Rocketeer

DVD-Cover zu dem Film "Rocketeer" (1991) von Joe Johnston

The Rocketeer (USA 1991)

 

Regie: Joe Johnston

Drehbuch: Danny Bilson, Paul De Meo und William Dear (Story); Danny Bilson und Paul De Meo (Screenplay) nach dem Graphic Novel The Rocketeer (1982–95) von Dave Stevens

Kamera: Hiro Narita. Schnitt: Arthur Schmidt. Musik: James Horner

Darsteller: Bill Campbell (Cliff Secord), Jennifer Connelly (Jenny Blake), Alan Arkin (Peevy), Timothy Dalton (Neville Sinclair), Paul Sorvino (Eddie Valentine), Terry O’Quinn (Howard Hughes), Ronald “Tiny Ron” Taylor (Lothar) u. a.

Produzenten: Charles Gordon, Lawrence Gordon und Lloyd Levin

Companies: Walt Disney Pictures; Touchstone Pictures; Silver Screen Partners IV; Gordon Company; Dark Horse Entertainment

Laufzeit: 108 Minuten, Farbe

Premiere: 21. Juni 1991 (USA); 15. August 1991 (Deutschland)

 

Los Angeles, 1938. Der junge, ungestüme Cliff Secord, Pilot einer Flugshow, und sein älterer Kumpel und Mechaniker Peevy haben Pech: Ihr knallgelbes Flugzeug, eine “Granville Gee Bee”, an der sie drei Jahre lang getüftelt haben, um mit ihr bei einem landesweiten Flugwettbewerb teilzunehmen, wird während des Jungfernflugs von Gangstern, die in einer halsbrecherischen Autojagd vor dem FBI fliehen, mit einer Maschinenpistole beharkt. Die “Gee Bee” nimmt schweren Schaden, und Cliff kann nur mit Ach und Krach eine schlimme Bruchlandung hinlegen. Die Gangster hinge­gen verstecken im nahegelegenen Hangar des Flugplatzes heimlich ein mysteriöses Gerät, bevor sie von den FBI-Be­amten festgenommen werden.

 

Als Cliff und Peevy später im Hangar das versteckte Gerät entdecken, sind sie überrascht: Es handelt sich um einen Raketenrucksack, mit dem ein Mann fast völlig frei in die Lüfte emporjagen kann! Cliff hat sofort die Idee, mit dem Rucksack eine spektakuläre Flugshow zu präsentieren und so eine Menge Geld zu verdienen. Obwohl Peevy dazu rät, den Rucksack besser der Regierung zu übergeben, lässt er sich vom unbeirrten Cliff breitschlagen und bastelt ihm für den Rucksack noch einen passenden Helm.

 

Als am nächsten Tag ein Pilot während der regulären Flugshow in Schwierigkeiten gerät und abzustürzen droht, ent­schließt sich Cliff kurzerhand, mit dem Raketenrucksack und Helm aufzusteigen und den Piloten aus der havarierten Maschine zu holen. Unter dem Jubel des Publikums gelingt ihm die Rettung, und sofort feiert die Presse den unbe­kannten Helden als den „Rocketeer“. Allerdings wird es für Cliff und seine Freunde jetzt erst richtig brenzlig, denn so­wohl das FBI als auch die Gangster, die den Raketenrucksack zuvor gestohlen hatten, heften sich auf die Fersen des Rocketeers, um das vom „Aviator“ Howard Hughes entwickelte fantastische Fluggerät zurückzuholen. Nicht zuletzt Cliffs Freundin Jane, die sich in Hollywood als Schauspielerin versucht, gerät in Gefahr. Denn Neville Sinclair, der prah­lerische Star des Films, in dem Jane eine kleine Komparsenrolle bekleidet, ist nicht nur der heimliche Auftraggeber der Gangster, sondern auch ein finsterer Nazi-Spion, der den Raketenrucksack als Prototyp einer neuen Waffe für Adolf Hitlers Wehrmacht erlangen will. Als Sinclair dahinterkommt, dass Jane mit dem „Rocketeer“ befreundet ist, entführt er sie, um Cliff zu erpressen . . .

