Forrest J. Ackerman/Brian Forbes/Rolf Giesen (Hrsg.): Die Vergangenheit der Zukunft

Forrest J. Ackerman/Brian Forbes/Rolf Giesen (Hrsg.): Die Vergangenheit der Zu­kunft. Die Originalstories hinter den großen Science-Fiction-Filmen. Mit einem Vorwort von Guido Knopp und Alexander Simon; Übersetzungen der Originalerzäh­lungen aus dem Englischen bzw. Französischen von Martin Baltes, Rainer Höltschl, Jesco von Puttkamer, Ute Seeßlen, Karl Rauch, Tony Westermayr und Andreas Brandhorst. Begleitbuch zur ZDF-Dokumentation „Die Vergangenheit der Zukunft“ von Peter Adler und Holger Hillesheim, © ZDF-Enterprises 1998. Erste Auflage 1998, Burgschmiet Verlag GmbH, Nürnberg. Taschenbuch, 320 Seiten.

 

Die vorliegende Anthologie gab der Burgschmiet Verlag als Begleitbuch zur mehrteiligen ZDF-Dokumentation Die Vergangenheit der Zukunft (1998) von Peter Adler (geb. 1949) und Holger Hillesheim (geb. 1959) heraus, die sich mit der Geschichte der Science-Fiction und des Science-Fiction-Films beschäftigte. Über die TV-Produktion ist via Internet praktisch nichts zu erfahren, und seinerzeit habe ich sie leider auch nicht gesehen. Die Anthologie hingegen ist ein gelungenes, schön aufgemachtes Buch, das sieben Erzählungen in deutscher Übersetzung bietet, die einst die Vorlage oder Inspiration einer Reihe von klassischen Science-Fiction-Filmen lieferten.

 

Der Band enthält die literarischen Vorlagen folgender Filme: Der Tätowierte (1968), Das Ding aus einer anderen Welt (1951; Remakes 1982 und 2011), Alien (1979), Der Tag, an dem die Erde stillstand (1951; Remake 2008), Die Fliege (1958; Remake 1986), 2001: Odyssee im Weltraum (1968) und Total Recall – Die totale Erinnerung (1990; Remake 2012). Voran­gestellt ist ein 23-seitiges Vorwort von Guido Knopp und Alexander Simon, das sich mit Definitionsversuchen der Science-Fiction beschäftigt und die Geschichte des Genres in Literatur und Film kommentierend Revue passieren lässt. Das Vorwort ist durchdacht und sehr ansprechend geschrieben. Allerdings gehen, wie immer in solchen Diskursen, auch hier überzeugende mit weniger überzeugenden Argumenten Hand in Hand, und man ertappt die Autoren auch beim Rekurs auf andere Publikationen, ohne diese in den durchaus vorhandenen Fußnoten zu erwähnen – so etwa auf S. 12, wo die politische Deutung von Fritz Langs Metropolis (1927) fast wortgetreu die Argumentation von Georg Seeß­len aus dessen Buch Kino des Utopischen (1980), S. 95 paraphrasiert (die entsprechende Passage bei Seeßlen ist in mei­ner eigenen Besprechung von Metropolis zitiert). Insgesamt aber ist das Vorwort gelungen und argumentiert meisten­teils schlüssig und richtig.

 

In den Band eingestreut sind noch vier weitere einführende Diskurse (ohne Angabe der Autorenschaft), denen die sieben Erzählungen zugeordnet sind und die verschiedene Themenkreise der Science-Fiction behandeln: „Reise in die Zukunft“ (S. 28ff.), „Die Anderen“ (S. 46ff.), „Maschinen – Monster – Mutationen“ (S. 182ff.) und „Reisen durch Raum und Zeit“ (S. 274ff.). Auch sie bilden Mischungen aus Überzeugendem und weniger Überzeugendem. Manchmal werden arg ver­schwurbelte Theoreme vorgebracht, als seien diese fraglos und selbstverständlich gültig. Da wird bei­spielsweise im Zusammenhang mit David Cronenbergs Die Fliege (1986) eine „selbstquälerische Todessehnsucht ei­ner dem Unter­gang geweihten Überflußgesellschaft“ behauptet, die die „Alpträume des Science-Fiction-Kinos“ nähre, und: „Propa­giert wird die Ideologie totaler Entmenschlichung“ (S. 186). Klingt schick und gelehrt, aber ist es auch wahr? Die Zitate stammen erneut aus einer Quelle, ohne das diese genannt wird (in diesem Fall aus einem von Rolf Giesen geführten Interview mit David Cronenberg für das tip-Magazin, vgl. Rolf Giesen, Sagenhafte Welten, S. 308ff., insbe­sondere S. 312 und 314, oder auch Ronald M. Hahn/Volker Jansen, Lexikon des Science Fiction Films, 7. Aufl., S. 299). Offenkundig wird in derartigen Formulierungen die ideologisch überhitzte, gesellschaftskritische Lite­ratur der Siebzi­ger- und Achtziger­jahre wiedergekäut. Schon auf der nächsten Seite aber wird dann eine vollauf plausible Analyse des wissenschaftli­chen Fortschritts geboten. Unter Rekurs auf den Soziologen Sven Papcke (geb. 1939) und den Ma­thematiker und Physi­ker Max Born (1882–1970) wird festgestellt, dass wissen­schaftliche Höhenflüge ethi­sche Defizite und Krisen schaffen. Der wissenschaftliche Fortschritt bedingt neue ethische Fragestel­lungen, Korrektu­ren und Bewäl­tigungen, und von genau jenem ethischem Stress handeln auch viele Science-Fiction-Erzählungen.

