich sein Bonmot an: “Give me the good old days!” Besonders überrascht ist Single-O darüber, dass 1980 immer noch die Prohibition in Kraft ist – und „betrinkt“ sich darüber prompt mit berauschenden Pillen, die ihm RT-42 anbietet.

 

Nach einem heimlichen Besuch bei LN-18 wandert J-21 trübselig in der Stadt umher. Da wird er von einem mysteriösen jungen Mann angesprochen, der ihm verspricht, dass er seine Probleme lösen könne. Der Mann bringt ihn zu seinem Chef, dem berühmten Erfinder Z-4. Dieser erklärt, dass er ein Raketenschiff für einen Flug zum Mars gebaut habe und einen tollkühnen Piloten dafür sucht. J-21, der von Beruf Air-Liner-Pilot ist, nimmt das Angebot sofort an, sieht er doch in einem Flug zum Mars seine Chance, eine unvergleichliche Pioniertat zu vollbringen, mit der er das Ehe-Tribunal von sich überzeugen kann. Für RT-42 kommt nichts anderes in Frage, mit seinem alten Kumpel mitzufliegen. Nach einer großen Abschiedsparty auf J-21s Air Liner Pegasus fliegen die beiden jungen Männer mit dem Raketenschiff ab. Mit von der Partie ist unverhofft auch Single-O, der sich heimlich an Bord geschlichen hat und gar nicht wusste, dass es zum Planeten Mars gehen soll.

 

Einen Monat später haben die Raumfahrer ihr Ziel erreicht und landen in einer fantastischen Marslandschaft. Als die drei Männer von der Erde die Umgebung erkunden, werden sie von einer schönen, jungen Marsianerin entdeckt und zum Palast ihrer Königin gebracht. Die marsianische Gesellschaft, die fast ausschließlich aus schönen, knapp bekleide­ten Frauen zu bestehen scheint, begrüßt die Besucher unter großem Jubel. Auch die Königin, die sich selbst als Loo-Loo vorstellt, und ihr Wesir, der hünenhafte Loko, sind erfreut. Später, während der Tanzdarbietung eines Ensembles von marsianischen Affen, wird Loo-Loos Hof plötzlich von feindlichen Marsianern angegriffen, die wie Spiegelbilder der Angegriffenen aussehen: Auf dem Mars gibt es offenbar von jedem Individuum einen bösen Zwilling. J-21, RT-42 und Single-O werden verschleppt und von der bösen Zwillings-Königin Boo-Boo und ihrem bösen Zwillings-Wesir Bo­ko eingesperrt. Erst nach zwei Monaten gelingt es Loko, die drei Erdlinge aus ihrem Gefängnis zu befreien. Die Flucht aus dem Palast wird allerdings zunächst vom bösen Boko vereitelt. Single-O gelingt es schließlich, seine Gefährten, die zuvor betäubt wurden, aus dem Palast hinaus zur Rakete zurückzuschleppen, den hinterhergeeilten Boko niederzu­schlagen und zur Erde zurückzufliegen. In allerletzter Sekunde kann J-21 vor das Ehe-Tribunal treten und von seinem Flug zum Mars berichten. Als Beweis für den Flug führt Single-O Boko vor den Richter, den er vorausschauend als Ge­fangenen mit an Bord genommen hatte. J-21 bekommt daraufhin LN-18 als Braut zugesprochen.

 

Eine Musical-Komödie in einer bemerkenswerten Science-Fiction-Zukunft

 

Just Imagine ist ein ausgesprochenes Kuriosum in der Geschichte des Science-Fiction-Kinos. Der Film ist in erster Linie eine als leichte Unterhaltung gedachte Musical-Komödie und gehört damit einem Kinogenre an, das in der Frühzeit des Tonfilms ab 1927 ins Leben trat und die ersten Jahre sehr populär war. Just Imagine markiert allerdings auch bereits den Niedergang dieses Genres: Der Film wurde kein großer Erfolg, und in den folgenden zwei, drei Jahren verlor der Musicalfilm mit der wachsenden technischen und künstlerischen Qualität des Tonfilms zusehends an Bedeutung.

 

Es war die Idee des Broadway-Komponisten Buddy G. DeSylva, eine Musical-Komödie in einer futuristischen Zukunft anzusiedeln und ihr damit eine weitere eskapistische Fantasie für das Publikum hinzuzufügen. Die Idee zeitigte einen Film, der am Ende mehr als eine Million Dollar kostete und zum ersten großen, futuristischen Science-Fiction-Film des amerikanischen Kinos wurde. Freilich war dieser rückblickend erworbene Ehrentitel nie das Ziel der Filmemacher ge­wesen. Die beeindruckenden Ansichten vom New York der Zukunft, mit denen der Film beginnt, hatte man drei Jahre zuvor ganz ähnlich schon in Fritz Langs Metropolis (1927) gesehen. In einem amerikanischen Film hingegen waren sie – wie auch eine ganze Reihe weiterer Ideen über die Zukunft – eine Premiere.

