Stanisław Lem: Fiasko

Buchcover des Romans "Fiasko" von Stanislaw Lem (S. Fischer Verlag 1986)

Science-Fiction-Roman. 1986 im S. Fischer Verlag (Frankfurt/Main) erschienen, in deutscher Übersetzung von Hubert Schumann; unter dem Titel Das Fiasko erschien Schumanns Übersetzung auch im Verlag Volk und Welt (Berlin/DDR). Die polni­sche Originalfassung mit dem Titel Fiasko erschien 1987 im Verlag Wydawnictwo Litera­ckie (Krakau). Vorliegend ist die Erstausgabe des S. Fischer Verlags. Leinenge­bunden mit Schutzumschlag, 432 Seiten.

 

Der 28-jährige Raumschiffpilot Angus Parvis landet im 21. Jahrhundert auf einem Raumhafen auf dem Saturnmond Titan. Er wurde durch ein Missverständnis dorthin gelotst, denn eigentlich hatte er mit seiner technischen Fracht auf der Bergbaubasis „Gral“ etwa 180 Kilometer entfernt landen sollen. Als Parvis von den Fluglotsen des Raumhafens er­fährt, dass vor Kurzem sein Lehrmeister Pirx in der „Depression“, einem geologisch komplexen, unwegsamen Gelände zwischen dem Raumhafen und dem „Gral“, mit einem „Großschreiter“, einer turmhohen, roboterartigen Maschine, ver­schollen ist, entschließt er sich, Pirx zu retten. Parvis begibt sich selbst mit einem Großschreiter in die „Depression“, in der vor Pirx auch noch einige andere Astronauten in Großschreitern spurlos verschwunden waren. Nach einem langen Marsch stößt Parvis auf das verlassene Wrack eines Großschreiters, wird sofort darauf jedoch von einem verheerenden Geysir überrascht. Seine einzige Chance ist der im Großschreiter eingebaute Notfall-Mechanismus der „Vitrifikation“: eine brutale, schlagartig vollzogene Schockgefrierung des Körpers, an die sich die Hoffnung knüpft, dass künftige Ge­nerationen den so Eingefrorenen vielleicht einmal wiederbeleben können.

 

Etwa 100 Jahre später befindet sich das interstellare Ramjet-Raumschiff Eurydike auf dem Weg in das Sternbild Har­pyie. Auf Quinta, dem fünften Planeten des Sterns Zeta Harpyie, hat man Anzeichen von intelligentem Leben ent­deckt, mit dem die Mission in Kontakt treten will. Vor dem Start des gigantischen Schiffes, das im Orbit um den Titan gebaut wurde, hatte man noch in aller Eile mehrere vitrifizierte Leichen auf das Schiff gebracht, die man kurz zuvor auf dem Titan entdeckt hatte. Die Ärzte der Eurydike können jedoch nur einen der Körper wiederbeleben – die anderen sind zu zerstört. Da der Wiederbelebte sich nicht mehr an seine eigene Identität erinnern kann (man weiß lediglich, dass sein Nachname mit einem P begann), wird ihm kurzerhand der neue Name Mark Tempe gegeben.

 

Wenige Lichtjahre vor dem Ziel wird das Kundschafterschiff Hermes abgesetzt, auf dem auch Mark Tempe als Pilot mitreist, während das Mutterschiff Eurydike in den Falten der Raumzeit-Schwingungen eines Schwarzen Lochs ein­taucht, um dort während der weiteren Dauer der Mission zu verharren. Im Zeta-Harpyie-System gestaltet sich die Kon­taktaufnahme mit Quinta als viel schwieriger, als sich das alle Theoretiker der Mission zuvor ausgemalt hatten. Der Pla­net erzeugt ein überaus starkes Rauschen auf nahezu allen elektromagnetischen Frequenzen, das die drahtlose Kom­munikation praktisch unmöglich macht. Auf dem unbewohnten Mond von Quinta werden seltsame, nicht zu ergrün­dende technische Anlagen beobachtet. An Bord genommene quintanische Satelliten weisen Zerstörungen an den ein­gebauten Supraleitern auf, die von „Viroiden“, nanotechnologisch modifizierten Kleinstlebewesen, hervorgerufen wur­den. Als die Hermes über einen ausgesetzten eigenen Satelliten Laser-Botschaften an Quinta sendet, erhält sie keine Antwort. Eine unbemannte Landefähre wird über der Oberfläche von Quinta mit mehreren Raketen angegriffen und zerstört. Später greifen die Quintaner sogar die Hermes direkt an.

