Unfall im Weltraum

DVD-Cover zu dem Film "Unfall im Weltraum" (Doppelgänger/Journey to the Far Side of the Sun, GB 1969) von Robert Parrish

Doppelgänger (GB 1969)

 

US-Titel: Journey to the Far Side of the Sun

Regie: Robert Parrish

Drehbuch: Gerry Anderson, Sylvia Anderson, Donald James, Tony Williamson

Kamera: John Read. Schnitt: Len Walter. Musik: Barry Gray

Darsteller: Roy Thinnes (Glenn Ross), Ian Hendry (John Kane), Patrick Wymark (Jason Webb), Lynn Loring (Sharon Ross), Loni von Friedl (Lisa Hartmann), Her­bert Lom (Dr. Kurt Hassler), George Sewell (Mark Neuman), Ed Bishop (David Poulson) u. a.

Produzenten: Gerry Anderson, Sylvia Anderson

Companies: Century 21 Cinema; Rank Film Distributors; Universal Pictures

Laufzeit: 101 Minuten; Farbe

Premiere: 27. August 1969 (USA); 8. Oktober 1969 (GB); 7. Januar 1971 (Deutsch­land, TV-Premiere)

 

Eine Raumsonde, die von der europäischen Raumfahrtbehörde Eurosec zur Sonne geschickt wurde, hat einen neuen Planeten entdeckt, der hinter der Sonne auf der Erdumlaufbahn kreist. Da der Planet von der Erde aus gesehen stets hinter der Sonne verborgen bleibt, wurde er bisher noch nie beobachtet. Der britische Chef von Eurosec Jason Webb schlägt eine bemannte Mission zum neuen Planeten vor, hat jedoch Schwierigkeiten, Deutschland, Frankreich und die USA zur Mitfinanzierung des 3 Milliarden Pfund teuren Projekts zu bewegen. Als jedoch bekannt wird, dass die geheim gehaltene Neuigkeit über die Entdeckung des Planeten an einen russischen Spion durchgesickert ist, willigen die USA schließlich in die Unterstützung des Projekts ein, um einer möglichen russischen Mission zum neuen Planeten zuvorzu­kommen.

 

Mit einer mächtigen Trägerrakete wird das Raumschiff Phoenix auf den Weg geschickt. An Bord befinden sich der amerikanische Astronaut Glenn Ross und der britische Astrophysiker John Kane. Nach drei Wochen, die die beiden Raumfahrer im künstlichen Tiefschlaf verbringen, erreicht die Phoenix den neuen Planeten. Ross und Kane setzen mit einem kleinen Raketenschiff zur Landung an, geraten jedoch in einen Sturm und stürzen ab, wobei Kane schwer ver­letzt wird. Zu ihrer Überraschung werden die Astronauten von einem aus Menschen bestehenden Team geborgen. Kane erliegt bald darauf seinen Verletzungen, während Glenn Ross in den wohlvertrauten Gebäudekomplex von Euro­sec gebracht und einer Befragung unterzogen wird. Seine Geschichte, nach der er und Kane auf dem Planeten abge­stürzt sind, will ihm niemand glauben; stattdessen wird ihm erzählt, dass er sich selbstverständlich auf der Erde befin­det und mit der Phoenix offensichtlich vorzeitig zur Erde umgekehrt sein muss.

 

Ross kann sich nicht erklären, was wirklich geschehen ist. Bald darauf stellt er jedoch fest, dass die Straßen, sein Haus und alle Schriften auf Etiketten, Plakaten und Büchern spiegelverkehrt sind. Er schlussfolgert, dass er sich wirklich auf dem neuentdeckten Planeten befindet, dieser jedoch ein exaktes Spiegelbild der Erde darstellt – und dass es auf die­ser Spiegel-Erde ebenfalls eine Eurosec gibt, die spiegelbildliche Pendants von ihm und Kane mit einer spiegelbildli­chen Phoenix zur anderen Erde ge­schickt hat . . .