 

Just Imagine ist also zugleich Amerikas erster Sciene-Fiction-Film und erster Musical-Science-Fiction-Film. Und sowohl als Science-Fiction als auch als Musical wirkt Just Imagine auf die meisten heutigen Zuschauer enttäuschend schwach; entsprechend üppig wuchern die Verrisse, die Blogger heute im Internet über den Film schreiben. Der Fokus der Erzäh­lung liegt nicht so sehr auf der Präsentation einer fantastischen Zukunft oder gar einer innovativen Science-Fiction-Geschichte, sondern auf einer reizlosen Romanze nach Schema F, dem angestaubten Vaudeville-Humor El Brendels und dem satirischen Kommentar auf die Gegenwart von 1930, der vor allem die damals noch herrschende Prohibition torpedierte. Und für einen Musicalfilm wird auf der anderen Seite erstaunlich wenig gesungen: Mit “Old-Fashioned Girl”, “I’m Only the Words, You Are the Melody”, “The Drinking Song” and “Never Swat a Fly” gibt nur vier Songs, und diese entfalten mit Ausnahme des letzten auch nur mäßigen Esprit. Die nicht gesungenen Passagen des Films hinge­gen ha­ben, typisch für einen early talkie, keine Hintergrundmusik und sind, nomen est omen, eben ziemlich talkie.

Kinoplakat für den Film "Just Imagine" (USA 1930) von David Butler; El Brendel
Ein Werbeplakat für den Film, das El Brendel als Star hervorhebt

Mit einer entgegenkommenden Haltung hat der Film auf mich dennoch einen insgesamt recht unterhaltsamen und flotten Eindruck gemacht. Er ist ein stellenweise sprühen­der, naiver Spaß, der sich nicht ernst nimmt und deshalb auch nicht ernst genommen werden sollte, und seine Vi­sion einer futuristischen giant city ist durchaus heute noch sehenswert.

 

Seine Wurzeln hat Just Imagine auf dem Broadway. Die Komponisten Buddy G. DeSylva (1895–1950), Lew Brown (1893–1958) und Ray Henderson (1896–1970) hatten bereits jeder für sich große Erfolge mit Musicalhits, Schlagern und Evergreens gefeiert, als sie sich 1925 auf dem Broadway erstmals zu einem Team zusammenschlossen. Gemein­sam schrieben sie für Fox die Songs zu dem von David Butler (1894–1979) inszenierten Musicalfilm Sunny Side Up (1929), der ein enormer Kassenschlager wurde. Sunny Side Up kam im Oktober 1929 in die Kinos, als sich der große New Yorker Börsencrash ereignete, und durch diesen Zufall lieferte der Film eine willkommene Ablenkung von der beginnenden Großen Depression. Fox hingegen war mit seinem Block­buster hochzufrieden und drängte auf einen raschen Nachfolgefilm.

 

David Butler und das Team von DeSylva, Brown und Henderson griffen für das neue Projekt zu den bereits in Sunny Side Up erprobten Zutaten: Musik, eine Romanze und jede Menge Spaß. Für den Spaß sollte ein damals überaus popu­lärer Leinwandkomödiant sorgen: El Brendel (1890–1964). Der in Philadelphia geborene Komiker hatte auch schon in Sunny Side Up in einer komischen Rolle mitgespielt. El Brendel hatte seine Karriere 1913 auf den Vaudeville-Bühnen Amerikas begonnen und sich zunächst eine Rolle als unbeholfener Einwanderer mit deutschem Akzent geschaffen. Als gegen Ende des Ersten Weltkrieges auch in Amerika der Hass auf Deutsche wuchs, änderte er seine Rolle in einen Ein­wanderer mit schwedischem Akzent. Ab 1921 feierte er viele Erfolge auf dem Broadway, und zum Film stieß er noch vor Einführung des Tonfilms.

Szenenfoto aus dem Film "Just Imagine" (USA 1930) von David Butler; El Brendel
"Give me the good old days!" – El Brendel winkt den alten Zeiten zu

