Deluge

DVD- und Bluray-Cover dem Film "Deluge" (USA 1933) von Felix E. Feist

Deluge (USA 1933)

 

Regie: Felix E. Feist

Drehbuch: John F. Goodrich und Warren B. Duff, nach dem Roman Deluge (1927) von S. Fowler Wright

Kamera: Norbert Brodine

Schnitt: Rose Loewinger

Musik: Val Burton

Darsteller: Peggy Shannon (Claire Arlington), Lois Wilson (Helen Webster), Sidney Blackmer (Martin Webster), Matt Moore (Tom), Fred Kohler (Jephson), Ralf Harolde (Norwood), Edward van Sloan (Professor Carlysle) u. a.

Produzenten: Samuel Bischoff, Burt Kelly und William Saal

Companies: Admiral Productions; RKO Radio Pictures (Verleih)

Laufzeit: 70 Minuten; Schwarzweiß

Premiere: 18. August 1933

 

Überall auf der Welt mehren sich plötz­lich Stürme und Erdbeben, und Wissen­schaft­ler vermelden besorgt, dass mög­li­cherweise das Ende der Welt drohe. Es scheint, dass ein fremder Himmels­kör­per die Naturkatastrophen verursacht, denn als über New York plötzlich eine Sonnenfinsternis einsetzt, rufen die Wissenschaftler der Astrono­mical Solar So­ciety geschockt aus: “It can’t be!”

 

Die Westküste der USA wird von Erdbe­ben und Fluten völlig zerstört, und stünd­lich kommen die Erdbeben der Ost­küste näher. Schließlich ist es soweit. New York City wird von einem massiven Erdbeben komplett in Schutt und Asche gelegt und anschließend von einer gi­gan­tischen Flutwelle überschwemmt. Die Zivilisation wird ausgelöscht.

 

Der redliche Familienvater Martin Web­ster erwacht nach der Katastrophe in einem verwüsteten, menschenleeren und überall von Wasser umgebenen Land. Seine Frau und seine Kinder, mit denen er in einem Haus im Grünen außerhalb von New York gelebt hatte, sind verschwunden. Webster entdeckt eine leerstehende Hütte am Eingang einer Höhle, quartiert sich in ihr ein und legt in der Höhle ein Depot mit Proviant und Werkzeugen an. Anderswo haben zwei Män­ner in einer anderen Hütte überlebt. Als sie am Strand eine be­wusst­lose junge Frau auffinden, pflegen sie sie gesund. Schon bald darauf erhebt Jephson, der Stärkere der beiden Männer, einen alleinigen Besitzanspruch auf die Frau. Im Streit um sie erwürgt er seinen Mitbewohner. Bei dieser Gelegenheit gelingt es der Frau, aus der Hütte zu fliehen und hinaus auf das Meer zu schwimmen.

 

Die Frau erreicht den Strand, an dem Webster lebt, und wird von ihm aufgenommen. Sie stellt sich ihm als Claire vor. Da Webster ihr erklärt, dass es für eine Frau allein in der Wildnis zu gefährlich ist, entschließt sie sich, bei Webster zu bleiben. Nach einer Weile fasst Claire Vertrauen zu dem Mann, und beide verlieben sich ineinander. Ihr Idyll bleibt je­doch nicht unbehelligt, denn Jephson ist Claire mit einem Boot hinterhergefahren, um sie aufzuspüren und mit Gewalt zu­rückzuholen. Dafür verbündet er sich mit der Bellamy-Bande, einem Haufen Strolche, die seit der Flut die Gegend unsicher machen. In etwa zehn Meilen Entfernung versuchen derweil die Einwohner einer Kleinstadt, ihr Gemeinwesen wieder aufzubauen. Sie sind schon oft von der Bellamy-Bande angegriffen worden, wobei immer wieder junge Frauen verschleppt, vergewaltigt und getötet wurden. Deshalb beschließen die Männer des Ortes, einen Trupp zusammenzu­stellen, um die Bande ein für allemal auszulöschen. In dem Ort haben auch Martin Websters Frau Helen und ihre bei-den kleinen Kinder, die die Flut überlebt haben, eine neue Bleibe gefunden. Doch auch Helen hat es nach der Flut nicht leicht, denn aufgrund des Mangels an jungen, gebärfähigen Frauen wird von ihr erwartet, rasch wieder zu heira­ten. Helen will jedoch nicht glauben, dass ihr verschwundener Mann bei der Flut umgekommen ist . . .

