Deluge (USA 1933)
Regie: Felix E. Feist
Drehbuch: John F. Goodrich und Warren B. Duff, nach dem Roman Deluge (1927) von S. Fowler Wright
Kamera: Norbert Brodine
Schnitt: Rose Loewinger
Musik: Val Burton
Darsteller: Peggy Shannon (Claire Arlington), Lois Wilson (Helen Webster), Sidney Blackmer (Martin Webster), Matt Moore (Tom), Fred Kohler (Jephson), Ralf Harolde (Norwood), Edward van Sloan (Professor Carlysle) u. a.
Produzenten: Samuel Bischoff, Burt Kelly und William Saal
Companies: Admiral Productions; RKO Radio Pictures (Verleih)
Laufzeit: 70 Minuten; Schwarzweiß
Premiere: 18. August 1933
Überall auf der Welt mehren sich plötzlich Stürme und Erdbeben, und Wissenschaftler vermelden besorgt, dass möglicherweise das Ende der Welt drohe. Es scheint, dass ein fremder Himmelskörper die Naturkatastrophen verursacht, denn als über New York plötzlich eine Sonnenfinsternis einsetzt, rufen die Wissenschaftler der Astronomical Solar Society geschockt aus: “It can’t be!”
Die Westküste der USA wird von Erdbeben und Fluten völlig zerstört, und stündlich kommen die Erdbeben der Ostküste näher. Schließlich ist es soweit. New York City wird von einem massiven Erdbeben komplett in Schutt und Asche gelegt und anschließend von einer gigantischen Flutwelle überschwemmt. Die Zivilisation wird ausgelöscht.
Der redliche Familienvater Martin Webster erwacht nach der Katastrophe in einem verwüsteten, menschenleeren und überall von Wasser umgebenen Land. Seine Frau und seine Kinder, mit denen er in einem Haus im Grünen außerhalb von New York gelebt hatte, sind verschwunden. Webster entdeckt eine leerstehende Hütte am Eingang einer Höhle, quartiert sich in ihr ein und legt in der Höhle ein Depot mit Proviant und Werkzeugen an. Anderswo haben zwei Männer in einer anderen Hütte überlebt. Als sie am Strand eine bewusstlose junge Frau auffinden, pflegen sie sie gesund. Schon bald darauf erhebt Jephson, der Stärkere der beiden Männer, einen alleinigen Besitzanspruch auf die Frau. Im Streit um sie erwürgt er seinen Mitbewohner. Bei dieser Gelegenheit gelingt es der Frau, aus der Hütte zu fliehen und hinaus auf das Meer zu schwimmen.
Die Frau erreicht den Strand, an dem Webster lebt, und wird von ihm aufgenommen. Sie stellt sich ihm als Claire vor. Da Webster ihr erklärt, dass es für eine Frau allein in der Wildnis zu gefährlich ist, entschließt sie sich, bei Webster zu bleiben. Nach einer Weile fasst Claire Vertrauen zu dem Mann, und beide verlieben sich ineinander. Ihr Idyll bleibt jedoch nicht unbehelligt, denn Jephson ist Claire mit einem Boot hinterhergefahren, um sie aufzuspüren und mit Gewalt zurückzuholen. Dafür verbündet er sich mit der Bellamy-Bande, einem Haufen Strolche, die seit der Flut die Gegend unsicher machen. In etwa zehn Meilen Entfernung versuchen derweil die Einwohner einer Kleinstadt, ihr Gemeinwesen wieder aufzubauen. Sie sind schon oft von der Bellamy-Bande angegriffen worden, wobei immer wieder junge Frauen verschleppt, vergewaltigt und getötet wurden. Deshalb beschließen die Männer des Ortes, einen Trupp zusammenzustellen, um die Bande ein für allemal auszulöschen. In dem Ort haben auch Martin Websters Frau Helen und ihre bei-den kleinen Kinder, die die Flut überlebt haben, eine neue Bleibe gefunden. Doch auch Helen hat es nach der Flut nicht leicht, denn aufgrund des Mangels an jungen, gebärfähigen Frauen wird von ihr erwartet, rasch wieder zu heiraten. Helen will jedoch nicht glauben, dass ihr verschwundener Mann bei der Flut umgekommen ist . . .
