Peter Osteried: Die Filme von Ray Harryhausen

Buchcover von Peter Osteried, "Die Filme des Ray Harryhausen" (2019, Verlag MPW)

Peter Osteried: Die Filme von Ray Harryhausen. 2019 erschienen im Verlag Medien Publikations- und Werbegesellschaft GmbH, Hille (MPW). Grafische Gestaltung des Buchs und des Umschlags von Frank Mertens. Großforma­tige, gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag, 264 Seiten.

 

Der in München lebende, seit über 20 Jahren freischaffende Autor Peter Osteried hat neben ungezählten Artikeln für verschiedene Print- und Online-Medien zu Film und Fernsehen eine beeindruckende Anzahl von Filmbüchern verfasst, unter anderem den prachtvoll gestalteten, großformatigen Band Die Filme von Jack Arnold (2012). Der in seiner hoch­wertigen Aufmachung, grafischen Gestaltung und Gliederung praktisch identisch gestaltete Band Die Filme von Ray Harryhausen (2019) schließt unmittelbar an das Jack-Arnold-Buch an: Beide Bücher behandeln hochverehrte Ikonen des älteren Science-Fiction- und Fantasy-Films.

 

Ebenso wie Peter Osterieds Buch über Jack Arnold (1916–1992) war auch sein nun vorgelegtes Buch über Ray Harryhau­sen (1920–2013), den Großmeister der Stop-Motion-Filmtechnik, längst überfällig, denn etwas Vergleichbares gab es im deutschsprachigen Raum bisher nicht. Das auf 1750 Exemplare limitierte Werk begeistert mit seiner pracht­vollen Aufmachung: Ein großformatiger, schwerer, gebundener Band mit 264 Hochglanzseiten, der Seite für Seite überaus reichhaltig mit Filmaushangfotos, Filmplakaten, Szenenfotos, PR-Aufnahmen und Fotos von Harryhausens Kamera- und Miniatursets in perfekter Druckqualität bebildert ist. In erster Linie ein Bildband, ließe sich nun urteilen, doch das ist zu kurz gegriffen. Denn der Autor stellt den Bildern versierte Texte an die Seite, die jeden Film detailliert dar­stellen.

 

Das Buch beginnt mit einer zehnseitigen, sehr interessanten Biografie von Ray Harryhausen, die seine Herkunft und das filmische Schaffen Harryhausens nachzeichnet. Daran schließt sich der Hauptteil des Buches an, die Besprechung der chronologisch geordneten Spielfilme, an denen Ray Harryhausen beteiligt war, beginnend mit Panik um King Kong (Mighty Joe Young, 1949) bis zu seinem letzten Film Kampf der Titanen (Clash of the Titans, 1981) – insgesamt 16 Filme, von denen mindestens fünf oder maximal acht Filme dem Science-Fiction-Genre zuzuordnen sind (je nachdem, wie eng man den Begriff „Science-Fiction-Film“ eingrenzt). Jeder Abschnitt zu einem Film beginnt zunächst mit einem kur­zen Abriss der „Story“, setzt mit der ausführlichen Erzählung der „Produktionsgeschichte“ fort und schließt mit einem persönlichen „Kommentar“ des Autors, also einer Kritik des Films. Dem Haupttext werden zahlreiche Kurzbiografien über die Stars, Regisseure, Produzenten oder Drehbuchautoren der Filme an die Seite gestellt.

 

In den bewertenden Kommentaren zeigt sich besonders, dass Osteried hier als Fan für Fans schreibt: Er findet in fast allen Filmen überschwängliches Lob für die ausgefeilten Stop-Motion-Tricks Harryhausens und stellt mehr als einmal fest, dass die Tricks bis heute einen besonderen „Charme“ bewahrt hätten – eine Meinung, der ich mich durchaus an­schließe. Dass manche von Harryhausens Filmen dramaturgisch aber auch große Schwächen aufweisen, wird hingegen eher selten eingeräumt. Das allerdings ist kein Beinbruch, ist doch letztlich jeder Zuschauer sein eigener Kritiker und macht sich sein eigenes Bild von den Filmen. Dass allerdings die Lektüre von Osterieds Buch den brennenden Wunsch schürt, all diese Klassiker des fantastischen Films wieder einmal anzuschauen – viele Filme dürften Osterieds Leser, so wie ich, sicherlich bereits in ihrer DVD- und Bluray-Sammlung haben –, ist unbestreitbar, und schon das allein ist ein Pluspunkt des Buchs.