 

Der Weltuntergang als famoses Effektespektakel

 

Deluge ist der erste waschechte Katastrophenfilm der Kinogeschichte, der vom Untergang der modernen Zivilisation und dem anschließenden Neuanfang erzählt. Gewiss gab es auch schon davor einige Filme, die sich mit diesem Thema beschäftigten, insbesondere der Kurzfilm The Comet (1910) von der Thomas Edison Company, Verdens Untergang (1916) vom dänischen Regisseur August Blom und La fin du monde (1930) von Abel Gance. Doch Deluge ist definitiv der erste Film, der die Vernichtung der Welt als ein außerordentlich aufwendiges Spektakel inszenierte. In einer fast sechs Minuten dauernden Sequenz, die bereits in der 15. Minute des Films einsetzt, wird ein enormes Modell von New York City in einem Erdbeben gründlich zertrümmert und anschließend mit einer mächtigen Flutwelle überschwemmt. Die bombastische Zerstörungsorgie war damals eine tricktechnisch außerordentliche Leistung und ist auch heute noch extrem beeindruckend.

Szenenfoto zu dem Film "Deluge" (USA 1933) von Felix E. Feist; New York
New York City fällt durch das Erdbeben in Schutt und Asche

Mit der Zerstörung New Yorks als das amerikanische Symbol der modernen Zivilisation schlechthin brachte der Film außerdem erstmals ein Motiv auf die Leinwand, das später zum oft genutzten Klischee in zahlreichen Ka­tastrophenfilmen von George Pals Der jüngste Tag (1951) bis hin zu Roland Emmerichs 2012 (2009) wurde. Der Rest des Films ist dagegen kaum in irgendeiner Hinsicht be­sonders eindrucksvoll. Das schmale Budget ist ihm auf Schritt und Tritt anzusehen – streckenweise wirkt der Film fast wie ein billiges Kinoserial –, das melodramati­sche Liebesdrama bleibt kraftlos und das Schauspiel der Darsteller ist allenthalben durchschnittlich. Doch entfal­tet der Film immerhin ein Bild von der postapokalypti­schen Gesellschaft, das zweifellos fragwürdig ist, aber auf jeden Fall das Interesse fesselt.

 

Das Drehbuch des Films basiert auf dem Roman Deluge (1927) von Sydney Fowler Wright (1874–1965). Der Schriftsteller wird heute kaum noch erinnert, war jedoch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Englands. Freilich stand er stets im Schatten seines großen Vorbilds H. G. Wells (1866–1946). Wie Wells trachtete Wright danach, mit seinen “scientific romances” nicht einfach nur spannende Abenteuer zu erzählen, son­dern vor allem über die menschliche Gesellschaft und den Einfluss der Moderne zu philosophieren. Dabei vertrat er allerdings im Gegensatz zu Wells einen extrem fortschrittsfeindlichen Standpunkt. Für Wright war die vom technisch-wissenschaftlichen Fortschritt geprägte moderne Zivilisation degeneriert und ließ die von Geld, Selbstsucht, Feigheit und Komfort korrumpierten vitalen Kräfte der menschlichen Spezies zusehends verfallen. Er verteufelte Maschinen und insbesondere das Automobil ebenso wie die Schwangerschaftsverhütung, glorifizierte demgegenüber das „unver­fälschte“ Leben in der Natur und sah in der Auslöschung der ihm verhassten Zivilisation die Chance eines kompletten Neuanfangs. Deluge erntete positive Kritiken und wurde erst in den USA und dann auch in England ein Bestseller. Der finanzielle Er­folg von Deluge ermöglichte es Wright, sich fortan ganz der Schriftstellerei zu widmen. 1929 schrieb er mit Dawn ein Sequel zu Deluge, das in der Kritik jedoch verhaltener aufgenommen wurde. In Hollywood gelang es Wright, ein von ihm verfasstes Skript von Deluge für 5.000 Dollar an World Wide Pictures zu verkaufen, die das unabhängige, kleine Filmunterneh­men Ad­miral Productions mit der Realisierung des Films beauftragten. Freilich wurde das Budget bei den Dreharbeiten heillos überschritten: Waren ur­sprünglich nur 75.000 Dollar für den Film geplant, kostete er am Ende über 170.000 Dollar. Zweifellos waren die Mehrkos­ten dabei ausschließlich von den extrem aufwendigen Spezial­effekten verschlungen worden.