 

Absurdes Weltraumabenteuer mit einem gerüttelt Maß von 2001-Anleihen

 

Unfall im Weltraum ist ein opulenter und in grelle Farben getauchter Raumfahrtfilm, der zwar eine absurde Prämisse hat und nicht gerade den Verstand herausfordert, aber mit schönen Sets, erstklassigen Spezialeffekten und einem an­genehm hohen Erzähltempo punktet. Freilich ist der unterhaltsame Film auch mit massiven Schwächen belastet. Unbe­holfen wirkt das gelegentliche Bemühen, Stanley Kubricks Meisterwerk 2001: Odyssee im Weltraum (1968) nachzu­ahmen, das ein knappes Jahr zuvor die Science-Fiction im Kino revolutionierte, und es überrascht nicht, dass der pro­saische und trotz aller großspurigen Gebärden aussagelose Unfall im Weltraum nicht an das blendende Vorbild heran­zureichen vermag. Leider weiß der Film nichts mit seiner kühnen Prämisse anzufangen und hält sich mit mehre­ren Ne­benhandlungen auf, die alle im Sande verlaufen und nichts zum Film beitragen. Alles wirkt ein wenig klotzig und aus Versatzstücken unpassend zusammengesetzt, bis hin zur viel zu pompösen Filmmusik von Barry Gray. So war die da­malige Filmkritik auch alles in allem wenig begeistert.

Szenenfoto aus dem Film "Unfall im Weltraum" (Doppelgänger/Journey to the Far Side of the Sun, GB 1969) von Robert Parrish; Ian Hendry und Roy Thinnes
John Kane (Ian Hendry, links) und Glenn Ross (Roy Thinnes) an Bord der "Phoenix" auf dem Weg zur Spiegel-Erde

Unfall im Weltraum ist eine Produktion von Gerry (1929–2012) und Sylvia Anderson (1927–2016), dem britischen Ehe­paar, das in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren eine ganze Reihe abenteuerlicher Science-Fiction-Serien und -Filme erschuf. Anfangs produzierten die Andersons Science-Fiction-Fernsehserien für Kinder, in denen Marionet­tenpuppen in Modellbau-Bühnenbildern die Rollen spielten und ein bunter Spielwarenladen von utopischen Fahr- und Flugzeugmodellen aller Art zum Einsatz kam. Den Anfang machten Torchy the Battery Boy (1957) und The Adventures of Twizzle (1957); später folgten Four Feather Falls (1960), Supercar (1959/60), Firefall XL5 (1962/63) und Stingray (1962/64). Besonders erfolgreich waren die Serien Thunderbirds (1964–66), Captain Scarlet and the Mysterons (1967) und Joe 90 (1968). Mit The Secret Service (1969) fand das Andersonsche Puppenspiel vorläufig ein Ende, und das Ehe­paar wechselte in die Produktion von Science-Fiction-Fernsehserien mit echten Schauspielern. Es entstanden die kostspieligen, technisch superben Serien U.F.O. (1969) und Mondbasis Alpha 1 (1975/76), die nach über 40 Jahren von vielen Fans noch immer nostalgisch geliebt werden.

 

Unfall im Weltraum war der Versuch der Andersons, zum ersten Mal einen ambitionierten Live-Action-Kinofilm für ein erwachsenes Publikum zu produzieren. Der Film gilt in gewisser Weise als „Vorläufer“ für die U.F.O.-Serie, da in der Se­rie viele Schauspieler, allen voran Ed Bishop (1932–2005), sowie Props, Kostüme und musikalische Versatzstücke des Kinofilms wiederkehrten bzw. wiederverwendet wurden. Die Planungen für den Film, der in Großbritannien den ur­sprünglichen, griffigen Titel Doppelgänger und in den USA den Titel Journey to the Far Side of the Sun erhielt, began­nen im Sommer 1967. Damals war Manager Jay Kanter (geb. 1926) nach England gereist, um einen europäischen Pro­duktionszweig der Universal-Studios zu etablieren, und hatte signalisiert, dass er bereit sei, Gelder für gute Filmideen bereitzustellen. TV-Mogul Lew Grade (1906–1998), langjähriger Hauptfinancier der Andersonschen Fernsehproduktio­nen, stellte daraufhin den Kontakt zwischen den Andersons und Kanter her, und Gerry Anderson unterbreitete Kanter seine bereits seit Längerem ausgeheckte Idee von einem Science-Fiction-Film über einen unentdeckten Planeten auf der anderen Seite der Sonne. Kanter war zwar bis zuletzt von den immer wieder überarbeiteten Drehbuchentwürfen nicht vollends überzeugt, doch unter der Bedingung, dass dem erfahrenen Hollywood-Regisseur Robert Parrish (1916–1995) die Regie übertragen werde, willigte Universal schließlich in das Projekt ein.