Der Tonfilm hatte zu einem herben Bruch mit den ausge­feilten künstlerischen Traditionen des Stummfilms ge­führt; er erforderte ein völlig neues künstlerisches Den­ken, und auch technisch war die Vertonung von Filmen noch nicht völlig ausgereift. Daher sind den early talkies noch viele Unbeholfenheiten im Umgang mit der neuen filmischen Form und Technik anzumerken. Die Filmema­cher griffen zunächst auf andere Formen vertonter Un­terhaltung zurück, vor allem das Theater und Vaudeville. Praktisch alle Komödianten der Leinwand von den An­fängen des Kinos bis in die frühen Dreißigerjahre stamm­ten in den USA von den Vaudeville-Bühnen. Heutigen Zuschauern fällt es meist schwer zu begreifen, warum El Brendel mit seinem angestaubt wirkenden, clownesken Humor samt watschelndem Lauf und übertriebener Ges­tik und seinem ständigen, dick aufgetragenen Akzent um 1930 zu den beliebtesten Leinwandkomödianten überhaupt zählen konnte – so beliebt, dass Fox ihm die Hauptrolle in einem der teuersten Filme des Jahres anvertraute und mit seinem Porträt und Namen groß auf den Kinoplakaten warb. Tja, so waren sie eben, die “good old days”, wie El Brendel sagen würde, und es scheint, dass seine Kritiker heute die falschen Maßstäbe anlegen. Laura Boyes, Filmkuratorin am North Carolina Museum of Art, schrieb dazu in einem Artikel über Just Imagine auf ihrer Webseite Moviediva:

 

[Brendels] Humor mag für den heutigen Zuschauer rätselhaft sein, aber 1930 war er überaus populär. Motion Picture Magazine hatte ihn damals gar „den umwerfendsten Mann auf der Leinwand“ genannt. Komödianten des frühen 20. Jahrhunderts waren fasziniert von der amerikanischen Schmelztiegel-Erfahrung. Viele von ihnen waren Einwanderer der ersten Generation, so wie viele aus ihrem Publikum, und eine Vielzahl von komischen Akzenten wie Chico Marx’ „italienischer“ Akzent waren die Regel.

Brendel stört mich nicht, vielleicht weil ich nicht viele von seinen Filmen in rascher Folge gucken muss. Jene Zuschauer, die zu meinen Filmvorführungen gekommen sind, wissen, wie sehr ich mich für die Archäologie der Komik und das Mysterium aktuellen Humors interessiere. Ein bisschen Vaudeville hat noch nie jemandem geschadet, und viele Komödianten von heute werden in siebzig Jahren als ebenso unlustig erachtet werden.

 

Wie bereits erwähnt, kam die Idee, den Film in einer futuristischen Zukunft anzusiedeln, von Buddy G. DeSylva, der schon seit einigen Jahren vom Potenzial eines Science-Fiction-Musicals überzeugt gewesen war. Dass DeSylva nicht völlig unbeleckt von der Science-Fiction war, zeigt sich am deutlichsten im Dialog zwischen dem Erfinder Z-4 und J-21: Z-4 spricht dort von einem “gravity neutralizer”, der im Zusammenwirken mit der Erdrotation die Überwindung des Erdschwerefelds ermöglichen soll – ein Stück science babble, dessen Herkunft aus der Science-Fiction-Literatur un­verkennbar ist. Auch die Idee, dass die Menschen in der Zukunft nur noch Codes statt Namen tragen, ist seit Jewgeni Samjatins dystopischem Roman Wir (1920) ein immer wieder verwendeter Topos der Science-Fiction-Literatur (sogar die alphanumerische Struktur der Codes – wie beispielsweise D-503 – ist bei Samjatin dieselbe). Dasselbe gilt für die in Science-Fiction-Romanen seit den 1880er Jahren oft genutzte Idee eines Schläfers, der nach 50, 100 oder 200 Jahren in der Zukunft wieder erwacht – ein Beispiel hierfür wäre etwa H. G. Wells dystopischer Roman Wenn der Schläfer er­wacht (1899). Auch die dystopische Vorstellung von künstlich erschaffenen Menschen – unpersönlich in Reagenzglä­sern gezeugte Babys, die über Münzautomaten gekauft werden können – stammt aus der Science-Fiction-Literatur.

 

Es ist schon erstaunlich, wie unbekümmert all diese Ideen, die ursprünglich düstere, angsterfüllte Bilder von der Zu­kunft ausmalten, in einem leichtgewichtigen, komischen Musicalfilm verwendet wurden. Sie wurden auf diese Art und Weise natürlich nicht wirklich ernst genommen, und das Publikum rezipierte sie entsprechend auch nur als kuriose Grillen. David Butler erinnerte sich beispielsweise später an eine Vorführung, bei der die Szene mit dem Münzautoma­ten für Babys und El Brendels Reaktion darauf: “Give me the good old days!” beim Publikum die meisten Lacher her­vorrief. Dazu passt der Gag im Dialog zwischen RT-42 und der strengen Volkszählerin, die in der Wohnung von J-21 und RT-42 auftaucht. Als die Amtsperson RT-42 danach fragt, wer seine Eltern seien, antwortet er: “General Electric” – und erklärt dazu, dass er selbst und J-21 Reagenzglas-Babys gewesen seien. Butler zufolge hatte Buddy G. DeSylva die meisten Ideen zu den Details der Story eingebracht. Butler selbst hatte hingegen die Idee vom Ehe-Tribunal, womit ein Grund für den Trip zum Mars gefunden war, und die Idee von den Zwillings-Marsianern, die, so Butler, den Mars auf simple Art und Weise fremdartig und bizarr erscheinen ließen, sodass kein Geld für „achtbeinige Pferde, fremdartige Tiere und Menschen usw.“ ausgegeben werden musste.