 

Das Buch hat eine angenehme Aufmachung und einen schönen Drucksatz, der allerdings durch eine starke Häufung von Druckfehlern negativ auffällt. Unachtsam war das Lektorat auch im Inhaltsverzeichnis: Dort wird Who Goes There? Von John W. Campbell jr. mit Wer da? betitelt und es fehlt die Seitenzahlangabe, im Haupttext (S. 52ff.) heißt diese Erzählung dann aber Das Ding. Ein wenig ärgerlich ist auch das Quellenverzeichnis am Ende des Buchs (S. 319), das nur auf die ursprünglichen und erneuerten Copyrights verweist, nicht aber die ursprünglichen Publikationsorte der Erzäh­lungen erwähnt. Zum Teil ist dort offenbar auch etwas Verwirrung entstanden. So ist die Erzählung Discord in Scarlet (1939) von A. E. van Vogt, die der Autor 1950 in seinen Roman The Voyage of the Space Beagle einfügte, laut der Anga­be im Haupttext (S. 181) von Jesco von Puttkamer, laut der Angabe im Quellenverzeichnis allerdings von Rainer Eisfeld übersetzt worden. Beide haben in der Tat den Text übersetzt – zunächst Jesco von Puttkamer für die gekürzte deut­sche Erstausgabe des Romans als Groschenheft (Utopia Großband Nr. 50, Mai 1957) sowie für alle nachfolgenden, un­gekürzten Ausgaben bei AWA und Heyne; später dann Rainer Eisfeld für die 1992 erschienene Neuausgabe in Heynes Bibliothek der Science Fiction Literatur, Bd. 83. Welche Übersetzung in vorliegender Anthologie verwendet wurde, bleibt mithin unklar.

 

1. Ray Bradbury: Der illustrierte Mann

 

The Illustrated Man (1950); 16 Seiten. William Philippus Phelps, der Zeltarbeiter eines Wanderzirkus in Wisconsin, ist unglücklich verheiratet. Der ständige Streit mit seiner zänkischen, gefühlskalten Frau, die nur Verachtung für ihn übrig hat, lässt ihn maßlos fressen und fett werden. Sein Boss will ihn daraufhin nur noch bei sich behalten, wenn er sich als tätowierte Attraktion zur Schau stellen lässt. Derart in Bedrängnis, geht Phelps zu einer geheimnisvollen alten Frau, die in einer abgeschiedenen Hütte in der Wildnis wohnt. Sie tätowiert den kompletten Körper des Arbeiters mit zahlrei­chen mystischen und fantastischen Bildern. Zwei Stellen jedoch, auf der Brust und auf dem rechten Schulterblatt, be­deckt sie nach getaner Arbeit mit Verbänden und schärft Phelps ein, dass er diese Stellen erst in sieben Tagen abde­cken darf; die Bilder unter den Verbänden würden die Zukunft voraussagen.

 

Als Tätowierter ist William Philippus Phelps auf dem Jahrmarkt ein großer Erfolg, doch seine Frau ist über seine Ver­wandlung entsetzt und straft ihn mit blankem Hass. Als nach sieben Tagen unter den Augen eines neugierigen Publi­kums endlich der erste Verband auf der Brust des Tätowierten abgenommen wird, sind alle schockiert: Das enthüllte Bild zeigt den Tätowierten, wie er dabei ist, seine Frau zu erwürgen . . .

 

Denkt man an klassische Science-Fiction-Filme, die auf literarische Arbeiten von Ray Bradbury basieren, fallen einem am ehesten Gefahr aus dem Weltall (1953), Panik in New York (1953) und Fahrenheit 451 (1966) ein. Doch der erste Film verwendete einen Originalentwurf, den Bradbury für das Drehbuch schrieb, nie aber als eigenständige Erzählung ver­öffentlichte, während der zweite Film zwar eine Veröffentlichung Bradburys aufgriff – die Kurzgeschichte Das Nebel­horn (1951) –, allerdings nur in einigen wenigen Motiven, die im Film nur eine einzige Szene bilden. Fahrenheit 451 schließlich basiert nicht auf einer Kurzgeschichte, sondern einen Roman. Die Auf­nahme der Kurzgeschichte Der illus­trierte Mann im vorliegenden Sammelband hinwiederum ist eine merkwürdige Kuriosität, denn der von Jack Smight inszenierte Spielfilm Der Tätowierte (1968), der die Erzählung lose adaptierte, ist eher wenig bekannt und zählt gewiss nicht zu den großen Klassikern des Science-Fiction-Kinos. Vor allem aber ist Bradburys Erzählung definitiv nicht der Science-Fiction zuzurechnen. Wie geht das zusammen?