 

Admiral Productions war die Nachfolgefirma von KBS Productions, die 1932 von den Produzenten Burt Kelly (1898–1983), Samuel Bischoff (1890–1975) und William Saal (1898–1978) gegründet worden war. Alle drei hatten ihre Karrieren im Filmgeschäft in verschiedenen Poverty-Row-Studios begonnen und in den frühen Dreißigerjahren vorwiegend bil­lige Western produziert. Deluge drehten KBS/Admiral wie alle ihren anderen Filme in den Studiohallen der bankrott gegangenen Tiffany Pictures am Sunset Boulevard, die ab 1932 von verschiedenen Produktionsfirmen an­ge­mietet werden konnten. Ursprünglich waren dies die Reliance-Majestic Studios gewesen, wo W. D. Griffith The Birth of a Nation (1915), Hearts of the World (1918) und Intolerance (1916) gedreht hatte. Zahlreiche Außenaufnahmen ent­stan­den zudem im berühmten, nahegelegenen Bronson Canyon.

Szenenfoto zu dem Film "Deluge" (USA 1933) von Felix E. Feist; New York
Die Flutwelle schwappt in New York City herein

Zur Enttäuschung von Sydney Fowler Wright wurde das von ihm verfasste Skript nicht verwendet. Stattdessen schrieben John F. Goodrich (1887–1937) und Warren B. Duff (1904–1973) ein neues Drehbuch für den Film, das in vielen Punkten von Wrights Roman abweicht. So wurde der Schauplatz von England nach Nordamerika verlegt, und während die Flut bei Wright nur das Mittel ist, um die Welt auszuradieren und die Bühne für das eigentli­che Thema, nämlich die neue, postapokalyptische Ge­sellschaft zu bereiten, ist sie in der Verfilmung das zen­trale Spektakel, das das Publikum ins Kino locken sollte. Goodrich und Duff milderten auch Wrights sozialutopi­sche Ideen deutlich ab. In Wrights Roman gehen Martin Webster, seine Frau Helen und Claire, die wahrscheinlich von Webster schwanger ist, am Ende eine polygame Dreierbeziehung ein – etwas, womit ein Hollywoodfilm anno 1933 niemals davongekommen wäre, auch nicht zu Pre-Code-Zeiten. Im Film entbrennt dagegen ein Streit beider Frauen um den Mann, und am Ende sieht Claire schließlich ein, dass sie gegen die Ehefrau und Mutter Helen chancenlos ist. Sie räumt das Feld, indem sie wieder ins Meer steigt und einem ungewissen Ziel entgegen­schwimmt. Ob die Schlussszene, in der Martin am Strand steht und der hinaus­schwimmenden Claire hinterhersieht, als ein Selbstmord Claires zu deuten ist, bleibt dabei offen, da Claire zuvor im Film erklärt hatte, eine professionelle Sport­schwimmerin zu sein.

 

Deluge wurde von Felix E. Feist (1910–1965) inszeniert, dem Sohn des MGM-Managers Felix F. Feist (1884–1936). Er war damals erst 23 Jahre alt, und Deluge war seine erste Regiearbeit. Feists spätere Karriere als Regisseur blieb unauffällig, doch drehte er bis in die Fünfzigerjahre hinein zahlreiche Filme. In den Sechzigerjahren arbeitete er vorwiegend für das Fernsehen, bis er mit 55 Jahren an Krebs verstarb. Sein einziger weiterer Beitrag zum Science-Fiction-Kino war der klei­ne, aber feine Thriller Donovans Hirn (1953). Von den Darstellern in Deluge sticht die selbstbewusst und lebhaft agie­rende Peggy Shannon (1907–1941) als Claire Arlington besonders heraus. Shannon hatte ihre Karriere als Showgirl auf dem Broadway begonnen und war 1927 von Paramount Pictures unter Vertrag genommen worden. Leider verfiel sie Anfang der Dreißigerjahre zunehmend der Alkoholsucht, die ihre weitere Karriere ruinierte und ihren verfrühten Tod durch einen Herzinfarkt zur Folge hatte. Sidney Blackmer (1895–1973), der hier die männliche Hauptrolle Martin Web­ster spielt, war ein vielgefragter Schauspieler, der in über 120 Filmen größere Charakterrollen verkörperte. Eine seiner bekanntesten Rollen war die des besorgten Nachbarn Roman Castevet in Roman Polanskis Rosemarys Baby (1968). Hier in Deluge wirkt Blackmer allerdings eigenartig ungelenk. Die übrigen, eher unbekannten Darsteller liefern akzep­table, aber auch nicht besonders herausragende Darstellungen ab.