Foto von der Produktion des Films "Just Imagine" (USA 1930) von David Butler; Modell vom New York des Jahres 1980; Metropolis
Das Stadtmodell von New York (Fotografie von der Produktion)

Das mit Abstand imposanteste Element von Just Imagine sind die prachtvollen Ansichten des futuristischen New Yorks von 1980, die allerdings nur in den ersten Minuten des Films zu sehen sind. Sie sind das Werk der Bühnenbildner Stephen Goosson (1889–1973) und Ralph Hammeras (1894–1970) mit ih­rem Team. An den Miniaturen und Glasmalereien wirkten auch Willis O’Brien (1886–1962), dem Stop-Motion-Künstler von Die verlorene Welt (1925) und King Kong (1933), sowie sein enger Mitarbeiter Marcel Delgardo (1901–1976) mit. In fünf Monaten wurde in einem Luftschiff-Hangar in Arcadia, zwanzig Kilome­ter außerhalb von Hollywood, von über 200 Mitarbeitern ein riesiges Stadtmodell im schönsten Art-déco-Stil geschaffen, das das Stadtmodell für Fritz Langs Metropolis an Größe und Aufwand noch übertraf – es war 23 Meter breit, 69 Meter tief und soll bis zu 12 Meter hoch gewesen sein. Animiert wurde das Stadtmodell mit bewegten Strömen von Autos auf den unteren Fahrbahntrassen, fahrenden Eisenbahnen, dahinzie­henden Luftschiffen und endlosen Reihen von Flugzeugen, die kreuz und quer über den Himmel der Skyline fliegen. Die Spe­zialeffekte für die Stadtaufnahmen erforderten ein ausgefeiltes Verfahren für travelling mattes, das sogenannte Dunning-Verfahren, das später auch für King Kong (1933) eingesetzt wurde, mit dem die Vordergrund-Action direkt in der Kamera mit den zuvor gefilmten Miniaturaufnahmen für die Hin­tergründe kombiniert werden konnte; ferner kam in zahlreichen Szenen das damals brandneue Verfahren der Rückpro­jektion zum Einsatz.

 

Die Kosten für das Modellbau-Set von New York betrugen exorbitante 168.000 Dollar, doch das Ergebnis war wirklich eindrucksvoll. Gemeinhin wird angenommen, dass der Film Metropolis die wesentlichste Inspiration für das Modell gewesen war, und das ist sicherlich nicht falsch. Bei genauerem Hinsehen gibt es allerdings durchaus stilistische Unter­schiede zwischen beiden Sets. James Sanders hat in seinem Buch Celluloid Skyline: New York and the Movies (2001) festgestellt, dass Stephen Goosson wesentlich vom italienischen Futuristen Antonio Sant’ Elia, von Entwürfen des New Yorker Architekten Harvey Wiley Corbett und vor allem von den Zeichnungen von Hughes Ferris für sein illus­triertes Buch Metropolis of Tomorrow (1929) inspiriert gewesen war. Einige dieser Quellen hatten zuvor auch Fritz Langs Metropolis beeinflusst. Sanders schreibt:

 

Während Metropolis eher vom Lower Manhattan inspiriert scheint, mit seinen winkligen Straßen und eng stehenden Türmen, lässt die Stadt von Just Imagine eher an die Midtown denken, mit seinen geordneter ausgerichteten und weit auseinander stehenden Gebäuden. (Celluloid Skyline, S. 110f.)

 

Just Imagine brachte Goosson und Hammeras eine Oscarnominierung für das beste Bühnenbild ein. Goosson fuhr nach dem Film fort, seinen Ruf als einer der hervorragendsten Bühnenbildner Hollywoods weiter zu mehren; für seine Bau­ten für Frank Capras In den Fesseln von Shangri-La (1937) wurde er schließlich mit dem Oscar geehrt. Ein weiteres ein­drucksvolles Science-Fiction-Set ist das elektrische Labor, in dem Single-O zum Leben wiedererweckt wird. Mit seinen hin- und herschwingenden Lichtringen gemahnt es überdeutlich an Rotwangs Labor in Metropolis, in dem die Maschi­nen-Maria zum Leben erweckt wird, aber es greift auch bereits auf das Labor des verrückten Wissenschaftlers im Film Frankenstein (1931) von James Whale vor. Kein Wunder: Das Labor ist das Werk von Kenneth Strickfaden (1896–1984), einem Set Designer und Spezialisten für elektrische Effekte, der das Equipment des Labors aus Just Imagine in Frankenstein mit wesentlich dramatischerer Wirkung wiederverwendete.