 

Die Kurzgeschichte The Illustrated Man, erstveröffentlicht im Magazin Esquire im Juli 1950, ist eine typisch Bradbury­sche Schauer­mär: bizarr, morbid, tragisch und in einer melancholischen, schönen Sprache gedichtet. Die raue und mitleidlose Welt des Jahrmarkts mit seinen Missgestalteten und Ausgegrenzten ist die Bühne, auf der die Hauptfigur, ein dickleibiger, erfolgloser Mann, durch die ständige, harsche Zurückweisung seiner Liebe zum tödlichen Gewaltaus­bruch getrieben wird. Die Hexengestalt in der einsamen Hütte und die prophetischen Tätowierungen, die ein unum­stößliches Schicksal schauen lassen, sind zum einen glasklare Märchenmotive, zum anderen reines Horror­gesche­hen. Mit Science-Fiction haben sie nichts zu tun.

 

Allerdings hatte Ray Bradbury die Motive seiner Erzählung in stark abgewandelter Form für seinen viel gerühmten Sammelband The Illustrated Man (1951, ab 1962 unter dem Titel Der illustrierte Mann auch auf Deutsch) wiederverwen­det: Dort bilden die Motive eine Rahmenhandlung, die die im Sammelband enthaltenen 18 Erzählungen lose miteinan­der verbindet. Ein Tramp trifft auf einen wandernden, vom Hals bis zu den Füßen tätowierten Mann, und beide lagern unter offenem Himmel zusammen. Jede Tätowierung belebt sich in der Nacht wie durch Zauberhand und erzählt dem Tramp jeweils eine der 18 Erzählungen. Die einzelnen Erzählungen sind für sich genommen durchaus Science-Fiction, und der Spielfilm, der eben den Sammelband und nicht die Originalerzählung zur Vorlage genommen hatte, hatte drei der 18 Erzählungen (Das Kinderzimmer, Der lange Regen und Die letzte Nacht der Welt) auch als Episoden aufgenom­men. Die Rahmenhandlung im Film hinwiederum stellt eine Melange aus der Originalerzählung und der Rahmenhand­lung im Sammelband dar.

 

Seit den Achtzigerjahren ist die hier wiedergegebene Originalerzählung auch in einigen englischsprachigen Neuausga­ben des Illustrated Man-Sammelbandes aufgenommen worden. Für Deutschland scheint es, dass die vorliegende An­thologie bislang die einzige deutsche Übersetzung der Originalerzählung bietet. Immerhin.

 2. John W. Campbell jr.: Das Ding

 

Who Goes There? (1938); 71 Seiten. In der Nähe einer antarktischen Forschungsstation entdecken die Wissenschaftler ein außerirdisches Raumschiff, das seit 20 Millionen Jahre im Eis eingeschlossen war. Bei dem Versuch, es zu öffnen, verbrennt das fast ganz aus Magnesiumverbindungen bestehende Schiff in einer gewaltigen Feuersbrunst. Lediglich einen Außerirdischen, der etwas abseits des Schiffs im Eis eingefroren ist, können die Forscher in einem Eisblock ber­gen und zu ihrer Station verfrachten.

 

Obwohl die Forscher ein mulmiges Gefühl beschleicht, weil „das Ding“, wie sie den Außerirdischen nennen, ein scheußliches und vermeintlich überaus bösartiges Aussehen hat, entschließen sie sich, es zu Untersuchungszwecken aufzutauen. Kaum aufgetaut, verschwindet es jedoch und wird zu einer tödlichen Gefahr. „Das Ding“, in seiner eigent­lichen Form ein blauer, protoplasmischer Ball mit Tentakeln und glühend roten Augen, entpuppt sich nämlich als Ge­staltwandler: Es kann sich teilen, jegliche Kreatur einverleiben und sich in eine fast perfekte, kaum noch zu unterschei­dende Kopie des Opfers verwandeln. Nackte Angst befällt die Forscher, denn bald ist niemandem mehr klar, wer noch echt und wer nur eine Kopie darstellt, die jederzeit zu einem weiteren Angriff übergehen könnte. Es beginnt eine fie­berhafte Suche nach einem Verfahren, Kopien zu identifizieren und zu töten . . .