Der Weltuntergang als famoses Effektespektakel
Deluge ist der erste waschechte Katastrophenfilm der Kinogeschichte, der vom Untergang der modernen Zivilisation und dem anschließenden Neuanfang erzählt. Gewiss gab es auch schon davor einige Filme, die sich mit diesem Thema beschäftigten, insbesondere der Kurzfilm The Comet (1910) von der Thomas Edison Company, Verdens Untergang (1916) vom dänischen Regisseur August Blom und La fin du monde (1930) von Abel Gance. Doch Deluge ist definitiv der erste Film, der die Vernichtung der Welt als ein außerordentlich aufwendiges Spektakel inszenierte. In einer fast sechs Minuten dauernden Sequenz, die bereits in der 15. Minute des Films einsetzt, wird ein enormes Modell von New York City in einem Erdbeben gründlich zertrümmert und anschließend mit einer mächtigen Flutwelle überschwemmt. Die bombastische Zerstörungsorgie war damals eine tricktechnisch außerordentliche Leistung und ist auch heute noch extrem beeindruckend.
Mit der Zerstörung New Yorks als das amerikanische Symbol der modernen Zivilisation schlechthin brachte der Film außerdem erstmals ein Motiv auf die Leinwand, das später zum oft genutzten Klischee in zahlreichen Katastrophenfilmen von George Pals Der jüngste Tag (1951) bis hin zu Roland Emmerichs 2012 (2009) wurde. Der Rest des Films ist dagegen kaum in irgendeiner Hinsicht besonders eindrucksvoll. Das schmale Budget ist ihm auf Schritt und Tritt anzusehen – streckenweise wirkt der Film fast wie ein billiges Kinoserial –, das melodramatische Liebesdrama bleibt kraftlos und das Schauspiel der Darsteller ist allenthalben durchschnittlich. Doch entfaltet der Film immerhin ein Bild von der postapokalyptischen Gesellschaft, das zweifellos fragwürdig ist, aber auf jeden Fall das Interesse fesselt.
Das Drehbuch des Films basiert auf dem Roman Deluge (1927) von Sydney Fowler Wright (1874–1965). Der Schriftsteller wird heute kaum noch erinnert, war jedoch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der erfolgreichsten Science-Fiction-Autoren Englands. Freilich stand er stets im Schatten seines großen Vorbilds H. G. Wells (1866–1946). Wie Wells trachtete Wright danach, mit seinen “scientific romances” nicht einfach nur spannende Abenteuer zu erzählen, sondern vor allem über die menschliche Gesellschaft und den Einfluss der Moderne zu philosophieren. Dabei vertrat er allerdings im Gegensatz zu Wells einen extrem fortschrittsfeindlichen Standpunkt. Für Wright war die vom technisch-wissenschaftlichen Fortschritt geprägte moderne Zivilisation degeneriert und ließ die von Geld, Selbstsucht, Feigheit und Komfort korrumpierten vitalen Kräfte der menschlichen Spezies zusehends verfallen. Er verteufelte Maschinen und insbesondere das Automobil ebenso wie die Schwangerschaftsverhütung, glorifizierte demgegenüber das „unverfälschte“ Leben in der Natur und sah in der Auslöschung der ihm verhassten Zivilisation die Chance eines kompletten Neuanfangs. Deluge erntete positive Kritiken und wurde erst in den USA und dann auch in England ein Bestseller. Der finanzielle Erfolg von Deluge ermöglichte es Wright, sich fortan ganz der Schriftstellerei zu widmen. 1929 schrieb er mit Dawn ein Sequel zu Deluge, das in der Kritik jedoch verhaltener aufgenommen wurde. In Hollywood gelang es Wright, ein von ihm verfasstes Skript von Deluge für 5.000 Dollar an World Wide Pictures zu verkaufen, die das unabhängige, kleine Filmunternehmen Admiral Productions mit der Realisierung des Films beauftragten. Freilich wurde das Budget bei den Dreharbeiten heillos überschritten: Waren ursprünglich nur 75.000 Dollar für den Film geplant, kostete er am Ende über 170.000 Dollar. Zweifellos waren die Mehrkosten dabei ausschließlich von den extrem aufwendigen Spezialeffekten verschlungen worden.