 

Das Buch schließt mit einem Kapitel über „Unverfilmte Projekte“ von Ray Harryhausen, das jedes dieser Projekte in einem knappen Abschnitt vorstellt, und einem sehr interessanten Kapitel über die „Stop-Motion: Eine Historie“, das die Geschichte dieser Tricktechnik von ihren Anfängen Ende des 19. Jahrhunderts bis zu ihrem Ende in den Neunziger­jah­ren, als CGI die Stop-Motion endgültig verdrängte, nachzeichnet. Der Anhang bietet leider nur einen Personenindex und eine knappe Bibliografie der verwendeten Literatur.

 

Peter Osteried schreibt flüssig und unterhaltsam, und die Produktionsgeschichten der einzelnen Filme – der Kern sei­ner Texte – sind gut recherchiert. Manchmal stößt man zwar auf Widersprüchliches zu dem, was man schon anderswo über diesen oder jenen Film gelesen hat. Aber wer in Rechnung stellt, dass die meisten „Fakten“ der Produktionsge­schichten letztlich auf Interviews der damals an den Filmen Beteiligten beruhen und interviewte Stars, Regisseure und Effektekünstler sich in ihrer Erinnerung nicht selten irrten oder widersprachen oder ihren persönlichen Anteil an der Produktion manchmal etwas übertrieben, den können diese Unschärfen und Widersprüche nicht weiter verwundern. Durch Recherche, die sich allein auf publiziertes Material stützt, zu einer definitiven Antwort im Detail zu gelangen, ist aufgrund fehlender Kriterien der Verifizierung fast unmöglich. So sieht eben die Filmwissenschaft oft aus: Sie steht aufgrund unzuverlässiger Quellen oft auf tönernen Füßen.

 

Ein gutes Beispiel hierfür ist eine Anekdote über Panik in New York (1953) und die berühmte Szene, in der der Rhedo­saurus in der Nacht einen Leuchtturm umwirft und völlig zerstört. 2003 hatten Ray Harryhausen und Ray Bradbury in einem Special, das auf der DVD zum Film als Bonus enthalten ist, über diese Szene gesprochen. Ray Harryhausen er­zählte, dass der Produzent des Films Jack Dietz ihm eines Tages, kurz nachdem Harryhausen zu dem Filmprojekt dazu­gestoßen war, eine Ausgabe der Saturday Evening Post gab. Die Ausgabe enthielt eine Kurzgeschichte über einen Di­nosaurier, der einen Leuchtturm zerstört, und Dietz wünschte offenbar, dass diese Szene auch in seinem Film zu sehen ist. Harryhausen war verdutzt, dass die Story von seinem alten Freund Ray Bradbury stammte, fügte sich allerdings, und so fand die Szene Eingang in das Drehbuch. Ray Bradbury erzählte weiter, dass er wenig später ins Studio eingela­den und gebeten wurde, das Drehbuch zu lesen und eventuell zu überarbeiten. In der Leuchtturmszene erkannte Bradbury sofort seine Kurzgeschichte wieder und erklärte dies auch dem Produzenten, der sich verdutzt gab. Am nächsten Tag erhielt Bradbury ein Telegramm, in dem die Produzenten Bradbury zusicherten, die Filmrechte an der Story zu kaufen.

 

Aus dieser Anekdote ist zu schließen, dass Jack Dietz die Einladung an Bradbury vermutlich deshalb veranlasst hatte, weil er juristische Scherereien scheute und Bradbury testen wollte, ob dieser seine eigene Kurzgeschich­te im Dreh­buch wiedererkennen würde. Als dies geschah, kaufte Dietz die Rechte für 2.000 Dollar, taufte den Film auf den Titel von Bradburys Geschichte um und setzte anschließend Ray Bradburys Name massiv in der Werbung zu dem Film ein. Nichtsdestotrotz bleibt diese Überlegung Spekulation.