Szenenfoto zu dem Film "Deluge" (USA 1933) von Felix E. Feist; New York
In der Metropole bleibt am Ende kein Stein auf dem anderen

Der eigentliche Star des Films sind die beeindruckenden Spezialeffekte für die Zerstörung New Yorks. Diese wa­ren das Werk des Teams um den Modellbauer und Leiter der Spezialeffekte Ned Mann (1893–1967), den matte artist Russell Lawson (1897–1975) und den Kameramann William Williams (1894–1976). Mann war von Samuel Bi­schoff angeheuert worden, nachdem ihn Manns spekta­kuläre Flutszenen in Das Drama der Sintflut (Noah’s Ark, 1928) beeindruckt hatten. Der Produzent gab dem Effek­tetüftler für die Ka­tastrophenszenen in Deluge völlig freie Hand und kei­nerlei Budgetbegrenzung. Mann ließ auf einer Studio­bühne von über 30 Metern Breite und Tiefe ein riesiges Modell der Stadt mit zahlreichen Wol­kenkratzern, dem Empire State Building, den Hafenanla­gen am Hudson Ri­ver und der Freiheitsstatue errichten. Die Häuser, die bis zu 3,60 Meter hoch waren, bestanden alle aus Bauteilen aus Gips, die, um beim Erdbeben auch sicher auseinanderzu­fallen, lose übereinander getürmt waren. Für das Erdbeben wurden acht auf Federn und Rollen gelagerte Segmente des Bühnenbodens ferngesteuert in verschiedene Richtungen in Schwingungen versetzt, und in einer Einstellung öff­net sich der Boden sogar, sodass die zu Trümmern zerfallenden Bauten darüber in den Schlund hinabstürzen. Für die Flut wurde das gesamte Set mit mächtigen Wassermassen überschwemmt. Gedreht wurde mit acht Kameras und 20 Kameraassistenten, und alles musste selbstverständlich auf Anhieb funktionieren und mit den Kameras wie gewünscht eingefangen werden. Später wurden die Modellaufnahmen mit travelling mattes von davon­rennenden panischen Menschenmassen oder Menschen, die in den Hochhäusern verschüttet werden, kombiniert. Sehr gelungen ist auch das Timing: Alles läuft in leichter, kaum auffallender Slow-Motion ab, sodass die zerbröckelnden und zusammenstür­zenden Modelle wirklich massiv und tonnenschwer wirken. Manchem Zuschauer von heute mögen die Effekte viel­leicht primitiv und durchschaubar erscheinen, doch für meine Begriffe sind sie immer noch ausgesprochen spektakulär und mitreißend. Zweifellos stellten sie damals einen neuen Höhepunkt der Spezialeffekte im Kino dar. Die Arbeit für Deluge war ein Meisterstück von Ned Mann, das ihm eine lange Karriere im Handwerk der Spezialeffekte sicherte. Sei­ne nächste herausragende Arbeit leistete er in England mit den Spezialeffekten für William Cameron Men­zies’ Science-Fiction-Klassiker Was kommen wird (1936).