Szenenfoto aus dem Film "Unfall im Weltraum" (Doppelgänger/Journey to the Far Side of the Sun, GB 1969) von Robert Parrish; futuristisches Auto
Die Andersonsche Liebe zu futuristischen Fahrzeugen und Gadgets konnte sich auch in diesem Film reichlich austoben

Die Dreharbeiten dauerten von Juli bis Oktober 1968 und fanden zum größten Teil in den Pinewood Studios bei Lon­don statt. Die Außenaufnahmen entstanden in Hertfordshire sowie in Albufeira in Portugal, während die Spezialeffekte und Miniaturaufnahmen in den Century 21 Studios in Slough in Berkshire realisiert wurden, wo zuvor schon die Pup­penserien der Andersons gefilmt worden waren. Zwischen Gerry Anderson, Robert Parrish und dem Kameramann John Read (1920–2006) kam es über Details bei der Inszenierung häufig zu bitteren Meinungsverschiedenheiten. Anderson setzte sich stets durch und verleidete Parrish und Read gehörig den Spaß an der Arbeit. Dem Film merkt man die künstlerischen Unstimmigkeiten zwar nicht an, doch die Universal-Granden waren dennoch lange unschlüssig, was sie von dem Endprodukt halten sollten. Sie verschleppten die Veröffentlichung um viele Monate. Als der Film endlich En­de August 1969 in den USA und Anfang Oktober 1969 in Großbritannien in die Kinos kam, erhielt er nur mäßige Kritiken und floppte an den Kinokassen. In Deutschland schaffte es der Film gar nicht erst ins Kino und wurde stattdessen im Januar 1971 erstmals im Fernsehen ausgestrahlt.

 

Bei aller Kritikerhäme gegen Unfall im Weltraum ist der Film auch ein schönes Beispiel für die in der Filmkritik weit ver­breitete Bequemlichkeit, die Floskeln anderer wiederzukäuen. Denn eine der am häufigsten zu lesenden Schmähungen ist die spöttische Behauptung, dass der Film nur eine weitere Gerry-Anderson-Puppenspielshow sei, in der lediglich die Marionetten durch echte Schauspieler ersetzt worden wären. Zuletzt griff der ansonsten stets verlässliche Scien­ce-Fiction-Kritiker Glenn Erickson zu dem Klischee, dessen Bart mindestens bis hinter die Sonne reicht:

 

Der Film ist eine Gerry- und Sylvia-Anderson-Produktion, ihre erste Live-Action-Bemühung fürs Kino. Unglücklicherweise wurde sie fast genauso wie eine ihrer Marionetten-Shows gestaltet. [ . . . ] Regisseur Robert Parrish [ . . . ] muss gegen zu viele nicht kontrollierbare Elemente in dieser Show angerannt sein – namentlich gegen Produzenten, die jedes Detail diktierten, als ob alle Schauspieler Fäden an ihren Köpfen und Armen hätten. (DVD Savant, Rezension vom 27. Juni 2008)

 

Sylvia Anderson kommentiert den notorisch witzlosen Spott so:

 

Es war nur zu leicht, unsere echten Schauspieler mit unseren Puppen zu vergleichen, und Kennzeichnungen wie „hölzern“, „aus­druckslos“, „keine Fäden befestigt“ und „puppenähnlich“ waren billige Angriffe, die sich manche der britischen Kritiker nicht ver­kneifen konnten [ . . . ] Schubladendenken ist des Faulen Freund, und Junge, was wurden wir in Schubladen gesteckt in Großbri­tannien. (My Fab Years! Sylvia Anderson, Neshannock/Pennsylvania 2007, S. 65)

 