 

Es ist offensichtlich, dass die Quintaner keinen Kontakt mit den interstellaren Eindringlingen wünschen. Die Menschen an Bord der Hermes vermuten aufgrund aller beobachteten Indizien, dass auf Quinta seit mindestens einem Jahrhun­dert ein Kalter Krieg zwischen zweien oder mehreren verfeindeten Machtblöcken tobt. Der Kontakt zur technologisch höher entwickelten Menschheit könnte das empfindliche, von Misstrauen geprägte Kräftegleichgewicht auf Quinta stören und zu einem kriegerischen Schlagabtausch führen, der den gesamten Planeten vernichtet. Dennoch will Ster­gaard, der Kommandant der Hermes, angesichts der großen Ressourcen, die die Mission verschlungen hat, nicht auf­geben und die Quintaner mit Gewalt zur Kontaktaufnahme zwingen. Als „Demonstration der Stärke“ zersprengt die Hermes den Mond Quintas – mit unvorhergesehenen, verheerenden Folgen . . .

 

Kein Fiasko, aber auch kein Triumph

 

Der polnische Autor Stanisław Lem (1921–2006) gilt als einer der bedeutendsten Science-Fiction-Autoren aller Zeiten. Die Vielfalt der wissenschaftlich-spekulativen Ideen und philosophischen Fragestellungen, die die Werke des hoch­gebildeten Lem prägen, hatte in den Siebzigerjahren unter Kritikern und Literatur­wissenschaftlern die Hoffnung ge­schürt, dass Lem dem Science-Fiction-Genre auf literarische Gipfel verhelfen würde, auf denen es endlich die ersehnte Augenhöhe mit der „hohen“ oder „ernsten“ Literatur gewin­nen könnte. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht – und ist heute, da sich das Genre selbstbe­wusster denn je präsentiert und der bildungsbürgerliche Anspruch der „hohen“ Lite­ratur längst fragwürdig geworden ist, meines Erachtens auch obsolet. Denn auch Lem kocht nur mit Wasser: Bei aller Ehrerbietung gegenüber dem Autor sollte nicht vergessen werden, dass auch Lems Spekulationen – denen in der lite­raturkritischen Bewertung stets ein hohes Gewicht beige­messen wurde – neben allen korrekten Prognosen oft genug Hirngespinste geblieben sind, so wie bei vielen anderen Science-Fiction-Autoren auch. Lems spezifisch literarische Fähigkeiten aber lassen trotz seiner häufig einfallsreichen Me­taphorik und obsessiv kreierten Neologismen oft genug schmerzliche Grenzen erkennen.

 

Vor allem literarische Defizite offenbaren sich auch in Fiasko, Stanisław Lems letzten Science-Fiction-Roman. Das Buch entstand als Auftragsarbeit des S. Fischer Verlags, der dem Autor einen üppigen Vorschuss auf den Roman anbot, den Lem, damals aufgrund des in Polen herrschenden Kriegsrechts in Wien lebend, nur zu gern annahm. Nach Fiasko wand­te sich Lem ein für allemal von der Science-Fiction ab und wollte mit dem Genre, einem für ihn inzwischen hoffnungs­losen Fall, nichts mehr zu tun haben. Stattdessen widmete er sich in seinen letzten Lebensjahren ganz seiner anderen, immer schon gepflegten Leidenschaft, dem Verfassen philosophischer Schriften und Essays über die Zukunft unserer zunehmend technologisch geprägten Welt. Welche Motive im Einzelnen zur radikalen Abkehr vom Genre geführt ha­ben, mag dunkel bleiben. Man kann Fiasko als späte und ursprünglich unmotivierte Auftragsarbeit jedoch nicht vor­werfen, kein waschechter, konzeptionell durchdachter und engagiert verfasster Science-Fiction-Roman zu sein. Im Ge­genteil: Fiasko ist ein überaus typischer „Lem“. Doch leider trägt der Roman schwer an einer übermäßig ins Kraut ge­schossenen essayistischen Last, die seine Lektüre zu einer zähen Geduldsprobe werden lassen.