 

Das Ding vom berühmten Astounding-Herausgeber John W. Campbell jr. (1910–1971) zählt fraglos noch heute zu den besten und packendsten Science-Fiction-Erzählungen aller Zeiten. Die gerissene, mit hohem Tempo erzählte Body-Snatcher-Story, erstveröffentlicht im Astounding-Heft vom August 1938, ist eine brillante Mischung aus faszinieren­dem sense of wonder und handfestem, ekelerregenden Horror. Darüber hinaus erfüllt sie Campbells zentrale eigene Richtlinie für die Beiträge in seinem Astounding-Magazin: die Akzentuierung wissenschaftlich-spekulativen Denkens. Der science babble, mit dem die Wissenschaftler die biologische Funktionalität eines protoplasmischen Gestaltwand­lers diskutieren (vor allem S. 77–79), fällt ungewöhnlich lang und detailliert aus und klingt in weiten Teilen plausibel, weil er konsequent von bekannten biologischen Grundlagen des Lebens ausgeht. Freilich: Bei näherem Hinsehen wer­den natürlich zahlreiche innere Widersprüche erkennbar – so erklärt z. B. die formulierte Theorie nicht, was genau mit den vom Gestaltwandler einverleibten Zellen des Opfers geschieht. Ebenso wissenschaftlich und nachvollziehbar gehen die Antarktisforscher in ihren Versuchen vor, das „Ding“ mit verschiedenen Mitteln – unter anderem Feuer und Stromschlägen – zu töten und vor allem einen Test zu ersinnen, mit dem sich menschliche Kopien von echten, noch nicht vom „Ding“ übernommenen Menschen unterscheiden lassen. Dementsprechend fällt der Erzählstil trotz der Wi­derwär­tigkeit des Monsters, das wie eine brutale, mitleidlose Ausgeburt der Hölle erscheint, ausgesprochen sachlich und nüchtern aus. Das „Ding“ ist eben keine mystische Höllenkreatur, sondern, wie die Forscher mit kühler Rationali­tät fest­stellen, vollkommen real, und es entstammt „genauso aus dem Schoß der Natur“ (S. 69) wie der Mensch.

 

In Deutschland wurde die Erzählung seit 1952 in verschiedenen Anthologien unter den Titeln Wer da? oder Das Ding aus einer anderen Welt veröffentlicht. Zudem erschien im Gebrüder Weiss Verlag im Jahre 1958 eine 167 Seiten starke Taschenbuch-Ausgabe unter dem Titel Das Ding aus einer anderen Welt in einer Übersetzung von Margaret Auer (das Taschenbuch habe ich nicht gelesen; der stärkere Umfang muss wohl bedeuten, dass die Originalerzählung erweitert und ausgeschmückt worden ist). Die in diesem Band enthaltene Fassung stellt eine neue Übersetzung von Martin Baltes und Rainer Höltschl dar. Das Ding ist mit Abstand die beste Kurzgeschichte in dem vorliegenden Sammelband. Es ist überdies interessant zu beobachten, wie eng sich John Carpenters Verfilmung von 1982 an der Originalstory orientiert hat, während die Erstverfilmung von Christian Nyby aus dem Jahr 1951 sich doch sehr stark von ihr entfernt hatte.

3. A. E. van Vogt: Missklang in Scharlach

 

Discord in Scarlet (1939); 59 Seiten. In ferner Zukunft ist das irdische Forschungsraumschiff Space Beagle in den leeren Weiten des Alls auf dem Weg zu einer anderen Galaxis. Als das Schiff einen unerklärlichen Energieverlust erleidet, un­terbricht es seine Fahrt, um einem Astronautenteam die Gelegenheit zu geben, an der Außenhülle des Schiffs mögli­che Schäden festzustellen und Reparaturen zu erledigen. Dabei fällt einem Astronauten ein seltsames, scharlachrotes Wesen mit vier Armen und zwei Beinen auf, das unweit des Schiffes im All schwebt. Nachdem die Forschungsmann­schaft sich beraten hat, beschließt sie, das Wesen mit einem Käfig einzufangen, auf der Schiffsaußenhaut gefangen zu halten und gründlich zu erforschen.

 

Der Plan erweist sich als tödlicher Fehler. Das Wesen namens Ixtl ist der letzte Überlebende einer uralten, nahezu un­sterblichen Spezies, die sich über Jahrmillionen dem Leben in jeder Umgebung, auch dem Vakuum des Alls, perfekt angepasst hat. Nachdem eine kosmische Katastrophe einst die Heimatwelt von Ixtl vernichtet und ihn selbst ins Uni­versum geschleudert hatte, war Ixtl dazu verdammt gewesen, viele Jahrmillionen in den Weiten zwischen den Gala­xien dahinzutreiben. Als sich die Space Beagle ihm zufällig auf wenige Lichtjahre genähert hatte, konnte Ixtl dem Schiff telekinetisch Energie entziehen und es zum Halten zwingen. Die Besatzung der Space Beagle fängt das fremde Wesen ein, doch schon bald darauf lässt es sich durch die willentliche Beeinflussung seiner Atomstruktur durch die Gitterstäbe seines Käfigs hindurchfallen und verschwindet wie ein Blitz durch die geöffnete Schiffsluke im Inneren der Space Beagle. Dort beginnt der Eindringling bald, gnadenlose Jagd auf Besatzungsmitglieder zu machen, um sie zu pa­ralysieren und in ihren Körpern zu Brutzwecken die eigenen Eier abzulegen – und alle gut überlegten Versuche, das scharlachrote Scheu­sal einzufangen und zur Strecke zu bringen, entpuppen sich als aussichtslos . . .