Admiral Productions war die Nachfolgefirma von KBS Productions, die 1932 von den Produzenten Burt Kelly (1898–1983), Samuel Bischoff (1890–1975) und William Saal (1898–1978) gegründet worden war. Alle drei hatten ihre Karrieren im Filmgeschäft in verschiedenen Poverty-Row-Studios begonnen und in den frühen Dreißigerjahren vorwiegend billige Western produziert. Deluge drehten KBS/Admiral wie alle ihren anderen Filme in den Studiohallen der bankrott gegangenen Tiffany Pictures am Sunset Boulevard, die ab 1932 von verschiedenen Produktionsfirmen angemietet werden konnten. Ursprünglich waren dies die Reliance-Majestic Studios gewesen, wo W. D. Griffith The Birth of a Nation (1915), Hearts of the World (1918) und Intolerance (1916) gedreht hatte. Zahlreiche Außenaufnahmen entstanden zudem im berühmten, nahegelegenen Bronson Canyon.
Zur Enttäuschung von Sydney Fowler Wright wurde das von ihm verfasste Skript nicht verwendet. Stattdessen schrieben John F. Goodrich (1887–1937) und Warren B. Duff (1904–1973) ein neues Drehbuch für den Film, das in vielen Punkten von Wrights Roman abweicht. So wurde der Schauplatz von England nach Nordamerika verlegt, und während die Flut bei Wright nur das Mittel ist, um die Welt auszuradieren und die Bühne für das eigentliche Thema, nämlich die neue, postapokalyptische Gesellschaft zu bereiten, ist sie in der Verfilmung das zentrale Spektakel, das das Publikum ins Kino locken sollte. Goodrich und Duff milderten auch Wrights sozialutopische Ideen deutlich ab. In Wrights Roman gehen Martin Webster, seine Frau Helen und Claire, die wahrscheinlich von Webster schwanger ist, am Ende eine polygame Dreierbeziehung ein – etwas, womit ein Hollywoodfilm anno 1933 niemals davongekommen wäre, auch nicht zu Pre-Code-Zeiten. Im Film entbrennt dagegen ein Streit beider Frauen um den Mann, und am Ende sieht Claire schließlich ein, dass sie gegen die Ehefrau und Mutter Helen chancenlos ist. Sie räumt das Feld, indem sie wieder ins Meer steigt und einem ungewissen Ziel entgegenschwimmt. Ob die Schlussszene, in der Martin am Strand steht und der hinausschwimmenden Claire hinterhersieht, als ein Selbstmord Claires zu deuten ist, bleibt dabei offen, da Claire zuvor im Film erklärt hatte, eine professionelle Sportschwimmerin zu sein.
Deluge wurde von Felix E. Feist (1910–1965) inszeniert, dem Sohn des MGM-Managers Felix F. Feist (1884–1936). Er war damals erst 23 Jahre alt, und Deluge war seine erste Regiearbeit. Feists spätere Karriere als Regisseur blieb unauffällig, doch drehte er bis in die Fünfzigerjahre hinein zahlreiche Filme. In den Sechzigerjahren arbeitete er vorwiegend für das Fernsehen, bis er mit 55 Jahren an Krebs verstarb. Sein einziger weiterer Beitrag zum Science-Fiction-Kino war der kleine, aber feine Thriller Donovans Hirn (1953). Von den Darstellern in Deluge sticht die selbstbewusst und lebhaft agierende Peggy Shannon (1907–1941) als Claire Arlington besonders heraus. Shannon hatte ihre Karriere als Showgirl auf dem Broadway begonnen und war 1927 von Paramount Pictures unter Vertrag genommen worden. Leider verfiel sie Anfang der Dreißigerjahre zunehmend der Alkoholsucht, die ihre weitere Karriere ruinierte und ihren verfrühten Tod durch einen Herzinfarkt zur Folge hatte. Sidney Blackmer (1895–1973), der hier die männliche Hauptrolle Martin Webster spielt, war ein vielgefragter Schauspieler, der in über 120 Filmen größere Charakterrollen verkörperte. Eine seiner bekanntesten Rollen war die des besorgten Nachbarn Roman Castevet in Roman Polanskis Rosemarys Baby (1968). Hier in Deluge wirkt Blackmer allerdings eigenartig ungelenk. Die übrigen, eher unbekannten Darsteller liefern akzeptable, aber auch nicht besonders herausragende Darstellungen ab.