Szenenfoto zu dem Film "Deluge" (USA 1933) von Felix E. Feist
Nach der Flut ist von der Zivilisation nichts mehr geblieben

Deluge zählt zu jener Handvoll früher Science-Fiction-Filme, die für Jahrzehnte als „verschollen“ galten. Ein anderes Beispiel aus dieser Gruppe wäre etwa Just Ima­gine (1930) von David Butler, der ebenfalls für viele Jahr­zehnte nicht mehr zugänglich gewesen war und darum umso mehr die brennende Neugier der Science-Fiction-Fans geschürt hatte, die von den verloren geglaubten Filmschätzen nicht mehr kannten als Inhaltsangaben, zeitgenössische Kritiken und eindrucksvolle movie stills. Als World Wide Pictures Mitte 1933 bankrott ging, wur­de Deluge für den Verleih an RKO Pictures verkauft, die nach ihrem Hit King Kong und die weiße Frau (1933) so­fort einen ähnlich spektakulären Fantasyfilm herausbrin­gen wollten. Im August 1933 kam Deluge in die Kinos. Der Film erntete gute Kritiken, schlug sich aber an der Kinokasse nicht sehr gut – er spielte nur um die 250.000 Dollar wieder ein. Um die Verluste teil­weise wieder auszuglei­chen, verkaufte RKO die Ka­tastrophenszenen des Films an das Billigstudio Republic Pictures. Republic verwendete die Szenen später in ihrem Crime-Thriller S.O.S. Tidal Wave (1939) sowie in den Kinoserials Dick Tracy vs Crime Inc (1941) und King of the Rocket Men (1949). Eine Bedingung des Deals war, dass RKO sämtliche Kopien des Films aus dem Ver­leih zurückziehen würde, was RKO dann auch tat. So erlebte Deluge nie eine Wiederaufführung.

 

Es mag noch weitere Gründe für den Verkauf von Deluge an Republic gegeben haben. Denn der Pre-Code-Film erfüllte in kaum einer Hinsicht die geltenden Zensurrichtlinien der 1934 gegründeten Production Code Administration (PCA). Nicht allein die gewagten Szenen, in denen die bildschöne Peggy Shannon in knapper Unterwäsche zu sehen ist, wä­ren problematisch gewesen. Darüber hinaus hätte wahrscheinlich kaum ein Aspekt der postapokalyptischen Welt, die in Deluge präsentiert wird, das Wohlwollen der PCA-Zensoren gefunden – der Neuaufbau einer archaischen Gemein­schaft, in der keine Kirche mehr über die Moral wacht; die Leiche eines vergewaltigten Mädchens; Martins offensichtli­cher Ehebruch, den er mit Claire begeht, unwissend, dass seine Frau noch lebt; und schließlich Claires angedeuteter Selbstmord am Ende des Films. Den Film für eine Wiederaufführung umzuschneiden, wäre somit schwierig geworden. Der Deal mit Republic war demgegenüber ein sicheres und schnelles Geschäft.

Szenenfoto zu dem Film "Deluge" (USA 1933) von Felix E. Feist; Peggy Shannon und Sidney Blackmer
Claire (Peggy Shannon) und Martin (Sidney Blackmer) kommen sich näher

Erst im Jahre 1981 tauchte der komplette Film wieder auf: In Rom entdeckten die Science-Fiction-Enthusiasten Wa­de Williams (geb. 1942) und Forrest J. Ackerman (1916–2008), die sich für ein Science-Fiction-Festival in der Stadt aufhielten, eine italienisch synchronisierte 35mm-Kopie von Deluge, die sich im Besitz vom Regisseur und Drehbuchautor Luigi Cozzi alias Lewis Coates (geb. 1947) befand. Cozzi war mit Wade Williams befreundet und hatte die Filmkopie jahrelang in seinem Kellerarchiv auf­bewahrt. Williams war begeistert, kaufte den Film für seine berühmte Wade Williams Collection und vermark­tete ihn mit englischen Untertiteln auf VHS-Cassetten und später auf DVDs. Für über 30 Jahre stellte nun diese nicht gemasterte italienische Fassung die einzige Mög­lichkeit dar, den Film zu sehen. Schließlich gelang es im Jahre 2016 dem Filmkonservator Serge Bromberg und seiner Firma Lobster Films, die sich auch schon um die Restaura­tion von Harry O. Hoyts Die verlorene Welt (1925) verdient gemacht hatten, im Centre national du cinéma et de l’image animée (CNC) in Paris ein vollständiges 35mm-Nitrat-Negativ von Deluge mit der originalen englischen Tonspur aufzu­spüren. Lobster Films masterte den Film digital und veröffentlichte ihn im Februar 2017 über das Label Kino Lorber auf Bluray und DVD, sodass Deluge endlich wieder in seiner ursprünglichen Gestalt mit englischem Originalton genossen werden kann (leider sind allerdings sowohl die Bluray als auch die DVD nur für Abspielgeräte für Nordamerika codiert, sodass man einen entsprechend codierten oder regionalfreien Player benötigt).