 

Missklang in Scharlach, eine Story, die von A. E. van Vogt 1950 in seinen berühmten Roman Die Expedition der „Space Beagle“ inkorporierte, gilt gemeinhin als eine wesentliche Quelle, die Dan OBannon zu seinem Drehbuchentwurf zu Ridley Scotts Science-Fiction-Klassiker Alien (1979) inspirierte. Der Rückgriff wurde von den Filmproduzenten zunächst nicht eingestanden; erst van Vogts Klage führte zu einer außergerichtlichen Einigung, bei der der Autor 50.000 Dollar erhielt. Jeder Filmfreund, der sich näher mit Alien beschäftigt hat, weiß freilich, dass der Film nicht allein von van Vogt, sondern auch stark von Edward L. Cahns Monsterfilm It! The Terror from Beyond Space (1958) inspiriert wurde, dessen Drehbuch von keinem Geringeren als Jerome Bixby stammt. Bixby hinwiederum erklärte in einem Interview, dass er seinerseits angeblich nicht von Missklang in Scharlach, sondern vielmehr von Howard Hawks’ Verfilmung von Das Ding (1951) beeinflusst gewesen sei (vgl. John Brosnan, The Primal Screen, S. 103). Beim Versuch, in diesem Geflecht die Ein­flüsse eindeutig zuzuordnen, gerät man unweigerlich in einen Grenzbereich, in dem die Ideen eines schöp­ferischen Autors und die generisch gewordene Versatzstücke nicht mehr ohne Weiteres unterscheidbar sind.

 

Es ist wahr, dass sich in Missklang in Scharlach eine Reihe von Elementen finden, die auch in Alien die Geschichte kon­stituieren: Es geht um ein gerissenes, erbarmungsloses, fast unbesiegbares außerirdisches Monster, das sich in einem irdischen Raumschiff in den Ventilationsschächten versteckt hält und einen Passagier nach dem anderen jagt, um in den Opfern die eigenen Eier abzulegen. Allerdings gibt es auch viele Unterschiede, angefangen beim Aussehen und der Beschaffenheit des Monsters. Bei van Vogt ist das Monster ein scharlachroter, scheußlich aussehender Teufel, der über Telepathie, Telekinese und fast unbegrenzte Supersinne verfügt. Vor allem kann das Monster wider­standslos durch feste Materie, z. B. Wände und Fußböden, hindurchschlüpfen. Seine Eier greift es sich aus der eigenen Brust und pflanzt sie in den Brustkorb seines Opfers, indem es seine Arme direkt in den Körper eintaucht. Damit hat das Monster nur wenig Ähnlichkeit mit dem Filmmonster aus Alien. Auch das gesamte Drumherum der Story – das Raumschiff, die Mannschaft und deren Versuche, das Monster zur Strecke zu bringen – ist vollkommen anders gestal­tet als in Ridley Scotts Film.

 

Van Vogts Erzählung ist sehr spannend und interessanterweise in ähnlich nüchterner Sprache fabuliert wie John W. Campbell jr.s Das Ding. Auch hier führen die Wissenschaftler, die die Besatzung der Space Beagle bilden, interessante Diskussionen, in denen sie über die Natur des Aliens und die Möglichkeiten seiner Bekämpfung spekulieren. Diese Pas­sagen sind einerseits schöne Hard-SF, enthalten andererseits jedoch auch ziemlich haarsträubende anthropologische Argumente. So postuliert der Soziologe der Mission einen na­türlichen, universell gültigen Zyklus intelligenter Spezies, der sich vom Primitiven über den Bauern bis hin zum rationa­len Städter entwickelt, um nach einem zwangsläufigen zivilisatorischen Kollaps – einem verheerenden Krieg – erneut auf die Stufe des Primitiven zurückzufallen (S. 140 f.). Der Alien wird aufgrund mehrerer vager Hypothesen auf der Stufe des Bauern angesiedelt, und von daher wird per se an­genom­men, dass er vor allem auf die eigene Fortpflanzung aus ist. Derlei grobe Generalisierungen ist man nimmer ge­willt, als „wissenschaftliche“ Argumentation zu schlucken. Dafür ist der Trick, mit der es der Mannschaft gelingt, das Monster aus der Space Beagle wieder herauszulocken, ein cleverer Einfall. Insgesamt eine gelungene, sehr unterhalt­same Story.

4. Harry Bates: Abschied vom Herrn

 