Der eigentliche Star des Films sind die beeindruckenden Spezialeffekte für die Zerstörung New Yorks. Diese waren das Werk des Teams um den Modellbauer und Leiter der Spezialeffekte Ned Mann (1893–1967), den matte artist Russell Lawson (1897–1975) und den Kameramann William Williams (1894–1976). Mann war von Samuel Bischoff angeheuert worden, nachdem ihn Manns spektakuläre Flutszenen in Das Drama der Sintflut (Noah’s Ark, 1928) beeindruckt hatten. Der Produzent gab dem Effektetüftler für die Katastrophenszenen in Deluge völlig freie Hand und keinerlei Budgetbegrenzung. Mann ließ auf einer Studiobühne von über 30 Metern Breite und Tiefe ein riesiges Modell der Stadt mit zahlreichen Wolkenkratzern, dem Empire State Building, den Hafenanlagen am Hudson River und der Freiheitsstatue errichten. Die Häuser, die bis zu 3,60 Meter hoch waren, bestanden alle aus Bauteilen aus Gips, die, um beim Erdbeben auch sicher auseinanderzufallen, lose übereinander getürmt waren. Für das Erdbeben wurden acht auf Federn und Rollen gelagerte Segmente des Bühnenbodens ferngesteuert in verschiedene Richtungen in Schwingungen versetzt, und in einer Einstellung öffnet sich der Boden sogar, sodass die zu Trümmern zerfallenden Bauten darüber in den Schlund hinabstürzen. Für die Flut wurde das gesamte Set mit mächtigen Wassermassen überschwemmt. Gedreht wurde mit acht Kameras und 20 Kameraassistenten, und alles musste selbstverständlich auf Anhieb funktionieren und mit den Kameras wie gewünscht eingefangen werden. Später wurden die Modellaufnahmen mit travelling mattes von davonrennenden panischen Menschenmassen oder Menschen, die in den Hochhäusern verschüttet werden, kombiniert. Sehr gelungen ist auch das Timing: Alles läuft in leichter, kaum auffallender Slow-Motion ab, sodass die zerbröckelnden und zusammenstürzenden Modelle wirklich massiv und tonnenschwer wirken. Manchem Zuschauer von heute mögen die Effekte vielleicht primitiv und durchschaubar erscheinen, doch für meine Begriffe sind sie immer noch ausgesprochen spektakulär und mitreißend. Zweifellos stellten sie damals einen neuen Höhepunkt der Spezialeffekte im Kino dar. Die Arbeit für Deluge war ein Meisterstück von Ned Mann, das ihm eine lange Karriere im Handwerk der Spezialeffekte sicherte. Seine nächste herausragende Arbeit leistete er in England mit den Spezialeffekten für William Cameron Menzies’ Science-Fiction-Klassiker Was kommen wird (1936).