 

Zurück in die gute, alte Steinzeit

 

Es ist vermutlich kein Zufall, dass Sydney Fowler Wrights Roman zuerst in den USA ein Bestseller wurde (wodurch er dann auch in Großbritannien ein größeres Lesepublikum erreichte) und in den USA auch die Chance einer Verfilmung erhielt, denn Katastrophenerzählungen, die die Vernichtung der bestehenden Zivilisation zum Ausgangspunkt für den Aufbau einer völlig neuen Gesellschaft machten, waren in Amerika bereits seit Längerem in Mode – insbesondere in den Pulp-Magazinen. Der Reiz dieser Geschichten lag in der Vorstellung, die bestehende Ordnung mit all ihren Kom­plexitäten und Unzulänglichkeiten einfach beiseite zu schieben und den Helden dabei zuzusehen, wie sie die postapo­kalyptische Wildnis bezwingen und eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen. Diese konnte theoretisch jenseits aller moralischen und religiösen Fesseln liegen, und alles schien in ihnen prinzipiell denkbar. Frühe Beispiele solcher Erzäh­lungen sind etwa The Second Deluge (1911) von Garrett P. Serviss, Darkness and Dawn (1912) von George Allan England oder Draught of Eternity (1918) von Victor Rousseau. Nur wenige Monate, bevor Deluge in die Kinos kam, veröffentlich­ten Philip Wylie und Edwin Balmer ihren klassischen Weltuntergangsroman When Worlds Collide (1932/33), der wie Deluge starke zivilisationskritische Züge enthält. Im Nachfolgeroman After Worlds Collide (1933/34) wird ebenfalls vom Überlebenskampf in einer postapokalyptischen, leeren neuen Welt erzählt. Wie Wright stellen auch Wylie und Balmer das bestehende, monogame Eherecht in Frage, ohne freilich so weit zu gehen, am Ende ein klares Votum für die Mehr­ehe zu formulieren. Interessanterweise wird in When Worlds Collide New York City in genau der Art und Weise ver­nichtet, wie es die Verfilmung von Deluge vor Augen stellt: durch Erdbeben und gigantische Flutwellen. Hätte Para­mount Pictures, die die Filmrechte an When Worlds Collide schon 1933 erworben hatten, den Roman sofort und nicht erst 18 Jahre später verfilmt, hätten sich in den Katastrophenszenen wahrscheinlich starke Ähnlichkeiten zwischen bei­den Fil­men ergeben.

Szenenfoto zu dem Film "Deluge" (USA 1933) von Felix E. Feist; Sidney Blackmer
Kulturheros – Martin Webster wird im Ort zum Anführer gewählt

Es gibt Kritiker, die sich nicht sicher sind, ob Deluge überhaupt zur Science-Fiction hinzugerechnet werden sollte, da der Film keine klare Aussage über die Ursachen der weltweiten Erdbeben und Sintfluten macht. Der ein­zige Hinweis findet sich in der Sonnenfinsternis, die die Astronomen nicht vorhergesagt haben, doch ob dies nun bedeutet, dass der verfinsternde Himmelskörper die Naturkatastrophen hervorruft, oder aber die Sonnenfin­sternis vielmehr als surreales Menetekel begriffen wer­den soll, bleibt offen (ich persönlich neige zur ersten, quasi „wissenschaftlichen“ Deutung). So oder so betont Deluge die Möglichkeit einer religiösen und damit eschatologischen Deutung des Geschehens – worin sich der Film im Übrigen vom Roman unterscheidet. Nicht nur werden in den ersten Szenen des Films, die die welt­weite Hysterie vor dem nahenden Weltende bebildern, Priester gezeigt, die salbungsvoll das Vertrauen auf Gott be­schwören und gewillt sind, Gottes Strafe zu empfangen. Auch metatextuell wird das Geschehen auf einen christlichen Rahmen bezogen. Eine Texttafel am Beginn des Films weist den Zuschauer auf Folgendes hin:

 

Deluge is a tale of fantasy – an adventure in speculation – a vivid epic pictorialisation of an author’s imaginative flight. We, the producers, present it now purely for your entertainment, remembering full well God’s covenant with Noah.