In Wirklichkeit gehen die Schauspielleistungen in Unfall im Weltraum vollkommen in Ordnung, und für Defizite des Drehbuchs können die Schauspieler nichts. Gewiss, die zweidimensionalen Klischeefiguren sind melodramatisch über­zeichnet und grenzen bisweilen ans Hysterische, und ihre peitschenknallenden Dialoge übersteigen nie das Niveau infantiler Comichefte. Das Drehbuch bemüht sich zwar in Ansätzen, den Charakteren etwas Tiefe zu geben, so in der Thematisierung von Glenn Rossʼ zerrütteter Ehe oder in der Anbahnung einer romantischen Liason zwischen Ross und der blonden Eurosec-Mitarbeiterin Lisa Hartmann, doch werden diese Fäden nicht weitergesponnen und erbringen für den Film kaum mehr als ein paar melodramatische Farbtupfer und das Auffüllen der Laufzeit. Auf der anderen Seite muss fairerweise eingeräumt werden, dass die Figuren auch nicht zweidimensionaler und klischeebelasteter sind als in vielen anderen Science-Fiction-Filmen auch.

Szenenfoto aus dem Film "Unfall im Weltraum" (Doppelgänger/Journey to the Far Side of the Sun, GB 1969) von Robert Parrish; die "Phoenix" über der Spiegel-Erde
Das kleine Landeschiff verlässt über der Spiegel-Erde das Mutterschiff "Phoenix"

Ohne Fehl und Tadel sind dagegen die Miniaturen und Spezialeffekte von Derek Meddings (1931–1995), der zuvor schon für die meisten Puppenshows der Andersons tätig gewesen war und später die Miniaturen und Spezialeffekte in zahlreichen James-Bond-Filmen, in Superman I–III (1978–1983) und in Tim Burtons Batman (1989) realisieren sollte. In Unfall im Weltraum sind sehr schöne und lebensecht wirkende Modelle von Raketen, Raumschiffen und Flugzeugen zu bewundern, und auch die Szenenhintergründe vom Weltraum und den Planeten sind hervorragend gelungen. Beson­ders hervorzuheben ist der spektakuläre Start der mächtigen Rakete, die die Phoenix ins All trägt, mitsamt gleißender Rückstoßflamme, Rauchwolken und bebendem, langsamem Abheben. Das Modell der Rakete war stattliche 1,80 m hoch, und ihr Start wurde auf dem Außengelände der Century 21 Studios aufgenommen, um einen realen Himmel als Hintergrund zu haben. Die Szene ist so hervorragend gelungen, dass sie sich beinahe mit den Aufnahmen wirklicher startender Saturn V-Raketen messen lassen kann.

 

Ein weiterer positiver Zug des Films ist der Versuch, eine glaubwürdige Vision von der Welt von morgen zu präsentie­ren – freilich aus der Perspektive des Jahres 1969. Gerry Andersons Zukunft gibt sich als grellbunter Sixties-Futurismus, mit postmodernen Glas- und Betongebäuden, stromlinienförmigen Autos, die flach und ausladend über die Straßen gleiten, und Flugzeugen, deren Passagierabteile sich nach der Landung vom Trägersystem ablösen und auf Rädern zum Terminal fahren, um dort anzudocken. Das alles mag rührend technikvernarrt sein und in seiner Fortschrittsgläu­bigkeit schon 1969 naiv und altmodisch gewirkt haben. Nichtsdestotrotz ist die Darstellung einer nahen zukünftigen Welt, in der vieles bekannt und manches neu, aber doch vorstellbar erscheint, einem Science-Fiction-Film aller Ehren wert und etwas, dass seinerzeit nicht viele Filme taten.

 

Der Film beginnt wie ein klassischer Spionagethriller: Der feindliche Agent Dr. Hassler spioniert mit einer Mikrokamera in seinem künstlichen Augapfel geheime Unterlagen über die Sonnensonde der Eurosec aus. Mit dem Auftakt des Films korrespondiert der elegante Vorspann à la James Bond: Close-Ups von ratternden Computern und Kugelkopf-Schreibmaschinen, samtrote Hintergründe und ruhige, klare Schrifttypen. Der Spionageplot, an sich hübsch aufgezo­gen, wird jedoch im Verlauf des Films nicht mehr weiterverfolgt, sondern dient nur als Argument, mit dem Jason Webb, der Chef der Eurosec (Abk. für „European Space Exploration Council“), den skeptischen Vertreter der USA vom geplanten Flug zum neuentdeckten Planeten überzeugt. Jason Webb ist eine Reinkarnation von Bernard Quatermass, dem kaltschnäuzigen Raketeningenieur, dem der wissenschaftliche Fortschritt über alles geht. Das Klischee gerinnt hier fast zur Karikatur. In Webb manifestiert sich außerdem derselbe illusorische Patriotismus, der in englischen Scien­ce-Fiction-Filmen der Fünfziger- und Sechzigerjahre immer wieder begegnet. So ist selbstverständlich Großbritannien die Führungsmacht in der europäischen Raumfahrt und damit auch die treibende Kraft in der Planung des Fluges zum neuentdeckten Planeten, neben der die übrigen Europäer und sogar die Amerikaner nur zu nützlichen Idioten, sprich: Geldgebern herabsinken.