Deluge zählt zu jener Handvoll früher Science-Fiction-Filme, die für Jahrzehnte als „verschollen“ galten. Ein anderes Beispiel aus dieser Gruppe wäre etwa Just Imagine (1930) von David Butler, der ebenfalls für viele Jahrzehnte nicht mehr zugänglich gewesen war und darum umso mehr die brennende Neugier der Science-Fiction-Fans geschürt hatte, die von den verloren geglaubten Filmschätzen nicht mehr kannten als Inhaltsangaben, zeitgenössische Kritiken und eindrucksvolle movie stills. Als World Wide Pictures Mitte 1933 bankrott ging, wurde Deluge für den Verleih an RKO Pictures verkauft, die nach ihrem Hit King Kong und die weiße Frau (1933) sofort einen ähnlich spektakulären Fantasyfilm herausbringen wollten. Im August 1933 kam Deluge in die Kinos. Der Film erntete gute Kritiken, schlug sich aber an der Kinokasse nicht sehr gut – er spielte nur um die 250.000 Dollar wieder ein. Um die Verluste teilweise wieder auszugleichen, verkaufte RKO die Katastrophenszenen des Films an das Billigstudio Republic Pictures. Republic verwendete die Szenen später in ihrem Crime-Thriller S.O.S. Tidal Wave (1939) sowie in den Kinoserials Dick Tracy vs Crime Inc (1941) und King of the Rocket Men (1949). Eine Bedingung des Deals war, dass RKO sämtliche Kopien des Films aus dem Verleih zurückziehen würde, was RKO dann auch tat. So erlebte Deluge nie eine Wiederaufführung.
Es mag noch weitere Gründe für den Verkauf von Deluge an Republic gegeben haben. Denn der Pre-Code-Film erfüllte in kaum einer Hinsicht die geltenden Zensurrichtlinien der 1934 gegründeten Production Code Administration (PCA). Nicht allein die gewagten Szenen, in denen die bildschöne Peggy Shannon in knapper Unterwäsche zu sehen ist, wären problematisch gewesen. Darüber hinaus hätte wahrscheinlich kaum ein Aspekt der postapokalyptischen Welt, die in Deluge präsentiert wird, das Wohlwollen der PCA-Zensoren gefunden – der Neuaufbau einer archaischen Gemeinschaft, in der keine Kirche mehr über die Moral wacht; die Leiche eines vergewaltigten Mädchens; Martins offensichtlicher Ehebruch, den er mit Claire begeht, unwissend, dass seine Frau noch lebt; und schließlich Claires angedeuteter Selbstmord am Ende des Films. Den Film für eine Wiederaufführung umzuschneiden, wäre somit schwierig geworden. Der Deal mit Republic war demgegenüber ein sicheres und schnelles Geschäft.
Erst im Jahre 1981 tauchte der komplette Film wieder auf: In Rom entdeckten die Science-Fiction-Enthusiasten Wade Williams (geb. 1942) und Forrest J. Ackerman (1916–2008), die sich für ein Science-Fiction-Festival in der Stadt aufhielten, eine italienisch synchronisierte 35mm-Kopie von Deluge, die sich im Besitz vom Regisseur und Drehbuchautor Luigi Cozzi alias Lewis Coates (geb. 1947) befand. Cozzi war mit Wade Williams befreundet und hatte die Filmkopie jahrelang in seinem Kellerarchiv aufbewahrt. Williams war begeistert, kaufte den Film für seine berühmte Wade Williams Collection und vermarktete ihn mit englischen Untertiteln auf VHS-Cassetten und später auf DVDs. Für über 30 Jahre stellte nun diese nicht gemasterte italienische Fassung die einzige Möglichkeit dar, den Film zu sehen. Schließlich gelang es im Jahre 2016 dem Filmkonservator Serge Bromberg und seiner Firma Lobster Films, die sich auch schon um die Restauration von Harry O. Hoyts Die verlorene Welt (1925) verdient gemacht hatten, im Centre national du cinéma et de l’image animée (CNC) in Paris ein vollständiges 35mm-Nitrat-Negativ von Deluge mit der originalen englischen Tonspur aufzuspüren. Lobster Films masterte den Film digital und veröffentlichte ihn im Februar 2017 über das Label Kino Lorber auf Bluray und DVD, sodass Deluge endlich wieder in seiner ursprünglichen Gestalt mit englischem Originalton genossen werden kann (leider sind allerdings sowohl die Bluray als auch die DVD nur für Abspielgeräte für Nordamerika codiert, sodass man einen entsprechend codierten oder regionalfreien Player benötigt).