 

„Es ist eine Rakete – Wie in den Comicheften!“

 

So erklärt der schmierige Filmstar Neville Sinclair (Timothy Dalton) in Rocketeer seinen Handlangern von der Mafia das allseitige Objekt der Begierde, den Raketenrucksack – das einzige, allerdings zentrale Science-Fiction-Element dieses turbulenten Action-Abenteuers von Joe Johnston (geb. 1950). Der Fingerzeig auf Comics ist natürlich selbstironisch, denn die Vorlage des Films war ein Graphic Novel. Anfang der Achtzigerjahre schuf der begnadete kalifornische Zeich­ner Dave Stevens (1955–2008) mit dem Comic The Rocketeer eines der schönsten und charmantesten Juwele der gra­fischen Literatur. Die zwischen 1982 und 1995 bei verschiedenen unabhängigen, kleinen Verlagen erschienene Reihe – sie umfasst lediglich zwei Storybögen, verteilt auf insgesamt acht Hefte – kam bei Lesern und Kritikern ausgesprochen gut an. Kein Wunder: The Rocketeer war fantastisch gezeichnet und bot erstklassige Abenteuerhandlungen von ho­hem Tempo, tollkühner Action, federleichtem Esprit und einer ordentlichen Prise Humor. Bestechend waren vor allem die offensichtlichen, als Hommage gedachten Anleihen an die actionorientierten, Sci-Fi- und Fantasy-angehauchten Kinoserials, Comics und Pulps der Dreißiger- und Vierzigerjahre, deren naives, nostalgisches Flair bis heute zu begeis­tern weiß.

Szenenfoto aus "Rocketeer" (1991) von Joe Johnston; Bruce Campbell
Der Rocketeer (Bill Campbell) in vollem Fluge. Die Flugszenen sind tricktechnisch von schwankender Qualität, insgesamt aber okay

Als die Walt Disney Studios die Filmrechte am Rocketeer-Comic erwarben, hielten sie somit einen ganz besonderen Erzählstoff in Händen, und es gehört zu den seltenen Glücksfällen des Hollywood-Kinos, dass es tatsächlich gelang, die unschuldige Leichtigkeit, den nostalgischen Touch und den warmen Humor der Vorlage in die Verfilmung hinüberzu­retten. Rocketeer zählt zu den wenigen Comicverfilmungen, die sich im Erzählton, im Design und darüber hinaus auch in der Story sehr eng an die Vorlage hielten. Dass dieses filmische Wunder gelang, ist ganz erheblich Rocketeer-Schöp­fer Dave Stevens zu verdanken, der als Ko-Produzent mit ins Boot geholt wurde und so darüber wachen konnte, dass sein Comic möglichst getreu umgesetzt werden würde. Stevens hatte sich bereits seit 1983 darum bemüht, seinen Co­mic auf die Leinwand zu bringen. Damals hatte er sich die Verfilmung noch in Schwarzweiß vorgestellt, um sich dem Look der klassischen Kinoserials, die beim Rocketeer Pate gestanden hatten – vor allem King of the Rocket Men (1949) und Commander Cody: Sky Marshal of the Universe (1953) –, noch stärker anzunähern. Als später der Deal mit Disney zustande kam, soll der Unterhaltungskonzern dagegen vor allem das Potenzial für eine profitable Merchandising-Verwertung im Blick gehabt haben: „Disney hatte den Stoff gesehen und nur gedacht: Spielzeuge!“, erklärte Stevens dazu einmal in einem Interview.

 

Wie sich später herausstellen sollte, wurde es nichts mit den erhofften Merchandising-Umsätzen. Stevens jedoch war das einerlei – er verdiente ohnehin nicht sehr viel an dem Film und meinte später, dass Mike Mignola (geb. 1960) in dieser Hinsicht cleverer gewesen sei und wesentlich einträglichere Verträge bei der Verfilmung seiner Comicfigur Hell­boy geschlossen habe. Bei der Gestaltung der Rocketeer-Verfilmung half, dass Stevens den Regisseur Joe Johnston noch von früher her gut kannte: Beide hatten zehn Jahre zuvor am Film Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes (1981) mitgewirkt: Stevens als Storyboard-Zeichner, Johnston als Art Director für die visuellen Effekte. Johnston, für den der Rocketeer nach Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft (1989) die zweite Regiearbeit war, vertraute Ste­vens blind und setzte dessen originale Design-Ideen durch, auch wenn die Kostüm- und Prop-Departments mit ande­ren Vorschlägen kamen.