Farewell to the Master (1940); 50 Seiten. Mitten in Washington D.C., unweit dem Capitol, materialisiert urplötzlich ein grün schimmerndes, eiförmiges Raum-Zeit-Schiff und bleibt reglos an Ort und Stelle stehen. Die Bevölkerung und die Sicherheitskräfte der Stadt sind in helle Aufregung versetzt. Das Schiff wird sofort von bewaffneten Kräften ins Visier genommen und bewacht, während sich lange Zeit nichts rührt. Nach zwei Tagen öffnet sich endlich eine Luke, und heraus tritt ein in ein helles Gewand gekleidetes menschliches Wesen, gefolgt von einem zweieinhalb Meter großen Roboter, der ebenfalls ganz wie ein Mensch aus Fleisch und Blut aussieht, allerdings aus grün schimmerndem Metall besteht. Der hell gewandete Besucher, der offensichtlich mit friedlichen Absichten gekommen ist, stellt sich selbst als Klaatu und den Roboter als Gnut vor. Sofort darauf wird Klaatu von einem Verrückten aus einem Baum heraus nieder­geschossen und stirbt. Gnut erstarrt daraufhin vor dem Raum-Zeit-Schiff und bewegt sich keinen Millimeter mehr. Die Menschen sind bestürzt und auch verängstigt über den Mord an Klaatu; um ihr Bedauern über den Vorfall zum Aus­druck zu bringen, beerdigen sie Klaatu feierlich in einer prächtigen Marmorgruft. Später lässt die Regierung den unbe­weglichen Gnut und das Raum-Zeit-Schiff mit einer Museumshalle überbauen, in der fortan Neugierige die fremden Besucher betrachten können.

 

Als der Pressefotograf Cliff Sutherland auf seinen Aufnahmen von Gnut entdeckt, dass der Roboter sich unmerklich doch ein paar Millimeter bewegt haben muss, lässt er sich heimlich im Museum einschließen und legt sich auf die Lau­er. Und tatsächlich: Des nachts erwacht Gnut zum Leben und bewegt sich im Museum oder verschwindet im Raum-Zeit-Schiff. Cliff beobachtet in den folgenden Nächten die seltsamsten Dinge. So kämpft einmal Gnut mit einem aus­gewachsenen Gorilla, der aus dem Raum-Zeit-Schiff herausstürmt. Später bricht Gnut aus dem Museum aus, um aus Klaatus Gruft eine Tonbandaufzeichnung von Klaatus Stimme zu holen. Mithilfe dieser Aufzeichnung gelingt es Gnut, eine lebendige Kopie von Klaatu zu erschaffen, die mit Cliff wenige Worte wechselt, bald darauf jedoch ebenfalls stirbt. Cliff ist zutiefst bestürzt und bittet Gnut, seinem Herrn Klaatu, sollte er ihn erneut erschaffen, zu bekräftigen, dass seine Ermordung auf der Erde ein trauriger Unfall gewesen war. Gnut erwidert milde, dass da ein Missverständnis vorliegt: „Ich bin der Meister“, erklärt er – und verschwindet mit dem Raum-Zeit-Schiff.

 

Der Tag, an dem die Erde stillstand (1951) von Robert Wise ist gewiss einer der besten Science-Fiction-Filme aller Zei­ten. Die Kurzgeschichte von Harry Bates, die den Film unmittelbar inspiriert hatte – und für die Produzent Julian Blau­stein nur die lächerliche Summe von 500 Dollar zahlen musste –, wirkt dagegen enttäuschend blass. Drehbuchautor Edmund H. North hatte die Vorlage zu einer klugen Meditation über den Irrsinn des Krieges und der atomaren Bedro­hung ausgebaut, wie er sich in den Augen eines hochentwickelten außerirdischen Besuchers darstellen könnte, und das Ganze mit allegorischen Anspielungen auf die Erlöserfigur Jesus Christus und Gott angereichert. Bei Bates hinge­gen geht es über weite Strecken nur um ein kindisch anmutendes Versteckspiel in einem nächtlichen Museum, bei dem der Roboter Gnut die absurdesten Handlungen vollzieht, die nie erklärt werden. Weshalb beispielsweise verharrt Gnut über lange Zeit völlig bewegungslos? Was genau wollten er und Klaatu eigentlich auf der Erde? Anders als im Film gibt es keine Botschaft oder Erklärung, die Klaatu an die Menschheit richten würde. Klaatus Wiederauferstehung mithilfe einer Tonbandaufzeichnung ist grotesker Unsinn, und auch der Knalleffekt am Ende, auf den die gesamte Ge­schichte hin konzipiert ist – dass der Roboter der überlegene Herr des menschlichen Dieners ist –, will keine überra­schende oder gar schockierende Wirkung entfalten. Abschied vom Herrn ist ein gutes Beispiel dafür, dass eben längst nicht immer die literarische Vorlage ihrer filmischen Adaption überlegen ist, wie das Science-Fiction-Snobs stets so gern weiszumachen versuchen.

 

5. George Langelaan: Die Fliege

 

The Fly (1957); 36 Seiten. In der Nacht wird ein britischer Gentleman namens Arthur Browning von seiner Schwägerin angerufen, die völlig aufgelöst erklärt, dass sie soeben Arthurs Bruder Robert, ihren Ehemann, getötet habe. Arthur ruft die Polizei und fährt gemeinsam mit einem Inspektor zum Ort des Geschehens: eine Fabrik, die an das Labor von Robert angrenzt. Tatsäch­lich finden sie Roberts Leiche vor – zermalmt von einem hydraulischen Stahlhammer.