 

Das Grundkonzept von Fiasko ist überaus spannend: Es geht um die Frage, wie sich der Kontakt der Menschheit mit einer außerirdischen intelligenten Spezies gestalten würde – und ob überhaupt ein sinnvoller Informationsaustausch zwischen zwei Spezies, die beide aus jeweils völlig verschiedenen evolutionären Entwicklungen heraus entstanden sind, möglich ist. Bekanntlich hat Stanisław Lem diese Möglichkeit aufgrund des anthropomorphen Gefängnisses, in dem die menschliche Erkenntnisfähigkeit ihm zufolge steckt, stets sehr skeptisch beurteilt. In zahlreichen Werken hatte er sich mit dem Erstkontakt mit Außerirdischen beschäftigt, von denen Solaris (1961) gewiss das bekannteste und gelungenste ist. Interessanterweise finden sich in Fiasko eine Menge Motive und Konzepte, die Lem schon in sei­nen frühesten Science-Fiction-Romanen verwendet hatte. So bezeichnete Lem selbst Fiasko als eine von allem soz­realistischen Kitsch und aller Naivität entkleidete Revision seines zweiten Science-Fiction-Romans Gast im Welt­raum (1955) – der übrigens Jindřich Polák als Vorlage für seinen Film Ikarie XB 1 (CSSR 1963) gedient hatte. Auch dort reisen die Menschen mit einem gigantischen Sternenschiff zu einer außerirdischen intelligenten Spezies, die dort, wie in Fiasko, auf einem wolkenverhangenen „weißen Planeten“ zuhause ist. Auch in Gast im Weltraum verlaufen die Ver­suche der Kontaktaufnahme zunächst in sehr ähnlicher Weise katastrophal – die auf den weißen Planeten sich herab­senkenden Landeraketen werden von den Außerirdischen angegriffen und zerstört –, allerdings entlässt Lem dort sei­ne Leser mit einem offenen, eher hoffnungsvollen Ende. Die unabsehbaren fatalen Entwicklungen, in die sich die Men­schen verstricken könnten, sobald sie in das fremde und nicht verstandene politische System der besuchten Welt ein­greifen, hatte Lem bereits in seinem Roman Eden (1959) ausgiebig thematisiert. Anders als in Fiasko entscheiden sich die Menschen in Eden jedoch, eben nicht zu intervenieren und den fremden Planeten mit seiner fremdartigen Zivilisa­tion sich selbst zu überlassen. Die unverständlichen technischen Anlagen schließlich, die die Menschen in Fiasko auf dem Quinta-Mond und auf Quinta selbst entdecken, lassen entfernt auch an ähnliche Szenen aus Lems allerersten Science-Fiction-Roman Die Astronauten (1951) denken.

 