 

Weitere futuristische Elemente sind die Ein-Mann-Flugzeuge, die in den Tragflächen waagerechte Propeller für den Schwebeflug in der Art eines Helikopters besitzen, gigantische Luftschiffe, eine blinkende Lichtsäule anstelle einer Türglocke, automatische Schiebetüren, Videotelefone und -Türspione, die Pillennahrung, die Automaten für Reagenz­glas-Babys, frei schwebende Straßenlaternen und die moderat futuristische Ausstattung der Wohnräume, mit Wasch­becken und Betten, die per Pedal- oder Knopfdruck in der Wand verschwinden. Respektabel ist auch das große, silbri­ge Raketenschiff für den Flug zum Mars. Auf dem Mars selbst gibt es eine entfernt an Jules Verne erinnernde exotische Landschaft zu bestaunen, mit Gebirgen aus eng stehenden, hoch aufragenden Felssäulen und Wäldern, deren Bäume wie übergroße Pilze mit stachelbewehrten Hüten aussehen. Der marsianische Palast nimmt das Aussehen der marsia­nischen Gebirge wieder auf und ist ganz aus kristallartigen, schlanken Polyedern aufgebaut. Die knapp bekleideten Marsianerinnen tragen exotische Kostüme; am prunkvollsten ist die Königin Loo-Loo gekleidet, mit weit abstehenden, glitzernden Flossen, die sie wie einen großen, schillernden Fisch aussehen lassen.

 

Die Darsteller in Just Imagine wirken zumeist nicht besonders eindrucksvoll. Über El Brendels Darbietung – man mag sie oder hasst sie – wurde bereits gesprochen. Maureen O’Sullivan (1911–1998) und John Garrick (1902–1966) als das zentrale Liebespaar wirken beide ausgesprochen blass. Maureen O’Sullivan wurde zwei Jahre später weltberühmt als Tarzans Jane an der Seite von Johnny Weissmuller, eine vitale Rolle, die sie noch fünf weitere Male spielen sollte. Sie blieb bis 1994 eine vielbeschäftigte Schauspielerin und trat unter anderem in Filmen wie Anna Karenina (1936), Stolz und Vorurteil (1940) oder Peggy Sue hat geheiratet (1986) auf. Mia Farrow (geb. 1945) ist eines ihrer sieben Kinder. Die Karriere des Engländers John Garrick war weniger erfolgreich und kam nach Just Imagine nicht über nebensächliche Rollen in B-Filmen hinaus; 1940 gab er, nach England zurückgekehrt, die Schauspielerei auf.

Publicityfoto für den Film "Just Imagine" (USA 1930) von David Butler; Marjorie White und Frank Albertson "Never Swat a Fly"
Marjorie White und Frank Albertson

Deutlich mehr Esprit versprüht das Comedy-Paar des Films, Marjorie White (1904–1935) als D-6 und Frank Albertson (1909–1964) als ihr Freund RT-42. Vor allem die kleine, lebhafte Kanadierin White ver­breitet trotz ihrer etwas quäkigen Stimme jede Menge Freude; sie ist ein vor Lebendigkeit strotzendes, quirliges und selbstbewusstes Flappergirl, stiehlt jede Szene, in der sie auftaucht, und gibt dem Film mit ihrer unbekümmerten, fröhlichen und oft auch verrückten Über­drehtheit eine Menge Energie. Sonnyboy Albertson ist ihr eine per­fekte Ergänzung, und ihrer beider Tanzauftritt mit dem besten, leicht anzüglichen Song des Films “Never Swat a Fly”, komplett mit einer Choreografie mit Fliegenklatschen, ist zweifellos das musikalisch-tän­zerische Highlight des Films. Marjorie White hatte wie El Brendel ihre Karriere im Vaudeville-Theater begonnen. Tragischerweise verstarb sie bereits mit 31 Jahren als Beifahrerin bei einem Autounfall. Frank Albertson war später noch ein viel beschäftigter Schauspieler mit häufigen Hauptrollen. Er war unter anderem in Fritz Langs Blinde Wut (1936), Frank Capras Ist das Leben nicht schön? (1946) und Alfred Hitchcocks Psycho (1960) zu sehen. Auch Albertson verstarb mit 55 Jahren relativ früh – er erwachte am 29. Februar 1964 nicht mehr aus seinem Schlaf.

 

Joyzelle Joyner (1905–1980) war in erster Linie eine Tänzerin, spielte aber nach ihrer Rolle als marsianische Königin Loo-Loo/Boo-Boo noch in gut 30 Spielfilmen mit. Ivan Linow (1888–1940), der den hünenhaften Marsianer Loko/Boko mimte, war aus Lettland eingewandert und verdingte sich zunächst als Wrestling-Star, bevor er zur Schauspielerei fand. Er spielte in über 50 Filmen mit und hatte auch in Sunny Side Up mitgewirkt.

 

Humor? Welcher Humor?