Zurück in die gute, alte Steinzeit
Es ist vermutlich kein Zufall, dass Sydney Fowler Wrights Roman zuerst in den USA ein Bestseller wurde (wodurch er dann auch in Großbritannien ein größeres Lesepublikum erreichte) und in den USA auch die Chance einer Verfilmung erhielt, denn Katastrophenerzählungen, die die Vernichtung der bestehenden Zivilisation zum Ausgangspunkt für den Aufbau einer völlig neuen Gesellschaft machten, waren in Amerika bereits seit Längerem in Mode – insbesondere in den Pulp-Magazinen. Der Reiz dieser Geschichten lag in der Vorstellung, die bestehende Ordnung mit all ihren Komplexitäten und Unzulänglichkeiten einfach beiseite zu schieben und den Helden dabei zuzusehen, wie sie die postapokalyptische Wildnis bezwingen und eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen. Diese konnte theoretisch jenseits aller moralischen und religiösen Fesseln liegen, und alles schien in ihnen prinzipiell denkbar. Frühe Beispiele solcher Erzählungen sind etwa The Second Deluge (1911) von Garrett P. Serviss, Darkness and Dawn (1912) von George Allan England oder Draught of Eternity (1918) von Victor Rousseau. Nur wenige Monate, bevor Deluge in die Kinos kam, veröffentlichten Philip Wylie und Edwin Balmer ihren klassischen Weltuntergangsroman When Worlds Collide (1932/33), der wie Deluge starke zivilisationskritische Züge enthält. Im Nachfolgeroman After Worlds Collide (1933/34) wird ebenfalls vom Überlebenskampf in einer postapokalyptischen, leeren neuen Welt erzählt. Wie Wright stellen auch Wylie und Balmer das bestehende, monogame Eherecht in Frage, ohne freilich so weit zu gehen, am Ende ein klares Votum für die Mehrehe zu formulieren. Interessanterweise wird in When Worlds Collide New York City in genau der Art und Weise vernichtet, wie es die Verfilmung von Deluge vor Augen stellt: durch Erdbeben und gigantische Flutwellen. Hätte Paramount Pictures, die die Filmrechte an When Worlds Collide schon 1933 erworben hatten, den Roman sofort und nicht erst 18 Jahre später verfilmt, hätten sich in den Katastrophenszenen wahrscheinlich starke Ähnlichkeiten zwischen beiden Filmen ergeben.
Es gibt Kritiker, die sich nicht sicher sind, ob Deluge überhaupt zur Science-Fiction hinzugerechnet werden sollte, da der Film keine klare Aussage über die Ursachen der weltweiten Erdbeben und Sintfluten macht. Der einzige Hinweis findet sich in der Sonnenfinsternis, die die Astronomen nicht vorhergesagt haben, doch ob dies nun bedeutet, dass der verfinsternde Himmelskörper die Naturkatastrophen hervorruft, oder aber die Sonnenfinsternis vielmehr als surreales Menetekel begriffen werden soll, bleibt offen (ich persönlich neige zur ersten, quasi „wissenschaftlichen“ Deutung). So oder so betont Deluge die Möglichkeit einer religiösen und damit eschatologischen Deutung des Geschehens – worin sich der Film im Übrigen vom Roman unterscheidet. Nicht nur werden in den ersten Szenen des Films, die die weltweite Hysterie vor dem nahenden Weltende bebildern, Priester gezeigt, die salbungsvoll das Vertrauen auf Gott beschwören und gewillt sind, Gottes Strafe zu empfangen. Auch metatextuell wird das Geschehen auf einen christlichen Rahmen bezogen. Eine Texttafel am Beginn des Films weist den Zuschauer auf Folgendes hin:
Deluge is a tale of fantasy – an adventure in speculation – a vivid epic pictorialisation of an author’s imaginative flight. We, the producers, present it now purely for your entertainment, remembering full well God’s covenant with Noah.