Die vielen theoretischen und philosophischen Erörterungen der Pro­bleme, vor denen sich die Besatzung der Hermes im Zeta-Harpyie-System gestellt sieht, sind an und für sich schon sehr interessant. Diese vollziehen sich entwe­der in den Dialogen der Protagonisten untereinander oder mit ihrem Supercomputer, der – wenig subtil – den Namen GOD trägt, oder aber der Leser wird zum Zeugen, wenn die Hauptfigur Mark Tempe in seiner Freizeit wissenschaftli­che Lite­ratur über die theoretisch erwarteten Probleme des Erstkontakts liest. In diesen Diskursen, die viele Seiten füllen, brei­tet Stanisław Lem seine ganze theoretische Durchdringung der Themen aus. Er diskutiert das berühmte Fermi-Paradox – das hier nicht beim Namen, sondern das „Rätsel des schweigenden Weltalls“ (S. 122) genannt wird –, erfindet das so­genannte „Diagramm von Hortega und Neyssel“ (S. 126 ff.), das die universell zu erwartende technologische Evo­lution vernunftbegabter Spezies beschreiben soll und ein zeitlich sehr enges, hypothetisches „Fenster des Kontakts“ postu­liert (S. 152 ff.), und lässt im mitgereisten Mönch Arago sogar die Stimme der christlichen Religion zu Wort kom­men, die am Ende als einzige mit Entschiedenheit die menschliche Moral und die Ehrfurcht vor dem Leben anmahnt. Aragos Einwände werden allerdings vom Missionskommandanten Stergaard und von allen anderen an Bord der Her­mes mit ihren techno­kratischen, von kalter Logik bestimmten Entscheidungen einfach in den Wind geschlagen.

 

Lems philosophische Betrachtungen bieten immer wieder nachdenkenswerte Passagen – beispielsweise seine Be­schreibung der sogenannten „kosmischen Soziolyse“ (S. 169–171), in der er die Entwicklung technologi­scher Spezies hin zu durch und durch digitalisierten Freizeitgesellschaften postuliert, die die Ausbreitung eines „neuen Analphabetis­mus“ begünstigt:

 

Man braucht, um sein Auskommen zu haben, nichts mehr zu können. [ . . . ] Darf man von „Fortschritt des Wissens“ in einer Situ­ation sprechen, da die Spezialisierung jede Erkenntnisarbeit, jede konstruktive, intellektuelle, schöpferische Tätigkeit zersplittert, so daß in jedem Fach jedermann nur immer tiefer auf einem immer kleineren Feld gräbt? Wozu soll ein lebendiges Wesen rech­nen können, wenn das Maschinen viel schneller und besser machen? Wozu soll man den Acker bestellen, Mehl mahlen und Brot backen, wenn photosynthetische Systeme eine viel abwechslungsreichere und gesündere Kost produzieren als die Bauern, Bä­cker, Köche und Konditoren? [ . . . ] Werden [die Individuen] davon nicht verblöden und sich in stumpfsinnige Freßsäcke verwan­deln, wenn sie nur faul die Spielchen spielen, die ihnen ihr planetarer Vormund vor die Nase hält? (S. 170 f.)

 

Hier scheint Lem in manchen Aspekten eine gar nicht so falsche Prognose für den Kulturverlauf unserer sich immer rasanter entwickelnden Informationsgesellschaft zu treffen, bis hin zur erwarteten schleichenden Auflösung der Insti­tutionen und Nationen.

 

Allerdings – und hierin liegt die Hauptkritik gegen den Roman – sind all diese Passagen eben essayistisch, sie bilden theoretische und philosophische Traktate, die das gesamte Werk in erdrückendem Umfang dominieren. Dazu gesellt sich ein sehr behäbiger, sperriger Sprachstil, der mit Fremdwörtern, Fach- und Pseudo-Fachausdrücken – Lems typi­schen, verspielt-akademischen Neologismen – überfrachtet ist. Auch die übertrieben häufige Verwendung lateinischer Bonmots, die nicht in Fußnoten übersetzt werden (und übrigens als Jargon künftiger Raumfahrer des 22. Jahrhunderts kaum glaubwürdig ist), hemmt die Lesbarkeit des Romans. Lem liebt die „Poesie der Wissenschaft“, wie ich es einmal nennen will, ihr Glasperlenspiel begrifflicher Bestimmungen und theoretischer Konstruktionen. Er ist eben in erster Li­nie Essayist – und das ist dem Literarischen seiner Romane leider abträglich. Denn das Literarische – eine flüssig lesba­re Sprache, überzeugende Sprachbilder, plastisch und lebendig geschilderte Figuren, ein dynamischer Rhythmus des Erzählens, die Vermittlung spannender Dramatik – bleibt in Fiasko enttäuschend karg. Selbst dort, wo Lem sich auf das Ausmalen einer fantasti­schen, außerirdischen Umgebung einlässt, nämlich in der Sequenz, in der An­gus Parvis die fast märchenhaft geschil­derte Landschaft Titans mit einem gigantischen, roboterhaften „Großschreiter“ durchquert, gerät seine Schilderung viel zu detailreich, viel zu langatmig und zu schwerfällig.