 

Just Imagine nutzt das Konzept eines in die Zukunft geworfenen Menschen vor allem für satirische Kommentare auf die damalige Gegenwart. Der Film verspottet vor allem die Prohibition – das Verbot der Herstellung, des Vertriebs und des Verkaufs von Alkohol –, die 1919 in den USA mit einem Verfassungszusatz und dem sogenannten “Volstead Act” in Kraft getreten war. Das von Beginn an von vielen Persönlichkeiten des politischen und öffentlichen Lebens angefein­dete Gesetz verlor seit Beginn der Großen Depression immer mehr an politischem Rückhalt und wurde im Dezember 1933 schließlich wieder aufgehoben. In Just Imagine wird das Thema der Prohibition bereits in der Einleitung aufgegrif­fen, wenn im Rückblick auf das Jahr 1880 ein betrunkener Mann gezeigt wird, der eine Kneipe verlässt, und die Stimme aus dem Off das kommentiert mit: “[In 1880] we also had this . . .” Als Single-O überrascht ist, dass 1980 noch immer die Prohibition in Kraft ist, sagt RT-42 zu ihm: “It looks like in a year or two we’re going to get a little light wine and beer”, woraufhin Single-O lachend erwidert, dass ganau das schon 1930 erwartet worden sei. Sofort darauf greift Single-O zu den berauschenden Pillen, die RT-42 ihm anbietet und die den flüssigen Alkohol ersetzt haben, und ist am Abend ordentlich betrunken – es ist offensichtlich, dass sich kaum jemand um die Prohibition schert. Auf der Party auf dem Air Liner Pegasus schmettern die versammelten Piloten ein trotziges Trinklied mit dem Refrain: “If they want the world dry, we’ll obey / we'll just drink it that way”, und erheben dabei ihre Fläschchen mit den Rausch-Pillen.

 

Auch das “Marriage Tribunal”, das den Menschen in der Zukunft empörenderweise vorschreibt, wen sie heiraten dür­fen, ist in diesem Zusammenhang zu sehen: Es ist wie die Prohibition ein Eingriff in die Privatsphäre und Freiheit des Einzelnen, der als übermäßig und unzulässig empfunden wird. Als J-21 der Volkszählungsbeamtin gegenüber das Hei­ratsgesetz schmäht, stellt sich die Beamtin empört in Pose und verkündet: “Like the Volstead Act, it is a noble experi­ment!” – und greift damit eine Phrase auf, mit der der damals amtierende US-Präsident Herbert Hoover den Volstead Act noch 1928 verteidigt hatte. Darüber hinaus kümmert sich der Film um die Institution des “Marriage Tribunal” aller­dings nicht, wie das sonst in einer Science-Fiction-Story eigentlich zu erwarten wäre, was manch heutigen Zuschau­er vielleicht verwundern mag. Aber der kritische Entwurf einer dystopischen Zukunft ist eben überhaupt nicht das Thema des Films. Folgerichtig schafft der Held das ungeheuerliche “Marriage Tribunal” am Ende des Films auch nicht etwa ab, sondern hält sich systemkonform an die Regeln und ist mit seinem persönlichen Happy End zufrieden, als ihm das Tribunal das Recht zuspricht, sein Sweetheart LN-18 heiraten zu dürfen.

Szenenfoto aus dem Film "Just Imagine" (USA 1930) von David Butler; der Mars und die Marsrakete
J-21, RT-42 und Sinlge-O sind auf dem Mars gelandet

Just Imagine beschäftigt sich allerdings auch mit den zunehmend „unsicher“ gewordenen Beziehungen zwi­schen den Geschlechtern und dem gewachsenen Selbst­bewusstsein und Unabhängigkeitsstreben der Frau, wo­für das kesse Flappergirl der roaring twenties als Sinn­bild steht. Der Film bringt ziemlich deutlich die männli­che Angst vor dieser neuen Entwicklung zum Ausdruck. Als sich die Volkszählungsbeamtin an der Tür von J-21 und RT-42 ankündigt, seufzt J-21 reflexartig: “How I hate these modern women!” – offenbar nur, weil diese Frau einem Beruf nachgeht. Wenig später, als J-21 seinen schmachtenden Gedanken an seine LN-18 nachhängt, sinniert er: “I like a girl like my grandmother used to be” – ein haarsträubender, ödipaler Satz, bei dem freilich auch klar ist, wie er zustande kam: Es soll natürlich die Rede sein von den Mädchen des Jahres 1930. J-21 schiebt nach: “That's why I like LN – she's an old fashioned girl. I should have lived back in 1930.” J-21 greift zur Gitarre und trällert die erste Melodie des Films, einen Song über das “Old Fashioned Girl”. RT-42 hat zu dem Lied träumerische Bilder von einem Flappergirl des Jahres 1930, das einen Cocktail schüttelt, einem weiteren, das sich zunächst gegen einen Kuss wehrt und dann doch nachgibt, und einem dritten, das rauchend in einem Sessel sitzt, lachend ein Buch mit dem Titel “Ex-Wife” liest und dabei achtlos eine neben ihr stehende Kinderkrippe mit ihrem Fuß schaukelt. Vor allem das erste und dritte Bild können kaum anders denn als Kritik gegen die zeitgenössischen Flappergirls aufgefasst werden, sodass mit “old fashioned girls” genau besehen die vermeintlich artigen und züchtigen Mädchen gemeint sind, die die „Mode“ der Flappergirls eben nicht mitgemacht haben. Und tatsächlich benehmen sich LN-18 und D-6 meistenteils reichlich kin­disch und sind ganz darauf orientiert, ihren Männern zu gefallen.