 

Eine weitere Seltsamkeit fällt an der Geschichte auf: Nach Peter Osteried (S. 37) war bereits im 14-seitigen Outline für ein künftiges Drehbuch, das Ray Harryhausen von Jack Dietz erhielt, die Szene mit dem Leuchtturm enthalten. Das spricht dafür, dass Dietz die Leuchtturmszene unbedingt in seinem Film haben wollte und dass sie Dietz vielleicht überhaupt erst zu seinem Filmprojekt, das anfangs noch The Monster from Beneath the Sea hieß, inspirierte. Mögli­cherweise hat Dietz selbst, vielleicht gemeinsam mit seinem Koproduzenten und Geschäftsteilhaber Hal E. Chester, das Outline verfasst. Bradburys Kurzgeschichte ist immerhin ein gutes Jahr vor Produktionsbeginn, im Juni 1951, in der Saturday Evening Post erschienen, sodass Dietz’ Entschluss, die Kurzgeschichte Ray Harryhausen in die Hände zu drücken, wahrschein­lich nicht aus der spontanen, begeisterten Lektüre der Kurzgeschichte entstanden sein kann.

 

Wie man sieht, bestehen meine Ausführungen zu einem erheblichen Teil aus Spekulationen und Unklarheiten. Mit wem genau zum Beispiel hatte Bradbury damals im Filmstudio gesprochen? Mit Jack Dietz? Mit Hal Chester? Mit bei­den? Mir sind schon in verschiedenen Darstellungen alle drei Versionen begegnet; genau zu wissen scheint es nie­mand. Die Frage lautet also: Was macht man aus so vielen Unwägbarkeiten, wenn man als Autor über die Produktions­geschichte ei­nes Films schreiben will? Dieses Problem ist vermutlich die größte Schwierigkeit für Autoren, wenn sie über Hinter­gründe von Filmproduktionen schreiben wollen – das gilt für mich selbst hier auf Astron Alpha wie mit Sicherheit auch für Peter Osteried.

 

Im Falle der Leuchtturmszene umschifft Osteried das Problem, indem er einfach feststellt, dass Jack Dietz „zu der Zeit“ (d. h. im Sommer 1952!) in der Saturday Evening Post auf Bradburys Story stieß (was nicht angehen kann, da sie im Juni 1951 in der Post erschien), von der Story begeistert war und eine ähnliche Szene in seinem Film haben woll­te; deshalb habe er Bradbury kurzerhand die Filmrechte abgekauft (S. 39). Die Anekdote, dass Bradbury zunächst von den Produ­zenten getestet wurde, ob er denn seine Story im Drehbuch wiedererkennen würde, erwähnt Osteried mit kei­nem Wort. Auch auf die Merkwürdigkeit, dass bereits im Outline von The Monster from Beneath the Sea die Leucht­turm­szene enthalten ist (S. 37), geht Osteried nicht ein, sodass hier eine Diskrepanz in der Darstellung entsteht, die für den Leser nicht aufgelöst wird (komplett falsch ist die Geschichte von Panik in New York dagegen in Harryhau­sens Biogra­fie auf S. 9 wiedergegeben, wo der Film dem Produzenten Charles Schneer zugeschrieben wird).

 

Hier und da fallen auch andere kleinere Fehler auf, etwa auf S. 237, wo Osteried es versäumt zu erwähnen, dass Ray Harryhausen für sein nie verwirklichtes Projekt The War of the Worlds nicht nur gezeichnete Entwürfe, sondern auch Stop-Motion-Testaufnahmen (in Farbe!) animiert hat. Schwerwiegender als die inhaltliche Erbsenzählerei empfinde ich jedoch den mangelhaften Fließtext. Das Buch ist leider gespickt mit Tippfehlern oder unvollendeten oder verdrehten Satzkonstruktionen, was dem Lesefluss doch erheblich abträglich ist. Das Buch hätte dringend eines versierten Lekto­rats bedurft, das wohl aus Kosten- oder Termingründen unterblieb. Schade.

 

Trotz der Detailkritik ist Peter Osterieds Die Filme von Ray Harryhausen ein hochwillkommenes, wunderschön gestal­tetes Buch, in dem man voller Genuss blättert, liest und zu den einzelnen Filmen auch nachschlägt. Für jeden Nostalgi­ker, der die Stop-Motion-Filme von Harryhausen liebt und danach trachtet, mehr über diese Filme zu erfahren, ist das Buch vollauf zu empfehlen. Wenn man es aufschlägt, liest man sich unweigerlich fest – versprochen.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 28. April 2019