 

Viele Kritiker haben Fiasko zugutegehalten, dass der Roman eine gelungene Fabel über das von Lem vermutete grund­legende Verständigungsproblem mit Außerirdischen erzählen würde. Doch auch wenn dieses Problem anfänglich die Grundidee für Fiasko geliefert haben mag, spielt es bei genauerem Hinsehen keine tragende Rolle. Denn tatsächlich stellt die Gesellschaft von Quinta eine unmissverständliche Allegorie des Kalten Krieges auf der Erde dar, der An­fang der Achtzigerjahre zu atomaren Aufrüstungsprogrammen, zu großen Sorgen in der breiten Bevölkerung und zur Bil­dung der Friedensbewegung führte und somit, als Fiasko veröffentlicht wurde, ein brandaktuelles Thema war. Selbst der Klappentext des Buchs verweist darauf, dass Lem mit Fiasko die damals ernsthaft ins Auge gefassten Aufrüstungs­pläne Ronald Reagans im erdorbitalen Weltall mit dem Projektnamen „Strategic Defense Initiative“ (SDI) kritisieren wollte. Dass unter dem Vorzeichen eines von Misstrauen und Paranoia vergifteten Klimas in einem Kalten Krieg jed­wede Kontaktaufnahme mit einer von außen eindringenden Spezies unmöglich sein könnte, weil die Machtblöcke in diesem Konflikt hinter dem Wunsch einer technologisch über­legenen Spezies nach Kontakt feindliche Absichten ver­muten würden, ist eine naheliegende Vermutung, die im offi­ziellen „Programm des Hermes“ auch zum Ausdruck ge­bracht wird (S. 266). In Hinblick auf die Quintaner jedoch ergibt sich aus der allegorischen Konzeption, dass sie in ihrem Verhalten keineswegs „außerirdisch“, sondern überaus anthropomorph wirken – auch wenn ihre Körper am Ende des Buchs höchst bizarr als verkrustete, graue Brot­laibe geschildert werden, die halb im Lehm ihrer Heimatwelt ver­graben sind. Aufgrund des Anthropomorphismus der Quintaner fällt es den Menschen auf der Hermes denn auch trotz aller Zweifel und Diskussionen nicht schwer, die Ge­sellschaftsstruktur und Absichten der Quintaner richtig zu analysie­ren. Der sprachliche Austausch im Telegrammstil zwischen beiden Spezies funktioniert dann gegen Ende des Romans über­ra­schend mühe­los – und die Schwierigkeiten, die ihm vorausge­gangen sein müssen, werden von Lem überhaupt nicht thematisiert.

 

In der ungeheuerlichen und völlig unglaubwürdigen Verhaltensweise des Missionsteams, nachdem alle Versuche der Kontaktaufnahme wiederholt gescheitert sind, liegt ein weiterer massiver Schwachpunkt des Romans. Die Frustration und, wie der Mönch Arago richtig anklagt, auch die Rachsucht, die sich im Missionsteam eingeschlichen haben, verlei­ten den Kommandanten der Hermes zu einer „Demonstration der Stärke“, die einem gigantischen Völkermord planeta­ren Ausmaßes gleichkommt. Um den Kontakt ultimativ zu erzwingen, lässt er mittels der überlegenen Technologie der Hermes den Mond von Quinta sprengen, was zur Folge hat, dass viele Mondtrümmer auf den Planeten niedergehen und ihn massiv verwüsten (die Zerstörungen malt Lem übrigens viel zu harmlos aus – tatsächlich hätte das Sezario die totale Vernichtung der Biosphäre des getroffenen Planeten zur Folge, wie Neal Stephenson in seinem Roman Amal­thea [2015] überzeugend geschildert hat). Als selbst dieser wahnwitzige Genozid keine Wirkung zeigt, ordnet der Kommandant die Vernichtung des künstlichen Eisrings, der Quinta umkreist, mittels eines ultrastarken Laserstrahls an. Trillionen Tonnen von Eisbrocken regnen daraufhin auf den Planeten herab, ein „Sodom und Gomorrah“, wie die Men­schen selbst es nennen, das dem Bombardement mit Mondtrümmern kaum nachsteht.