 

Auch andere Gags, die zeitgenössisch sofort verstanden wurden, finden sich im Film. Als Single-O erfährt, dass sämtli­che Ein-Mann-Flugzeugmodelle, die die Autos in der Zukunft abgelöst haben, jüdische Namen wie “Pinkus”, “Rosen­blatt” oder “Goldfarb” tragen, bricht er in Lachen aus und sagt: “It looks like someone got even with Henry Ford!”, eine Anspielung auf den Antisemitismus, den Henry Ford in den Zwanzigerjahren in aggressiven Hetzschriften gegen das Judentum auslebte.

 

Ein Flop, und doch: Im Zweifel für den Angeklagten

 

Im Februar 1930 verschärften die Moralwächter der Motion Pictures Distributors Association of America den Produc­tion Code für Spielfilme, und so geriet Just Imagine nach der Vorpremiere im Oktober 1930 prompt in die Kritik. Die Zensoren monierten zu knapp bekleidete Tänzerinnen, zu suggestive Tanzbewegungen, die wiederholte, herabwürdi­gende Geste des nose thumbing, die die Marsianer als Geste der Begrüßung verwendeten, die angedeutete Homose­xualität von Loko auf dem Mars und vor allem den anzüglichen Song “Never Swat a Fly”, in dem unter anderem dazu aufgefordert wird, niemals zwei Stechmücken zu klatschen, die miteinander spielen, denn “they may want to make hay-hay the way I do with you”. In der Folge wurden mehrere Szenen geschnitten oder gekürzt – auch der “Never Swat a Fly”-Song. In der heute überlieferten Fassung des Films sind fast alle geschnittenen Teile enthalten, lediglich das nose thumbing der Marsianer und einige Close-Ups vom Tanz der halbnackten Marsianerinnen vor dem großen Götzenbild sind nicht überliefert.

 

Zum Kinostart des Films Ende November 1930 fielen die Kritiken in der Presse gemischt aus; es gab enthusiastische, aber auch kühle Stimmen. An der Kinokasse floppte der Film. Im Roxy Theatre New York, dem größten Kino der Stadt, lief der Film nur eine einzige Woche. Der Kritiker Mordaunt Hall versuchte dies in einer Rezension vom 30. November 1930 so zu erklären: „Es ist schade, dass [der Film] kein Gefallen bei der Generation um die Zwanzig gefunden hat, weil es an einer glaubwürdigen Romanze fehlte.“

Szenenfoto aus dem Film "Just Imagine" (USA 1930) von David Butler, mit El Brendel, Joyzelle Joyner, John Garrick und Frank Albertson
Die Erdlinge im Palast der marsianischen Königin Loo-Loo

Fox verringerte die Verluste, indem es Szenen, Bauten und Props aus Just Imagine weiterverkaufte. So wurde das große Modell der Marsrakete an Universal verkauft, die es als Dr. Zarkovs Rakete in ihrem Science-Fiction-Serial Flash Gordon (1936) einsetzten. In Flash Gordon wurden auch die Szenen vom Tanz der Marsianerinnen vor dem großen Götzenbild verwendet, während die Modellaufnahmen vom futuristischen New York in Uni­versals Science-Fiction-Serial Buck Rogers (1939) einge­schnitten wurden – sie dienten dort als Bilder von der Großstadt, in der der Schurke Killer Kane residiert. So lebten in den Serials manche futuristischen Bilder und Elemente von Just Imagine weiter, nachdem der Film längst in der Versenkung verschwunden war.

 

Für viele Jahrzehnte blieb der Film unzugänglich und war Science-Fiction-Aficionados nur durch die imposanten movie stills vom New York von 1980 bekannt, die eine brennende Neugier auf den Film schürten. Erst um 1970 herum wurden Kopien des Films wieder ausgegraben und öffentlich gezeigt – und führten im Fandom, das womöglich ein zweites Metropolis erwartet hatte, zu einer raschen Ernüchterung. Bis heute hat es keine würdige, restaurierte Ausgabe des Films auf DVD oder Bluray gegeben. Abgesehen von gelegentlichen Aufführungen in Museen oder auf Festivals in den USA ist der Film heutzutage lediglich auf einer jämmerlichen DVD eines Billiglabels von 2009 und in Streaming-Videos im Internet, z. B. auf Youtube, in ebenso dürftiger Qualität zugänglich.