 

Rocketeer ist ein wundervoller, spritziger Abenteuerfilm, voller lebhafter, temporeicher Action, flotter Dialoge und opulenter Optik. Die überwiegend mit altbewährten, analogen Techniken wie travelling mattes, Rückprojektionen und Rotoskopie erzeugten visuellen Tricks (von George Lucas’ Effekteschmiede ILM) sind meistenteils gut gelungen, insbe­sondere in den rasanten Flugszenen des Rocketeers selbst, wenngleich zugegeben werden muss, dass es auch einige Szenen gibt, in denen die Tricks nicht gänzlich überzeugen – insbesondere im Showdown und in der Sequenz, die sich im Ballsaal des piekfeinen Hollywood-Clubs abspielt (Letztere ist zudem von viel zuviel albernem Slapstick belastet). Dafür geben sich die stilsicheren Bauten und Dekorationen nirgends eine Blöße. Besonderes Lob verdient überdies der melodische, orchestrale Score von James Horner (1953–2015; Aliens, Braveheart, Titanic, Avatar – Aufbruch nach Pan­dora), der wunderbar mit den Bildern harmoniert und die nostalgischen und gefühlvollen Töne ebenso gekonnt be­herrscht wie die triumphal-heroischen.

Szenenfoto aus "Rocketeer" (1991) von Joe Johnston; Jennifer Connelly und Bruce Campbell
Jane (Jennifer Connelly) und Cliff (Bruce Campbell) müssen sich an Bord eines deutschen Zeppelins üblen Nazis zur Wehr setzen

Cliff Secord wird von Bill Campbell (geb. 1959) nahezu perfekt verkörpert – mit seiner Sportlichkeit und seinem makel­losen Aussehen kauft man ihm den prototypischen all american boy und draufgängerischen Dreißigerjahre-Helden in jeder Szene ab. Jennifer Connelly (geb. 1970) ist ebenfalls hervorragend besetzt. Sie spielt die betörend schöne Freun­din von Cliff, die im Comic Betty heißt und dort genauso aussieht und knapp bekleidet ist wie Bettie Page (1923–2008), das berühmteste aller Pinup-Model der Fünfzigerjahre. Im Film heißt die Figur dagegen Jane, weil Disney der Familien­freundlichkeit halber keine schlüpfrigen Anklänge dulden wollte. Dementsprechend ist Jane im Film auch stets züchtig angezogen und von tadelloser Wohlanständigkeit. Eine verführerische Aura verströmt sie gleichwohl (zwischen ihr und Bill Campbell bahnte sich übrigens während der Dreharbeiten eine Liebesbeziehung an, die dann fünf Jahre dau­erte; heute ist Connelly mit dem britischen Schauspieler Paul Bettany verheiratet, während Campbell bis heute Jung­geselle geblieben ist). Timothy Dalton (geb. 1946) mimt den schmierigen, selbstverliebten Filmstar Neville Sinclair mit sichtlicher Spiellaune. Neville Sinclair kommt im Comic nicht vor und ist deutlich an Errol Flynn (1909–1959), Haudegen zahlreicher Abenteuerfilme, angelehnt. Dass die Figur sich schließlich als finsterer Nazi-Spion entpuppt, ist ein passen­der Rückgriff auf eine der gängigsten Tropen in den amerikanischen Action-und Agentengeschichten jener Zeit.