 

Ist eine solch ungeheure Barbarei von der angeblichen Elite der Menschheit, die auf die weite interstellare Reise ge­schickt wurde, allen Ernstes glaubwürdig? Sie mag im Zeichen der bekannten Misanthropie Lems von zynischer Folge­richtigkeit sein, und die Geschichte der Menschheit bietet genügend Beispiele barbarischer Brutalität, um das von Lem geschilderte Szenario in erzählerischer Hinsicht zu rechtfertigen. Ich glaube dennoch nicht, dass ein Astronautenteam jemals derart steinzeitlich, blutdurstig und affektgeleitet, derart amoralisch handeln würde, nur um den Kontakt mit einer Spezies herzustellen, die diesen Kontakt offenkundig nicht will.

 

Ein letzter Kritikpunkt betrifft Stanisław Lems Thematisierung der Gleichberechtigung der Geschlechter. Anders noch als in Gast im Weltraum bestehen die Besatzungen der Eurydike und der Hermes ausschließlich aus Männern, und be­gründet wird das von Lem mit einem unerträglichen, geifernden Traktat gegen die Frauenbewegung und die Gleich­berechtigung, die er beide wortwörtlich als „Blödsinn“ diffamiert (S. 374 f.). Lem reduziert hier die Frauen auf ihre Rol­len als „Ehegattinnen“ und „Mütter“, die ebenso wie „Kleinkinder, Kinderkrippe und Kindergarten“ auf einer interstella­ren Mission unerwünscht seien. Lems unappetitlicher chauvinistischer Ausfall muss hier nicht weiter diskutiert werden, da er in keiner Weise ernst genommen werden kann. Nirgends präsentiert sich der Roman antiquierter als hier – und das galt auch schon in seinem Erscheinungsjahr 1986.

 

So legt Fiasko ein weiteres Mal Zeugnis ab von Lems genereller Skepsis, die er gegen den technischen Fortschritt und die Integrität der Menschheit hegte, und erläutert in zahlreichen theoretischen Passagen Lems Ansichten über das Fermi-Paradox, vielfältige Hypothesen über die Entwicklung der „Psychozoen“ im Universum, die angebliche Unmög­lichkeit des Kontakts mit intelligenten Außerirdischen, den von Lem postulierten Unsinn in der Erschaffung künstlicher Intelligenzen (vgl. dazu S. 353 ff.), die anthropologische Analyse des Kalten Krieges und vieles mehr. Die sperrige, fach­sprachliche Überfrachtung dieser Passagen macht das Buch jedoch zu einer überaus anstrengenden Lektüre, die mehr als einmal den Verdacht aufkommen lässt, dass sie nicht weiß, wo sie eigentlich hin will. Als dramatische Erzählung in­des ist der Roman sehr schwach und in den megalomanischen und bestialischen Zügen, die Lem seinen Protagonisten andichtet, extrem unglaubwürdig. Ich würde nicht soweit gehen, den Roman in einer allzu naheliegenden Wendung als „literarisches Fiasko“ zu bezeichnen. Aber ein Triumph der Science-Fiction-Literatur, den manche Kritiker in dem Werk sehen wollten, ist das Buch weder auf intellektueller noch auf dramatischer Ebene. Eher eine sehr zäh zu lesen­de, bedauernswerte Enttäuschung.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 11. August 2018