 

Roberts Frau schweigt zu der Tat und wird in ein Irrenhaus eingewiesen. Erst eine ganze Weile später, nachdem sie von Arthur mehrfach unter Druck gesetzt wurde, bricht sie ihr Schweigen und übergibt Arthur einen von ihr verfassten Bericht der Ereignisse, die zur Tötung von Robert geführt haben. Aus dem Bericht erfährt Arthur, dass sein Bruder, ein Wissenschaftler, in seinem Labor einen fantastischen Apparat entwickelt hatte: einen Materietransmitter. Nach einer Reihe verschiedener Versuche hatte Arthur schließlich den Selbstversuch gewagt: die Teleportation eines Menschen von der Sende- zur Empfängerkabine. Unglücklicherweise hatte sich bei dem Experiment jedoch eine Fliege in die Sen­dekabine verirrt, sodass Arthur mit dem monströsen Kopf und dem Arm einer Fliege in der Empfängerkabine materiali­sierte – zusammen mit der Fliege, die nunmehr mit einem winzigen menschlichen Kopf und einem winzigen menschli­chen Arm versehen war. Nachdem alle Versuche, die Meta­morphose rückgängig zu machen, gescheitert waren, nicht zuletzt, da es nicht gelang, die Fliege mit Roberts Kopf und Arm wieder einzufangen, erbat Robert von seiner Frau nur noch den Gnadentod unter dem Stahlhammer in der Fabrik. Die Fliege wurde nie gefangen – allerdings fällt Arthur später im Garten eine Fliege mit einem weißem Kopf auf, die in einem Spinnennetz gefangen ist . . .

 

Die makabre Kurzgeschichte Die Fliege des in Frankreich geborenen britischen Autors George Langelaan (1908–1972) dürfte wohl jedem Science-Fiction-Fan geläufig sein, selbst wenn er sie nicht gelesen hat, denn die Verfilmung von Kurt Neu­mann von 1958 nach einem Drehbuch von James Clavell erzählt die Kurzgeschichte sehr getreu nach. Selbst­redend ist die Neuverfilmung von David Cronenberg von 1986 die bessere Version des Stoffes, da sie mit ihrem Motiv der ungewollten Vermischung des Erbguts der beiden gleichzeitig teleportierten Lebewesen wissenschaftlich weitaus plausibler erscheint. In Langelaans Konzept fragt sich, warum der Mensch mit monströsem Fliegenkopf nicht auch nicht sein Bewusstsein – sprich: sein Gehirn – an die Fliege verloren hat. Dennoch ist die in Ich-Form aus der Perspek­tive von Arthur Browning erzäh­lende Kurzgeschichte, die in einem schauerlichen Stil à la Edgar Alan Poe oder H. P. Lovecraft geschrieben ist, noch immer recht effektiv und kurzweilig.

6. Arthur C. Clarke: Der Wachtposten

 

The Sentinel (1951); 13 Seiten. Im Spätsommer 1996 erforscht eine Mondexpedition das Mare Crisium – und entdeckt an einem hohen, steilen Berghang ein juwelartiges, kristallenes Bauwerk in Form einer Pyramide, das offenbar von einer weit fortgeschrittenen außerirdischen Spezies vor Äonen auf dem Mond errichtet worden war. Der Bau dient, wie die Entdecker erst nach verschiedenen Spekulationen erahnen, als Wachtposten, der seinen Erbauern in den Tiefen des Alls automatisch melden soll, wenn er von vernunftbegabten Erdlingen berührt wird. Die Meldung bedeutet, dass die Erdlinge ihre Kinderstube verlassen und den Sprung ins All geschafft haben. Wie die Außer­irdischen auf diese Informa­tion reagieren – ob sie sich gar der Menschheit helfend zuwenden werden – bleibt jedoch offen . . .

 

Die Prämisse von Arthur C. Clarkes Kurzgeschichte Der Wachtposten hatte Stanley Kubrick herangezogen, als er ge­meinsam mit dem Science-Fiction-Autor den Kern der Erzählung von 2001: Odyssee im Weltraum (1968) austüftelte. In ursprünglicher Form ist Der Wachtposten ein klassisches, romantisches Weltraummärchen, wie sie Clarke vielfach ge­schrieben hat, mit sym­phatischen, einfach gestrickten Kumpeltypen als Figuren und einer Szene, in der die Forscher einen schroffen Berg auf dem Mond erklimmen – ein beliebtes, zigfach verwendetes Motiv von Science-Fiction-Illus­trationen. Gewiss enthält Der Wachtposten auch einige Altertümlichkeiten. So ist der Mond hier einst in früher Urzeit von großen Meeren über­flutet gewesen, und die Astronauten haben sogar Spuren pflanzlichen Lebens entdecken können. Aber insgesamt ist die Erzählung schön atmosphärisch und ansprechend geschrieben. Interessant ist, dass Clarke bereits hier mit der er­warteten Rückkehr der Erbauer des Wachtpostens die Hoffnung verbindet, dass diese die Menschheit an ihrer höheren Weisheit teilhaben lassen, auch wenn er diese Hoffnung mit einem leichten Fragezeichen versieht (S. 289):

 

Nun haben ihre Signale aufgehört, und die damit Betrauten werden ihren Geist der Erde zuwenden. Vielleicht wollen sie unserer unmündigen Zivilisation helfen. Aber sie müssen schon sehr, sehr alt sein, und die Alten sind oft eifersüchtig auf die Jungen.