Szenenfoto aus dem Film "Unfall im Weltraum" (Doppelgänger/Journey to the Far Side of the Sun, GB 1969) von Robert Parrish; die "Phoenix" auf ihrem Startfeld
Die Trägerrakete vor dem Start. Die Modellbauten und Effekte von Derek Meddings sind über jeden Zweifel erhaben

Später entlehnt der Film Elemente aus Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968), allerdings nur, weil sie sich schön auf der Leinwand machen – ihre ursprünglichen Sinngehalte spielten dagegen keine Rolle mehr. Während die Astronauten auf ihrem Weg zur Spiegel-Erde in künstlichem Tiefschlaf versetzt sind, träumen sie schillernd-bunte Far­benspiele, unterlegt mit ätherischer Musik. In 2001 symbolisierte der psychedelische Farbenrausch die Passage des As­tronauten Bowman durch ein Sternentor, an einen anderen Ort der Raumzeit und mithin in eine höhere Daseinsebene, markiert somit den Kern der Philosophie von Kubricks Film. In Unfall im Weltraum ist daraus nicht mehr als ein bunter Bilderreigen geworden, dessen einzige Relevanz im Verstreichen der Zeit liegt: Als die Astronauten aufwachen, tragen sie plötzlich Bärte.

 

Später rührt Gerry Anderson einen Schuss Paranoia in sein Drehbuch und sorgt dafür, dass Glenn Ross auf der Spiegel-Erde von der Eurosec gewaltsam unter Wahrheitsdrogen gesetzt wird. Die extremen Close-Ups von Glenns Augen sind ebenfalls unverkennbar aus 2001 „geklaut“, doch während Bowmans blinzelndes Auge in 2001 fortwährend eine neue, nie zuvor gesehene Realität wahrnimmt, die Kubricks Film surrealistisch andeutet, sieht Ross unter dem Einfluss der Wahrheitsdroge nur ein verzerrtes Bild seiner Peiniger, vermischt mit Flashbacks dessen, was geschehen ist. Schließ­lich ist die letzte Szene des Films, die einen gealterten, schicksalsgebeugten Jason Webb zeigt, der in seiner Verwir­rung mit seinem Rollstuhl in einen Wandspiegel fährt und dabei vermutlich sein Ende findet, ein hohler Abklatsch des verrätselten Schlusses von 2001, in dem Bowman altert und stirbt. In 2001 ist die Schlussszene Ausdruck einer Transfor­mation – Bowman wird in das frei im All schwebende Sternenkind überführt. In Unfall im Weltraum hingegen ist die Schlussszene nur dröhnender, melodramatischer Unsinn.

 

Das Hauptmanko des Films liegt in der plumpen Handhabung seiner Grundidee, die absolut unglaubwürdig daher­kommt und überdies zu keiner Aussage findet. Die Vorstellung einer Spiegel-Erde ist an und für sich interessant und ent­spricht der alten Lehre, nach der die Science-Fiction mutig spekulieren, die Grenzen des Bekannten und Erwartba­ren überschreiten und neue Perspektiven aufschließen sollte. Allerdings sind die wissenschaftlichen Aspekte der Spie­gel-Erde in Unfall im Weltraum völlig unglaubwürdig. Wären die Raumfahrer beispielsweise während ihres Fluges in eine andere Dimension – in ein Paralleluniversum – geraten, wo sie dann ein perfektes Spiegelbild der Erde entdeckt hät­ten, wäre die Prämisse des Films ohne Weiteres akzeptabel gewesen. Aber eine Spiegel-Erde in demselben Univer­sum und auf demselben Orbit, auf dem sich unsere, die „echte“ Erde bewegt, ist schlichtweg absurd und völlig unmög­lich. Gary K. Wolf hat das Problem in seiner ausführlichen Besprechung des Films in Science Fantasy Film Classics 4 (Okto­ber 1978) trefflich illustriert:

 

Damit die Geschichten der beiden Planeten perfekt parallel sein können, hätte jeder Meteor und Komet, der jemals ins Sonnen­system eingedrungen ist, seine Entsprechung in einem identischen Meteor oder Kometen gehabt haben müssen, der eine iden­tische Bahn auf der anderen Seite der Sonne gezogen haben müsste. Jede große Sonneneruption hätte ihre identische Entspre­chung auf der anderen Seite der Sonne haben müssen. Jedes himmlische Ereignis, das von der Erde aus sichtbar war, wie bei­spielsweise eine Supernova, hätte sein identisches himmlisches Ereignis haben müssen, das von der anderen Erde aus sichtbar gewesen wäre. Warum? Weil jedes dieser Geschehnisse einen Einfluss auf die Entwicklung unserer planetaren Geschichte gehabt haben müsste, und damit der andere Planet dieselbe Geschichte hat, hätte jedes Ereignis in der Sekunde, in der es geschieht, dort seine Entsprechung haben müssen. (SFFC 4, Okt. 1978, S. 55 f.)

 

Im Film bringt Glenn Ross eine Theorie vor, nach der alle Materie in „vollständiger Duplizität“ existieren könnte, womit scheinbar auch Wolfs Einwänden die Grundlage entzogen wäre. Allerdings hätte Glenn Ross rasch selbst dahinter kommen können, dass seine Theorie falsch sein muss. Würde sie nämlich stimmen, hätten auch alle anderen Planeten des Sonnensystems Spiegelbilder, die – da lässt die räumliche Geometrie des Sonnensystems keine Spielräume – zwangsläufig von der Erde aus beobachtbar sein müssten. Und überhaupt: Wo ist nach dieser Theorie das Spiegelbild der Sonne zu denken?

Szenenfoto aus dem Film "Unfall im Weltraum" (Doppelgänger/Journey to the Far Side of the Sun, GB 1969) von Robert Parrish; Start der "Phoenix"
Der Start der Trägerrakete der "Phoenix" ist absolut spektakulär inszeniert – eine Sternstunde der Tricktechnik

Manche Kritiker haben bemängelt, dass die Spiegel-Erde uninteressant sei, da sie sich praktisch in nichts außer ihrer perfekten Spiegelbildlichkeit von der Erde unterscheidet. Eine Parallel-Erde, die in Details von der echten Erde ver­schieden ist, wie sie etwa in der Erde-2 im Multiversum der Superman-Comics begegnet oder den Clou der Twilight Zone-Episode “The Parallel” von Rod Serling ausmachte, wäre dagegen vorzuziehen gewesen. Nun, möglicherweise. Doch auch ein exaktes Spiegelbild der Erde hätte womöglich mehr erzählerisches Potenzial geboten, als hier entfaltet wird. Gary K. Wolf hat hierfür ein schönes Beispiel im Film ausgemacht:

 

Ein Verdienst muss dem Film hier zuerkannt werden. Es gelingt ihm, das Bild eines Mannes zu kreieren, der seiner eigenen Welt entfremdet ist. Der Film zeigt, dass dieselben politischen und wissenschaftlichen Köpfe, die den Mann auf seine Mission ge­schickt haben, plötzlich kalt und totalitär auftreten, sobald sie glauben, dass er lüge. Die Befragungsszene, in der Roy Thinnes in einem metallischen Amphitheater sitzt, die Fragensteller auf jeder Seite von ihm, erzeugt ein wahres Gefühl von Dystopie, gera­de dann, wenn wir feststellen, dass diese Gesellschaft im Grunde nicht anders ist als jene, von der er kam, welche hinwiederum im Grunde nicht anders ist als unsere eigene. (SFFC 4, Okt. 1978, S. 57)

 