Daran schließt sich eine Rezitierung von Gottes Bund mit Noah aus der biblischen Genesis an:
And I will establish my covenant with you; neither shall all flesh be cut off any more by the waters of the flood; neither shall there any more be a flood to destroy the earth. (Gen. 9:11)
Dies soll dem Zuschauer im Kinosaal versichern, dass alles nur Fantasie ist und niemals so geschehen könnte. Und dennoch wird hier in christlichen Kategorien argumentiert – das Gottvertrauen, das dem Zuschauer nahegelegt wird, ist dasselbe, das die Priester im Film im zur Schau stellen. Es ist offensichtlich, dass dem Mythos vom Weltende im abendländischen Kulturkreis eine übermächtige religiöse Kraft innewohnt, die unweigerlich religiöse Deutungsmuster evoziert und immer mitdenken lässt. Auch George Pals Der jüngste Tag (1951) beginnt mit einer Texttafel, die die Sintflutgeschichte aus der Genesis zitiert. Dort fehlt indes der interessante Kniff, das Geschehen mit biblischen Argumenten als rein fiktiv zu relativieren.
Das soziale Experiment, das Deluge auf der Tabula rasa der postapokalyptischen Welt aufführt, ist sowohl im Roman wie im Film enttäuschend archaisch und nirgendwo revolutionär. Aus unerfindlichen Gründen herrscht nach der großen Flut ein drastischer Mangel an jungen, gebärfähigen Frauen, und die Kämpfe der Männer drehen sich um den Besitz einer Frau, die praktisch zur Trophäe und bloßen Zuchtstute herabgewürdigt wird. Unverheiratete junge Frauen werden per Gesetz dazu gezwungen, einen Mann zu wählen – andernfalls droht ihnen, wie auf dem Viehmarkt an einen Mann zwangsweise vergeben zu werden. Helen entrinnt diesem Schicksal nur, weil ihr Ehemann Martin noch rechtzeitig im Ort auftaucht, um seine alte Position an ihrer Seite wieder einzunehmen. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau spielt nicht die geringste Rolle. Zum männlichen Chauvinismus gesellt sich ein aus Zwanziger- und Dreißigerjahre-Filmen altbekannter, unappetitlicher Rassismus: In zwei Szenen werden die beiden einzigen Schwarzen des Ortes als faul, dumm und ungebildet hingestellt und dem Hohngelächter des Publikums ausgesetzt.
Martin hingegen wird in der Gemeinde der zerstörten Kleinstadt zum Kulturheros: Die Bewohner wählen ihn zu ihrem Bürgermeister, und er erschafft mit fiktiven Krediten ein neues – altes – Wirtschaftssystem, das auf einer erneuerten Geldwirtschaft aufgebaut ist. Er stellt sich vor die Gemeinde, erklärt: “We’re starting fresh!” und spricht von der Gründung einer “new civilization”. Diese aber konstituiert sich eher steinzeitlich statt neu. Der bemerkenswerteste Zug dieser Gesellschaft ist, dass die Kirche keine Rolle mehr spielt, wie Claire in ihrem Disput mit Helen betont. Das Gebot der Monogamie ist allerdings nach wie vor gültig. Claire, die selbstbewusste und selbstbestimmte Frau, tut am Ende womöglich das einzig Richtige: Sie verlässt die archaische Gemeinde und schwimmt einem unbestimmten Ziel entgegen. Doch wie groß mögen ihre Chancen sein, anderswo ein glückliches Leben zu finden?
Trotz seiner fragwürdigen Ideologie ist Deluge ein unterhaltsamer Katastrophenfilm und allein schon wegen seiner fantastischen Spezialeffekte immer noch sehenswert. Außerdem ist er mit seinen gerade einmal 70 Minuten Laufzeit sehr kurzweilig – was man von vielen modernen Katastrophenfilmen, allen voran Roland Emmerichs bombastischen 2012 (2009) nicht behaupten kann.
© Michael Haul
Veröffentlicht auf Astron Alpha am 13. Oktober 2018
Szenenfotos © Lobster Films; Kino Lorber