 

Das quasi-religiöse – oder esoterische – Grundthema der Erzählung wurde später Stanley Kubricks Film häufig als anti-wissenschaftlicher Budenzauber zum Vorwurf gemacht. Ob zu Recht, ist frei­lich eine Frage des Standpunkts.

 

7. Philip K. Dick: Die totale Erinnerung

 

We Can Remember It for You Wholesale (1966); 28 Seiten. In einer fernen Zukunft träumt der unglücklich verheirate­te, un­bedeutende Buchhalter Douglas Quail von einer Reise zu den Kolonien auf dem Mars. Sie ist sein sehnlichster Wunsch, doch Reisen zum Mars sind sehr teuer und für Quail unerschwinglich. Um dennoch ein in etwa vergleichbares Erlebnis zu haben, begibt sich Quail zur Rekal GmbH, einer Firma, die ihr Geld mit künstlichen Erinnerungen verdient, die sie in die Gehirne ihrer Kunden einspeist. Mit dem Geschäftsführer der Firma Mr. McClane bespricht Quail, wie die künstliche Erinnerung an eine Reise zum Mars aussehen soll: Um das Erlebnis abenteuerlich aufzumotzen, soll Quail auf dem Mars nicht nur ein Tourist, sondern ein wichtiger Agent gewesen sein, der einen gefährlichen Geheimauftrag ausgeführt hatte.

 

Quail begibt sich auf die Behandlungsliege und bekommt starke Drogen verabreicht, die für die Übertragung der künstlichen Erinnerung vonnöten sind. Da jedoch passiert eine Panne. Noch vor der Übertragung der Erinnerung, in halb bewusstem Delirium, erzählt Quail bruchstückhaft von einem tatsächlichen Agentenauftrag, den er auf dem Mars ausgeführt haben will. McClane dämmert, dass die verabreichten Drogen Quails gelöschte Erinnerungen freigelegt ha­ben und der Kunde in Wirklichkeit ein schlafender Geheimagent ist. McClane entscheidet, dass die Erinnerungsüber­tragung besser nicht durchgeführt wird und schickt Quail mit der Hälfte der rückerstatteten Gebühren nach Hause. Quail hingegen ist sich seiner Erinnerungen nicht mehr sicher und hat das Gefühl, tatsächlich auf dem Mars gewesen zu sein. Schließlich tauchen in seiner Wohnung zwei Geheimagenten auf, die durch ein in Quails Kopf implantiertes telepathisches Gerät festgestellt haben, dass Quail sich wieder an seinen Geheimauftrag auf dem Mars erinnert. Das jedoch darf nicht sein: Quail soll eliminiert werden . . .

 

Paul Verhoevens Total Recall – Die totale Erinnerung (1990) mit Arnold Schwarzenegger als Douglas Quaid (statt Quail) ist mit Sicherheit ein einflussreicher Klassiker des Science-Fiction-Kinos, auch wenn sich viele Kritiker an der mangeln­den Treue zur literarischen Vorlage, am Verhoeven-typischen Sex-and-Crime-Action-Overkill und an Arnold Schwar­zenegger als viel zu grobschlächtigen Hauptdarsteller gerieben haben. Anders als der Film ist Philip K. Dicks Kurzge­schichte kein grelles Actionfeuerwerk, sondern eine für den Autor typische Paranoia-Geschichte, in der der Protago­nist dazu gebracht wird, seine Erinnerungen und damit auch seine Entscheidungen darüber, was wirklich real und was nur eine Illusion ist, in Zweifel zu ziehen.

 

Bei aller Hochachtung für Philip K. Dick muss ich eingestehen, dass ich das ineinander verschachtelte Vexierspiel mit der Realität und künstlich geschaffenen Erinnerungen in Verhoevens Film für gelungener halte. Dort bleibt beim Zu­schauer die Frage, was denn nun wirklich „echt“ ist und was nur eine manipulierte Erinnerung, während des gesamten Films und auch noch an seinem Schluss in der Schwebe. In Dicks Erzählung hingegen wird dem Leser in dieser Art und Weise nie der Boden unter den Füßen weggezogen: Es wird rasch klar, dass Douglas Quail tatsächlich ein Geheim­agent ist, und eine künstliche Erinnerung wird ihm überhaupt nicht implantiert. Auch Dicks Clou am Ende, dass Quail sogar noch eine zweite Erinnerung innewohnt, nach der er eine außerirdische Invasion verhindert hat, will nicht recht zünden, da auch diese Erinnerung ausdrücklich als wahr markiert wird. Gleichwohl regt Dicks Erzählung natürlich das Nachdenken über das Wesen von Erinnerungen und ihre Bedeutung für die Konstruktion von persönlicher „Wahrheit“ an, und in diesem Sinne ist sie immer noch lesenswert.

 

 

© Michael Haul

Veröffentlicht auf Astron Alpha am 22. Juni 2016