 

Daran schließt sich eine Rezitierung von Gottes Bund mit Noah aus der biblischen Genesis an:

 

And I will establish my covenant with you; neither shall all flesh be cut off any more by the waters of the flood; neither shall there any more be a flood to destroy the earth. (Gen. 9:11)

 

Dies soll dem Zuschauer im Kinosaal versichern, dass alles nur Fantasie ist und niemals so geschehen könnte. Und den­noch wird hier in christlichen Kategorien argumentiert – das Gottvertrauen, das dem Zuschauer nahegelegt wird, ist dasselbe, das die Priester im Film im zur Schau stellen. Es ist offensichtlich, dass dem Mythos vom Weltende im abend­ländischen Kulturkreis eine übermächtige religiöse Kraft innewohnt, die unweigerlich religiöse Deutungsmuster evo­ziert und immer mitdenken lässt. Auch George Pals Der jüngste Tag (1951) beginnt mit einer Texttafel, die die Sintflut­geschichte aus der Genesis zitiert. Dort fehlt indes der interessante Kniff, das Geschehen mit biblischen Argumenten als rein fiktiv zu relativieren.

 

Das soziale Experiment, das Deluge auf der Tabula rasa der postapokalyptischen Welt aufführt, ist sowohl im Roman wie im Film enttäuschend archaisch und nirgendwo revolutionär. Aus unerfindlichen Gründen herrscht nach der gro­ßen Flut ein drastischer Mangel an jungen, gebärfähigen Frauen, und die Kämpfe der Männer drehen sich um den Besitz einer Frau, die praktisch zur Trophäe und bloßen Zuchtstute herabgewürdigt wird. Unverheiratete junge Frauen werden per Gesetz dazu gezwungen, einen Mann zu wählen – andernfalls droht ihnen, wie auf dem Viehmarkt an ei­nen Mann zwangsweise vergeben zu werden. Helen entrinnt diesem Schicksal nur, weil ihr Ehemann Martin noch rechtzeitig im Ort auftaucht, um seine alte Position an ihrer Seite wieder einzunehmen. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau spielt nicht die geringste Rolle. Zum männlichen Chauvinismus gesellt sich ein aus Zwanziger- und Dreißiger­jahre-Filmen altbekannter, unappetitlicher Rassismus: In zwei Szenen werden die beiden einzigen Schwarzen des Ortes als faul, dumm und ungebildet hingestellt und dem Hohngelächter des Publikums ausgesetzt.

Publicity Shot zu dem Film "Deluge" (USA 1933) von Felix E. Feist; das New York Modell
Publicity Shot von den Modellbauten für "Deluge"

Martin hingegen wird in der Gemeinde der zerstörten Kleinstadt zum Kulturheros: Die Bewohner wählen ihn zu ihrem Bürgermeister, und er erschafft mit fiktiven Krediten ein neues – altes – Wirtschaftssystem, das auf einer erneuerten Geldwirtschaft aufgebaut ist. Er stellt sich vor die Gemeinde, erklärt: “We’re starting fresh!” und spricht von der Grün­dung einer “new civilization”. Diese aber konstituiert sich eher steinzeitlich statt neu. Der bemerkenswerteste Zug dieser Gesellschaft ist, dass die Kirche keine Rolle mehr spielt, wie Claire in ihrem Disput mit Helen betont. Das Gebot der Monogamie ist allerdings nach wie vor gültig. Claire, die selbstbewusste und selbstbestimmte Frau, tut am Ende womöglich das einzig Richtige: Sie verlässt die archaische Gemeinde und schwimmt einem unbestimmten Ziel entge­gen. Doch wie groß mögen ihre Chancen sein, anderswo ein glückliches Leben zu finden?

 

Trotz seiner fragwürdigen Ideologie ist Deluge ein unterhaltsamer Katastrophenfilm und allein schon wegen seiner fantastischen Spezialeffekte immer noch sehenswert. Außerdem ist er mit seinen gerade einmal 70 Minuten Laufzeit sehr kurzweilig – was man von vielen modernen Katastrophenfilmen, allen voran Roland Emmerichs bombastischen 2012 (2009) nicht behaupten kann.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 13. Oktober 2018

Szenenfotos © Lobster Films; Kino Lorber