Allerdings schränkt Wolf die Signifikanz dieser Dystopie zu Recht auch wieder ein, wenn er sie in Unfall im Weltraum als ein weiteres sinnentleertes Klischee entlarvt:

 

Eine gängige Idee in der Science-Fiction ist die des Individuums, das von der Gnade eines kalten, mechanischen, totalitären Staates abhängig ist. Wie ich bereits anmerkte, ist dieses Thema in der Befragungsszene mit ihrem Bühnenbild des metallischen Befragungsraums hübsch dargestellt, aber das Thema wird nicht weiter entwickelt, und es ist schwierig, dieses Bild mit dem Faktum in Einklang zu bringen, dass diese Gesellschaft ununterschieden ist von der scheinbar nicht-autoritären Gesellschaft, von der Roy gekommen ist. (ebda., S. 67)

 

Die Macher des Films haben die Möglichkeiten des dystopischen Themas in dieser Szene nicht einmal erkannt. Sie reihten einfach Science-Fiction-Klischee an Science-Fiction-Klischee, ohne sich um irgendwelche Aussagen zu küm­mern – und verschenkten damit jedes inhaltliches Potenzial, das eine Spiegel-Erde geboten hätte.

 

Stattdessen setzt der Film ganz auf abenteuerliche Action. Nach der Ankunft der Raumfahrer auf der Spiegel-Erde dreht sich die Handlung nur noch eine Weile darum, wie Glenn Ross einen Weg findet, alle anderen von der Existenz einer zweiten Erde zu überzeugen. Nachdem ihm das gelungen ist, fliegt er mit einem Nachbau seines Landers zur Phoenix im Erdorbit, an die er andockt, wobei allerdings aufgrund der umgekehrten elektrischen Polarität der Spiegel-Erde der Lander beschädigt wird. Ross stürzt ein zweites Mal (!) ab und kracht passenderweise mitten in den Welt­raumbahnhof der Eurosec, sodass alle nicht länger benötigten Miniaturen in typisch Andersonscher Manier fröhlich in die Luft gejagt werden können.

Szenenfoto aus dem Film "Unfall im Weltraum" (Doppelgänger/Journey to the Far Side of the Sun, GB 1969) von Robert Parrish: die "Phoenix"
Die sehr schönen, sehr gut gelungenen Weltraumszenen gehören zu den Highlights von "Unfall im Weltraum"

Es ließen sich noch mehr Erbsen zählen, wenn man denn wollte. Warum beispielsweise erkennen Ross und Kane bei der Ankunft über dem neuen Planeten nicht, dass dieser wie die Erde aussieht? Warum geht Ross das Risiko ein, an der Phoenix anzudocken, obwohl er weiß, dass seinem Lander Kurzschlüsse drohen könnten? Die Science Fiction Times wandte ein, dass bei exakter Spiegelbildlichkeit beider Erden auch beide Phoenix-Raumschiffe auf halber Stre­cke miteinander hätten kollidieren müssen (vgl. Ronald M. Hahn/Volker Jansen, Lexikon des Science Fiction Films, 7. Aufl. 1997, S. 942). Dies versuchte ein Leser auf der (nicht mehr existierenden) Webseite Der neunte Planet zu entkräf­ten, indem er keine Ebenen-, sondern eine Punktspiegelung beider Erden mit der Sonne als Spiegelungspunkt postu­lierte. Letzten Endes führen diese Überlegungen zu weit und sind vielleicht auch ein wenig unfair, da es kaum einen Science-Fiction-Film gibt, der einer ähnlich kleinkarierten kritischen Befragung standhalten würde.

 

So bleibt der Eindruck zurück, dass Unfall im Weltraum die Potenziale seiner Idee nicht ausschöpft und der Film da­durch nur zu einem Schaukasten für Derek Meddings herausragende Miniaturen und Spezialeffekte wird. Als altmodi­scher Raumfahrtfilm und unbeholfener 2001-Klon mit anheimelnder, poppig bunter Sixties-Atmosphäre macht der Film allerdings dennoch unerwartet viel Spaß – heute wahrscheinlich mehr als damals, als der Film erfolglos im Kino lief. Solide Science-Fiction-Unterhaltung ohne größeren Tiefgang bietet der Film allemal.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 18. Mai 2019

Szenenfotos © Universal Pictures