Szenenfoto aus "Rocketeer" (1991) von Joe Johnston; Bruce Campbell
Cliff stellt sich am Griffith-Observatorium seinem Widersacher Neville Sinclair, um seine entführte Freundin Jane auszulösen

So bietet Rocketeer eine liebevolle Hommage an die nostalgisch vergoldeten Dreißigerjahre mit all ihrem zeitlos schö­nen Art déco, ihrem blendenden Hollywood-Glamour und ihrer erträumten, geradlinigen Bodenständigkeit – die hier sogar soweit geht, dass die Mafia, wenn es darauf ankommt, patriotisch zu Amerika steht und schändliche Geschäfte mit deutschen Nazis empört ausschlägt (ein Ehrenkodex, der in Wirklichkeit kaum je existiert haben dürfte). Die Hand­lung folgt im Wesentlichen dem ersten der beiden von Stevens geschaffenen Abenteuer seines Rocketeer-Comics, ge­spickt mit einigen Elementen aus dem zweiten Abenteuer wie etwa dem hünenhaften Killer Lothar oder dem Gyro­kopter, mit dem am Ende des Films Cliff und Jenny gerettet werden. Zahlreiche Designs und Details sind praktisch un­verändert aus dem Comic übernommen, vom Look des Rocketeers selbst über dessen Flugzeug, einer “Granville Gee Bee”, und Lothar, einer (maskenbildnerisch nur leidlich gelungenen) Inkarnation von Rondo Hatton (1984–1946), einem von Akromegalie gezeichneten Bösewicht aus mehreren Gangster- und Horrorfilmen der Vierzigerjahre, bis hin zum Diner, in dem Cliff und Peevy mit allen anderen Pilotenkollegen abhängen und der die äußere Form einer Bulldogge hat.

 

Natürlich gibt es auch Abweichungen. So hat in Stevens’ Comicvorlage Doc Savage, Abenteuerheld zahlreicher Pulp-Hefte ab 1933, den Raketenrucksack erfunden, nicht der berühmte „Aviator“ und exzentrische Milliardär Howard Hughes, und sowohl Neville Sinclair wie auch der Nazi-Plot und der Showdown am Griffith-Observatorium sind, wie bereits erwähnt, neu hinzugedichtet. Sämtliche Neuerungen sind allerdings überaus stimmig, sodass der Film durch­weg eine runde Sache bleibt.

Szenenfoto aus "Rocketeer" (1991) von Joe Johnston; Eddie Valentine, Timothy Dalton, Jennifer Connelly
Der Mafiaboss Eddie Valentine (Paul Sorvino, l.) ist wenig erbaut, als er erfährt, dass Sinclair (Timothy Dalton) ein Nazispion ist

In Rezensionen ist oft zu lesen, dass Rocketeer ein „unterschätzter“ Film sei. Doch stimmt das keineswegs, da der Film sowohl zeitgenössisch als auch später von den Kritikern überwiegend positiv bewertet wurde. Tatsache hingegen ist, dass sich Rocketeer an den Kinokassen nicht sehr gut schlug: Bei einem Budget von etwa 35 Millionen Dollar nahm er in den USA gerade einmal 46,7 Millionen Dollar wieder ein (vgl. Box Office Mojo). Ob dies an der starken Konkurrenz im Kino-Sommer 1991 lag, kann nur vermutet werden: Eine Woche nach Rocketeer startete James Camerons brillanter Science-Fiction-Blockbuster Terminator 2 (1991), der mit wahrlich sensationellen CGI-Tricks aufwartete, die damals ei­nen neuen Höhepunkt und Meilenstein der computergenerierten Tricktechnik markierten. Dagegen konnte das ver­gnüglich-nostalgische Rocketeer-Abenteuer mit seinen überwiegend analogen Tricks tatsächlich nur „alt“ und rück­ständig aussehen. Das Ende seines pulpig-comichaften Sub-Genres sollte die Bruchlandung des Rocketeer im Box Offi­ce dennoch nicht bedeuten. So bewies das nicht minder begeisternde Action-Abenteuer Sky Captain and the World of Tomorrow (2004) von Kerry Conran, dass sich ein solcher Film auch mit perfekten CGI-Tricks erzählen lässt, während Regisseur Joe Johnston mit Captain America: The First Avenger (2011) später noch einmal einen thematisch und atmo­sphärisch ähnlichen Film wie Rocketeer inszenierte, der sehr erfolgreich im Kino lief. Und schließlich bewiesen auch die jüngeren Indiana Jones-Filme, dass die Beschwörung der überdrehten Action-Abenteuer der Dreißiger und Vierziger im Kino noch längst nicht ausgedient hat.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 17. Juni 2018

Szenenfotos © Touchstone Home Entertainment