 

Es ist eine in der Geschichtsschreibung des Science-Fiction-Kinos längst zum Klischee geronnene Klage, dass Holly­wood sich jahrzehntelang nicht für die Science-Fiction interessiert hätte, weil alle sich darüber einig gewesen waren, dass das Genre mit entschiedener Sicherheit nur Flops generieren würde. Just Imagine als erster Big-Budget-Science-Fiction-Film Hollywoods wird in diesem Zusammenhang besonders gern auf die Anklagebank gesetzt. Dem Film wird angelastet, dass sein Versagen das Genre für die nächsten zwei Jahrzehnte, bis zum Science-Fiction-Boom ab 1950, auf der großen Leinwand praktisch diskreditiert hätte. Exemplarisch für diese Sichtweise sei hier John Brosnan aus seinem Buch Future Tense (1978) zitiert:

 

Zu Fox’ Überraschung versagte Just Imagine schlimm an der Kinokasse, und es scheint wahrscheinlich, dass die Fox-Bosse nicht so sehr die schwache Story oder die kaum eingängigen Songs dafür verantwortlich machten, sondern die Science-Fiction-Ele­mente. Es war für lange Zeit ein Hollywood-Glaubenssatz, dass der schnellste Weg, Geld zu verlieren, die Produktion eines Fantasy-Films sei, und dieser jüngste Flop lieferte ohne Zweifel eine neue Bestätigung dafür. Wenn Just Imagine ein großer Erfolg gewesen wäre, hätte das vielleicht eine breitere Variation von Science-Fiction-Film-Themen hervorgebracht, statt dass die Verwendung von Science-Fiction-Elementen nunmehr fast ausschließlich auf Horrorfilme beschränkt wurde. Denn ein Jahr nach Just Imagine erschien Universals Version von Frankenstein, die ein Erfolg war und wieder einmal Science-Fiction fest mit dem gotischen Horror vereinigte. Für die nächsten zwei Jahrzehnte wurde das Science-Fiction-Kino, mit ein paar bemerkenswerten Ausnahmen, von verrückten Wissenschaftlern und ihren unheiligen Schöpfungen dominiert. (Future Tense, S. 41)

 

Mir scheint, dass der Science-Fiction-Fan hier mit seinem Gejammer über ignorante Hollywood-Bosse schief gewickelt ist und genau umgekehrt ein Schuh aus der Sache wird. Just Imagine war ein ambitionierter, sehr teurer Versuch, Science-Fiction als Thema für die Kinoleinwand zu verwenden – und Science-Fiction musste zu jener Zeit wegen der aufwendigen Bauten und Spezialeffekte teuer produziert werden, sollte sie auch wirklich gut und überzeugend aus­sehen und das Publikum faszinieren. Doch Just Imagine wurde ein Flop, wie schon der nicht minder teure Metropolis-Film drei Jahre zuvor oder der ebenso teure Film Things to Come sechs Jahre später. Vor diesem Hintergrund ist es höchst zweifelhaft, dass Just Imagine ein Riesenerfolg geworden wäre, wenn der Film auf die Songs, die Vaudeville-Nummern und die Komödie verzichtet und sich stattdessen ernsthaft auf seine Science-Fiction konzentriert hätte (was ohnehin schwierig geworden wäre, da keiner der an der Produktion Beteiligten ein eingefleischter Kenner der Science-Fic­tion gewesen war). Es scheint vielmehr so zu sein, dass es zu jener Zeit schlichtweg noch kein Massenpub­li­kum für Science-Fiction gab, das groß genug gewesen wäre, um die Risiken teurer Science-Fiction-Filme zu rechtfer­ti­gen. Die Hollywood-Granden hatten daher mit ihrem Glaubenssatz, der immerhin auf Erfahrungen gründete, durch­aus Recht. Just Imagine jedoch vorzuwerfen, nicht das zu sein, was der Film niemals sein wollte, erscheint mir billig.

 

Just Imagine ist nicht das große Science-Fiction-Epos, das Science-Fiction-Fans allzugern in ihm entdeckt hätten, und der Film hat auch nicht rasante Action zu bieten, wie sie später in den Science-Fiction-Serials ausgetobt wurde. Er ist eine moderate Musical-Komödie, die konsequent auf leichte, eskapistische Unterhaltung kalkuliert ist. Sie mag heute arg angestaubt wirken – auch das Adjektiv „bizarr“ wird oft bemüht, meines Erachtens aber zu Unrecht –, hat aber ne­ben ihren tollen Science-Fiction-Schauwerten immer noch einen gewissen Schwung und jede Menge Dreißiger­jahre-Charme. Wenn man die Show nicht ernster nimmt, als sie sich selbst je ernst genommen hat, kann sie auch heute noch auf ungewöhnliche Weise unterhalten.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 6. Juni 2017